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Nachgedacht

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21.06.2001
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Nachgedacht

Manchmal, wenn du betrunken warst, hast du immer sonderbare Dinge gesagt, kamst dann immer ins Philosophieren, und ich saß meist daneben, hab gelächelt und zugehört und so getan, als ob ich dich verstehen würde.
„Gott ist kein Mechaniker“, sagtest du bei solcher Gelegenheit. „Der repariert nichts, und die Auferstehung ist keine Fahrt auf der Hebebühne.“
Verstanden habe ich das nicht, damals nicht und heute auch noch nicht so ganz. Aber es war auch egal, schließlich hatten wir uns, und Worte waren ohnehin sinnlos. Noch geht alles seinen Lauf. Der alte Greineder lebt immer noch. Oft waren wir dort, und noch öfter sind wir länger geblieben. Sind, wie du es nanntest, hängengeblieben – oder abgestürzt, pickengeblieben. Viele Worte gab’s dafür, aber alle meinten ohnehin nur dasselbe. Dort haben wir getrunken, manchmal auch gegessen, aber meistens nur getrunken, und wenn es länger dauerte, sogar sehr viel getrunken. Du warst dann immer sehr lustig, der Wein machte dich lustig, denn Bier hast du ja nie getrunken. Meistens nur Wein, davon aber viel und bei dir war’s immer mehr als bei mir.
Regen find ich jetzt am schönsten, hab ihn schon damals am schönsten gefunden, es dir aber nie gesagt, weil ich dachte, du wärst da ganz anders. Auf die Idee, dich zu fragen, bin ich in der ganzen Zeit nie gekommen. Wenn es regnet ist die Welt klein, sie wird dann eng und auch ein ganz klein wenig unheimlich und geheimnisvoll. Und wenn dann, wie im Herbst, noch Nebel hinzukam, war ich in meinem Element. Dann war die ganze Weite dieser Welt, die einen soviel Angst einjagen konnte, mit einem Mal weg, alles wirkte und war klein, übesichtlich und hatte wie durch Geisterhand all die angsteinflößenden Widrigkeiten, die einem bei Sonnenschein bei jedem Schritt und schon aus weiter Ferne begegneten, abgelegt. Darum habe ich den Regen immer am liebsten gemocht. Für dich spielte ich aber den Sonnenanbeter, und manchmal, wenn schon am frühen Morgen der Himmel so blau war, dass man meinte, daran zu erblinden, wäre ich einfach liegen geblieben, hätte es nicht dich gegeben.
Ab und zu warst du deprimiert. Ich auch, du aber öfter. Dann hast du gehadert mit der Welt, und wer konnte es dir verdenken. Dann stelltest du mir Fragen, auf die ich keine Antworten wusste, Antworten, die du von mir auch gar nicht erwartet hast. Warum der Mensch unendlich traurig sein konnte, aber nie unendlich glücklich. Und selbst wenn jemand von sich behauptete, mal unendlich glücklich gewesen zu sein, dann sprach dieser Jemand immer nur von kurzer Zeit, von etwas Vorübergehendem, während unendliche Traurigkeit keine Zeitbegrenzung besaß, sich hinziehen konnte über Monate und Jahre, und im Grunde könnte man sein ganzes Leben in diesem Zustand verbringen.
Wenn du von diesen Dingen sprachst, hast du seltsamerweise nie unglücklich gewirkt, im Gegenteil, dann war da sogar so etwas wie Leuchten in deinen Augen, und ich habe mich immer gewundert und auch ein wenig unwohl gefühlt. Beendet hast du diese Vortäge immer mit der gleichen Frage, ob ich glaube, dass es da draußen Menschen gäbe, die ein Jahr lang, zwei Jahre, zehn Jahre glücklich gewesen wären. Ich würde keinen finden, hast du deine eigene Frage selbst beantwortet und mich ratlos zurückgelassen. Aber Menschen, die ein Jahr, zwei Jahre, zehn Jahre richtig unglücklich waren, fände man an jeder Ecke, in jedem Ort, mochte er auch noch so klein sein. Dass ich nach diesen Vorträgen immer auch ein wenig niedergeschlagener war als zuvor, hab ich dir verheimlicht.
