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Nachtfahrt
Schon seit einigen Minuten saß er ihr gegenüber, zog von Zeit zu Zeit an der selbstgedrehten Zigarette, die er zwischen seinen Fingern wippen ließ, und schnippte die Glut auf den abgenutzten Boden des U-Bahnwaggons.
Er lächelte sie an, jedes Mal, wenn sie es über sich brachte, den Blick zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Es war ein wölfisches, anmaßendes Lächeln, das sie nicht erwiderte. Kendra fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf ging, wenn er sie auf diese Art betrachtete, aber sie war klug genug, ihn nicht darauf anzusprechen. Sie kannte diese Art Mann nur zu gut – groß, durchtrainiert, irgendwie wild und manchmal ein wenig gefährlich. Und sie wusste, was dieser Mann von ihr wollte. Unauffällig warf sie einen genaueren Blick auf ihr Gegenüber. Der Mann konnte nicht älter sein als Mitte zwanzig, hatte volles, schwarzes Haar, eine bleiche Haut und so hellblaue Augen, dass ihr von seinem durchdringenden Blick ein wenig schwindlig wurde. Wie lange würde er wohl fahren? Er hatte sich zu ihr gesetzt, sofort nachdem er eingestiegen war - obwohl die U-Bahn um zwei Uhr morgens so leer war wie ihre Geldbörse. Sie warf das lange, rote Haar zurück und kramte umständlich in ihrer Handtasche nach einem Spiegelchen, um sich eingehend zu prüfen. Ihr Make-up saß, die vollen Lippen waren in einem leuchtenden Korallenrot getönt, das ihre Haarfarbe perfekt wiedergab, und die runden, grünen Augen waren dezent mit Mascara und einer Schicht Kajal umrundet. Sie sah phantastisch aus und sie wusste es. Kein Wunder, dass der Mann sich ausgerechnet diesen Platz gesucht hatte, dachte sie lächelnd und wagte es nun doch, ihrem Gegenüber einen längeren Blick zuzuwerfen. Sein Lächeln verbreiterte sich augenblicklich zu einem diabolischen Grinsen.
„So spät noch unterwegs, hm.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, wie Kendra nicht entging; beinahe klang es wie ein Vorwurf. Sie hielt an ihrem Lächeln fest und erwiderte nichts.
Kaum merklich leckte der Mann über seine Lippen und Kendra glaubte, ein leises Knurren zu vernehmen. Er wagte einen neuen Versuch.
„Hübsche Mädchen wie du sollten eigentlich nicht ohne Begleitung durch die finsteren Tunnel streifen...Man kann nie wissen, was sich hier unten so alles herumtreibt. Ich begleite dich ein Stück, wenn du möchtest.“ Und bevor sie irgendetwas erwidern konnte, stand er auf und setzte sich neben sie. Kendra war beeindruckt, der Mann war größer als sie vermutet hatte. Ein schwerer, würziger Duft ging von ihm aus und sie ertappte sich dabei, wie sie tief einatmete und diesen Duft inhalierte. Kendra zwang sich zu einem erneuten Lächeln.
„Seltsam. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es gefährlicher ist, wenn ich mit dir zusammen in den Tunneln verschwinde, als wenn ich es alleine tue. Wer sagt mir denn, dass du nicht eines von den Was bist, die hier in der Dunkelheit umherstreunen und unschuldige Frauen jagen?“ Verdammt, sie sollte nicht so mit ihm reden. Ihn zu reizen war das Letzte, was sie gebrauchen konnte, aber der Wortwechsel mit diesem interessanten Fremden machte sie irgendwie an. Er reagierte prompt, und in seinen hellen Augen blitzte ein amüsiertes Funkeln auf.
„Hmmm...“, schnurrte er nachdenklich und fuhr sich mit dem Zeigefinger langsam über die Lippen, „Ich glaube, darüber hättest du nachdenken sollen, bevor du mich auf diese reizende Art angelächelt hast.“ Er grinste spöttisch und Kendra bemerkte die spitzen Eckzähne, die ungewöhnlich lang waren und ihm etwas Raubtierhaftes verliehen. Die U-Bahn hielt erneut, aber niemand stieg ein und Kendra fragte sich, ob überhaupt noch irgendwelche Menschen in der Nähe waren. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er beugte sich vor und flüsterte viel zu nah an ihrem Ohr: „Keine Angst, Kleines. Ich habe nicht vor, dir wehzutun...jedenfalls nicht sehr.“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu und lachte leise an ihrem Hals, so dass ihr ein leichter Schauer das Rückgrat hinunterlief. Unwillkürlich schloss sie die Augen und seufzte leicht. Der Fremde fasste das offenbar als Einladung auf, denn er schob eine große Hand unter ihren Rock und zwischen ihre Schenkel, und drückte sie sanft auseinander. Kendra zierte sich nicht, ließ ihn bereitwillig gewähren. Er hatte etwas an sich, das jede Gegenwehr unmöglich zu machen schien, also senkte sie die Augenlider und ihren Kopf und genoss das warme Gefühl seiner Hand auf ihrer Haut. Eine weitere Haltestelle folgte, wieder stieg niemand zu. Wie weit waren sie mittlerweile gefahren? Sie wusste es nicht und es war ihr auch egal.
Als sie den Kopf wieder hob, war er plötzlich über ihr und legte seine Lippen fordernd auf ihren Mund, stieß mit der Zunge sanft gegen ihre Lippen. Kendra öffnete sie, und seine Zunge drang in sie ein, fuhr über ihre Schneidezähne und spielte mit ihr.
