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Nach Gilead 4

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23.08.2002
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Nach Gilead 4

Nach Gilead 4

„Die Straße ist mir schlicht unheimlich, doch ich weiß nicht, wieso. Vielleicht, weil ich sie immer nur im Dunkeln befahre. Oder, weil sie durch eine morastige Gegend verläuft und man im Nebel dort selten weiter als ein paar Meter sehen kann. Vielleicht aber auch, weil ich dann einen Verirrten hinten im Wagen habe.
Die Straße beginnt in der Stadt, doch es dauert nur kurz, bis Du die dichter besiedelten Gebiete verläßt. Vereinzelt noch von Wohnhäuser gesäumt, verliert sich die Straße im massiver werdenden Nebel. Die Wiesen dort sind tropfenverhangen, schneidend kalt; und zwischen den Halmen lauern die Gefühle, die die Wirklichkeit zerreissen; und das ist die Strafe des Lebens für Deine Eitelkeit: Dich auf den Weg nach Gilead zu schicken.

Die Anwohner dort sind furchtsam und vorsichtig geworden, sie sind von der Art Mensch, die Ihre Kinder zur Schule fahren, nach Einbruch der Dunkelheit die Türe nicht mehr öffnen und die immer ein Auge nach draußen gerichtet haben, wo die Straße ins Nichts führt. Dort liegt die Gefahr, die mein einziges Ziel ist, weil die von einst verloren sind und alles Selbstbewußtsein gestorben.

Noch weiter draußen reihen sich Laternen an die Straße, aber ihr verwischtes Licht auf der von Wasser überfluteten Windschutzscheibe kann doch nicht verhindern, dass Du Dich in einem eisigen, grauen Traumland verlierst und die Gefahr besteht, nie wiederzukehren. Bösartige Bäume strecken ihre bizarren Äste auf die Straße, als wollten sie Dich vom Weg verdrängen, die feindselige Straße schlägt Buckel und reißt Löcher auf, um Dich in den Graben zu werfen. Die Welt und das Leben sind Dein Feind, Du bist in ein Schicksal in der Nacht gesandt.

Das Armaturenbrett strahlt auf Dein Gesicht ein farbiges Muster, Zeiger drehen sich auf Deiner Stirn, Nase, Deinem Hals. Der Sekundenzeiger der Digitaluhr blinkt in Deinem Auge. Aus dem ambienten Grau schließlich gewahrst Du dann, in der immerwährenden Kälte schwitzend, eine diffuse, doch so freundliche Leuchtschrift, die verkündet: „GILEAD 4“. Du bist am Ziel, am Ursprung der Gefahr hast Du eine kurze Pause errungen. Trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Schicksal wieder in Dein Leben hereinbricht und Dich in die Nacht schickt, bis Du Buße getan hast.“

 

Hi

"Du" schreibt man glaub ich immer klein im Satz, genauso "dein", "dir" etc.
Davon abgesehen finde ich diese Perspektive sowieso meist nicht passend. Vermutlich kommt die Masche wieder aus dem Englischen, wo das "You" allerdings auch "man" heißen kann...

Die Beschreibung der nächtlichen Fahrt ist meiner Meinung nach zu sehr verkompliziert. Einige Sätze hab ich schlicht nicht verstanden:
>> "Vielleicht aber auch, weil ich dann einen Verirrten hinten im Wagen habe."
Wieso verwendest du im ersten Absatz die Ich-Perspektive und dann plötzlich die zweite Person?
Und was macht der Verirrte "hinten im Wagen". Hört sich an, als würde hier ne Leiche transportiert ;)

>>"verliert sich die Straße im massiver werdenden Nebel"
Hier finde ich das "massiver" unpassend beim Nebel. Wieso nicht einfach "dichter"?

"zwischen den Halmen lauern die Gefühle, die die Wirklichkeit zerreissen"
Wieder so ein Satz, den ich nicht verstehe.

Auch wo die Strafe dabei ist, nach Gilead zu kommen, seh ich nicht. Es heißt im Text nur "Dort liegt die Gefahr, die mein einziges Ziel ist, weil die von einst verloren sind und alles Selbstbewußtsein gestorben"
Versteh ich nicht, tut mir leid.

Im nächsten Abschnitt wird dann klar, dass die fiese Straßenbeschaffenheit die Gefahr darstellt. Aber wieso verrammeln die Leute dann ihre Fenster?

Der letzte Satz ist mir ebenfalls viel zu pathetisch. Für was denn Buße tun? Und was hat das Schicksal mit der Autofahrt zu tun?

:confused: Ich versteh die story beim besten Willen nicht.

Gruß
Christoph

 

Hallo, Christoph!

Ich werde mich bemühen, Deine Fragen zu beantworten.


>> "Vielleicht aber auch, weil ich dann einen Verirrten hinten im Wagen habe."

Wieso verwendest du im ersten Absatz die Ich-Perspektive und dann plötzlich die zweite Person? Und was macht der Verirrte "hinten im Wagen". Hört sich an, als würde hier ne Leiche transportiert

Fast. Gilead 4 ist eine Anstalt für Sucht- und Wahnsinnsnotfälle. Die Fahrt dahin (im Rettungswagen) bedeutet einen Irren zu transportieren.

