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Nach der Schlacht

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19.06.2001
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Nach der Schlacht

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NACH DER SCHLACHT

Menschen wie ich tun das, wozu Menschen wie ich da sind. Wenn das Kanonendonnern verhallt ist, kommen wir aus unseren Verstecken gekrochen, gehen über bluttriefende Wiesen und sammeln diejenigen ein, die überlebt haben. Manche von denen flehen uns an, sie zu töten. Fast jeder hat schon einmal Geschichten über die Lazarets gehört. Geschichten über Amputionen bei vollem Bewußtsein, ratlose Feldärzte, die zwischen den zitternden Fingern selbstgedrehte Zigarren hielten und den Qualm in offene Wunden der Verletzten bliesen. Wenn mich jemand röchelnd anfleht, ihn zu töten, wäge ich meistens ab: Lohnt es sich für den Mann, nach Hause zu kommen? Kann er weiterkämpfen? Hat er vielleicht eine Chance, nach dem Krieg ein normales Leben zu führen? Ich weiß noch, wie vor einigen Wochen der Junge im Gras lag, mit weit aufgerissenen Augen. Aus dem Mund schwappte dunkles Blut, vermischt mit Schleim und Erbrochenem. Ich habe mit dem Spaten schnell zugestoßen, den Kopf sauber abgetrennt. Ich denke, er wird froh darüber gewesen sein. Wir sind nicht viele. Gestern waren wir noch acht Mann. Heute nur noch sieben. Den alten Hewitt hat es unten am Fluss erwischt, ist einfach so zusammengebrochen. Keiner hat sich die Mühe gemacht, den Leichnam zu bergen und anständig zu begraben. Wozu auch? Der Lauf der Dinge wird das schon erledigen. Bei dem Krieg bin ich mir allerdings nicht so sicher. Man kämpft zwar für unsere Sache, lässt uns allerding trotzdem spüren, wie wertlos wir eigentlich sind. Nur wenigen gelingt der soziale Aufstieg. Sehr wenigen. Dabei sind wir den anderen nicht unähnlich. Wir sind auch Menschen. Gott wird sich schon was dabei gedacht haben, Menschen mit schwarzer Hautfarbe in die Welt gesetzt zu haben... Außerdem ist für Nachschub schnell gesorgt.

Gedankenverloren laufe ich über die Wiese. Ein paar hundert Meter entfernt entfachen John Sebel und Adam Wanker das Feuer. Leichen werden nicht begraben, sondern verbrannt. Es spart Kosten und Nerven. Den Hinterbliebenen, so habe ich erfahren können, wird ein kurzer Brief geschickt, in dem steht, wie tapfer Mister Unbekannt für die Sache gekämpft hat. Ich lächle und laufe weiter. Vorbei an Ruby Daniels, der pfeifend Arme und Beine in einen Sack steckt. Vorbei an William Kobe, den alle aus mir unerklärlichen Gründen Rusty nennen. Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, wie Rusty die goldfarbenen Knöpfe von der blauen Uniform abtrennt. Da muß es wohl einen der Offiziere erwischt haben. War aber auch eine schlimme Schlacht, denke ich mir. Das Gras ist nicht mehr grün. An einigen Stellen haben sich kleine Ozeane aus Blut gebildet, dazwischen Inseln aus abgetrennten Gliedmaßen, toten Körpern, Berge aus Gedärmen, Köpfe mit offenen Augen... Sowas berührt mich nicht mehr. Mit der Zeit stumpft man ab. Man erledigt seine Arbeit. Irgendwann wird alles Routine. Gewohnheit. Gottes Geschenk, etwas zu empfinden, wird von Schlacht zu Schlacht schwächer. "Behalt die Knöpfe nicht für dich, Rusty!", rufe ich grinsend.
"Mach du deinen Kram, ich meinen!", antwortet er ruhig.
Wer Eigentum der Armee stiehlt, wird hingerichtet. Zumindest ist das bei uns so. Wie das bei den anderen läuft, weiß ich nicht. Der Sack, den ich hinter mir herziehe, ist halbvoll mit Beinen und Füßen. Nacher werde ich ihn in die Flammen werfen. Werde einen Augenblick verharren und dem Knistern und Zischen zuhören, was entsteht, wenn man totes Fleisch verbrennt. Der Geruch verursacht ein Hungergefühl. So manches Mal habe ich mitbekommen, wie jemand sich heimlich etwas Fleisch gebraten hat, um den eigenen Hunger zu tilgen. Ich habe nichts gesagt, es stillschweigend hingenommen. In diesen dunklen Zeiten ist sich jeder selbst überlassen. In den Phasen zwischen den Schlachten und Scharmützeln gleicht die Welt einer breiigen Masse aus Einzelschicksalen. Jeder versucht, den ganzen Schlamassel unbeschadet zu überstehen. Mister Unbekannt im blauen Rock und einem Gewehr in der Hand. Ich in Lumpen gekleidet zwischen Toten und süßlich fauliger Luft.

"He, Nigger!"

