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Nachtflug nach Paradise Beach
Ladies and Gentlemen, this is the captain speaking. I would like to welcome you aboard our Night Flight 2107 to Paradise Beach. The weather forecast is quite perfect and we don't expect any problems during the flight. May I now draw your attention to some safety information given by our cabin crew. Thank you for your kind attention and enjoy the flight.
Meine Damen und Herren,
wir möchten Sie bitten, mit dem Rauchen zu warten, bis das Zeichen über Ihrem Sitz erloschen ist. Bitte schnallen Sie sich an, stellen Sie die Rückenlehne senkrecht und klappen Sie Ihr Tablett hoch. Wir sind startbereit und werden in wenigen Minuten abheben. Bitte beachten Sie die Sicherheitshinweise, die Ihr freundlicher Flugbegleiter Ihnen jetzt geben wird.
Die Motoren heulen auf. Erst sanft, dann stärker beginnt der Schub, die Passagiere in den Sitz zu drücken. Sie beobachtet die Regentropfen, die an ihrem Bullauge vorbei flitzen. Draußen sieht sie den Scheinwerfer an der linken Tragfläche, an dem die Regentropfen wie Irrwische vorbeitanzen. Ihr Sitz zittert und sie spürt die ungeheure Beschleunigung. Der Schub wird immer stärker und sie wird jetzt leicht nach unten gedrückt. Plötzlich hört das Rumpeln auf. Draußen huscht das Blitzlicht des Towers am Fenster vorbei und sie fühlt sich wie im Aufzug. Ein hydraulisches Surren und ein kurzes Poltern sagen ihr, dass jetzt das Fahrwerk eingefahren ist. Der Schub wird noch stärker und draußen ist alles schwarz. Sie spürt, wie der Wind am Flugzeug rüttelt, aber sie hat keine Angst.
Das rote Zeichen mit der durchgestrichenen Zigarette erlischt.
Das Anschnallzeichen erlischt. Sofort beginnen die ersten, sich nervös an der Toilette anzustellen. Sie beobachtet in Ruhe das Treiben in der Kabine. Nachtflug nach Paradise Beach. Leises Stimmengemurmel. Einige haben sich die kleinen Kissen bereits unter den Kopf geschoben. Eine Stewardess bringt einen Kopfhörer vorbei. Als das Flugzeug die Wolkendecke durchstößt, wird sie kurz etwas durchgeschüttelt. Dann ist wieder alles ruhig. Sie wird mit vollem Schub in den Nachthimmel getragen. Jetzt kann sie draußen einzelne Sterne erkennen. Unter ihr sieht sie das bizarre Wolkenmeer, das im Mondlicht leuchtet.
Neben ihr der Platz ist leer. Aber sie wird erwartet. In Paradise Beach. Ihrem Mann hat sie gesagt, sie fliege geschäftlich nach Spanien, es könnte ein oder zwei Wochen dauern. Ein komplizierter Immobilienfall, da weiß man nie, wie lange man bleiben muss. Sie muss lächeln. Sie fühlt sich wohl. Sie freut sich auf die nächsten Tage. Wärme, Sonne, Motorradfahren. Er holt sie am Flughafen ab, hat er gesagt. Er will sie mit etwas überraschen. Er immer mit seinen Überraschungen.
Das Motorengeräusch wird leiser. Die Monitore leuchten auf und zeigen Europa. Sie verfolgt eine kleine rote Linie, an deren Beginn "Cologne" steht. Am anderen Ende der Linie ist ein kleines weißes Flugzeug abgebildet. Die Linie wird langsam länger. Sie bewegt sich in einem leichten Bogen nach Westen auf England zu. Sie senkt ihre Rückenlehne ab. Der Flug wird eine Weile dauern.
"Ladies and Gentlemen. This is the captain speaking. We have now reached our final cruise level. The weather ist fine and we are approaching Paris which you can see on the left side. We will arrive in Paradise Beach in about four hours. The weather there is 21 degrees centigrade and a clear sky. Sunrise will be at 6:30. Thank you for your kind attention."
Das Flugzeug liegt jetzt völlig gerade und ruhig in der Luft. Das monotone Geräusch der Motoren macht sie schläfrig. In der Tasche der Sitzlehne vor ihr sucht sie nach dem Bordmagazin. Eine weiße Tüte, innen mit Plastikfolie beschichtet. Eine folierte Karte im DIN-A4-Format, die verschiedene Flugzeugtypen zeigt, an denen die Notausstiege geöffnet sind. Rote und grüne Pfeile sind gleichmäßig verteilt. Sie weiß noch nicht einmal, in welchem Flugzeugtyp sie gerade sitzt. Warum auch? Sind die nicht alle gleich?
