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Nachbarschaft

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22.09.2008
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Nachbarschaft

Ich schlich in der 35 Grad Hitze durch die saubere Strasse. Kein verrottendes Papierstück neben den Gehsteigen, keine Zigarettenkippe, kein Gestank aus nichtentleerten Mülleimern.
Es waren drei Anschlagtafeln, üblicherweise spärlich beflaggt mit Fen-Shui Beratungsflyern. Katholischen Festschriften. Natürlich und leider, die Bilder entlaufener Katzen. Meist überfahrener Katzen, manchmal vergifteter Katzen, die einmal zu oft in Nachbars Garten geschissen hatten.
Dort schlug ich meinen Zettel an. Ich hatte ihn relativ lieblos, ohne vorgefertigte Dokumentenvorlage, in einem Augenblick der Verwirrung gedruckt.

"Kommt zu meiner Lesung! Es gibt Freibier und danach wird gegrillt!

Ich lade die Bewohner der Erdheimerstraße zu meiner Lesung ein.
Wann: Freitag der 12te
Dauer: Ungefähr 30 Minuten.
Beginn: 19.00 Uhr

Zehn Minuten vor 19.00 Uhr und bis Mitternacht spendiere ich das Bier.
Nach der Lesung Grillmöglichkeit.

Einzige Bedingung: Ruhe während der Lesung. Sollte jemand nur zum Bier abgreifen kommen, ist das schon ok, aber doch irgendwie erbärmlich."

Nun, ich schlug den Zettel an, mit einem Tacker. Es war diese eine Anschlagtafel, die direkt neben den geruchsfreien Sammelkontainern stand. Man stelle sich vor, ein Biomüllkontainer, der bei 35 Grad nicht roch.
Ein älterer Herr, den ich mein Leben lang noch nie gesehen hatte, untersuchte gerade den Papierbehälter.
Während ich tackerte, bemerkte er mich und wandte sich an mich.

"Ich habe diese Kontainer durchgesetzt, politisch, beim Stadtrat", zischte er.
"Hallo", sagte ich und tackerte das dritte Mal daneben.
"Was machst du da?", fragte er, plötzlich freundlich, vielleicht weil ich mich um seine Abfallwühlerei nicht kümmerte.
"Ich schlage den Zettel an. Möchte sie zu meiner Lesung einladen, in meiner Einfahrt. Es gibt Freibier und danach könnten wir alle grillen."
"Aha, Freibier? Gibt es was zu feiern?", feixte er.

Ich überlegte. Ältere Leute konnten sich nicht mehr so auf die Fakten einlassen. Sie filterten. Lesung war unbekanntes Terrain. Man musste sein Publikum zu seinem Glück zwingen.
"Geburtstag. Ich habe Geburtstag, ein kleines Fest mit der Nachbarschaft", sagte ich.
"Ah ja. Werden wir schon vorbei kommen", lächelte er.
Die anderen beiden Zettel schlug ich am Abend an, dann, wenn die Leute vor den Fernsehern hockten, nur so, weil gerade vorher keine Zeit war.

Der Tag der Lesung war ein Traum. Bereits am Morgen war es warm, doch es war nicht diese schwüle Hitze. Ich fuhr zu einer kleinen, ausgezeichneten Privatbrauerei in der Nähe und besorgte zwei Fässer Bier. Die Leute von der Brauerei trugen mir die Fässer zum Wagen und redeten mit mir, als wäre keine Barriere zwischen den Menschen heutzutage, als würde nicht der kleine Mann immer zwischen uns stehen, der redet und redet.
"Was gibts für ne Party heute? Wirst doch wohl deine Bierlieferanten nicht vergessen?", feixte der eine.
Ich war tatsächlich manchmal dort, sie kannten mich. Ich kannte sie nicht.

"Ich hab Geburtstag. Nebenbei mache ich eine kleine Lesung. Es gibt Freibier von sieben bis zwölf", sagte ich.
"Na Geburtstag! Vielleicht kommen wir ja wirklich auf einen Sprung! Gib mir deine Adresse", meinte der mir unbekannte Bayer, ganz untypisch ohne Bierbauch.
Ich gab ihm meine Karte und fuhr nach Hause, machte, ganz untypisch für mich, das Radio an und hörte nicht Klassik.

