Nacht
Es war lauter als sonst. Zu laut.
Die Geräusche schienen mich zu verschlucken und ich verlor fast gänzlich die Orientierung. Ich hatte Angst angerempelt, geschubst, beschimpft zu werden, hinzufallen und hilflos am Boden zu liegen. Umso glücklicher war ich einen bekannten Duft zu vernehmen, einen Duft nach Brot und Kuchen. Hier irgendwo musste der Bäcker sein, bei dem es die besten Zimtschnecken der Stadt zu kaufen gab, und von dort aus war es nicht mehr weit bis zu meiner Wohnung: geradeaus, am Lärm des Friseursalons vorbei, an der Ecke mit dem Gullideckel rechts, und zuletzt noch einmal, bei dem Gestank der Müllcontainer, links. Die dritte Haustür in der Hauswand, die mit der höchsten Stufe, war meine.
Vorsichtig tastete ich mit meinem rechten Fuß die stufe ab und vernahm, wie erwartet, ein Rascheln. Der Zeitungsjunge hatte sich mal wieder in der Tür geirrt, und die Zeitung zu mir, anstatt zu Herrn Kohl gebracht. Dabei hatte ich mein Zeitungsabo schon vor langer Zeit gekündigt. Kopfschüttelnd hob ich die Zeitung auf und legte sie Herrn Kohl vor die Haustür. Was sollte ich auch damit? Ich würde sie bestimmt nicht lesen! Wieder vor meiner Haustür angekommen tastete ich nach dem Schlüssel in meiner linken Hosentasche und steckte ihn, die Zacken mussten nach unten, in das Schloss. Als ich ihn drehte vernahm ich das mir allzu bekannte Knacken, was mir signalisierte, dass ich die Tür öffnen konnte, und trat ein.
Ich stellte meinen stock in die Ecke, denn hier konnte ich mich auch ohne ihn zurechtfinden, und ging in die Küche. Dort ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, den mit der quietschenden Lehne, und nahm meine Sonnenbrille ab. Auch die brauchte ich hier nicht. Hier, zu Hause, gab es keine fremden Menschen, die erschrocken aus dem Weg sprangen, oder angewidert die Luft einsogen, wenn sie mich ohne Sonnenbrille sahen. Doch noch viel schlimmer als die, waren diejenigen, die Mitleid mit mir hatten. Die, die mich plötzlich am Arm fassten, und mich über die Straße zerrten, ohne, dass ich sie um Hilfe gebeten hatte.
Seufzend tastete ich nach dem Radio, das sich auf dem Regal genau in meiner Kopfhöhe befand, und schaltete es ein. Rauschen. Na toll! Die Putzfrau musste es mal wieder verschoben haben. Wie sollte ich denn jetzt meinen Lieblingssender wiederfinden? Hilflos schob ich das Radio auf dem Regalbrett hin und her, bis ich ein Klirren neben mir auf dem Boden vernahm. Wer hatte denn bitte ein Glas, eine Vase, oder was auch immer auf das Regal gestellt? Resigniert gab ich dem Radio einen letzten Klaps und kauerte mich auf meinem Stuhl zusammen. Scherben konnte ich in meinem Zustand nun wirklich nicht gebrauchen!
Wenigstens funktionierte das Radio jetzt doch wieder, wenn auch immer noch mit einem leisen Rauschen im Hintergrund. Anscheinend war ich auf einer Art Wissenschaftssender gelandet, ein Mann erzählte nämlich monoton über eine nahende Mondfinsternis. Unwillkürlich musste ich lachen. Mondfinsternis! Das traf meinen Zustand genau. Bei mir war immer Nacht. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie immer sternlos ist.