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Nach Diktat verreist

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16.02.2012
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Nach Diktat verreist

Die meisten Historiker datieren die Anfänge der Bewegung auf den 11. Dezember 2027.

An jenem denkwürdigen Tag war gegen 17:30h ein 47-jähriger pensionierter Oberamtmann der Finanzkasse Dortmund (südliche Innenstadt) in Höhe der Anschlussstelle Gelsenkirchen-Bismarck mit seinem weißen Volvo ohne erkennbaren Grund auf die linke Spur der A42 gewechselt und im dichten Berufsverkehr bis zum Autobahnende in Dortmund mit knapp 35km/h weitergeschlichen.

Obwohl eine solche Fahrweise selbst an Tagen ohne Nieselregenprognose nicht ungewöhnlich war, blieb es diesmal nicht bei im Motorenlärm untergehenden Schimpfkanonaden und wirkungslos verpuffenden Lichthupkonzerten. Besondere Umstände, die dem medienabstinenten Amtmann entgangen waren, führten dazu, dass er nebst seiner mitreisenden Gattin von einer aufgebrachten Menge gelyncht wurde.

Nach 13-jähriger Entwicklungszeit war am Morgen das bis dahin 280 Milliarden Euro teure bundeseigene 'Voll korrekt!'-System feierlich in Betrieb genommen worden, mit dem Zug um Zug alle Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr durch direkten Eingriff in die Fahrzeugelektronik verhindert werden sollten. Zur Entlastung des Bundeshaushalts wurde zeitgleich die Polizei abgeschafft. Jeder vereitelte Tatansatz wurde automatisch in Flensburg erfasst, um mit den Einnahmen aus den Bußgeldern den weiteren Ausbau des Systems zu finanzieren. Die erste Ausbaustufe deckte zur Zufriedenheit der Betreibergesellschaft und des Verkehrsministeriums bereits zwei konkrete Verstöße ab - die zwangsweise Durchsetzung des Rechtsfahrgebots war allerdings erst für die neunte Ausbaustufe vorgesehen.

Im vorliegenden Fall vereitelte das System zuverlässig jeden Versuch der anderen Verkehrsteilnehmer, das rollende Hindernis auf einer der sechs rechten Spuren zu umfahren. Kurz hinter dem Autobahnende musste der Pensionär dann vor einer roten Ampel halten. Sofort sammelte sich eine Gruppe wild gestikulierender und schimpfender Autofahrer um den weißen Volvo, erste Hände griffen nach den Türklinken. Verzweifelt trat der Pensionär das Gaspedal herunter, um dem Pöbel zu entkommen, doch schon nach wenigen Zentimetern Fahrt stoppte die 'Voll korrekt!'-Elektronik sein Fahrzeug vor der Haltelinie der immer noch 'Rot' zeigenden Ampel. Fahrer und Beifahrerin wurden aus dem Wagen gezerrt und zur Rede gestellt.

Der Oberamtmann hätte sein und das Leben seiner Frau noch retten können, wäre da nicht die aus der halbgeschlossenen Heckklappe seines Kombis herausragende Nordmanntanne mit anhängendem Preisschild eines Oberhausener Baumarktes gewesen. Dadurch zusätzlich des sinnlosen Herumfahrens zur Unzeit überführt, schwand für ihn jede Hoffnung, unbeschadet aus der Sache herauszukommen. Endgültig verwirkt war sein Leben dann, als einer der marodierenden Kraftfahrer das Facebookprofil des Armseligen aufrief und die Tat dort minutiös dokumentiert fand. Als sich wenig später zeigte, dass sich diese Daten mit der GPS-gestützten Routenaufzeichnung im iPhone des Unglücklichen deckten, schritt der Mob geradewegs zur Tat. Letzte Worte des früheren Finanzamtmitarbeiters sind nicht überliefert.

Ob und welche Äußerungen seiner Gattin zu deren eigenem Schicksal beigetragen haben verschwimmt ebenfalls im Dunkel der Geschichte. Oftmals wurde vermutet, sie habe eine Tüte noch handwarmer Maronen von einem linksrheinischen Weihnachtsmarkt bei sich getragen. Nur eine Minderheit der Geschichtsforscher hält diese aus einigen wenigen Dutzend Tweets abgeleitete Theorie für schlüssig, zumal sich im Blog der bulgarischen Mafia, die dieses Marktsegment in jenen Jahren ausnahmslos beherrschte, keine Belege für diese These finden ließen.

