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Nach zehn Jahren

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31.03.2002
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Nach zehn Jahren

Die ganze Zeit will sie ihm es sagen und kann es einfach nicht.
Sie sitzt neben ihm auf dem Sofa, die Beine nebeneinander gestellt und sieht ihn nicht einmal mehr an.
Der Fernseher läuft den ganzen Tag, das tut er immer und manchmal fragt sie sich, was würde wohl passieren, wenn sie ihn abschalten würde.
Sie versucht ein Gespräch anzufangen, aber sein Gesicht, das sie so gut kennt und mittlerweile schon verabscheut, schreckt sie zurück.
Ihre Gedanken kreisen oft nur um das eine Thema.
Wie sag ich es ihm.

***

Müde und erschöpft schaut sie eine Weile fern. Immer nur wenige Sekunden lang das selbe Programm. Er hat die Fernbedienung.
Zappt zwischen den Programmen und verliert kein Wort dabei.
Eine Sekunde Nachrichten, in der Nächsten eine Naturreportage, in der Nächsten einen Musiksender.
Ihre Augen brennen davon.
Wieder sagt sie : „Laß doch mal eines an. Laß ein Programm laufen.“
Ihre Stimme ist gereizt.
„Wieso? Das ist doch alles Scheiße,“ erwidert er tonlos und mit Entsetzen und Schauern muß sie sehen, wie er sich von hinten in die Hose faßt und sich kratzt.
„Du kannst gar nicht beurteilen, ob ein gutes Programm läuft, denn du siehst es ja nicht einmal eine Sekunde lang an,“ versucht sie ihn zu überzeugen.
Langsam, beinahe nachdenklich wendet er ihr sein Gesicht zu.
Es ist alt geworden.
War es früher einmal schlank, so ist es jetzt aufgedunsen und unrasiert. Seine Augen so träge wie seine Gedanken.
Mit einer abfälligen Handbewegung schmeißt er ihr die Fernbedienung in den Schoß.
„Dann mach du halt ein Programm an,“ sagt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
Zögernd nimmt sie die Macht an sich. Sie stöbert durch die Sendungen.
Da! Eine Sendung über Kunst.
Gemälde flackern über den Schirm. Alte Meister, voll Pracht und Schönheit. Lächelnd lehnt sie sich zurück.
Seine Miene verfinstert sich.
„Was soll denn der Mist?“ fragt er.
„Das ist Kunst,“ sagt sie und deutet mit dem Finger auf die Reihe von Kunstbüchern auf ihrem Regal.
„Das ist Scheiße. So ein Dreck kannst nur du dir ansehen. Was willst du beweisen? Das du so viel kultivierter bist als ich, so viel schlauer?“
Die Wut kommt wieder. Sie schleicht sich in ihren Kopf, schlimmer noch, in ihrem Herzen.
Sie gesellt sich zu dem Ekel und zu der Gleichgültigkeit.
Sie schiebt den Rest von Zuneigung beiseite und brennt sich in ihren Verstand.
„Das muß ich dir gar nicht beweisen,“ sagt sie leise.

***

Er pult sich in den Zähnen. Dann macht er das Geräusch, das entsteht, weil er die Luft zwischen den Zähnen einzieht.
Es macht Pzzt, pzzt.
Wieder und wieder.
Sie weiß genau warum er es tut. Da sind noch Reste vom Mittagessen. Von Vorgestern.
Erinnerungen kommen und gehen.
Früher haben sie sich geküßt und er schmeckte nach Minze und ein bißchen nach Zigarettenrauch.
Er schmeckte sauber und frisch.
Sie beobachtet ihn, wie er ein Stückchen von der Pappe des Blättchenpapiers abreißt und es sich zwischen die Zähne schiebt, die mit den Jahren gelb geworden sind.
Mit zusammen gekniffenen Augen schiebt er es hin und her.
Sein ganzes Gesicht ist in Falten gelegt. Er sabbert dabei.
Sie verzieht die Mundwinkel.
Wie er da sitzt, in seinem schmutzigen T-Shirt und der dreckigen Hose, die ihn immer über den Arsch rutscht.
Er schert sich nicht darum, das sein Hintern frei liegt.
„Putz dir doch die Zähne,“ schlägt sie vor und das Geräusch, das er macht, bohrt sich in ihre Ohren und jagen Schauer über ihren Rücken.
„Ich habs doch gleich.“
„Du könntest auch Duschen gehen,“ denkt sie laut.
Sie weiß schon gar nicht mehr, wann er das letzte mal geduscht hat.
„Ich habs gleich, wirklich.“
Pzzzt, pzzt.
„Hör auf damit, ich bitte dich. Kannst du es denn nicht lassen?“
Er lächelt.
„Was stört dich denn so?“ möchte er erfahren.
„Das Geräusch, das du machst. Es ist eklig,“ versucht sie zu erklären.
„Oh,“ lacht er, „warte.“
Dann puppst er und lacht lauter.
Er klopft sich auf die Schenkel.
„Ist diese Geräusch besser?“
Am liebsten würde sie weinen.