Wie angewurzelt bleibe ich auf der Stelle stehen und schnappe nach Luft. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich mich soweit gefaßt habe, um nach der leisen Stimme zu suchen, die mich soeben angesprochen hat.
"Nigger! Los! Komm her!"
Es sind vielleicht fünf Meter, die mich von der Stimme trennen. Mein geübter Blick verrät mir, dass es sich um einen General handelt. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise sterben keine Generäle, es sei denn, sie wollen mit Heldenmut ihr eigenes Versagen ausgleichen.
"Verdammt nochmal! Hilf mir endlich!"
Bei jedem Wort zucke ich zusammen. Ich fühle mich so schwer wie ein Berg. Der General hat eine offene Wunde am Bein. Wäre er ein einfacher Soldat, der in der vordersten Reihe Gefahr läuft, von einer Kanonenkugel geköpft zu werden, bevor diese in den hinteren Reihen einschlägt, so würde er hier und jetzt sterben. Bei der Wunde besteht keine Chance auf Rettung des Beines. Und als Krüppel wäre er ein hoffnungsloser Fall. Aber es ist halt ein General. Ich drehe mich um. Rusty poliert einen der goldfarbenen Knöpfe mit einem dreckigen Taschentuch, die anderen gehen langsam über die Wiese, bleiben stehen, bücken sich, schmeißen menschliche Überreste in die Säcke. Keiner außer mir hat den General gehört. Ganz langsam gelingt es mir, einen Schritt nach dem anderen zu tätigen.
"Das wurde auch Zeit, Nigger!"
Ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken, gleich einem Mann in das Gesicht zu sehen, der ganz oben in der Hierarchie steht. Ich bezweifle, dass er von unserer Existenz weiß, glaube aber auch, dass er in diesem Augenblich froh ist, dass es uns gibt. Sein Gesicht ist schneeweiß, Bartstoppeln erkenne ich, Schweißperlen auf der Stirn, blutunterlaufene Augen, dünne Lippen und ein blutendes Ohr. "Sir?" Unbeholfen und auch unbewußt stehe ich stramm und salutiere. Allein das Zeichen auf seiner Schulter, das ihn als einen General ausweist, verursacht im Grunde genommen ungewollten Respekt.
"Du mußt... Du..." Der General hebt mühsam den Kopf. "Einen Arzt!"
Ich gehe in die Hocke. "Sir?" Ich weiß nicht warum, aber mit meinem Zeigefinger berühre ich die Wunde des Generals. Der Mann öffnet den Mund und brüllt laut auf. Schnell nehme ich meine Hand von der Stelle weg und sehe mich um. Alle anderen haben nichts mitbekommen. Blut ist an meinem Zeigefinger. "Das war nicht mit Absicht", lüge ich.
"Du elender..." Er presst die Lippen vor Schmerz zusammen. Aus seinen Nasenlöchern entweicht blutiger Rotz und Luft.
"Einen Arzt brauchen Sie?", frage ich.
Entgeistert starrt mich der Mann an. "Weißt du nicht, wer ich bin?"
"Nein, Sir", sage ich und deute auf die Schulterzeichen. "Ein General. Einer von vielen. Einer von vielen, die Menschen wie mich Nigger nennen." Ich verscheuche die lästigen Fliegen. Sicherlich haben einige schon ihre Eier in der Wunde hinterlassen. Würde ich jetzt aufstehen und gehen... und morgen wiederkommen... zur gleichen Stelle... tausende Maden würden die eitrige Wunde bedecken... und der General selbst würde längst gestorben sein... mit offenen, vor unerträglichen Schmerzen hervorgequollenen Augen... "Warum haben Sie mich Nigger genannt?", will ich wissen. Ich will es einfach wissen. Ich weiß, dass ich in meinem Leben nie mehr so eine Gelegenheit bekomme.
Stöhnend liegt der General im blutigen Gras. "Was spielt das für eine Rolle? Hol endlich einen Arzt!"
"Und wenn ich das nicht will?" Ich bin über mich selbst erstaunt.
"Dann bringe ich dich vor das Kriegsgericht!"
Seine Stimme ist so, wie ich sie mir vorstelle, wenn er zwischen seinen Vertrauten steht und eine Niederlage analysiert. Zischend. Bedrohlich. Aber irgendwie auch ängstlich.
"Hast du das verstanden? Nig..." Er schluckt schwer, dreht seinen Kopf zur Seite und erbricht sich.
"War es schlimm?" Ich deute zu dem nahe gelegenen Wald. "Ich hab es nur von dort aus mitbekommen, die ganze Schmach..." Ich nicke. "Ja, Sir. War eine heftige Niederlage für uns... Ich meine... für Sie! Eine Niederlage für Sie, Sir!"
"Großer Gott, wirst du jetzt eindlich einen Arzt holen!" Wütend holpern die Worte über die Lippen des Generals.
Das Machtgefühl in mir, dass sich in Sekundenbruchteilen gebildet hat, fühlt sich gut an. Ich genieße es. Ich finde es gut. Zum jetzigen Zeitpunkt schäme ich mich nicht dafür. "Warum haben Sie Nigger zu mir gesagt?" Langsam habe ich die Frage gestellt. Ganz langsam...
Der General sieht mich sprachlos an. Nun läuft auch Blut aus seiner Nase. Und an der Wunde haben sich hunderte Fliegen niedergelassen. Weder er noch ich machen sich die Mühe, sie zu verscheuchen. Und dann sprudelt es aus ihm heraus: "Was glaubst du denn, was passieren wird, hm? Wenn wir den Krieg gewinnen? Glaubst du denn wirklich, da wird sich was ändern, hm? Das glaubst du? Ja? Du bist, was du bist! Da ändert kein Krieg was daran!" Der General ist angespannt.
"Ich bin schwarz, ja", sage ich und stehe auf. Ich löse den Spaten von meiner Gürteltasche.
Der General schüttelt den Kopf. "Das kannst du nicht tun!"
Mit dem Daumen entferne ich vertrocknete Erde und Blutkrusten von der scharfen Kante des Spatens. "Wir sind nicht anders als ihr!", sage ich leise.
"Weißt du was?" Wütend sieht mich der General an. "Du wirst danach immer noch ein Nigger sein! Du wirst immer ein Nigger bleiben!" Er fängt an zu lachen. Spuckt dabei Blut. Schwitzt noch mehr. Er weiß wohl, dass er nun sterben wird.
"Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Sir." Fest umpacke ich den Stiel des Spatens, hebe meine Arme nach oben, hole tief Luft und stoße zu. Wie immer. Der Kopf ist sauber abgetrennt. Zufrieden lasse ich den Spaten fallen und gehe in die Hocke. Jemand steht hinter mir. Rusty...