Nachdem die Presse aus einer Tageslaune heraus (die Schlagzeilen des folgenden 12. Dezember wurden von der glücklosen Sprengung des Eiffelturms durch ein Filmteam des schon damals konkurrenzlosen Wissenschaftsmagazins GALILEO beherrscht) den Vorfall meist wohlwollend, zumindest aber nicht negativ kommentierte, kam es zur spontanen Bildung unserer geliebten Partei, die bei den noch vor Weihnachten 2027 durchgeführten Internetwahlen auf sensationelle 113% der Sitze im Bundestag kam, was ihr ein gewisses Gewicht, aber noch keine Regierungsverantwortung einbrachte.

Hierbei spielte die bereits im Sommer des gleichen Jahres durch einen 14-jährigen nigerianischen Hacker veranlasste Inhaftierung sämtlicher Vorstände deutscher und europäischer Großkonzerne dem Zeitgeist in die Hände. Haussuchungen bei den mutmaßlichen Steuersündern (im Sommer 2027 existierte noch eine Rumpf-Polizei) brachten zwar nur Bargeld in jeweils einstelliger Millionenhöhe, dafür aber nicht sortenrein getrennten Müll ans Tageslicht. Somit war es den ermittelnden Staatsanwaltschaften (Abschaffung Mitte 2028) ein leichtes, die Haftrichter (Abschaffung Ende 2028, gesamte Richterschaft dann 2029; Übertragung sämtlicher Aufgaben an den deutschen Lottoblock) von dringender Verdunklungsgefahr zu überzeugen.

Der Wegfall der ergiebigsten Quelle von Schmiergeldern für die etablierten Parteien ließ diese bis zum Spätherbst finanziell austrocknen. Bereits Anfang August wurde auf einem gemeinsamen Notparteitag die nun auch offizielle Vereinigung von FDP und Grünen beschlossen, um die knapp gewordenen Mittel zu strecken. Der Vereinigten Pädagogenpartei Deutschlands, wie sie nun hieß, ging die Klientel jedoch bald verloren. Ein Programmierfehler in SAP führte mitten in den Sommerferien zur dauerhaften Streichung aller Flüge aus der Karibik und Nepal nach Deutschland; viel schwerer wog jedoch die sich abzeichnende Schließung aller öffentlichen Schulen zur Deckung der ausufernden Recyclingkosten. Trotz massiver Proteste hiesiger Entsorgungsunternehmer musste der Wertstoffhandel in die Hände alteingesessener süditalienischer Großfamilien gelegt werden. Die erwartungsgemäß umgehend eingetretene Halbierung des staatlichen Zuschussbedarfs wurde jedoch binnen Monatsfrist von dramatisch steigenden Ausgaben für Krötentunnel, Taubenasyle und Ehrensoldzahlungen an gestrandete Politiker negiert.

Mit ihren eisernen Reserven, die mit Kurierfahrzeugen aus der Schweiz, Liechtenstein und Andorra herangeschafft werden mussten, hatte die regierende CDU/CSU zwar noch 63 Millionen Bibeln erstanden und in der Bevölkerung verteilt; die Hoffnung, damit die finanziell unabwendbare Abschaffung von Justiz und Bildung abzufedern, erfüllte sich jedoch entgegen der hochdotierten McKinsey-Studie, die diese Empfehlung ausgesprochen hatte, nicht im erwarteten Maße. Im Oktober gaben Kanzler, Kanzlerin, alle Neben-, Ersatz- und Hilfskanzler und sämtliche 239 Minister dem Druck der Straße nach, traten zurück und gaben den Weg für unsere geliebte Partei frei.

Bald nach der Regierungsübernahme durch unsere geliebte Partei gehörten öffentliche Hinrichtungen von Nichtblinkern und Nebelschlußleuchtenmißbrauchern* zum willkommenen Abendprogramm im Fernsehen, das bis dahin im wesentlichen aus den in der Kulturschiene gezeigten langsamen Kamerafahrten über die Cover der acht besten Pilcher-Romane der Woche und den GALILEO-Sendungen im Bildungsbouqet bestanden hatte.