***

Sie liegt auf dem Sofa und schaut zur Uhr. Es ist spät.
„Sollen wir ins Bett?“ fragt er und seine Stimme ist belegt.
Er legt seine Hand auf ihren Schenkel und streicht darüber.
Angst sucht sich einen Weg in ihrem Herzen. Bald ist dort kein Platz mehr.
Angst, Ekel, Abscheu.
„Ich bin noch nicht müde.“
Sie sieht angestrengt zum Fernseher. Sie versucht, so interessiert wie möglich auszusehen,
denn wenn er meint, sie würde das sehen wollen, vielleicht ginge er schon vor.
„Ich komme nach,“ sagt sie.
Er kommt ihr nahe. Küßt sie auf die Wange und faßt ihr an den Busen.
Das ist seine Romantik. Ihr an den Busen fassen.
Er glaubt, es gefiele ihr, aber sie sagte ihm nie die Wahrheit.
„Ich will aber das wir zusammen ins Bett gehen.“
Er flüstert es, denkt, das sei erotisch.
Genau so erotisch wie seine Feinrippunterhose mit Bremsstreifen.
Oder seine Brüste, fast schon größer als ihre.
Oder sein Bauch, in dessen Bauchnabel Dinge sind, von denen sie nichts wissen möchte.
Sie deutet auf den Fernseher.
„Das ist interessant, das mußt du dir mit mir ansehen.“
Sie sagt es, weil sie weiß, das er es nicht mag.
Dabei weiß sie nicht einmal genau, was gerade läuft.
Er würdigt dem Programm einen Blick und zieht die Augenbraun hoch.
„Nein,“ sagt er, „schau du nur. Ich geh vor.“
Sie nickt und lehnt sich zurück, immer auf den Bildschirm starrend.
„Ich wünschte, du würdest nicht immer so spät fernsehen. Es ist schon lange her.“
Er klingt traurig.
„Weißt du,“ sagt er und bleibt noch im Türrahmen stehen, „Ich liebe dich.“
Es schmerzt so sehr, das er es sagt.
Tränen brennen unter ihren Lidern.
„Ich hab dich auch lieb.“
Er nickt und geht Richtung Schlafzimmer.
Sie sieht ihm nach, sieht, wie er die Tür schließt und wartet.
Sie wartet einige Stunden.
Schaut immer wieder auf die Uhr und hofft, dass er schläft, wenn sie ins Bett geht.
Sie ist so müde und erschöpft.

Und wieder kreisen ihre Gedanken um das eine Thema.
Wie sag ich es ihm.
Nach zehn Jahren Ehe.
Wie sag ich es ihm.

 

Der gehört ja geradezu nach "Horror"!
:lol:

Habe teilweise herzlich gelacht. Verändert man sich soo bereits nach zehn Jahren? Naja, vielleicht... Ich schätze, der Typ muss immer ein wenig so gewesen sein, nur hat sie es anfangs nicht bemerkt.

Obwohl ich lachen musste, steckt natürlich doch viel Traurigkeit dahinter. Ja, ja, die Ehe... ist wohl nicht für uns Menschen gemacht... :( Wie Du selbst die kleinsten "Horror"-Details aufführen konntest, ich hoffe doch nicht, dass Du da nähere Erfahrungen drüber hast.

Insgesamt, eine erschreckende Story über den Verfall einer Ehe, wenn auch auf den ersten Blick fast lustig.

 

Hi Rub.

Wow, die Geschichte ist echt gut! Super, wie Du das Auseinanderleben eines Paares beschreibst! Der Typ ist echt eklig... Also wenn die sich von dem noch anfassen läßt... :rolleyes:

Diese Geschichte beweist auf jeden Fall, daß Du nicht nur Horrorgeschichten schreiben kannst.

