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Nach der Freiheit muss man greifen

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19.05.2011
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Nach der Freiheit muss man greifen

Ich summe eine traurige Melodie vor mich hin. Warum? Weil mich die weichen Moll-Klänge beruhigen. Es ist eines der Beerdigungslieder – ich habe vergessen, welches.
Das Mädchen neben mir stiert mich böse an. Was sie hat, kann ich auch nicht sagen, aber ich bezweifle, dass sie in mir eine Konkurrentin sieht, so eingebildet wie sie ist. Trotzdem stiere ich wütend zurück und verlasse den Raum. Wir dürfen uns überall in der Akademie aufhalten, wir müssen nur rechtzeitig da sein, wenn wir dran sind.
Dennoch ist es ein Fehler gewesen, den Raum zu verlassen, denn vor der Tür steht mein persönlicher Drache – Frau Bertrom, die Lehrerin. Und ihrer so netten Ausstrahlung entsprechend faucht sie mich an: „Wenn Du versagst ….“
Ich ignoriere sie und gehe nach draußen. Dort beginne ich alle Stücke Note für Note noch einmal zu überdenken. Fünften Finger immer schön strecken…
Ich blicke nervös auf die Uhr. Jetzt bin ich doch tatsächlich noch aufgeregt. Und während ich versuche, mich zu beruhigen, spüre ich, wie etwas sehr, sehr Zorniges in mir an die Oberfläche will. Ich schlucke es hinunter und nehme mir vor, dem alten Drachen mal gehörig meine Meinung zu sagen – aber erst nach der Audition.
Warum muss sie mir auch immer alles vorschreiben und mir den Spaß an allem verderben? Es war ja meine Idee gewesen, an dem Musikwettbewerb für Jugendliche teilzunehmen, aber sie hat mich dazu gebracht, die Stücke anzumelden, die ich über alles hasse: Barock von Telemann. Bach hätte ich ja noch vertragen, aber Telemann? Noch dazu soll ich als „schmissige Nummer“, wie sie es immer so toll nennt, ein bayrisches Volkslied spielen! Schon allein der Rhythmus ist grausam!
Ich schaue wieder auf die Uhr. In fünfzehn Minuten bin ich dran.
Auch meine Eltern drängen mich den ganzen Tag lang, zumindest wenn sie zu Hause sind, Barock zu üben. Wenn sie nicht da sind, spiele ich meine Musik.
Meine Freundin unterstützt mich auch immer dabei und sie sagt mir jedes Mal, ich solle dem Ungeheuer endlich die Stirn bieten. Schade, dass sie heute nicht kommen kann, ich hätte sie echt gebraucht.
Noch zehn Minuten.
Ich drehe mich um und mache mich auf den Rückweg. Dabei fange ich an, Filmmusik zu summen. Ich beiße mir auf die Zunge und denke an das Volkslied. Schließlich überwinde ich mich doch und beginne, den Rhythmus zu klopfen.
Als ich in dem Raum ankomme, den ich vorher verlassen habe, schaut mich das Mädchen freundlicher an. „Sag mal, was hast Du denn für eine Lehrerin?“ Ich zuckte die Schultern und erwiderte: „Eine schrullige, Nerv tötende, alte Dame, die erfolgssüchtig ist und es selber zu nichts gebracht hat.“
Nächster Blick auf die Uhr: Noch zwei Minuten.
„Und Du lässt Dir das gefallen?“ Ich sage nur: „Ich bin gleich dran. Tschüs.“
Sie blickt mir mitleidig hinterher, während ich zügig den Raum wieder verlasse.
Vor der Tür: Schon wieder die liebe Frau Bertrom.
Nachdem ich ihren giftigen Blick in Empfang genommen habe, halte ich es doch nicht mehr aus und schreie sie an:
"Lassen Sie mich doch endlich in Ruhe! Was haben Sie denn für ein Problem damit, dass ich Ihre blöde Musik nicht ausstehen kann? Es ist meine Entscheidung, mein Wettbewerb und mein Leben! Bloß weil Sie nicht ehrgeizig genug waren, heißt das noch lange nicht, dass Sie Ihren ganzen Frust an mir auslassen können! Ich gehe da jetzt raus und spiele das, was ich spielen möchte."
"Du kleines, unverschämtes, undankbares Ding! Ich gebe Dir mein ganzes Wissen und zeige Dir den richtigen Weg, und so dankst Du mir? Das wirst Du büßen! Ich werde Deinen Eltern alles erzählen, dann wird man Dir schon noch zeigen, was Dankbarkeit ist!", erwiderte sie giftig.
Dann gehe ich, ohne mir ihr Geschimpfe weiter anzuhören, auf die Bühne, wo ich mit Applaus empfangen werde.
Ich verneige mich, dann halte ich inne: Von hinten winkt mir meine Freundin zu!
Ich lächle, setze mich auf den Klavierschemel, rücke ihn zurecht und hole noch einmal tief Luft. Meine Gedanken geben mir strikte Anweisungen. Linke Hand auf Kontra-C, die rechte auf C-Dur.
Als sich meine Finger dann auf die Tasten legen, spielen sie endlich MEINE Musik:
Zuerst Filmmusik, dann kommen meine klassischen und romantischen Lieblinge. Ich denke nicht mehr, sondern lächle nur noch. Nur noch ein Satz formt sich in meinem Kopf:
Ich bin frei.