"Verdammt, Carl!"
"Schon gut", flüstere ich leise. "Sieh dir seine Wunde an. Keine Chance!"
"Das meine ich nicht!"
Seufzend stehe ich auf und drehe mich um. "Ja? Rusty?"
"War das wirklich nötig?" Er deutet auf den abgetrennten Kopf. "Es war ein General."
"Er hat mich Nigger genannt."
"Das ist ganz normal!"
"Nein, sollte es aber nicht sein!" Ich fühle mich gut. Ich kicke den Kopf des Generals weg. "Ein wenig Respekt für uns würde nicht schaden."
Rusty kratzt sich am Kopf. "Wir sind hier, um Leben zu retten..." Er räuspert sich. "So irrsinnig das auch klingen mag, angesichts der vielen Leichen. Aber war das wirklich nötig?"
Ich überlege. Und begreife. "Nein, war es nicht..." Zusammen mit Rusty stehe ich vor dem Leichnam des Generals. Auf der Wiese gibt es noch viel zu tun. Ich spüre das Blut unter meinen Füßen. "Hast du von dem Regiment gehört?"
"Was für ein Regiment?", fragt Rusty.
"Es besteht nur aus Schwarzen. Angeführt wird es von weißen Offizieren, weißt du?"
Rusty geht in die Knie und beginnt, die Knöpfe von der Uniform des toten Generals abzutrennen. "Nein, kenne ich nicht."
"Die werden nur verheizt!" Ich spucke aus. "Vielleicht gehe ich dahin..."
"Warum?" Rusty hält inne und sieht mich fragend an. "Warum?"
"Weiß nicht..."
"Wenn du da hingehst, bist du nicht besser als die anderen. Du wirst dann töten müssen!"
"So?"
"Ja."
"Aber die Bezahlung ist gut", sage ich.
"Hör auf rumzuspinnen und bleib was du bist, Carl!"
"Hm... Ein Leichenentsorger?"
"Ja!"
"Vielleicht hast du Recht, Rusty."

Ein paar Tage sind vergangen. Mich hat keiner nach dem General gefragt. Rusty und die anderen wußten von nichts, so sagten sie aus. Ich hocke in dem kleinen Zelt, abseits des Lagers. Ich frage mich, ob ich nicht doch anheuern soll. Die Bezahlung ist in Ordnung. Besser als das, was ich jetzt mache. Ich habe mit Rusty darüber noch einmal geredet. Er empfindet es als eine blöde Idee. Das Schlimmste ist der Horror im Kopf, wenn man Entscheidungen treffen muß. Man kämpft für eine gute Sache. Ich muß an den General denken, an seine Worte... Inwiefern war ich besser als er? Und wird er Recht behalten? Ich bin nur ein farbloser Nigger... Plötzlich habe ich die Gelegenheit, es allen zu zeigen. Ich werde kämpfen. Das werde ich. Aber Menschen wie ich sind nur da, um das zu tun, wozu Menschen wie ich auf der Welt sind. Der General war sicherlich kein Menschenfreund, betrachtete mich als Abschaum. Aber ich bin auch nicht besser. In einem Krieg gibt es keinen Gewinner. Und obwohl ich erkannt habe, dass ich ein schlechter Mensch bin, werde ich mich für das Regiment melden. Die Bezahlung ist gut. Und ich kann das blutrote Gras nach einem Gefecht einfach nicht mehr ertragen. Ich kann das Würgegefühl einfach nicht mehr ertragen. Ich kann den Geruch einfach nicht mehr ertragen.

Manchmal wünsche ich mir, dass eine von den Kanonenkugeln mich erwischt. Oder ein Schuss direkt ins Herz. Hauptsache tot! Wir sind, was wir sind. Und ich will kein farbloser Nigger mehr sein...

ENDE


copyrigt by Poncher (SV)

26.07.2003


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Hallo Ponchmeister, auch noch wach?

Nun, viel kann ich jetzt nicht sagen, da ich eh nur noch ein Auge offen halten kann, aber prinzipiell fand ich die Geschichte ganz gut. Allerdings zeigen sich hier ganz deutlich die Merkmale eines Textes, der in einem Anflug von Inspiration in einem Ruck von Anfang bis Ende geschrieben wurde (war das so?), d.h. zunehmender Verfall der Erzähldichte. In den letzten zwei Absätzen geht der Faden ordentlich verloren, und das Ende macht einen ziemlich zusammengestöpselten Eindruck, wohl weil du dir bis dahin selbst nicht im klaren warst, was denn die eigentliche Thematik des Textes ist. Es geht um eine Frage der Moral, soviel ist klar, aber es wird, trotz seinen Erklärungen nicht klar, aus welcher Motivation heraus Carl seine Entscheidung am Ende trifft.
Ich nehme an, du wolltest einen Mann in einer ausweglosen Situation portraitieren - entweder umgeben vom Tod die Wahl zu töten oder töten müssen, aber ohne die leichenbedeckte, blutige Erde. Nur wird eben nicht klar warum er sich letztendlich für letzteres entscheidet.