[* Heute werden von 'Voll Korrekt!' - bis auf das notorische Linksfahren, dem unsere geliebte Partei ihre Gründung verdankt - alle Ordnungswidrigkeiten automatisch erfasst und angemessen geahndet. Lediglich die zwangsweisen Eingriffe in die Fahrzeugelektronik hat unsere geliebte Partei als Vorkämpfer für die bürgerlichen Freiheiten sofort nach der Regierungsübernahme abschalten lassen.]

Da sich die Fahrer größerer Audi und BMW bei den Fernsehexekutionen unappetitlich einzunässen pflegten, hauptsächlich aber weil die Kultusminister der Länder auf ihre Bildungshoheit pochten, wurden die recht langweiligen Erschiessungszeremonien rasch durch eine bunte Vielfalt landsmannschaftlich geprägter Produktionen abgelöst.

Der Bayerische Rundfunk eröffnete den Reigen, etwas enttäuschend, mit dem von GALILEO-Pyrotechnikern vorbereiteten Lawinenabgang über einer Gruppe von Verkehrssündern. Da alle Delinquenten leicht durchnässt, sonst aber gänzlich unbeschadet überlebten, wurden sie nach der Ausstrahlung und einem kräftigen Jagertee hilfsweise erdrosselt.

Erste positive Akzente konnte der Saarländische Rundfunk setzen, der die Kandidaten in Schützenuniformen auf einen Planwagen setzte und diesen dann, für Zuschauer wie Verurteilte überraschend, in eine Jauchegrube stürzen ließ, aus der sich dank des erreichten Alkoholspiegels niemand befreien konnte.

Während der rheinisch geprägte WDR ursprünglich geplant hatte, auf der A1 einen mit den Todgeweihten besetzten Pilgerbus von den eigens reaktivierten Knallchargen von 'Cobra11' rammen und in Flammen aufgehen zu lassen, konnten Mitglieder der ehemaligen westfälischen SPD durchsetzen, dass die armen Sünder während des Absingens des Steigerliedes, je einer bei jedem 'Glück Auf!', in einen der nach der Indien-Krise zahlreich wiedererstandenen Hochöfen gestoßen wurden.

Der Hessische Rundfunk beschwor mit seinen Beiträgen die erste hitzige öffentliche Debatte herauf. Viele Bürger, die durchaus nichts gegen die Todesstrafe für Verkehrsdelikte einzuwenden hatten, empfanden es als unnötige und grausame Folter, sie durch das Abspielen von MAZ-Bändern alter Fastnachtssitzungen zu vollstrecken. Andere dagegen bezweifelten zwar vehement die Wirksamkeit dieser Methode und hielten die bei den Opfern eintretende Agonie für gespielt, fühlten sich durch die Sendungen aber so ausgezeichnet unterhalten, dass sie keinesfalls darauf verzichten wollten.

Berlin, seit Öffnung der sogenannten Mauer finanziell benachteiligt, machte aus der Not eine Tugend und gewann die Herzen der Zuschauer durch eine simple, aber sympathische Idee. Die armen Seelen mussten weitab jeder Querungshilfe eine Spielstraße in Marzahn überschreiten. Ursprünglich war vorgesehen, sie gegebenenfalls auf der anderen Seite von einer Skinheadgruppe in Empfang nehmen zu lassen, diese Vorkehrung erwies sich jedoch als gänzlich unnötig.

Der erste Beitrag des NDR fiel dagegen wieder deutlich ab, offensichtlich dem fehlenden Fingerspitzengefühl der Hanseaten für jegliche Art von Unterhaltung geschuldet. Es war an sich ein pfiffiger Einfall, die Tatfahrzeuge der Kandidaten in das Geschehen einzubeziehen, doch überraschte es kaum einen Zuschauer, Mercedesfahrer trotz übergroßer Warnschilder mit ihren Wagen über die Kaimauer ins Hafenbecken stürzen und ertrinken zu sehen.

