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Nach den Krankenwagen

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09.01.2014
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Nach den Krankenwagen

Es war kalt. Ich mäanderte durch die nachterfüllten Straßen, wie ich es immer tat, statt zu schlafen, denn ich fühlte mich, als müsste ich jede Kleinigkeit in mir bewahren, was gesagt und getan worden war, als würde man nicht mehr zurückfinden und alles hinter sich lassen müssen. In meinem Kopf waren wir mit einem alten Diesel über die Leinwand gefahren, vorbei an all den klassischen Autos, mit Tom Petty und Springsteen und Frank Turner im knisternden Radio. Houdini, Clarence, der Jude und ich trugen nichts weiter als Jeans und T-Shirts, rasten ziellos überallhin, tranken mit Studenten in Perugia, mit alten Arbeitern in München, Pilgern in der Toskana, wuschen unsere Füße im Rhein, im Tiber, im Chiemsee, sahen alles Sehenswürdige, barfüßige Mädchen in der tiefstehenden Sonne mit Cannabisbier in den Händen, wir aßen nichts als Milchbrötchen und was auch immer uns trieb, behielt jeder für sein eigenes Herz.
Die Reeperbahn schien das Ende der Straße zu sein. Eine Straße, die bei einem Kuss Lärm spuckt, in der riesige Männer „Ficki, Facki, Fruchteis!“ schreien, man die Pillen in den Köpfen tanzender Frauen schütteln hört, Kinder in den Straßen spielen, junge Männer ihre traurigen Lieder vor sich her brüllen und Frostschutzmittel trinken, das kann man nicht mehr erzählen.
Ich lief lieblos fasziniert umher, in Gedanken an all die Helden, von denen ich dachte, dass ich so laufen müsste wie sie.
„Das Leben ist aus Abschieden zusammengeschweißt“, rezitierte ich in meinen verwilderten Bart. Die letzte Nacht war überbelichtet. Ich erinnerte mich nur noch vage daran, irgendwie isoliert gewesen zu sein, als Houdini mir alles sagte, wie ich es noch nie gehört hatte. Die anderen hatten dem Schlaf schon nachgegeben, wir rauchten und tranken noch, was da war. Irgendwann hatte er seine Nase gekratzt, dann sein Kinn und daraufhin hatte er langsam seine Geschichte auf seinem Schoß ausgebreitet.
„Ich hab mein Studium schon vor unserer Fahrt geschmissen. Du weißt doch noch, mein Vater ist schon seit Ewigkeiten krank gewesen. Jedenfalls ist er im Herbst schließlich durchgedreht und verschwunden, und ich bin ihm nach, nachdem wir uns von euch in Rom verabschiedet hatten. Der Jude denkt immer noch, ich hätte einfach so viel beim Studieren um die Ohren gehabt, dass ich einfach keine Zeit hatte, und ich wollte ihn einfach nicht damit belasten. Aber du bist anders, du brauchst genau so was, so wie ich auch. Wir versuchen immer, alles richtig zu machen und für alle da zu sein, egal wie es in uns drin aussieht, am liebsten würde ich doch den ganzen Dreck aufnehmen und dann sterben, und das würdest du auch.“
„Du hältst mich für zu gut.“
„Nein, du würdest das tun, das weiß ich. Ob jetzt eine 2014 oder eine 2089 auf deinem Grabstein steht, spielt keine Rolle, das sind nur Zahlen. Nur das, was du hinterlässt, zählt. Ich will die Menschen in Besitz dessen bringen, was sie sind, egal, wie bescheuert das klingt, das ist mein Traum. Auch wenn ich nicht weiß, wie ich das machen soll, wenn ich es nicht mal als armer Schlucker zu was gebracht habe, und auch wenn ich all meine verdammten Ängste habe, ich habe Angst vor Verantwortung, dem Alter, dem Tod, der Ewigkeit, keinen Weg zu finden, erlöst zu werden und so weiter. Gut, allerdings habe ich auch Angst, dass mir eine Python in den Sack beißt, wenn ich auf dem Pott hocke.