Das Schlafkissen, eingepackt in Plastikfolie und mit weißem Papierüberzug. Das Bordmagazin erwischt sie natürlich als Letztes. Es hat bereits Eselsohren. Immer dieselben Parfums, immer dieselben Zigaretten. Viel billiger ist das inzwischen auch nicht mehr. Aufblasbare Plastikflugzeuge für die Kleinen, ein schickes Schreibtischset in Mahagoni. Krawatten mit Flugzeugen, Krawatten in rot, in blau, in grün. Eine Weltkarte. Sie sucht Paradise Beach. Da ist es. Die rote Linie geht von Köln direkt dorthin. Köln liegt wie immer genau im Knick der Seiten.
Die Stewardess fragt in dem Moment nach Getränken, als sie eigentlich aufstehen wollte. Der Andrang an der Toilette ist im Moment nicht sehr groß. Pech gehabt. Sie nimmt einen Baileys auf Eis und denkt an die kommenden Tage. Palmen. Das Fischrestaurant am Meer mit den Fischernetzen über der Terrasse. Seine Stimme. Sein Geruch. Seine Unbeschwertheit. Zwei Wochen wird sie sich davon anstecken lassen, bevor es wieder zurückgeht. Aber daran denkt sie jetzt noch nicht. Den Bordfilm hat sie schon einmal im Kino und einmal auf ProSieben gesehen. Egal, er wird die Zeit verkürzen.
Im Osten zeigt sich ein schmaler oranger Streifen am Horizont. Allein für diesen Anblick lohnt sich der Nachtflug immer wieder.
"Ladies and Gentlemen, this is the captain again. In about five minutes you can see the sun rising on the left side, as we are approaching the coast line of Portugal. Those on the right side will be able to see Lissabon and the Tejo bay. In a few minutes the cabin crew will serve a little breakfast with a hot coffee or tea, if you prefer. The weather now in Paradise Beach is 26 degrees and no clouds in the sky. You will have a pleasant morning. Thank you for your attention and enjoy the rest of the flight."
Kurz, nachdem die Stewardessen alle Tabletts wieder eingesammelt haben, heulen die Motoren auf. Unter ihr rumpelt es kurz heftig und sie wird nach vorn gepresst. Der hohe Luftwiderstand des gerade ausgefahrenen Fahrwerks bremst das Flugzeug enorm ab. Obwohl sie das schon oft erlebt hat, kommt es jedesmal wieder überraschend. Als sie links aus dem Fenster blickt, sieht sie, wie die Landeklappen an der Tragfläche ausfahren, begleitet von einem mechanischen Surren. Als das Flugzeug scharf nach rechts dreht, kann sie die Insel sehen. Die große Stadt, das Häusermeer aus weißen kubischen Formen, durchsetzt mit palmengesäumten, breiten Alleen. Hier und da ein Hochhaus mit unzähligen winzigen Balkonen, an denen Wäsche hängt. Der Hafen gleitet unter ihr hindurch, sie sieht die großen Fähren, die für die Überfahrt fast zwei Tage benötigen.
Segeljachten verteilen sich wie kleine weiße Sommersprossen auf dem Meer. Ein Tanker scheint zu stehen. Sie erkennt die Säule auf der Plaza, an der sie letztes Jahr diese verrückten Fotos gemacht haben. Schade, dass man die niemand zeigen kann. Dann liegt die Stadt hinter ihr. Palmen und Eukalyptuswälder sausen unter ihr durch. Eine Straße, auf der ein gelb-schwarz lackiertes Auto mit gelbem Blinklicht fährt. Ein Zaun. Ein Grünstreifen. Rotweiße Markierungen. An den Tragflächen heben sich die Bremsklappen und sie wird erneut nach vorn gezogen. Es rumpelt und ein ohrenbetäubendes Quietschen sagen ihr, dass die Maschine aufgesetzt hat. Die Motoren heulen auf. Der Umkehrschub bremst die Maschine erstaunlich schnell ab. Sie wird langsamer, die Landeklappen surren wieder zurück, sie rumpelt über die Teerfugen im Beton der Landebahn. Plötzlich ist die Klimaanlage wieder das lauteste Geräusch. In den hinteren Reihen klatscht sich der Fußballclub, der schon den ganzen Flug lautstark seine Vorfreude zum Ausdruck gebracht hat, seine Flugangst von der Seele. Sie fragt sich, ob die Jungs auch jedes Mal klatschen, wenn der Linienbusfahrer sie heil in die Stadt gebracht hat...