Alle weiteren Folgen wurden dann auch von den Redaktionen der neuen Bundesländer gestaltet, die für deutlich spektakulärere Darbietungen sorgten. Sie ließen PS-starke Motoren in Trabant-Fahrzeuge einbauen, verschwiegen dies den ausgewiesen fahruntauglichen Kandidaten aber geflissentlich. Das Fehlen von Sicherheitsgurten bemerkte ohnehin keiner von ihnen, und so rasten sie, begleitet von Reportagehelikoptern, doppelt ahnungslos ihrem absehbaren, im Detail aber immer wieder spannenden Ende entgegen.

Die traumhaften Einschaltquoten dieser Sendereihe wurden erst in allerjüngster Zeit übertroffen, nachdem sich unsere geliebte Partei dem weitaus massiveren Problem des unbeholfenen Schriftstellerns zugewandt hat.

 

Hallo veermouth,

so richtig zündet deine Satire bei mir nicht und das liegt keinesfalls am gewählten Thema, sondern an der Umsetzung.

Es fehlen zwei wesentliche Merkmale für eine gute Geschichte, nämlich ein Handlungsstrang und ein Spannungsbogen. Im Moment liest es sich wie eine Ansammlung von jeder Menge teils guter Ideen einer Zukunftsvision.

Ich gewann beim Lesen den Eindruck, dass du viel Spass dabei entwickelt hast, all die Veränderungen aufzuzeigen, die sich bis 2027 eingestellt haben würden, aber das Problem ist, dass sich alles eben liest wie eine Aneinanderreihung dieser neuen Sachverhalte.

Es fehlt die alles verbindende Handlung.


Gleich am Anfang fand ich, dass du noch mehr hättest verzerren können, denn ich glaube fest daran, dass bis 2027 es keine einzelnen Städte mehr geben wird, also Gelsenkirchen und Dortmund unter einer Verwaltungshoheit stehen werden, es keine Bezeichnung A42 mehr geben wird, diese Bezeichnungen sind ja nur für die Landkartenbetrachter wichtig gewesen, wer nur noch mit Navi fährt, braucht keine Namen mehr, und schon gar nicht mehr wird es Oberamtmänner geben, höchsten ausgestopft im Museum und Volvos? :D
Später gibt es bei dir auch noch die FDP. Bist du tatsächlich der Ansicht, dass es die dann noch gibt? Wie sollen die das denn bis dahin geschafft haben?

Aber das ist reine Geschmackssache, ob man das noch in der Geschichte ändert oder nicht.

Wichtig finde ich dagegen, dass mir nicht ganz klar ist, was genau nun den Pöbel veranlasst, den Oberamtman an der Ampel zu überfallen. Der Anlass ist mir nicht klar, der weitere Verlauf und alles, was man ihm dann vorwerfen kann, das schon, aber ist es so, dass 2027 man immer an einer Ampel überfallen wird? Es fehlt mir da ein Verständnispuzzlesteinchen in deiner Geschichte.

Sehr gut gefallen hat mir:

Somit war es den ermittelnden Staatsanwaltschaften (Abschaffung Mitte 2028) ein leichtes, die Haftrichter (Abschaffung Ende 2028, gesamte Richterschaft dann 2029; Übertragung sämtlicher Aufgaben an den deutschen Lottoblock)
:lol: deutscher Lottoblock


Dein Schreibstil hat mir leider auch nicht so richtig gefallen. Da sind jede Menge Sätze dazwischen, die man klarer fassen könnte. Wer glaubt, eine Satire müsste mit komplizierten Satzungetümen einhergehen, geht fehl.
Du packst jede Menge Stoff in die einzelnen Sätze und überfrachtest sie bis hin zur Unlesbarkeit. Ich würde einige Satzgebilde in mehrere Sätze aufteilen.


Und hier ein nicht zu übersehender Tippfehler:

anhnungslos ihrem absehbaren, im Detail aber immer wieder spannenden Ende entgegen.
ahnungslos

Ob noch mehr Rechtsschreibfehler im Text stecken, kann ich nicht sagen, darauf habe ich nicht geachtet.