Ergiebt was ich schrieb eigentlich einen Sinn?

Wie dem auch sein,

Gute Nacht.

I3en

 

Ich kann mich meinem Vorkritiker nicht anschließen, die Geschichte ist klar und deutlich, die Gedankengänge des Prot. ebenfalls.

Der erste Abschnitt bietet einen sehr interessanten (blutig-grausamer) Einstieg, bei dem ganz beiläufig klar wird, daß Schauplatz der amerikanische Bürgerkrieg ist und der Prot. ein Schwarzer. Na ja, zumindest wenn man rudimentäre Hintergrundkenntnisse besitzt, aber dafür hat das Fernsehen ausnahmsweise ja viel getan.

Der Zynisms, das Elend und kleine politische Seitenhiebe (Offiziere selten bei den Toten, Generäle noch seltener etc.) kommen gut rüber.

>kleine Ozeane
Ozeane sind dadurch charakterisiert, daß sie riesig sind. Wie wäre es stattdessen mit Seen?

>"Wenn du da hingehst, bist du nicht besser als die
>anderen. Du wirst dann töten müssen!"
Ähem - und was tut er jetzt? So zum Beispiel vor wenigen Sekunden?

>Ich bin nur ein farbloser Nigger
Ein unfreiwillig komischer Ausdruck.

>Und obwohl ich erkannt habe, dass ich ein schlechter
>Mensch bin, werde ich mich für das Regiment melden
Eher weil als obwohl, oder? Man könnte ja denken, im Regiment sitzen nur Heilige.

Was mir nicht so gut gefallen hat, war, daß der Horror sich so gut wie ausschließlich auf die Beschreibung der Verstümmelungen und Exzesse nach der Schlacht bezog. Dem Prot. geht es blendend, er war auch zu keinem Zeitpunkt in Gefahr.

Versteh mich aber bitte nicht falsch, das war eine exzellente Geschichte. Und das schreibe ich nicht aus Sympathie, wie mir neulich vorgeworfen wurde - dein mißratener Cirque de Camouche verstaubt nach wie vor uneditiert auf diesem Server. ;)

r

 
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Hi Poncher!

Die Geschichte hat mir ganz gut gefallen; flüssig und unterhaltsam schreiben kannst Du ja wie Du weißt, man (ich) bereut es eigentlich nie, etwas von Dir gelesen zu haben.
Der Text ist wirklich eklig, aber diese ganzen Details sind vertretbar, weil sie ja einen Sinn haben.

Hm, trotzdem ging der Horror der Story irgendwie an mir vorüber. Vielleicht gerade, weil der Ich-Erzähler das Szenario so teilnahmslos über sich ergehen lässt.

Manchmal wirkt eine Geschichte dann am besten, wenn der Protagonist keine Regung hinsichtlich des Grauens zeigt, aber hier hat es mich ein wenig gestört. So beiläufig, wie er blutbesudelte Schlachtfeld beschrieb, so erreichte es auch mich als Leser. Spannung kam für mich an der Stelle auf, als der Erzähler zum General gerufen wird. Da habe ich mir sogar noch ein bisschen mehr Qual für den Verwundeten erhofft als dann tatsächlich kam.
Die Beschreibungen der Toten sind zwar schlimm, aber weil sie anonym bleiben und der Protagonist nichts für sie empfindet haben sie mich auch ziemlich kalt gelassen. Ekelhaft war die Story an manchen Stellen, Horror habe ich an sich keinen empfunden.

Trotzdem hab ich die Geschichte gern gelesen. Allein mal etwas aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges hier im Forum zu entdecken war schon interessant. :-)

Dem Text würden noch ein paar Absätze mehr gut tun. Nicht allein der Lesefreundlichkeit wegen, sondern auch aus erzähltechnischer Sicht. Allein im ersten Absatz könnte man mM nach dadurch an manchen Stellen mehr Wirkung erzielen.
Hier z.B.:

Ich weiß noch, wie vor einigen Wochen der Junge im Gras lag,
würde ich eine neue Zeile beginnen.

Ginny

 

Hallo Ponch!

Wie könnte es anders sein:D , mir hat diese Geschichte wieder mal gut gefallen.

Menschen wie ich tun das, wozu Menschen wie ich da sind

Leser wie ich kritisieren, was Lesern wie mir nicht gefällt.
Ich nehme an, du hast wieder ein bestimmtes Bild vor Augen gehabt, als du die Geschichte entwarfst. Hat was archaisches, wenn man sich bildlich vorstellt, wie die Protagonisten über das verwaiste Schlachtfeld stapfen und hie und da Leichenteile einsammeln. Stark!

Ich habe mit dem Spaten schnell zugestoßen, den Kopf sauber abgetrennt

Ich melde Zweifel an, ob das mit einem Stoß geht. Ebensolch ein praktisches Problem:

Nacher werde ich ihn in die Flammen werfen

Es braucht erheblich mehr Hitze, als von einem Lagerfeuer ausgeht, um auch nur menschliches Fleisch vollständig zu verbrennen.

Sein Gesicht ist schneeweiß,

Schnee ruft die Assoziation hervor von rein und sauber, ungünstiger Vergleich.

