Nacht.
„Es ist nicht so, dass die Menschen Schlechtes tun wollen; Vielmehr tun sie Schlechtes, weil sie nicht wissen, was sie wollen.“
- Jim zu mir, nach einer halben Flasche Whisky.
Wir hatten knappe 2 Stunden auf dem Bahnhofsplatz verbracht, dann weitere 2 in der Wohnung von Liza. Um 2 Uhr Nachts verließen wir das Haus, zogen die Glastür ordentlich zu und bewegten uns in Richtung Altstadt. Es war ein Dienstagabend und es nieselte. Der Asphalt zeigte sich in schwarz-glänzender Hochpracht und die Reflexionen der Laternen waren eng gepferchte Punkte auf einer wabernden See aus Schwärze. Ich kuschelte mich bis zum Hals in meine dicke Winterjacke und betrachtete meine Mitstreiter: Die Blicke waren ernst und schäumten über vor unterdrückter Nervosität. Wir nahmen nun die ganze Straße ein, die ohne uns menschenleer gewesen wäre. In mir kribbelte es. Wir würden endlich etwas tun, endlich die Stille durchbrechen und schreien, endlich kämpfen. Ich zog die Hände aus den Taschen und drehte mir eine bucklige Zigarette. Das Blättchen war durchweicht vor Nässe wie mein Gesicht. Es würde nicht mehr lange dauern.
Herr W. Hatte die Nächte immer gemocht. Nacht bedeutet Dunkel; Dunkel bedeutet leer. Vor 20 Jahren hatte er deshalb seinen Job bei einer Sicherheitsfirma angenommen. In 20 Jahren war er annähernd ereignislos durch die Nächte gefahren, hatte Gebäude beobachtet, war spazieren gegangen oder hatte auf Parkplätzen in seinem Auto onaniert. Manchmal hatte er in den großen Sesseln von reichen Firmenchefs gesessen und sich vorgestellt, wie es wohl sei, zwischen den Menschen zu leben, über den Menschen zu stehen, die Menschen zu steuern. Dann war ihm schwindelig geworden, und schnell war er gegangen, froh, allein zu sein und für sich.
In dieser Nacht ging es ihm nicht besonders gut. Er hatte Bauchschmerzen, außerdem schien der Radiomoderator ihn zu hassen. Musik nervte ihn. Sein Rücken tat weh. Seine Laune war unterirdisch. Und so beschloss er, sich auf die Bänke eines Italieners im Shoppingcenter zu legen und ein wenig zu ruhen. Er würde alt, dachte er, er sei allein und für sich. Dann schlief er ein.
Anja machte uns allen nochmals Mut. Erinnerte uns daran, wie sehr die Welt die Farben brauche. Wieviele Farben das Feuer vereine. Wieviel Licht die Nacht vertrage. Und wie grau die Menschen seien. Ich hörte mir ihren Vortrag an und fühlte Hass in mir aufkommen. Hass auf all diese blökenden Schafe und ihr Unverständnis. Hass auf Etwas, in dem kein Platz für mich war. Wir waren immer allein und für uns. Wir waren Motten im Dunkeln, schläfrig, betäubt, auf Drogen. Wir würden Licht machen. Wir würden singen, zucken, tanzen, schreien.
-„Jurai, hast du den Kanister dabei?“ Jims Stimme schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich nickte. Dann kramte ich aus meinem Rucksack den kleinen Benzintank und begann, die mir angereichten Flaschen zu befüllen. Etwa nach der Hälfte fiel mir auf, dass ich keine Handschuhe trug. „Shit!“ sagte ich und präsentierte meine blanken Hände. „Idiot!“ zischte Mara, die von uns am unruhigsten war. „Sorry, ich kann mit Handschuhen halt nicht drehen.“ erwiderte ich genervt. Jim reichte mir ein Paar Kunststoffhandschuhe und begann die befüllten Flaschen von außen mit Benzin zu begießen, das er anschließend mit mehreren Taschentüchern rundum abwischte. Wieder nickte ich: „Das passt schon so.“ Als alle Flaschen gefüllt waren, reichte Anja die frischen Socken um. Jeder nahm sich ein Paar und verstopfte seine Cocktails. Der Geruch der Luft war beflügelnd. Es roch nach Explosion, nach Abenteuer, Adrenalin und Nacht. Das ausgelaufene Benzin bildete Regenbogenmuster auf dem vom Niesel nassen Asphalt. Die Laternen schienen zu singen.
„Hat jeder ein Feuer dabei?“ fragte Anja. Allgemeine Zustimmung. Wir vergessen, dass wir Motten sind, dachte ich und lächelte. Dann verteilten wir uns um das Gebäude. Ich wartete eine knappe Minute. All meine Muskeln waren angespannt und mein Blick nahm jeden Zentimeter der Umgebung wahr. Meine Waden waren bereit loszusprinten, mein Herz raste. Als ich das erste Klirren hörte, warf ich mit meinem Stein die Scheibe ein. Es wurde laut in der Nacht, denn wir alle hielten uns an den Plan. Die 2 Cocktails flogen hinterher, aus dem Augenwinkel sah ich, wie das Benzin sich entzündete. Ich lief. Ich japste. Ich hechelte.
Ich war allein und für mich.