 
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Hallo Lolli Bep, willkommen bei KG.de!

Die kleine Geschichte ist flüssig geschrieben und lässt sich gut lesen. Nicht schlecht für einen Erstling!
Hier sind die Sachen, die mir beim Lesen ein- und auffielen:

Was es hat, kann ich auch nicht sagen, aber ich bezweifle, dass es in mir eine Konkurrentin sieht, so eingebildet wie sie ist.
jedesmal sie statt es.
„Wenn Du versagst….“
Vor die drei Punkte gehört noch ein Abstand. Ohne Abstand nur, wenn ein Wort mittendrin aufh...
Barock von Telemann.
Mein Beileid. :)
ein bairisches Volkslied spielen!!! Schon allein der Rhythmus ist grausam!

bayrisch. Und ein ! reicht, außer in Comics. Und sicher war es so Schuhplatterrhythmus! Uffdada-Uffdada-Duffda-Duffda. Das einzig Geile an dieser Musik. :aua:
den ganzen Tag lang (zumindest wenn sie zu Hause sind) Barock zu üben.
Kommata statt der Klammern sähen besser aus. *find*
und es elber zu nichts gebracht hat.
bei selber fehlt das s
„Und Du lässt Dir das gefallen?“ Das Mädchen lässt nicht locker. Ich sage nur: „Ich bin gleich dran. Tschüs.“
Ich finde die markierte Redebegleitung überflüssig. Eine simple Zusatzfrage bedeutet doch noch nicht Nicht-locker-lassen, oder? Ich würd das streichen und dann einen Absatz machen. Absätze beim Sprecherwechsel sind eh gut, um Dialoge übersichtlich zu machen.
Es blickt mir mitleidig hinterher
Hier auch wieder: Sie.
Ich lächle, setze mich auf den Klavierschemel und als sich meine Finger über die Tasten meines allerliebsten Instrumentes, des Klavieres, senken, spielen sie MEINE Musik: Filmmusik, Klassik und alles, was ich sonst noch liebe.
Mein einziger Gedanke dabei: Ich bin frei.
Ich glaube, der Schluss würde stärker, wenn Du kürzt. Zum Beispiel braucht das Klavier nicht zweimal erwähnt zu werden. Wenn sie sich auf einen Schemel setzt und ihre Finger sich über Tasten senken, reicht das völlig aus. Im Grunde müßte man es überhaupt nicht erwähnen.
Dieses Über-die-Tasten-senken hört sich kraus an, denn in dem Moment ("als") können die Finger ja noch nichts spielen. Bevor sie die Tasten berühren, gibt es ja selten Musik.
Dann der Nachsatz: Sie kann ja nicht all das (Filmmusik, Klassik und alles, was sie sonst noch liebt) sofort auf einmal spielen und dabei nur diesen einen Gedanken haben.