Mensch zu sein, heisst ficken, waren mal deine Worte. In welchem Zustand du sie sprachst, habe ich vergessen, aber gut ging es dir mit Sicherheit nicht. So hast du immer geredet, wenn es dir nicht gut ging, dann warst du immer so voller Verachtung für dein eigenes Sein, und die anderen Menschen wandten sich bei dieser Gelegenheit immer von dir ab, weil sie sich in deiner Gegenwart nicht wohlfühlten. Ich konnte es ihnen nie verdenken, denn wenn ich genau darüber nachdenke, wäre auch ich manchmal lieber gegangen als geblieben, aber zum Schluß hast du mich immer erwischt, dann ging ich in deine Falle, weil es vielleicht auch meine Falle war, und dann saßen wir am Tisch und tranken, und starrten, und tranken wieder und gruselten uns ein wenig vor uns selbst.
Mensch sein, heisst ficken, war dein Lieblingsspruch, weil du meinstest, dies wäre der einzige Sinn, den Mutter Natur in uns gelegt hätte. Zu rammeln wie die Hasen und viele kleine Putzis auf die Welt zu befördern. Deine Betonung lag dabei ganz klar auf das ‚einzige’ in der ‚einzige Sinn’, weil du meine Einwände nie geltan lassen wolltest. Du warst eben immer der Meinung, alles andere, was der Mensch noch so mache, außer ficken, sei der Luxus, den dieser kleine Unfall ein paar Millionen Jahren zuvor nach sich zog, der uns jene größeren Hirne bescherte, um sich diesen Luxus erst zu leisten.
Bei diesem Thema kamst du leicht ins Schwadronieren. Daran erinnere ich mich noch genau.
Kunst, Kultur, Wissenschaft, meintest du, all das sei dieser Luxus, den die Natur uns zwar zugestand, der für ihre Sache aber im Grunde völlig gleichgültig wäre. Ihr sei es ganz egal, ob wir ihn uns aneigneten, ob wir ihn gebrauchten oder wieder verlören, diesen Luxus. Manchmal sagtest du auch scheißegal, meist wenn du auch noch ein paar Schnäpse hattest. Alles was die Natur wirklich interessiere, wäre die Frage, ob wir es miteinander trieben, fuhrst du dann fort, und selbst das nicht wirklich, denn wenn wir es nicht mehr trieben, dann wären wir weg und niemand würde uns eine Träne nachweinen.
Womit wir so unsere Tage verbrachten!
Nachdem du gestorben warst, habe ich viel von dir in Erinnerung behalten, und eines abends saß ich allein zuhause und dachte eigentlich nicht wirklich an dich und da durchfuhr mich der Schreck. Ich habe hastig damit begonnen, meine Erinnerungen an dich durchzukramen, zurechtzurücken und einzusortieren, um ja nichts zu vergessen und nichts hinzuzuerfinden. An diesem Abend hatte ich die große Angst, dass nur deine traurigen Augen bleiben würden, dein Schwadronieren, deine stille Verzweiflung und nicht all das andere. Und mit einem Mal, obwohl ich es nicht wollte, kam ich selbst ins Schwadronieren, hatte plötzlich die große Angst, dass ein Tag Unglück zehn Jahre Glück mit einem Fingerschnippen auslöschen könnten, und ich wollte mir diese zehn Jahre in meinem Kopf zurüchtrücken, wollte sie dort einbrennen, um dem einen Tag keine Chance zu lassen. Und irgendwie gelang mir das auch, für diesen Abend und für diese Nacht.
Heute ist der Himmel grau, es regnet und die Welt ist sehr klein.
Klein ist sie geworden, fast zu klein, und wenn du noch hier wärst, wäre sie sicher ein wenig größer. Man muss sehr vorsichtig sein, was man sich wünscht, das habe ich zwar schon vorher geahnt, aber jetzt weiß ich es. Ich schaue nach oben. Irgendwo da oben bist du. Ich denke viel nach in letzter Zeit, weißt du. Vielleich sogar schon zuviel. Früher konnten wir uns sogar das noch teilen. Könnte sein, dass ich noch herausfinde, was du gemeint hast. Ein wenig vorangekommen bin ich ja schon.
Gott repariert tatsächlich nichts ... nur über das mit der Hebebühne muss ich nochmal nachdenken.

 

Deine Geschichte hat mir gefallen. Ein zurückblickender Text über eine tragisch (?) endende, wahrscheinlich auch ziemlich depressive Beziehung, an die aber beide Partner anscheinend trotzdem sehr hangen. Besonders gut gefällt mir Anfang und Schluß, den hast du wirklich toll rübergebracht.

 

Hi Jingles,

und danke fürs Lesen. Um es ehrlich zu sagen, diese Geschichte war ein kleines Experiment. Ich habe mir vorgenommen, einfach hinzusetzen - ohne Idee und ohne Konzept - und zu sehen, was dabei rauskommt. Tja, und das ist das Ergebnis.

:)

Im übrigen hast du Recht: der Mittelteil ist schon etwas "bemüht". Und irgendwie in der falschen Rubirk steht die Geschichte auch, wenn ich es mir genau überlege.

ciao

 

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