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Nach zehn Jahren
Die ganze Zeit will sie ihm es sagen und kann es einfach nicht.
Sie sitzt neben ihm auf dem Sofa, die Beine nebeneinander gestellt und sieht ihn nicht einmal mehr an.
Der Fernseher läuft den ganzen Tag, das tut er immer und manchmal fragt sie sich, was würde wohl passieren, wenn sie ihn abschalten würde.
Sie versucht ein Gespräch anzufangen, aber sein Gesicht, das sie so gut kennt und mittlerweile schon verabscheut, schreckt sie zurück.
Ihre Gedanken kreisen oft nur um das eine Thema.
Wie sag ich es ihm.
***
Müde und erschöpft schaut sie eine Weile fern. Immer nur wenige Sekunden lang das selbe Programm. Er hat die Fernbedienung.
Zappt zwischen den Programmen und verliert kein Wort dabei.
Eine Sekunde Nachrichten, in der Nächsten eine Naturreportage, in der Nächsten einen Musiksender.
Ihre Augen brennen davon.
Wieder sagt sie : „Laß doch mal eines an. Laß ein Programm laufen.“
Ihre Stimme ist gereizt.
„Wieso? Das ist doch alles Scheiße,“ erwidert er tonlos und mit Entsetzen und Schauern muß sie sehen, wie er sich von hinten in die Hose faßt und sich kratzt.
„Du kannst gar nicht beurteilen, ob ein gutes Programm läuft, denn du siehst es ja nicht einmal eine Sekunde lang an,“ versucht sie ihn zu überzeugen.
Langsam, beinahe nachdenklich wendet er ihr sein Gesicht zu.
Es ist alt geworden.
War es früher einmal schlank, so ist es jetzt aufgedunsen und unrasiert. Seine Augen so träge wie seine Gedanken.
Mit einer abfälligen Handbewegung schmeißt er ihr die Fernbedienung in den Schoß.
„Dann mach du halt ein Programm an,“ sagt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
Zögernd nimmt sie die Macht an sich. Sie stöbert durch die Sendungen.
Da! Eine Sendung über Kunst.
Gemälde flackern über den Schirm. Alte Meister, voll Pracht und Schönheit. Lächelnd lehnt sie sich zurück.
Seine Miene verfinstert sich.
„Was soll denn der Mist?“ fragt er.
„Das ist Kunst,“ sagt sie und deutet mit dem Finger auf die Reihe von Kunstbüchern auf ihrem Regal.
„Das ist Scheiße. So ein Dreck kannst nur du dir ansehen. Was willst du beweisen? Das du so viel kultivierter bist als ich, so viel schlauer?“
Die Wut kommt wieder. Sie schleicht sich in ihren Kopf, schlimmer noch, in ihrem Herzen.
Sie gesellt sich zu dem Ekel und zu der Gleichgültigkeit.
Sie schiebt den Rest von Zuneigung beiseite und brennt sich in ihren Verstand.
„Das muß ich dir gar nicht beweisen,“ sagt sie leise.
***
Er pult sich in den Zähnen. Dann macht er das Geräusch, das entsteht, weil er die Luft zwischen den Zähnen einzieht.
Es macht Pzzt, pzzt.
Wieder und wieder.
Sie weiß genau warum er es tut. Da sind noch Reste vom Mittagessen. Von Vorgestern.
Erinnerungen kommen und gehen.
Früher haben sie sich geküßt und er schmeckte nach Minze und ein bißchen nach Zigarettenrauch.
Er schmeckte sauber und frisch.
Sie beobachtet ihn, wie er ein Stückchen von der Pappe des Blättchenpapiers abreißt und es sich zwischen die Zähne schiebt, die mit den Jahren gelb geworden sind.
Mit zusammen gekniffenen Augen schiebt er es hin und her.
Sein ganzes Gesicht ist in Falten gelegt. Er sabbert dabei.
Sie verzieht die Mundwinkel.
Wie er da sitzt, in seinem schmutzigen T-Shirt und der dreckigen Hose, die ihn immer über den Arsch rutscht.
Er schert sich nicht darum, das sein Hintern frei liegt.
„Putz dir doch die Zähne,“ schlägt sie vor und das Geräusch, das er macht, bohrt sich in ihre Ohren und jagen Schauer über ihren Rücken.
„Ich habs doch gleich.“
„Du könntest auch Duschen gehen,“ denkt sie laut.
Sie weiß schon gar nicht mehr, wann er das letzte mal geduscht hat.
„Ich habs gleich, wirklich.“
Pzzzt, pzzt.
„Hör auf damit, ich bitte dich. Kannst du es denn nicht lassen?“
Er lächelt.
„Was stört dich denn so?“ möchte er erfahren.
„Das Geräusch, das du machst. Es ist eklig,“ versucht sie zu erklären.
„Oh,“ lacht er, „warte.“
Dann puppst er und lacht lauter.
Er klopft sich auf die Schenkel.
„Ist diese Geräusch besser?“
Am liebsten würde sie weinen.
***
Sie liegt auf dem Sofa und schaut zur Uhr. Es ist spät.
„Sollen wir ins Bett?“ fragt er und seine Stimme ist belegt.
Er legt seine Hand auf ihren Schenkel und streicht darüber.
Angst sucht sich einen Weg in ihrem Herzen. Bald ist dort kein Platz mehr.
Angst, Ekel, Abscheu.
„Ich bin noch nicht müde.“
Sie sieht angestrengt zum Fernseher. Sie versucht, so interessiert wie möglich auszusehen,
denn wenn er meint, sie würde das sehen wollen, vielleicht ginge er schon vor.
„Ich komme nach,“ sagt sie.
Er kommt ihr nahe. Küßt sie auf die Wange und faßt ihr an den Busen.
Das ist seine Romantik. Ihr an den Busen fassen.
Er glaubt, es gefiele ihr, aber sie sagte ihm nie die Wahrheit.
„Ich will aber das wir zusammen ins Bett gehen.“
Er flüstert es, denkt, das sei erotisch.
Genau so erotisch wie seine Feinrippunterhose mit Bremsstreifen.
Oder seine Brüste, fast schon größer als ihre.
Oder sein Bauch, in dessen Bauchnabel Dinge sind, von denen sie nichts wissen möchte.
Sie deutet auf den Fernseher.
„Das ist interessant, das mußt du dir mit mir ansehen.“
Sie sagt es, weil sie weiß, das er es nicht mag.
Dabei weiß sie nicht einmal genau, was gerade läuft.
Er würdigt dem Programm einen Blick und zieht die Augenbraun hoch.
„Nein,“ sagt er, „schau du nur. Ich geh vor.“
Sie nickt und lehnt sich zurück, immer auf den Bildschirm starrend.
„Ich wünschte, du würdest nicht immer so spät fernsehen. Es ist schon lange her.“
Er klingt traurig.
„Weißt du,“ sagt er und bleibt noch im Türrahmen stehen, „Ich liebe dich.“
Es schmerzt so sehr, das er es sagt.
Tränen brennen unter ihren Lidern.
„Ich hab dich auch lieb.“
Er nickt und geht Richtung Schlafzimmer.
Sie sieht ihm nach, sieht, wie er die Tür schließt und wartet.
Sie wartet einige Stunden.
Schaut immer wieder auf die Uhr und hofft, dass er schläft, wenn sie ins Bett geht.
Sie ist so müde und erschöpft.
Und wieder kreisen ihre Gedanken um das eine Thema.
Wie sag ich es ihm.
Nach zehn Jahren Ehe.
Wie sag ich es ihm.