Was ich aber nochmals gutheißen möchte ist, dass es sich um eine Satire handelt. Das ist hier in diesem Forum leider keineswegs garantiert. Insoweit habe ich mal nix zu meckern. :D

Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo veermouth,

das ist die zweite etwas längere Kurzgeschichte von dir, die ich gelesen habe. Du beschreibst ein absurdes Zukunftsszenario, das meiner Meinung nach aus zwei Gründen nicht funktioniert: Erstens kommen in der Geschichte keine interessanten Protagonisten vor. Du erzählst die Entwicklung nach Art von Historikern, die über vergangene Ereignisse berichten. So eine Geschichte wäre nur dann wirkungsvoll, wenn das Szenario ansatzweise plausibel wäre und großartige Einblicke in die Mechanismen des deutschen Regierungssystems bieten würde. Auch dann wäre es äußerst schwierig, so eine Geschichte spannend zu erzählen. Dieses Ehepaar mit der Nordmanntanne am Anfang verschwindet zu schnell wieder, um so einen Text tragen zu können und über den Mob, der die beiden lyncht, erfahren wir so gut wie nichts.

Zweitens fehlt der Geschichte eine Richtung, die dem Ganzen Struktur gibt. lakita hat das ja schon angesprochen: der sogenannte Spannungsbogen, den erfahrene Kommentatoren oft von den Autoren unklar strukturierter Geschichten einfordern. Nach dem dritten Absatz, in dem wir erfahren, dass der Mob dieses Ehepaar gelyncht hat, hat sich mir nie die Frage "Und was ist dann passiert?" aufgedrängt und auch nicht die Frage "Wie ist das möglich?". - Letztere nicht, weil die Geschichte zu absurd ist.

Noch ein paar Anmerkungen:

Zur Entlastung des Bundeshaushalts wurde zeitgleich die Polizei abgeschafft.
Das Wort "wurde" und überhaupt das Passiv lässt die Sprache schwerfällig klingen und unterschlägt, wer etwas tut.


Somit war es den ermittelnden Staatsanwaltschaften (Abschaffung Mitte 2028) ein leichtes, die Haftrichter (Abschaffung Ende 2028, gesamte Richterschaft dann 2029; Übertragung sämtlicher Aufgaben an den deutschen Lottoblock) von dringender Verdunklungsgefahr zu überzeugen.
Leichte Übertreibungen der Realität lassen Satiren wirken wie treffende Kritik. Bei Übertreibungen ins Groteske verschwindet der Bezug zu den realen Missständen aus den Augen des Lesers - was dem Text die Aktualität nimmt.

Abgesehen vom Fehlen einer angemessenen Struktur und von interessanten Figuren ist der Text meiner Meinung nach (besonders gegen Ende) zu ausschweifend erzählt, zumal man nach ein paar Absätzen ahnt, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Überhaupt ist die Übertragung öffentlicher Hinrichtungen im Fernsehen als satirischer Gag reichlich abgenutzt. ;)

Freundliche Grüße,

Berg

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lakita,

ich habe jetzt einige Zeit darüber nachgedacht, ob ich den 'fehlenden Puzzlestein' in der Geschichte mitliefern soll, und mich nun dagegen entschieden.

Wer nicht (vielleicht sind es sowieso nur Männer ...) schon einmal den Wunsch verspürt hat, einem lieben Mit-Verkehrsteilnehmer bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen, dem wird die Geschichte schon vom Inhalt nicht gefallen. Alle anderen brauchen diese Zusatzinformation nicht.

Im Kern geht es mir darum anzuprangern, wie wir als Gesellschaft technische Lösungen für menschliche Probleme suchen und dabei scheitern (müssen). Im hier und jetzt - eine Utopie als 'bessere Welt' habe ich nicht entwerfen wollen. Mehr Schupos mit mahnendem Zeigefinger heute, statt populistischer Generalamnestie durch 'Reform' der Flensburger Kartei (es hat ja noch kein Journalist bemerkt, was Ramsauer da vorhat. Nach dem neuen System mit Punkteverfall muss ich alle paar Wochen bei einem groben Verstoß erwischt werden, um jemals den Führerschein verlieren zu können. Und dabei ist kaum noch Polizei auf der Straße.).

Vielleicht habe ich die Geschichte deshalb überfrachtet, vielleicht auch nur in deinen Augen, weil dir der rote Faden gefehlt hat. Sei mir nicht gram, wenn ich zu diesem Aspekt auf eine zweite Meinung warten möchte.