"Dann bringe ich dich vor das Kriegsgericht!"
zischte er. M.M. nach würde dies ausreichen um zu beschreiben, wie der General sich fühlt. Der Nachsatz ist überflüssig.

Den "farblosen Nigger" finde ich total albern, der Stimmung des Textes absolut unangepasst.

Was den Schluss angeht, würde ich 13ten zustimmen. Du machst damit die gesamte Atmosphäre kaputt, ?nur um einen Sinn hineinzubekommen?

Fazit: Eine ziemlich originelle Story, die man gern liest, der aber das notwendige Quentchen fehlt.

Viele Grüße von hier!

 

Hallo Poncher,

mir hat die Geschichte ausgezeichnet gefallen. Die Emotionslosigkeit, mit der das Geschehen beschrieben wird, macht für mich den eigentlichen Horror in dieser Story aus. Die Prots sind abgestumpft, richten nach eigenen Kriterien über Leben und Tod, indem sie das Für und Wider der Sinnhaftigkeit eines Weiterlebens der Verwundeten abwägen... kommt wirklich klasse rüber. Kompliment!

Detailanmerkungen:

Sowas berührt mich nicht mehr. Mit der Zeit stumpft man ab. Man erledigt seine Arbeit. Irgendwann wird alles Routine. Gewohnheit.

Nach meinem Empfinden stört der zweite Satz; er weist unnötigerweise noch einmal explizit auf etwas hin, was in den anderen Sätzen prägnant zum Ausdruck kommt, wobei die Satzreihung auch nicht unbedingt mein Ding ist.
Vorschlag: „Sowas berührt mich nicht mehr. Irgendwann wird alles Routine. Gewohnheit. Man erledigt seine Arbeit.“

Jeder versucht, den ganzen Schlamassel unbeschadet zu überstehen.

Warum faszinieren mich schwarzhaarige Frauen? Keine Ahnung.
Warum fasziniert mich das Wort „Schlamassel“? Dito... keine Ahnung. Jedenfalls gefällt mir der Satz ausnehmend gut.

Unbeholfen und auch unbewußt stehe ich stramm und salutiere. Allein das Zeichen auf seiner Schulter, das ihn als einen General ausweist, verursacht im Grunde genommen ungewollten Respekt.

Klingt holprig; ich würde für eine Streichung der markierten Stellen plädieren.

hunderte Fliegen

Sind das dann nicht doch arg viele Fliegen auf so einer niedlichen Wunde? Keine Ahnung, aber „dutzende Fliegen“ gefiele mir besser.

Manchmal wünsche ich mir, dass eine von den Kanonenkugeln mich erwischt. Oder ein Schuss direkt ins Herz. Hauptsache tot! Wir sind, was wir sind. Und ich will kein farbloser Nigger mehr sein...

Grundsätzlich gefällt mir der Schluß, und den Begriff „farbloser Nigger“ finde ich keineswegs albern; wäre schade, wenn du ihn streichen würdest. Allerdings könnte man diesen Absatz etwas straffen, dann klänge er runder.
Vorschlag: „Manchmal wünsche ich mir, dass eine von den Kanonenkugeln mich erwischt. Oder ein Schuss direkt ins Herz. Hauptsache tot! Ich will kein farbloser Nigger mehr sein...“

Nun gut, abgesehen von dieser subjektiven Erbsenzählerei... gelungenes Werk.

THX
Somebody

 

Ein herzliches Moin miteinander!

Hätte nicht gedacht, dass positives Feedback kommt. Wollte heute morgen schon `ne Entschuldigung schreiben, was ich da verbrochen habe... :hmm: Okay, Phantasieelemente, richtige Horrorstücke kommen nicht vor. Wie richtig erkannt, dienen allein die Gedankengänge des Prots dazu, dem Leser wenigstens ein bißchen Gänsehaut zu vermitteln. Ist schwierig, ich weiß...

Wie auch immer. Danke für die hilfreichen Coments, hab die Geschichte überarbeitet. Obwohl ich mir fast sicher bin, sie dadurch völlig in den Sand gesetzt zu haben. :dozey:

Mille Grazie!

Gruß,
Ponch

 

NACH DER SCHLACHT Überarbeitete Version

Menschen wie ich tun das, wozu Menschen wie ich da sind. Wenn das Kanonendonnern verhallt ist, kommen wir aus unseren Verstecken gekrochen, gehen über bluttriefende Wiesen und sammeln diejenigen ein, die überlebt haben. Ab und zu verhindert unheimlich wirkender Nebel, dass wir alle finden. Ich glaube, viele sind nicht während, sondern nach einer Schlacht gestorben. Weil man sie vergessen, übersehen hat. Manche von den Überlebenden flehen uns an, sie zu töten. Fast jeder von uns hat schon einmal Geschichten über die Lazarets gehört. Geschichten über Amputionen bei vollem Bewußtsein. Schauermärchen über ratlose Feldärzte, die zwischen den zittrigen Fingern selbstgedrehte, stinkende Zigarren halten und den Qualm in die offenen Wunden der Verletzten blasen. Gerüchte über Sanitäter, die nur noch betrunken das ganze Elend aushalten können. Wenn mich jemand röchelnd anfleht, ihn zu töten, wäge ich meistens ab: Lohnt es sich für den Mann, nach Hause zu kommen? Kann er weiterkämpfen? Hat er vielleicht eine Chance, nach dem Krieg ein normales Leben zu führen? Es dauert meistens nur wenige, grausame und vielleicht auch hartherzige Sekunden, bis ich eine Entscheidung treffe.