Als ich ankam, war es kaum achtzehn Uhr. Drei Leute, an die ich mich vage erinnnern konnte, belauerten meine Einfahrt. Sie trugen Plastikgeschirr, das Speisen enthielt.
"Ach wie nett, dass endlich einer eine Siedlungsfeier organisiert!" Frau, dick, Gesicht o.k.
Ich brummte etwas.
"Hallo, ich freue mich schon, kann man auch früher kommen? Wir haben ab achtzehn Uhr einen DJ engagiert, der macht ein wenig Stimmung. Natürlich ist Totenstille während der Lesung!"
Frau schlank, Ballerinas (nicht Ballerinas!), Kind an der einen, Nudelsalat an - in der anderen Hand.
Ich brummte Nichtssagendes, aber eher in die positive Richtigung.
"Ich helfe beim Aufbau! Es kommt ein ganzer Haufen Leute, ich habe zusätzliche Tische und Bänke besorgt. Außerdem wohnt zwei Häuser weiter ein fanatischer Griller, er selbst behauptet, er nimmt an Grillweltmeisterschaften teil", grinste ein beleibter Mann um die 40 mit blondem Haarkranz.
Verdattert nickte ich und ließ mir beim Ausladen der Fässer helfen.
Keine dreißig Minuten später saß ich an an einem Biertisch, auf dem meine Manuskripte lagen, ein erstklassiges, kaltes Bier in einem Glas ohne Henkel neben und eine fünfzigköpfige Menge vor mir, die ausgelassen trank, zu den guten Tracks eines erstklassigen DJ tanzte, dessen Equipment wie von Zauberhand einfach erschienen war und es war warm, aber bewölkt, nein nicht bewölkt, hinter mir hexte der Himmel einen teils faszinierenden, teils gruseligen Hintergrund.

Ich begann mit einem guten Kapitel aus dem Buch. Dann ein paar kleine, fiese Shortstories, die sie zum Lachen brachten. Die Bierleute waren inzwischen da.
Alle lächelten, sie mochten es. Ich holte tief Luft und zog es durch.

"Ich hasse euch. Ich kenne euch nicht und will euch nicht kennen, ihr seid für mich die Quelle all meiner Abgestumpftheit und Tristesse. Ihr seid grau und euer Grau steckt mich an. Ihr seid das Hamsterrad, in dem ich laufe, ihr seid die Wand die zwischen mir und meinen Freunden steht. Ich würde gerne Amok laufen, von Haus zu Haus gehen und zuerst die Haustiere abschlachten (nicht die Katzen), dann eure Kinder, dann euch und ganz am Schluss mich, da ich eure Scheiße nicht mehr von mir runter kriege. Ich ...."

Nun, es ging noch gut zehn Minuten so weiter, der DJ konnte nicht widerstehen und stellte sich auf den Rythmus ein, wob leise ein paar flächige Sounds darunter, die Leute waren aber still und lauschten.

Am Ende war ich schweissgebadet, ich trank vom Bier, das wundersam immer voll war.

Sie applaudierten, nicht geistlos, sondern ehrlich begeistert, der anfänglich zögerliche Applaus steigerte sich und wurde richtig laut, ich saß da und fühlte nichts.

Betäubt schüttelte ich Hände. Dann brachten sie die Geburtstagstorte, ein schönes Stück Zucker, mit der Inschrift: "Alles Gute. Bleib wie du bist!" Ich hielt das "Happy Birthday" nicht ganz durch und entschuldigte mich mit einem Deut auf die Blasengegend. Am Klo weinte ich kurz, lachte dann lange schallend und ging dann ganz locker runter um mit meinen Nachbarn ein paar Bier zu trinken.

 

Hey, phiberoptic!

Hat mir gefallen deine Geschichte. Hat mich zwar an die ganzen Filme erinnert, in denen das Geschehen auf eine Versammlung (Fest etc.) zu geht, wo sich der Prot dann so richtig auskotzen kann oder die ganzen Geheimnisse endlich das Licht der Welt erblicken. Trotzdem war es schön zu lesen.
Fand die ganze Atmoshpäre irgendwie verschlafen, was eher positiv zu bewerten ist.
Und zum Ende: Ja, ist immer wieder lustig, man beklagt sich, sagt einem direkt ins Gesicht, was für ein Stück Scheiße er ist, man weint, kämpft gegen den Alltag an, will etwas anderes sein, nicht zu der Gesellschaft gehören...
Und die Antwort der Gesellschaft oder des "Beschimpften" darauf: "Bleib wie du bist" oder "Mir gefällt deine Offenheit/Geradlinigkeit". Dabei wird gegessen oder fern geschaut.