Deine formale Kritik nehme ich ernst, muss aber gestehen, dass ich an dieser Aufgabe gescheitert bin. Sobald es sich weniger nach einem Bericht anhörte und eine chronologische spannende Handlung entstand, war die Wirkung dahin.

---

Hoppala! Da ist die zweite Meinung eingetrudelt, während ich schrieb. Das muss ich erst einmal für mich auswerten.

 

Hallo veermouth,

Deine Satire - und um eine solche handelt es sich glücklicherweise - zu lesen, war zwar anstrengend, aber letztlich unterhaltsam. Ich will beide Punkte erläutern.

Angestrengt hat mich vor allem Dein Stil. Du schreibst manieristisch, d.h. Du überfrachtest den Text mit rhetorischen Figuren und verkomplizierst unnötigerweise die meisten Sätze. Das ist so allgegenwärtig, dass es mir schwerfällt, eine besonders auffällige Stelle auszuwählen, um das beispielhaft darzustellen. Aber versuchen wirs:

"Oftmals wurde vermutet, sie habe eine Tüte noch handwarmer Maronen von einem linksrheinischen Weihnachtsmarkt bei sich getragen. Nur eine Minderheit der Geschichtsforscher hält diese aus einigen wenigen Dutzend Tweets abgeleitete Theorie für schlüssig, zumal sich im Blog der bulgarischen Mafia, die dieses Marktsegment in jenen Jahren ausnahmslos beherrschte, keine Belege für diese These finden ließen."

"[...] eine Tüte noch handwarme Maronen [...]" Es ist unwichtig, ob die Maronen kalt, heiß oder handwarm sind. Auch halte ich es für unwichtig, ob es sich um Maronen oder Schmalzgebäck handelt, was das Rentnerehepaar gekauft hat. Inwiefern ist dieser Absatz für die Geschichte wichtig?
Vielleicht entgeht mir hier auch etwas. Aber ich spüre das Bedürfnis, Deinen Text auszudrucken und eine Streichfassung zu erstellen. Es gibt vieles, was man weglassen kann.

Außerdem liest sich das wie ein Ausschnitt aus der Hausarbeit eines überakkuraten Geschichtsstudenten. "Oftmals wurde vermutet, [...]", es gibt also einen Meinungsstreit unter den Geschichtsforschern, die sich mit dem Thema dieser Geschichte befassen. Aber was genau ist das? Die Entstehungsgeschichte der "Partei"? Der entscheidende Moment des Untergangs der Zivilgesellschaft? Inhaltlich stiftest Du durch solche Einfügungen meines Erachtens Verwirrung und schadest dem Text.

Noch wichtiger: ist diese Stelle für Deine Satire wichtig? Wenn nicht, sollte sie gestrichen werden! Du verweist im zweiten Atemzug auf die Übernahme Twitters durch die bulgarische Mafia. Erstens sehe ich da keinen Bezug zu Ereignissen oder Entwicklungen in der Wirklichkeit, also keinen satirischen Hintergrund. Und zweitens lenkt es vom eigentlichen Thema Deiner Satire ab.

Zusammengefasst empfehle ich (und das ist nur eine persönliche Meinung, andere Leser könnten das ganz anders empfinden!):
- streiche alles, was inhaltlich unwichtig für Dein satirisches Thema ist
- streiche oder ersetze alle Beschreibungen, Formulierungen, die überflüssig sind, gestelzt klingen oder den Lesefluss hemmen. Weg vom Manierismus, hin zum stilus medium oder humile.
- der Text verträgt mehr Parataxe. Also: weniger Kommas, mehr Punkte.
- reduziere die Anzahl der Themen, die Du satirisch verarbeitest. Sonst übst Du Weltkritik und die sprengt den Rahmen.

Nach dem Verriss nun zum Lob: Du beobachtest toll, hast lustige Ideen und einen sehr großen Wortschatz. Du achtest darauf, Dich sprachlich nicht zu wiederholen. Wenn ich die Sätze laut vorlese, empfinde ich sie zwar als zu lang, aber rhythmisch sind sie.

Viele Grüße
agopo

 

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