Ich weiß noch, wie vor einigen Wochen der Junge im Gras lag, mit weit aufgerissenen Augen. Aus dem Mund schwappte dunkles Blut, vermischt mit Schleim und Erbrochenem. Ich habe mit dem Spaten ein paar Mal schnell zugestoßen, den Kopf sauber abgetrennt. Ich denke, er wird froh darüber gewesen sein. Irgendwie hat er mir Leid getan. Ich glaube fest daran, ihn erlöst zu haben. Wo er sich nun befindet, liegt nicht in meiner Macht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Der Junge hat mich an meinen eigenen Sohn erinnert.

Wir sind nicht viele. Gestern waren wir noch acht Mann. Heute nur noch sieben. Den alten Hewitt hat es unten am Fluss erwischt, ist einfach so zusammengebrochen. Mit dem Gesicht voran ist er in das Wasser gefallen. Vermutlich war er schon tot, bevor er die Wasseroberfläche überhaupt berührte. Das Alter, sagen einige. Die Trunksucht, meinen andere. Ich denke auch, dass es die Trunksucht war. Keiner hat sich die Mühe gemacht, den Leichnam zu bergen und anständig zu begraben. Wozu auch? Der Lauf der Dinge wird das schon erledigen. Bei dem Krieg bin ich mir allerdings nicht so sicher. Wir kämpfen zwar für unsere Sache, die anderen lassen uns allerding trotzdem spüren, wie wertlos wir eigentlich sind. Und eigentlich kämpfe ich nicht, erledige nur die Drecksarbeit danach. Nur wenigen von uns gelingt der soziale Aufstieg. Sehr wenigen. Ich habe gehört, einer hat es sogar geschafft, Abgeordneter zu werden. Ich persönlich halte das für eine Lüge. Zu schön, um wahr zu sein. Dabei sind wir den anderen nicht unähnlich. Wir sind auch Menschen. Gott wird sich schon was dabei gedacht haben, Menschen mit schwarzer Hautfarbe in die Welt gesetzt zu haben...

Gedankenverloren laufe ich über die Wiese. Ein paar hundert Meter entfernt entfachen John Sebel und Adam Wanker das Feuer. Wenn es stark genug ist, sein volles Potential entfaltet, dann spürt man die Hitze über das ganze Schlachtfeld. Leichen werden nicht begraben, sondern verbrannt. Es spart Kosten und Nerven. Den Hinterbliebenen, so habe ich erfahren können, wird ein kurzer Brief geschickt, in dem steht, wie tapfer Mister Unbekannt für die Sache gekämpft hat. Ich lächle und laufe weiter. Vorbei an Ruby Daniels, der pfeifend Arme und Beine in einen Sack steckt. Vorbei an William Kobe, den alle aus mir unerklärlichen Gründen nur Rusty nennen. Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, wie Rusty die goldfarbenen Knöpfe von der blauen Uniform abtrennt. Da muß es wohl einen der Offiziere erwischt haben. War aber auch eine schlimme Schlacht, denke ich mir. Das Gras ist nicht mehr grün. An einigen Stellen haben sich kleine Seen aus Blut gebildet, dazwischen Inseln aus abgetrennten Gliedmaßen, toten Körpern, Berge aus Gedärmen, Köpfe mit offenen Augen... Sowas berührt mich nicht mehr. Man erledigt seine Arbeit. Irgendwann wird alles Routine. Gewohnheit. Gottes Geschenk, etwas zu empfinden, wird von Schlacht zu Schlacht schwächer. Nein, denke ich. Nach einer Schlacht wird es immer schwächer. Immer nach einer Schlacht... "Behalt die Knöpfe nicht für dich, Rusty!", rufe ich. Es sollte lustig klingen. Ich bin kläglich gescheitert.
"Mach du deinen Kram, ich meinen!", antwortet er ruhig.
Wer Eigentum der Armee stiehlt, wird hingerichtet. Zumindest ist das bei uns so. Wie das bei den anderen läuft, weiß ich nicht. Der Sack, den ich hinter mir herziehe, ist halbvoll mit Beinen und Füßen. Nacher werde ich ihn in die Flammen werfen. Werde einen Augenblick verharren und dem Knistern und Zischen zuhören, was entsteht, wenn man totes Fleisch verbrennt. Der Geruch verursacht ein Hungergefühl. So manches Mal habe ich mitbekommen, wie jemand sich heimlich etwas Fleisch gebraten hat, um den eigenen Hunger zu tilgen. Ich habe nichts gesagt, es stillschweigend hingenommen. In diesen dunklen Zeiten ist sich jeder selbst überlassen. In den Phasen zwischen den Schlachten und Scharmützeln gleicht die Welt einer breiigen Masse aus Einzelschicksalen. Jeder versucht, den ganzen Schlamassel unbeschadet zu überstehen. Mister Unbekannt im blauen Rock und einem Gewehr in der Hand. Ich in Lumpen gekleidet zwischen Toten und süßlich fauliger Luft. Die Tatsache, dass oftmals das Feuer nicht ausreicht, um alles vollständig zu verbrennen, wird stillschweigend akzeptiert. Feuer machen ist einfach. Wird eben alles nochmal verbrannt. Erst neulich hatten wir...

"He, Nigger!"