Gruß!
stephy

 

hi rub,

Oder sein Bauch, in dessen Bauchnabel Dinge sind, von denen sie nichts
wissen möchte.
bor - der spruch kam gut, ich musste echt lachen!

die geschichte selbst ist sehr authentisch. ich kenne die szenen aus gesprächen, es ist so, es gibt männer SO ALS AUCH frauen, die sich in der ehe nach langer monotonie gehen lassen.
ich würde nun viel lieber mit dir über die thematik plauerdern! klar, die frau muss weg von ihm, denn der mann kennst sie nicht mehr. allein dass mich dieses thema beschäftigt, zeigt den erfolg deiner geschichte.
sie hat mir sehr gut gefallen - echt!
barde

 

Hi all.

Ich bin so froh, das euch die Geschichte gefallen hat, weil ich echt Schiss hatte, sie zu posten.
Ich hatte mit Absicht den ganzen gestrigen tag die kg gemieden ( Und das war härter als kalter Entzug) weil ich Angst vor den Kritiken hatte.

@Kristin.

Die vielen Fehler, die ja für mich nicht untypisch sind , beweist mir eindrucksvoll, das ich jede Geschichte in Word schreiben sollte

:lol:

Zu den Szenen, die du im Bad entfunden hast.
Es war tatsächlich eine Wohnzimmerszene.
Er sitzt dort und pult sich in den Zähnen rum, und sie denkt laut darüber nach, das er ebensogut duschen gehen könnte.
Ich hätte das deutlicher herausarbeiten sollen.

Das sie es raunt, das sie es nicht beweisen müsste, war beabsichtigt.
Sie wollte es nicht laut sagen, auch nciht aggressiv, sondern eher resigniert.

Und die Zähne?
Sie wurden grau, tatsächlich.
Normalerweise werden sie gelb, aber die Kronen ergrauen mit der Zeit, wenn man sie nicht pflegt
:mad:

Ich danke dir, für die Mühe, vor allen was die Rechtschreibung angeht, da kann ich nie genug lernen, gaaaanz ehrlich :D

@Roswitha

Das die Story an vielen Stellen beinahe lustig wirkt, war beabsichtigt, weil es Dinge gibt, die sind so grausamm, man kann nur noch lachen oder weinen.
Galgenhumor, sozusagen. ;)

ob ich aus Erfahrung spreche?
Frag bitte nicht.
:)

@Stephy

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Diese Geschichte beweist auf jeden Fall, daß Du nicht nur Horrorgeschichten schreiben kannst

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Wow, danke!
Echt, das hat mich am meisten gerührt.

@barde

Wir können gerne mal plaudern ;)

Das problem ist einfach, das der Bruch so hart ist.
Man hat so viel Angst, und das schlimmste ist, wenn man denkt, oder wie die Protagonistin in der Geschichte, weiß, das der Mann sie noch liebt.

Sie wird nie einen Ansatz finden.

Vielen Dank euch allen.
Mir ist der Mount Everest vom Herzen gefallen.

 

Hi Rub

Szenen einer Ehe, wie sie in ihrem stillen, alltäglichen Verfall nicht schlimmer sein können.
Lange schon hat sich hier die Liebe aus der Hintertür davongemacht, und winkt nun der Frau mit dem Finger nachzukommen.

Gelungen...leider ??

Lord

 

Hallo Rub.

Ich kann mich meinen Vorrednern auch nur anschließen und dir ein dickes Lob für deine Geschichte aussprechen. Hat auch mir sehr gut gefallen. Wie schon gesagt wurde, wirkt es an manchen Stellen fast komisch, doch trotz der Komik bleibt es nicht verborgen, in welcher Lage sich die Frau befindet, so dass man schon Mitleid mit ihr haben kann. Ich sage nur, Al Bundy ist nichts gegen diesen Typen. Noch etwas, was deine Geschichte geschafft hat:
Sie hat mich in meinem Glauben gestärkt, niemals den (Schein)heiligen Bund der Ehe zu schließen. Denn mal ganz ehrlich, wenn ich in zehn Jahren so abgewrackt auf meinem Sofa sitze, Rülpsend, Furzend, In der Nase poppelnd, dann möchte ich nicht, dass mich irgendeine Frau dabei sieht geschweige denn noch in der selben Wohnung mit mir lebt! :p :D

In diesem Sinne, Gam.