Na ja, diese Aussage habe ich aus deinem Text für mich rausgepickt.

mfg
Geert

 

Danke für die Kritik - aber eigentlich wollte ich den Kerl als boshaften, übellaunigen Pseudointellektuellen zeichnen, der alles und jeden im schlechten Licht sieht und auf sein mieses Niveau hinunterziehen will - und (auch) dabei scheitert.

 
Zuletzt bearbeitet:

Oh, da habe anscheined was falsch gelesen.
Aber gut, wenn man jetzt die Texstellen nimmt, in denen jedes Mal steht - Den kenne ich nicht und den auch nicht, obwohl Nachbarn, die man eigentlich jedes Mal sieht, ob durchs Fenster oder auf der Straße treffen, dann okay, jap...

Egal, mir hats trotzdem gefallen.

aber eigentlich wollte ich den Kerl als boshaften, übellaunigen Pseudointellektuellen zeichnen, der alles und jeden im schlechten Licht sieht und auf sein mieses Niveau hinunterziehen will - und (auch) dabei scheitert.
- Das finde ich wiederum lustig.
- "boshaften, übellaunigen Pseudointellektuellen": das konnte ich leider nicht rauslesen.
- alles andere ist nachvollziehbar in deinem Kommentar auf meinen

 

Hallo phiberoptic,

ich fand auch gut, wie der Protagonist sich (aus seiner Sicht) auf das Niveau der Nachbarn herablässt. Optisch würde es sich besser machen, den Text des Flyers kursiv zu setzen.

Besonders mochte ich die lapidare, einfache und doch sehr treffende Sprache.
Nicht so toll fand ich das Ende:

Am Klo weinte ich kurz, lachte dann lange schallend und ging dann ganz locker runter um mit meinen Nachbarn ein paar Bier zu trinken.
Weinen und dann lange schallend lachen? Das klingt unglaubhaft, außer er ist völlig durchgeknallt. ;)

Doch, gern gelesen.

lg Berg

 

Hallo phiberoptic,

ich liefere dazu folgende Interpretation ab:
Ein Menschenfeind wird 'aufgetaut', lediglich durch die Unbefangenheit der Nachbarn. Genau das, was er an ihnen hasst, z. B. deren oberflächliche Arglosigkeit, macht ihn 'weich'.
Von unterschiedlichen Niveaus würde ich nicht reden – diesen Ausdruck verwenden doch gern Leute 'die sich für was Besseres halten'? Und als 'Menschenfeind' wäre er in meinen Augen eher 'tiefer' als 'höher' – eher von unterschiedlicher Sicht- und Lebenseinstellung.
Apropos: positive Richtigung soll wohl heißen positive Richtung …

Mit freundlichem Gruß
kinnison

 

ja das wäre meine Absicht gewesen, aber Unbefangenheit hatte ich nicht gemeint, sondern einfache Freundlichkeit, Toleranz und bäuerliche Gutmütigkeit.

Es hätte wohl besser unter "Märchen" gepasst. :)

 

@berg: Ja das Ende ist irgendwie schwach. Wollte das sanft auslaufen lassen, aber da muss noch was gehen, bin mir unsicher wie.

 

>"Kommt zu meiner Lesung! Es gibt Freibier und danach wird gegrillt!<, ich komme, ganz bestimmt, ganz ehrlich!,

phiberoptic,

o, scheiß aber auch, wohn ja gar nich’ da. Tut mir leid, mein lieber Freund, wird dann wohl doch nix.

Was mir zunächst auffällt, sind die vielen Adjektive >saubere<, >verrottendes<, >nichtentleerten<, >üblicherweise spärlicht< usw. usf.
Selbst >natürlich und leider< taucht auf.

Doch seit wann sind BILDER von entlaufnen Katzen „natürlich“? Das Katzen nicht nur anhänglich sind, sondern auch entlaufen, ist natürlich. Aber ihre Abbildungen sind bestenfalls etwas, das man „selbstverständlich“ hinnimmt, aber nichts, was auf Bäumen wächst oder sonst einem natürlichen Drang folgt oder Vorgang unterliegt.
>Leider< gilt zwar gemeinhin als Adverb, ist aber tatsächlich der Komparativ des Adjektivs leid.