Und, ganz subjektiv:
Sie spielt ihre Musik. Das könnte auch heißen, daß sie etwas Selbstkomponiertes spielt oder improvisiert. Der zweimalige Hinweis darauf, daß sie eben Filmmusik (oder andere Klassik) als ihre Musik bezeichnet, verhindert diese Assoziation: Sie spielt eben nicht, was sie spielen soll. Das ist zwar auch ok, es geht ja darum, rebellisch zu werden, aber ohne das könnte es eben sogar selbsterfundene Musik sein. Das würd ich meiner Heldin schon gönnen. :)

Hier ist eine unverbindliche Schlußvariante, für Dich zum Probelesen, damit Du verstehst, was ich meine.

Ich lächle und setze mich auf den Schemel. Und als meine Finger die Tasten berühren, spielen sie meine Musik.
Ich bin frei.

Der letzte Satz ist übrigens sehr melodramatisch. Um dieses Pedal richtig durchzudrücken, könntest Du noch einen Doppelpunkt davorsetzen. Ansonsten kann man den auch weglassen, denn solche Holzhämmer sagen, einfach so hingeschmissen, wenig bis nichts aus.

Mensch, je länger ich über diesem Schluß brüte, umso schwieriger kommt es mir vor.
Daß sie jetzt, mit der Freundin im Saal und überhaupt, nicht spielt, was sie soll, ist ja keine Überraschung. Trotzdem kommt das Ende sehr abrupt, und wenn man es zusammenkürzt, damit es stärker klingt, hast Du ja alles, worauf die Geschichte hinausläuft, auf wenige Worte am Schluß zusammengestaucht (bzw. bisher hab ja nur ich das gemacht. :aua:)
Wenn da jetzt noch mehr Gedanken drin wären, die ihr durch den Kopf gingen: Während sie sich zurechtsetzt und den Schemel so hinrückt, daß sie optimal an die Pedale kommt, während sie nochmal die Hände an Rock/Hose abwischt - in so einer Zeitspanne und Situation kann einem viel durch den Kopf gehen: Das Gesicht der Lehrerin, der Mutter, eines kernigen Bayern, die Mollmelodie von vorhin und das Gefühl, frei zu sein, das sie jedesmal auslöst, der Wunsch, wieder aufzuspringen und die Schuhe ins Publikum zu werfen, das Gefühl, der fünfte Finger sei noch nie so lang und stark gewesen - :bla:
Oder sie fängt an zu spielen, und plötzlich sieht sie aus den Augenwinkeln, wie im Publikum jemand aufsteht und - (354.567 mögliche Entwicklungen!)

Ich würde Dir, wenn Du die Geschichte überarbeitest, dazu raten, vor allem das Ende aufzupeppen. Da geht ja das Spannende erst los, auf der Bühne. Wenn es da so zackbumm aus ist, verschenkst Du das Hauptpotential. Tu da mehr Handlung dran, innere oder äußere, egal. Mehr eben. :D

Gruß,
Makita.

P.S. Ich muß noch Deine Rechtschreibung loben. Wenn das Alter im Profil stimmt, liegst Du damit weit über dem Durchschnitt, wobei dieser Durchschnitt ein Trauerspiel ist.

 

Hallo,

vielen Dank für die schnelle Kritik! :-)
Ich hab mal die Rechtschreib-/ und leichten Stilfehler ausgebessert - mit dem Schluss werde ich mich aber auch bald beschäftigen.
Es hab ich jetzt mal gelassen, es ist ja das Mädchen, oder? ;-)
Ja, ja, der gute alte Telemann (bis jetzt kenn ich ihn nur von der Geige - meine Klavierlehrerin ist zum Glück echt nett :-) )
Mit "spielen sie MEINE Musik: Filmmusik, Klassik und alles, was ich sonst noch liebe." möchte ich den Verlauf der Audition zusammenfassen. Also alles, was sie spielt/spielen wird. Und bei "MEINE Musik" sollte eigtl. auch selbstkomponierte dabei sein ...
Hehe... Danke für das Lob - aber ja, das Alter stimmt :-) Ich bin halt einfach ein wahnsinniger Bücherwurm und lese und schreibe ziemlich viel :D (Außerdem geb ich noch Deutsch-Nachhilfe: Da muss ja die RS-Regeln draufhaben ;-) )
Liebe Grüße, Lolli