Wie angewurzelt bleibe ich auf der Stelle stehen und schnappe nach Luft. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich mich soweit gefaßt habe, um nach der leisen Stimme zu suchen, die mich soeben angesprochen hat.
"Nigger! Los! Komm her!"
Es sind vielleicht fünf Meter, die mich von der Stimme trennen. Mein geübter Blick verrät mir, dass es sich um einen General handelt. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise sterben keine Generäle, es sei denn, sie wollen mit Heldenmut ihr eigenes Versagen ausgleichen.
"Verdammt nochmal! Hilf mir endlich!"
Bei jedem Wort zucke ich zusammen. Ich fühle mich so schwer wie ein Berg. Der General hat eine offene Wunde am Bein. Wäre er ein einfacher Soldat, der in der vordersten Reihe Gefahr läuft, von einer Kanonenkugel geköpft zu werden, bevor diese in den hinteren Reihen einschlägt, so würde er hier und jetzt sterben. Bei der Wunde besteht keine Chance auf Rettung des Beines. Und als Krüppel wäre er ein hoffnungsloser Fall. Aber es ist ein General. Ich drehe mich um. Rusty poliert einen der goldfarbenen Knöpfe mit einem dreckigen Taschentuch, die anderen gehen langsam über die Wiese, bleiben stehen, bücken sich, schmeißen menschliche Überreste in die Säcke. Keiner außer mir hat den General gehört. Ganz langsam gelingt es mir, einen Schritt nach dem anderen zu tätigen.
"Das wurde auch Zeit, Nigger!"
Ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken, gleich einem Mann in das Gesicht zu sehen, der ganz oben in der Hierarchie steht. Ich bezweifle, dass er von unserer Existenz weiß, glaube aber auch, dass er in diesem Augenblick froh ist, dass es uns gibt. Sein Gesicht ist aschfahl, Bartstoppeln erkenne ich, Schweißperlen auf der Stirn, blutunterlaufene Augen, dünne Lippen und ein blutendes Ohr. "Sir?" Unbeholfen stehe ich stramm und salutiere. Allein das Zeichen auf seiner Schulter, das ihn als einen General ausweist, verursacht ungewollten Respekt meinerseits..
"Du mußt... Du..." Der General hebt mühsam den Kopf. "Einen Arzt!"
Ich gehe in die Hocke. "Sir?" Ich weiß nicht warum, aber mit meinem Zeigefinger berühre ich die Wunde des Generals. Der Mann öffnet den Mund und brüllt laut auf. Schnell nehme ich meine Hand von der Stelle weg und sehe mich um. Alle anderen haben nichts mitbekommen. Blut ist an meinem Zeigefinger. "Das war nicht mit Absicht", lüge ich. Macht. Pure Macht habe ich eben gespürt.
"Du elender..." Er presst die Lippen vor Schmerz zusammen. Aus seinen Nasenlöchern entweicht blutiger Rotz und Luft.
"Einen Arzt brauchen Sie?", frage ich.
Entgeistert starrt mich der Mann an. "Weißt du nicht, wer ich bin?"
"Nein, Sir", sage ich und deute auf die Schulterzeichen. "Ein General. Einer von vielen. Einer von vielen, die Menschen wie mich Nigger nennen." Ich verscheuche die lästigen Fliegen. Sicherlich haben einige schon ihre Eier in der Wunde hinterlassen. Würde ich jetzt aufstehen und gehen... und morgen wiederkommen... zur gleichen Stelle... hunderte Maden würden die eitrige Wunde bedecken... und der General selbst würde längst gestorben sein... mit offenen, vor unerträglichen Schmerzen hervorgequollenen Augen... "Warum haben Sie mich Nigger genannt?", will ich wissen. Ich will es einfach wissen. Ich weiß, dass ich in meinem Leben nie mehr so eine Gelegenheit bekomme.
Stöhnend liegt der General im blutigen Gras. "Was spielt das für eine Rolle? Hol endlich einen Arzt!"
"Und wenn ich das nicht will?" Ich bin über mich selbst erstaunt.
"Dann bringe ich dich vor das Kriegsgericht!"
Seine Stimme ist so, wie ich sie mir vorstelle, wenn er zwischen seinen Vertrauten steht und eine Niederlage analysiert. Zischend. Bedrohlich. Aber irgendwie auch ängstlich.
"Hast du das verstanden? Nig..." Er schluckt schwer, dreht seinen Kopf zur Seite und erbricht sich.
"War es schlimm?" Ich deute zu dem nahe gelegenen Wald. "Ich hab es nur von dort aus mitbekommen, die ganze Schmach..." Ich nicke. "Ja, Sir. War eine heftige Niederlage für uns... Ich meine... für Sie! Eine Niederlage für Sie, Sir!"
"Großer Gott, wirst du jetzt eindlich einen Arzt holen!" Wütend holpern die Worte über die Lippen des Generals.
Das Machtgefühl in mir, dass sich in Sekundenbruchteilen gebildet hat, fühlt sich gut an. Ich genieße es. Ich finde es gut. Zum jetzigen Zeitpunkt schäme ich mich nicht dafür. "Warum haben Sie Nigger zu mir gesagt?" Langsam habe ich die Frage gestellt. Ganz langsam...
Der General sieht mich sprachlos an. Nun läuft auch Blut aus seiner Nase. Und an der Wunde haben sich dutzende Fliegen niedergelassen. Weder er noch ich machen sich die Mühe, sie zu verscheuchen. Und dann sprudelt es aus ihm heraus: "Was glaubst du denn, was passieren wird, hm? Wenn wir den Krieg gewinnen? Glaubst du denn wirklich, da wird sich was ändern, hm? Das glaubst du? Ja? Du bist, was du bist! Da ändert kein Krieg was daran!" Der General ist angespannt.
"Ich bin schwarz, ja", sage ich und stehe auf. "Leute wie Sie kenne ich. Leute wie Sie haben meinen Jungen auf dem Gewissen. Leute wie Sie haben ihn einfach so gehängt." Fragend sieht der General mich an. Sind es wirklich winzige Tränen, die sich bei ihm bilden? Ich löse den Spaten von meiner Gürteltasche. "Wie Sie gesagt haben, Sir... Es wird sich wohl nichts ändern."
Der General schüttelt den Kopf. "Das kannst du nicht tun!"
Mit dem Daumen entferne ich vertrocknete Erde und Blutkrusten von der scharfen Kante des Spatens. "Wir sind nicht anders als ihr!", sage ich leise.
"Weißt du was?" Wütend sieht mich der General an. "Du wirst danach immer noch ein Nigger sein! Du wirst immer ein Nigger bleiben! Wenn du mich tötest, wird dir das deinen Jungen auch nicht wiederbringen!" Er fängt an zu lachen. Spuckt dabei Blut. Schwitzt noch mehr. Er weiß wohl, dass er nun sterben wird.
"Da haben Sie Recht, Sir." Fest umpacke ich den Stiel des Spatens. "Aber warum Sie mich einen Nigger schimpfen, haben Sie immer noch nicht gesagt." Ich hebe meine Arme nach oben, hole tief Luft und stoße zu. Wieder und wieder. Der Kopf ist abgetrennt. Zufrieden lasse ich den Spaten fallen und gehe in die Hocke. Verfolge mit meinen Blicken das Blut, wie es aus dem Hals spritzt, ins Erdreich sickert... Ich muß mir eingestehen, inzwischen völlig abgestumpft zu sein. Jemand steht hinter mir. Rusty...