Da klingelt bei mir im Stübchen das Wort „Kitsch“, zumindest geschwätzig – bis zur >Frau, dick, Gesicht o.k.<, was wohltuend knapp formuliert ist. Naja, O. K. wird üblicherweise groß-, okay kleingeschrieben.
>Frau schlank, Ballerinas (nicht Ballerinas! [?, Anmerkung von mir]), Kind an der einen, Nudelsalat an - in der anderen Hand< wirkt schon geradezu witzig, zumindest zeigt sich so etwas wie Humor. Gleichwohl: Plural der Ballerina ist Ballerinen.

>Fen-Shui Beratungsflyern< Orientierungsfrage: Was ist das? Oder meinstu Feng Shui, "Wind und Wasser"?

> …kontainer< statt k immer noch c.

>Man stelle sich vor, ein Biomüllkontainer< könnte riechen. Wäre ein biologisches Wunder, zumindest im Range einer Reliquie, meine ich. Ein Container mit Riechorgan und Geruchssinn! Wo gibt’s das? Was bio aber auch so alles fertig bringt! Schöne sprachliche Schlamperie, nicht vom Icherzähler, der kann ja nix dafür, dass der Autor sprachliche Feinheiten umgeht, sozusagen Sprache auf der Umgehungsstraße findet. Aber, so hat schon Karl Kraus gewusst, wie einer mit der Sprache umgeht, so geht er gemeinhin auch mit den Leuten um. Ich hoffe, Du nicht. Quatsch, ich weißet doch!

>Möchte sie zu meiner Lesung einladen, …< Sie in der Anrede groß.

>Ältere Leute konnten sich nicht mehr so auf die Fakten einlassen.< Heißt Dein Prot Sarrazin?

> … vage erinnnern …< ein mittiges n kann freigestellt werden.

Was bitte schön ist eine >positive Richtigung<?

> … später saß ich an an einem Biertisch …< ein an wäre entbehrlich.

>Shortstories<, wenn schon, denn klein und auseinander: short stories

> … ihr seidKOMMA die Wand die zwischen mir und meinen Freunden steht.<

>Rythmus< Rhythmus

>… ging dann ganz locker runterKOMMA um mit meinen Nachbarn ein paar Bier zu trinken.< Nun gut, da käm ich mit! Wäre ich denn da …

Fazit: Viele Anfängerfehler und wo der von Dir gelobte Spannungsbogen wäre …
Naja, kann nur besser werden, bin ich von überzeugt!

Gruß

Friedel

 

Nix für ungut Friedel, aber das zerpflücken von Wörtern ohne auch nur zu versuchen den "Geruch" der Story aufzunehmen ist mir zuwider.

Ich werde trotzdem nicht aufhören deine Shortstories! kritisch zu lesen und meinen Senf dazuzugeben.

Gutes Wochenende

 

>Ich werde trotzdem nicht aufhören deine Shortstories! kritisch zu lesen und meinen Senf dazuzugeben<, klingt, ohne dass ich Dir was will,

lieber phiberoptic,

wie'ne Drohung. Abgesehen davon, dass es mich weniger schreckt als amusemant (in des Wortes ursprünglicher Bedeutung) bereitet, freut es mich, einen kritischen und hoffentlichen treuen Begleiter gefunden zu haben, der ggfs. auch mal nach grammatikalischen Schnitzern schaut.

Was den Geruchsinn betrifft, haben meine Hunde immer schon einen weitaus besseren gehabt als ich ihn je haben könnte. Sollt' ich sie deshalb am Bildschirm schnuppern lassen? Doch wohl nicht, oder?

Oder ist das Aufzeigen von Schwächen nicht und umso mehr Lobhudelei erwünscht? Wenn der Text gut ist, reißt ihn nix runter. Ist der Text schlecht, hilft ihm kein Lob. Ich will aber nicht unterstellen, dass Hopfen & Malz (um beim Grundnahrungsmittel zu bleiben) verloren wären. Der Text erscheint mir weder das eine, noch das andere zu sein.

Nix für ungut!

Friedel

 

Das ist keine Drohung, guter Friedel, sondern ein wohlmeinendes Versprechen. Dumpfes Lobhudeln killt jedes Literaturforum, darum ist mir der kleine Terz nicht unwillkommen.
Solange Fairneß gewährleistet ist.
Das mit deinen Hunden und dem Geruch - eine so offensichtliche Übertragung mißzuverstehen trau ich dir nicht zu - das ist schlicht ein Manöver.

Aber immer gerne mit dir

 

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