„Braves Mädchen..“, murmelte er zwischen zwei Küssen, und seine Stimme klang so wundervoll heiser und belegt, dass es Kendra beinah um den Verstand brachte. Mit einer Hand fuhr er durch ihr Haar, die andere streichelte sie noch immer dort, wo sich langsam aber sicher ihr ganzes Fühlen konzentrierte. Als er einen Finger unter ihr Höschen gleiten ließ, stöhnte sie auf.
„Du solltest das nicht tun..“, wagte sie einen schwachen Versuch, ihn von dem abzubringen, was er scheinbar mit ihr vorhatte. Viel zu schwach, selbst in ihren Ohren. Sie musste es noch einmal probieren. „Hör auf, es ist nicht gut, was du tust. Ich muss an der nächsten Haltestelle aussteigen, verstehst du?“
Er lachte auf und sie bemerkte, wie sich sein Blick verfinsterte. Seine Stimme hatte diesen verführerischen, sanften Unterton, als er sich erneut zu ihr beugte. „Du musst nirgendwohin, Schätzchen. Gott, sieh dich an...Sitzt hier und spreizt die Beine für einen Unbekannten, öffnest deinen schönen, roten Mund für mich. Niemand ist in der Nähe, kein Mensch ist hier um dich vor mir zu beschützen. Du bist so hilflos, Kleines...Und es gefällt dir! Du willst gar nicht weg.“ Wenn er gewusst hätte, wie recht er damit hatte. Kendra wollte diesen Mann, aber sie hatte Angst davor. Angst vor dem, was er hier gerade mit ihr tat. Heiß pulsierte das Blut durch ihre Venen, sie fühlte sich fiebrig und ausgehungert, aber noch hatte sie die Kraft, ihm zu widerstehen.
„Du verstehst nicht, wir dürfen das nicht tun...Ich..“, setzte sie noch einmal an, aber er umfasste ihren zarten Hals mit seiner riesenhaften Hand und erstickte ihren Widerstand im Keim. Sie fühlte ihn, spürte seine Muskeln an ihrem Körper und bemerkte zwischen seinen Beinen ein deutliches Anzeichen dafür, dass auch ihm gefiel, was sie hier taten. Wenn sie dem nicht bald ein Ende machte, würde es brenzlig werden. Ist es schon, korrigierte sie sich in Gedanken und antwortete mit einem unterdrückten Wimmern auf das tiefe, kehlige Knurren, das er ausstieß. Sie roch seine Haut, die Erregung die von ihm ausging und wand sich unter ihm wie eine Schlange, aber er hielt sie mit sanfter Gewalt und presste sie in die unbequeme Plastikschale. Gott im Himmel, sie hielt es nicht länger aus. Hastig schnellte ihr Blick umher.
„Sind wir allein?“, fragte sie eine Spur zu ungeduldig und biss sich schnell auf die Zunge. Der Fremde nickte nur und blickte siegessicher auf sie herab. Kendra erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln.
„Gut. Sehr gut.“ Die U-Bahn rauschte durch die finsteren Tunnel, die nächste Haltestelle würden sie erst in einigen Minuten erreichen. „Du willst das hier zu Ende bringen? Du willst mich?“, fragte sie ihn, und ihre eben noch ängstlich klingende Stimme wirkte plötzlich erleichtert und wollüstig zugleich. Er nickte erneut und lächelte sie an, seine weißen Zähne blitzten im Licht der schmutzigen Lampen.
„Nun...man kann nicht sagen, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Sie lächelte entrückt und spürte ihre Lust auf diesen Fremden so stark, dass es sie beinah innerlich zerriss. Der Druck wurde stärker und stärker je länger sie seinem Duft ausgesetzt war, seinem wölfischen Blick. Sie spürte seine Finger auf sich, in sich, zog ihn näher an sich heran, atmete schwer und heftig. Sie musste ihn einfach haben. Im selben Moment in dem ihre Lust explodierte, zerriss ein markerschütternder Schrei die Stille. Es war er, der schrie. Dann setzte die Stille wieder ein.
Als Kendra die vorletzte U-Bahnstation erreichte, zog sie ihr Spiegelchen aus der Tasche und betrachtete ihre vollen, korallenroten Lippen. Dann lächelte sie ihr Spiegelbild an, und mit einem Blick auf den hübschen Fremden, der zu ihren Füßen lag, verzog sie ihren Mund zu einem höhnischen Grinsen, das ihre Fänge offenbarte. Sie hatte sie besser verstecken können als er seine falschen Implantate. Sie summte leise vor sich hin, verstaute ihr Spiegelchen und betrachtete das Gesicht des Mannes. Seine schönen Augen waren leer, der Blick so voller panischem Entsetzen. Blut lief von seinem Hals und sickerte in einer kleinen Pfütze auf den Boden. Kendra zuckte mit den Schultern. Schade um ihn, aber er hatte ja nicht auf sie hören wollen. Wer einen Vampir provozierte, war selber Schuld. Als die Bahn hielt, betätigte sie den Türöffner und trat auf den Bahnsteig. Sie schlenderte auf die Rolltreppe zu und summte noch immer, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Geile Miezen wie du sollten um diese Uhrzeit nicht mehr durch die Straßen laufen.“, krächzte der Junge mit dem Baseballcap und grinste Kendra an.
„Stimmt.“, lächelte Kendra mit ihrem unschuldigsten Augenaufschlag. „Aber vielleicht willst du mich ja ein Stück begleiten..?“
Hinter ihr schloss die U-Bahn mit einem leisen Quietschen die Türen und glitt zurück in die Nacht.