Die Ich-Perspektive ist die eigentliche Perspektive, mit dem "Du" habe ich probiert, eindringlich zu schreiben, als säße der Erzähler dem Leser direkt gegenüber.

>>"verliert sich die Straße im massiver werdenden Nebel"

Hier finde ich das "massiver" unpassend beim Nebel. Wieso nicht einfach "dichter"?


Massiv, wie eine Wand (die den Weg versperrt).

>>"zwischen den Halmen lauern die Gefühle, die die Wirklichkeit zerreissen"
Wieder so ein Satz, den ich nicht verstehe.

Alles in der Umgebung ruft in dem Erzähler negative Erinnerungen hervor.

Auch wo die Strafe dabei ist, nach Gilead zu kommen, seh ich nicht. Es heißt im Text nur "Dort liegt die Gefahr, die mein einziges Ziel ist, weil die von einst verloren sind und alles Selbstbewußtsein gestorben"

Die Strafe ist nicht, nach Gilead zu kommen, sondern dahin zu fahren: "das ist die Strafe des Lebens für Deine Eitelkeit: Dich auf den Weg nach Gilead zu schicken." Daher auch: NACH Gilead 4. Hier habe ich einen Rechtschreibfehler fabriziert: "weil die ZIELE von einst verloren sind...". Danke für den Hinweis.

Im nächsten Abschnitt wird dann klar, dass die fiese Straßenbeschaffenheit die Gefahr darstellt. Aber wieso verrammeln die Leute dann ihre Fenster?

Das soll wohl ein Scherz sein.... die Beschreibung der Straße soll die finstere Stimmung des Erzählers verdeutlichen: Bäume sind doch nicht bösartig, und keine Straße will jemanden in den Graben schmeissen. Das ist eine Personifikation des Erzählers, der sein gesamtes Umfeld feindlich findet. Die Leute verrammeln ihr Fenster auch nicht wirklich - das denkt der Erzähler, weil er glaubt, dass Leute in der Nähe von Gilead leben, so handeln müssten.


Der letzte Satz ist mir ebenfalls viel zu pathetisch. Für was denn Buße tun? Und was hat das Schicksal mit der Autofahrt zu tun?

Was ist Dir denn außerdem zu pathetisch? - Buße tun für Eitelkeit, wie es im Text steht. Eitelkeit hat den Erzähler dazu gebracht, Fahrer eines Rettungswagens zu werden, dann wurde ihm klar, dass er dieser Aufgabe nicht gewachsen ist, dass er sich überschätzt hat, dass er nicht der Mensch ist, für den er sich gehalten hat. Aber er ist es zu spät, sein altes Selbstbild zerstört. Die Situation treibt ihn an den Rand des Wahnsinns (...das graue Traumland).

Im letzten Satz verstärkt er eine Idee, die er schon vorher im Text erwähnt: dass es ein übergeordnetes Schicksal gibt, das einen Einfluss auf die Menschen nimmt, und sich gegen ihn verschworen hat.

Deinen Einwand, dass die Geschichte beim ersten Lesen unverständlich ist, ist berechtigt; ich habe es gewollt, weil ich die Geschichte so erzählen wollte, als spräche der Erzählende zu jemanden, der ihn kennt und daher die Zusammenhänge weiß. Als Leser muss man schon wissen, dass Gilead 4 eine Anstalt ist, und sich den Rest denken. (Google kann helfen, aber ich dachte, Gilead sei recht bekannt.)

Außerdem habe ich mich bemüht, mit den enigmatischen Formulierungen das Gefühl des Augenblicks widerzugeben: Verunsicherung, Verwirrung, Verlorenheit... das war mir wichtig.

Ich hoffe, Du findest mit diesen Hilfen Zugang zu der Geschichte und sie gefällt Dir.

Gruß

Martin

 

:idee: (endlich kann ich das smilie mal verwenden)

Jetzt wird mir allerdings so manches klar. Ich wusste wirklich nicht, was Gilead bedeutet. Ich dachte da an den Namen einer Phantasie-Stadt, in die der Prot gerade unterwegs ist. Ich weiß nicht, ob man durchs Googeln schlauer wird, ich finde da Gilead, den arabischen Namen, das Biotech-unternehmen und den Berg in Ohio, und dann eben die sog. Krankenanstalt in Münster.

Obwohl mir nach deinen Erläuterungen einiges klarer ist, find ich einiges immer noch sehr schwer zu enträtseln, wie das mit der Eitelkeit und der Buße des Fahrers. Oder auch, dass die Paranoia der Einwohner nur Einbildung des Erzählenden ist.

Na ja, würde mich, und dich sicher auch interessieren wie es andern Lesern geht.

LG
Christoph

 

Bielefeld!
Das erklärt alles!

Ich habe die Geschichte auch erst nach dem Lesen der Anmerkungen verstanden. Gibt es da vielleicht irgendeinen Weg, in der Geschichte einpaar mehr Hinweise einzustreuen? Können ja ruhig ganz subtil sein...

 

Eigentlich dachte ich, der Titel sei Hinweis genug; aber hast Du Vorschläge?

"...die Sparrenburg thronte über dem Nebel und äugte argwöhnisch..." ...wohl nicht (=

 

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