"Verdammt, Carl!"
"Schon gut", flüstere ich leise. "Sieh dir seine Wunde an. Keine Chance!"
"Das meine ich nicht!"
Seufzend stehe ich auf und drehe mich um. "Ja? Rusty?"
"War das wirklich nötig?" Er deutet auf den abgetrennten Kopf. "Es war ein General."
"Er hat mich Nigger genannt."
"Das ist ganz normal!"
"Nein, sollte es aber nicht sein!" Ich fühle mich gut. Ich kicke den Kopf des Generals weg. "Ein wenig Respekt für uns würde nicht schaden."
Rusty kratzt sich am Kopf. "Wir sind hier, um Leben zu retten..." Er räuspert sich. "So irrsinnig das auch klingen mag, angesichts der vielen Leichen. Aber war das wirklich nötig?"
Ich überlege. Und begreife. "Nein, war es nicht..." Zusammen mit Rusty stehe ich vor dem Leichnam des Generals. Auf der Wiese gibt es noch viel zu tun. Ich spüre das Blut unter meinen Füßen. "Hast du von dem Regiment gehört?"
"Was für ein Regiment?", fragt Rusty.
"Es besteht nur aus Schwarzen. Angeführt wird es von weißen Offizieren, weißt du?"
Rusty geht in die Knie und beginnt, die Knöpfe von der Uniform des toten Generals abzutrennen. "Nein, kenne ich nicht."
"Die werden nur verheizt!" Ich spucke aus. "Vielleicht gehe ich dahin..."
"Warum?" Rusty hält inne und sieht mich fragend an. "Warum?"
"Weiß nicht..."
"Wenn du da hingehst, bist du nicht besser als die anderen."
"So?"
"Ja."
"Aber die Bezahlung ist gut", sage ich.
"Hör auf rumzuspinnen und bleib was du bist, Carl!"
"Hm... Ein Leichenentsorger?"
"Ja!"
"Vielleicht hast du Recht, Rusty."
"Klar habe ich Recht, Carl!" Rusty räuspert sich und spuckt aus. "Hier töten wir, weil wie frei entscheiden können. Weil wir abschätzen können. Carl, wenn du da in einer Reihe stehst, mit dem Gewehr in der Hand, dann hast du diese Wahl nicht mehr. Dann wirst du es tun müssen!"
"Dann sind wir wirklich nicht besser als die anderen", stimme ich ihm zu.
"Du wurdest so wie ich gezwungen, das hier zu tun."
Ich zögere einen Moment. "Stimmt, das hatte ich vergessen. Das nennt man wohl Freiheit, oder?"
Rusty sieht zu dem toten General. "Was ist denn schon Freiheit?"
"Ich weiß es nicht." Ich weiß es wirklich nicht...
Wir stehen da und sehen zu dem gewaltigen Feuer. Der typische Geruch macht sich breit.
"Ich habe Hunger!", murmelt Rusty.
Ich sage nichts und folge ihm.

Ein paar Tage sind vergangen. Weil ich erkannt habe, dass ich ein schlechter Mensch bin, werde ich mich für das Regiment melden. Die Bezahlung ist gut. Und ich kann das blutrote Gras nach einem Gefecht einfach nicht mehr ertragen. Ich kann das Würgegefühl einfach nicht mehr ertragen. Ich kann den Geruch einfach nicht mehr ertragen.

Wir sind, was wir sind. Und ich will kein farbloser Nigger mehr sein. Manchmal wünsche ich mir, dass eine von den Kanonenkugeln mich erwischt. Oder ein Schuss direkt ins Herz. Hauptsache tot.

ENDE


copyright wie gehabt...

 

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