 
Zuletzt bearbeitet:

Es hab ich jetzt mal gelassen, es ist ja das Mädchen, oder?
Das ist irreführend, aber das Mädchen hat ja trotz der Neutralität des Wortes ein Geschlecht. Darum heißt sie zwar das Mädchen, aber sobald das Mädchen weg ist, darf sie ihr Geschlecht zeigen.
Über die grammatikalische Unlogik kann man sich damit hinwegtrösten, daß hier die Mensch über das Regel gestellt wird. :)

 

Ok, wenn das möglich ist ;-)
Das muss ich jetzt nur noch meiner Deutschlehrerin unter die Nase reiben... :D

 

Moin Lolli Bep,

die Geschichte ist schön flüssig geschrieben und gut vorstellbar. Allerdings finde ich das Ende sehr vorhersehbar, wenn man weiß, dass sie die Freundin im Publikum gesehen hat. Makita hat ja schon vorgeschlagen, das Ende weiter auszubauen. Wie reagiert denn Publikum? Und wie die Lehrerin? Verliert sie die Beherrschung? Reißt sie sich zusammen? Faltet sie Deine Protagonistin hinterher zusammen? Du könntest Deine Protagonistin erst neben der Lehrerin auftauchen und einen Kommentar abgeben lassen. Dann bleibt länger offen, ob sie ihre Freundin vorher gesehen hat.
Aber das sind einfach nur Anregungen.

Mrs Bertrom
Wird sie wirklich Mrs(!) Bertrom genannt? Ich würde das ändern oder weglassen. Das gibt Deiner Geschichte so einen Hauch von Übersetzung, der absolut nicht gerechtfertigt ist.

Warum muss sie mir auch immer alles vorschreiben und mir den Spaß an allem verderben?
aber sie hat mich dazu gebracht, die Stücke anzumelden, die ich über alles hasse
Mache doch diese Stellen über Dialoge erlebbarer. Da steckt ein Konflikt drin, der sich schön darstellen lässt. Ich würde gerne lesen, was da zwischen den beiden passiert ist.

Mir gefällt Deine Geschichte und ich bin gespannt, was Du daraus machst.

Gruß,
Peter

 

Hallo Peter!

Danke für die Tipps! Es freut mich, dass die Geschichte halbwegs gut rübergekommen ist! :)
Das Ende sollte eigtl. auch vorhersehbar sein - es geht ja nur darum, auf welche Arten man seine eigene persönliche Freiheit erlangen kann und muss.
Aber mal schauen, vllt. schaff ich es doch noch irgendwie, da mehr Spannung reinzubringen!
Mrs Bertrom soll es heißen, weil sie eine berühmte Lehrerin ist, die nicht aus Deutschland, sondern aus GB oder USA kommt; also eine echte Fachkraft. Aber wenn das so komisch rüberkommt, werde ich das mal ausbessern!
OK, das mit den Dialogen ist auch eine gute Idee... Ich wollte die Geschichte nur möglichst kurz halten und eher den inneren Konflikt der Prot. betonen...
Also dann schau ich mal, was ich da noch rausholen kann!

LG, Lolli

 

Moin Lolli,

Mrs Bertrom soll es heißen, weil sie eine berühmte Lehrerin ist, die nicht aus Deutschland, sondern aus GB oder USA kommt; also eine echte Fachkraft
das kannst Du ja einfach in einem Halbsatz erwähnen. Dann passt es wieder.

Gruß,
Peter

 

Hallo,
hab ich auch schon gedacht, ja; aber ich glaub, ich lass sie jetzt einfach die böse Frau Bertrom sein :D
Trotzdem danke :)
Lg, Lolli

 

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