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Nachruf auf die Lebenden
Was gibt es Schlimmeres als sich mit dem Sterben und dem Tod eines Menschen auseinandersetzen zu müssen, den man geachtet hat, der vielleicht sogar Vorbild hätte sein können, wenn man diesen Menschen und seine Motive besser gekannt hätte, und von dem man sich noch viel erwartet hatte?
Die Trauer, daß wieder einmal ein Mensch - vorzeitig? - diese Welt verlassen hat, auf den viele Andere Hoffnungen gesetzt haben, ist auf jeden Fall verständlich, aber sicher nicht die beste Reaktion. Die Gefahr ist groß, sich in dieser Trauer zu verlieren und darüber das zu vergessen, was dieser Mensch uns angeboten und gegeben hat: Engagement, Warmherzigkeit, Gefühle und dies alles verbunden mit dem Mut zum konstruktiven Widerspruch. Und gerade diese Eigenschaften sind genau das, was in dieser unserer schönen heilen Werbewelt so gar nicht mehr gefragt ist. Das Ego ist zum Mittelpunkt der Welt verkommen. Man findet nur noch zu seinem Selbst, durch das, was man sich kauft; Spaß haben bedeutet nur noch auf Kosten Anderer; Shareholdervalue steht über produzieren mit Sinn und Verstand; und wer sich für die Interessen Anderer oder der Allgemeinheit engagiert, ist im besten Falle ein dummer Esel, den man ausnutzt, im schlechtesten Fall ein Quertreiber, Bedenkenträger oder Chaot, der nur die allgemeine Konsumzufriedenheit stört.
Wir ersticken in unserer Ich-Bezogenheit, unsere Bedürfnisse werden immer kurzfristiger und realitätsferner. Über Handy und per SMS und eMail wird kommuniziert; im Freundeskreis, an Schulen und Universitäten und in Büros wird über Andere geredet und darüber haben wir vergessen, wie man m i t e i n a n d e r spricht. Wir sind mulitmediamäßig Uptodate eingerichtet und zappen uns über Elend und Krieg hinweg, um über Raabschen Metzgerhumor zu lachen und uns unsere angebliche Konsumrückständigkeit durch die neuesten Werbeeinblendungen vor Augen zu führen. In unseren russgefilterten Großstadtjeeps und den sportiven Funcars brausen wir über die Straßen und die Brücken unserer Städte, unter denen - hoffentlich unbemerkt und ohne uns zu stören - die Looser unseres Systems ihr Dasein fristen und oft genug krepieren.
Wir sind auch tot, weil wir nicht mehr wissen, was Leben heißt. Eins sein mit der Umwelt; abhängig sein von dem, was wir und was andere tun. Miteinander statt gegeneinander zu handeln. Solidarisch sein, statt schadenfroh. Und wenn wir uns das wieder bewußt machen, vielleicht waren wir dann nur scheintot. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.