 

@Gamdschie

Lach, das ist ein so lieber Vorsatz, für den dich jede Frau vom Fleck weg heiraten würde. :lol:

Danke, ehrlich.
So was verschafft doch Hoffnung ;)

:kuss:
Rub.

 

@ Rub
So ein Mist, dann befinde ich mich ja jez in einer Zwickmühle, ich will den Frauen meine verkommene Gestalt nicht antun, aber sie wollen mich dann nur um so mehr, weil ich ja so nett bin und auch mal an sie denke, was bei mir wiederum eine Abwehrhandlung zur Folge hat, die gewisse Frauen sicher wieder als Attraktiv ansehen, was mir die einzige noch realistische Möglichkeit lässt, mich nicht gammelig darzustellen, wobei ich dann wiederum keine Frau finde!? :dozey: :heul:
Es ist ein Teufelskreis!

 

Hi, Barbara!

Tja, der Nachwuchs läßt grüßen...

Handbuch Seite 10:

Man nehme zwei Protagonisten: Frau und Mann
Mann: die Sau, häßlich/verschwitzt/dreckig/stinkend/blöd/desinteressiert/borniert/nur-sex-wollend
Frau: (wahrscheinlich)schön/sauber/gut riechend/klug/interessiert/gewitzt/liebe-wollend

das ganze einmal gut durchschütteln und mit Augenaufschlag servieren...

Aber jetzt mal ehrlich, Barbara. Die Geschichte strotzt nicht vor Klischees, sie ist ein einziges Klischee. Eine zur Kurzgeschichte gewordene Folge von Arabella, mit dem Thema "Mein Mann lässt sich gehen/Mein Mann ist ein Schwein...etc etc". Natürlich mag so etwas vielleicht amüsant sein zu lesen, aber Texte die so sehr "Klischee" sind wie dieser, bezeichnet man nicht als Literatur, sondern als Schund. Und das ist dieser Text für mich, tut mir leid.

Am unfreiwillig Komischsten fand ich übrigens zwei Stellen. Nummer 1, die Szene, als er ihr die Fernbedienung übergibt. Er zuvor, ganz Mann, klar, am rabaukenhaften Herumzappen, sie leidend genervt daneben. Dann übergibt der dumbe Tor ihr die Fernbedienung. Sie ganz damenhaft und überlegt am "Kanäle wechseln". Und findet natürlich prompt eine ihrem engelsgleichen Wesen zuträgliche Sendung - Kunst. Farben, Kreativität, Geist = sie, stink, stink = er. Also wirklich, Barbara, du erschlägst einen ja förmlich mit derartigen Stereotypen.
Nummer 2: die Szene am Schluß, wo er ins Bett will. Sie = mit sich ringend, schließlich hat sie ihn geliebt, traurig, vielleicht auch Mitleid. Er = fiiickööön, fiicköön grunz,grunz.
Also bei diesen beiden Szenen hätte eigentlich nur mehr eines gefehlt: daß ihr Flügel wachsen, und Goldstaub von der Decke auf ihr zartes Haupte rieselt.

mfg
Martin

 

Hallo Martin,

vielen Dank für deine liebe Meinung.

Jedes deiner wunderbaren Worte war Balsam für meine Seele. ;)

Liebe Grüße

Rub.( Die seit zehn Jahren verheiratet ist) ;)

 

Hi rub,

nette Geschichte, die allerdings wenig neue Aspekte bringt.
Teilweise recht klischeehaft und formell noch überarbeitungswürdig.
Wenn Interesse besteht, schick ich gerne ne „Liste“.

So long, Pandora

 

Hi Pan.

Ne Liste?
Mach das gerne, ich bin in diesem Genre ja doch recht unerfahren und freue mich tierisch über Hilfe.
Allerdings muß ich, wa das klischeehafte angeht, wiedersprechen.
Glaub mir, es ist kein Klischee.
Würde ich diese Story aus der mänlcihen Perspektive schreiben, wer weiß, ob sie nicht genau so klingen würde.
Nun bin ich nun einmal eine Frau und schreib sie, wissend, aus dieser, meiner Perspektive.
Wie dem auch sei, würde ich mich freuen, wenn du mir ein paar Vorschläge sendest, damit ich sie noch einmal überarbeiten kann.

Liebe Grüße
Rub.

 

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