Der Tower wischt vorbei, sie sieht zahlreiche Tankwagen, andere Flugzeuge, unzählige kleine Elektrokarren, die sechs oder sieben breite Anhänger hinter sich herziehen, beladen mit Koffern. Das Flugzeug schwenkt nach rechts und rollt aus.
"Ladies and Gentlemen. Welcome to Paradise Beach. I hope you enjoyed the flight and you will be our guest again in the near future. Thank you for using our airline."
Die Motoren bleiben stehen. Als die Klimaanlage ausgeschaltet wird, wird es sofort unerträglich stickig. Alle stehen auf, drängen nach vorn, plötzlich kann es nicht schnell genug gehen. Ein älterer Herr quält sich bei dem Versuch, seinen kleinen Koffer aus dem Staufach zu fädeln. Der Fußballclub schiebt ungeduldig von hinten. Warten.
Dann steht sie auf der Treppe. Langsam fließt die Menge auf die beiden seltsam aussehenden Gelenkbusse zu, die unten auf die Fluggäste warten. Im Hintergrund erkennt sie den Terminal. Dort steht er irgendwo. Ob er sie schon sehen kann? Was für eine Überraschung mag er diesmal wieder haben?
Der Bus hält vor dem Terminal. Es ist unerträglich heiß, Es riecht nach Schweiß und billigem Parfum. Vielleicht sollte sie nächstes Mal doch Linie fliegen? Es geht durch eine Schwingtür und eine Treppe hinauf. Erst läuft sie einfach in der Menge mit, doch bald sucht sie die Schilder "baggage claim". Rechts herum, einen langen Gang entlang. Rechts und links Plakate von denselben Parfums und Klamotten, die auch im Bordmaganzin verkauft wurden. Herrenserie, neuer Duft. Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Mit uns die Welt erleben. Dazwischen schmale, hohe, ziemlich staubige Fenster, durch die man Teile von Flugzeugen sieht, ein Heckflügel, eine offene Gepäckraumtür, Elektrokarren, ein Tankfahrzeug mit der Aufschrift "CEPSA".
Am Förderband das übliche Gedränge, obwohl das Band noch gar nicht läuft. Auf einer Anzeige über dem Band erkennt sie ihre Flugnummer und zwei grüne Lampen, die abwechselnd blinken. Überall Schilder "No Fumar". Im Hintergrund steht ein Zollbeamter mit dunkelblauer Hose und hellblauem Hemd, der genüßlich eine Zigarette raucht. Endlich! Wie auf Kommando stecken sich etwa die Hälfte der wartenden Passagiere Zigaretten an und werden prompt mit einem haßerfüllten Blick eines Ehepaars in mittlerem Alter bedacht, er mit Seitenscheitel und Kurzhaarschnitt mit Nickelbrille, sie im adretten, halblangen Kostüm. Sie deuten demonstrativ auf die Schilder. Als sie den ebenfalls rauchenden Zollbeamten entdecken, blicken sie mit schmalen Lippen schnell in eine andere Richtung.
Wo wird er sie erwarten? Gleich hinter der Tür der ehemaligen Zollabfertigung, die seit der EU ungenutzt vor sich hingammelt? Das Gepäckband läuft an und die Menge wird unruhig. Schieben und Drängen. Ich zuerst, ich zuerst!
Sie nimmt ihren Koffer und geht durch die Drehtür. Sie erblickt eine riesige Menschenmenge, die sie alle anzustarren scheinen. Schilder mit der Aufschrift "Hotel Novasol" oder "Herr und Frau Müller" werden hoch gehalten. Sie kann niemand erkennen. Sie geht weiter bis vor den Terminal. Sie fragt sich, wie er aussieht. Hat er sich in dem einem Jahr verändert?
Plötzlich winkt ihr jemand. Sie erkennt ihn. Es ist derselbe Fahrer, der sie auch beim letzten Mal abgeholt hat. Als sie hinten in der Limousine sitzt, holt sie ihren Laptop heraus. In zwei Stunden wird das erste Meeting beginnen.