Aber das wollte ich gar nicht sagen, ich hab meinen Vater gesucht. Ich bin mit dem Auto losgefahren und zu ein paar Verwandten, von denen ich dachte, dass er sie vielleicht besucht haben könnte. Er war nirgends. Also bin ich einfach weitergefahren, hab mit irgendwelchen buddhistischen Junkies etwas getrunken, irgendwo, ich weiß nicht mehr wo, und mich dran erinnert, dass er immer von Varanasi gesprochen hat. Er war davon besessen, obwohl er nie da gewesen ist. Also bin ich hingefahren. Und die ganze Zeit war ich mir eigentlich sicher, dass mein Vater tot war, und ich hab mich gefragt, ob das nicht vielleicht das Beste für alle wäre, dann hätte es wenigstens endlich ein Ende, und ich hätte mich nicht ständig mit meiner Schwester fragen müssen, wie viel Aufschub es noch geben könnte, und sie hätte nicht mehr so gelitten, und dann hasst man sich für so einen Gedanken und denkt, dass man doch das größte Arschloch der Welt ist. Auch wenn ich nur meine Schwester schützen wollte, das ist egal, so etwas sollte man nicht denken, egal, was jemand so getan hat. Die Großmutter eines Freundes hat mich angewiesen, nett zu sein, denn jeder Mensch, den man jemals treffen wird, kämpft eine harte Schlacht.
Ich bin jedenfalls nur mit den nötigsten Pausen durchgefahren, hab mir die ganze Haut in der Sonne verbrannt und wollte ihm nur sagen, dass ich ihn liebe, aber es geht hier nicht um all die Worte, Fakt ist, ich habe ihn nicht mehr finden können, und Fakt ist auch, dass ich eine Chance gehabt hätte, wäre ich ihm ohne zu zögern nachgefahren, und jetzt bin ich hier, und mein Vater ist nicht mehr da, und ich weiß jetzt, er ist eine der inspirierendsten Personen, die ich kenne, und ich frage mich, warum sagt man so was den Leuten nicht, solange sie noch am Leben sind, denn das Leben ist kontinuierlicher Verlust, also warum behält man das für sich?“
Ich war in Gedanken bei ihm und fühlte, wie etwas aufzog, was meinen großen Erwartungen nicht gerecht werden würde, spürte die Veränderung und sah bald keinen Platz mehr, sich zu verstecken.
Ich blickte hoch in den kalten Himmel und sah den Orion, wusste es jedoch nicht, die Sterne schienen vollkommen gleichförmig. Ich erinnerte mich an die beiden Jungen, die beim Fußballspielen den Garten ihres Vaters umgewühlt und die zerschossene Vase ihrer Mutter mit Pritt-Stift geklebt hatten. Sie waren so weit entfernt. Sie schienen in dieser Stunde noch weiter voneinander distanziert zu sein als jemals zuvor. Ich lief weiter, wollte meinen Körper irgendwie auf dem Weg reanimieren, ging vorbei an den Klubbesitzern, die Geräusche spuckten, vorbei an den Häusern, den harten Jungs, dem roten Licht und den Mädchen mit Bauchtaschen und eiskaltem Blick. Ich begann, leise zu summen, um meine Stimme zu finden, doch ich hörte sie nicht, meine Gedanken waren zu laut, ich setzte mich. Ich fühlte mich krank, gefangen in meiner Limbo-Szene, im verdrecktesten Winkel der Reeperbahn.
„Too hot to sleep, time is running away. Feel like my soul has turned into steel. I’ve still got the scars that the sun didn’t heal. There’s not even room enough to go anywhere. It’s not dark yet, but it’s getting there.“
Mädchen wuselten wie blutsaugende Taranteln um mich herum, während ich nur da stand, regungslos, gefangen in der Welt der dunklen Imagination, in Gedanken näher an meiner Heimat als ich es die letzten Jahre war, der Geist jeder einzelnen Person, mit der ich aufgewachsen war, in meiner Seele, den Hals mit den Händen vor Fangzähnen schützend, neben mir stehend, aber diesmal feuerte ich mich nicht an, sondern stand einfach da, teilnahmslos.
„A worried man with a worried mind. No one in front of me and nothing to hide.“
Die Mädchen hatten gemerkt, dass es nur noch eine Sache aus mir herauszusaugen gab, also ließen sie von mir ab. Mit einem Vakuum in meinen Augen schlurfte ich weiter. Gegenüber standen Krankenwagen in der Nacht, und ich fragte mich, wann sie wohl wegen mir kommen würden. Etwas wurde aus dem Haus in den Wagen getragen, es war etwas von Bedeutung, das wusste ich genau, doch summte ich einfach weiter meine Zeilen. Da vernahm ich schnelle Schritte hinter mir und drehte mich tranceartig herum.
„Hast du Lust, mit raufzukommen?“
„Wie heißt du?“
„Ich bin Ada.“
„Wie hat deine Mutter dich genannt?“
„Du kannst mich nennen, wie du willst.“
Ihre Mutter hatte sie Jenny genannt. Glaube ich.

 

Viele Worte, aber keine Geschichte, finde ich. Sieht eher nach einem aufgeschriebenen "Brain storming" aus. Du verstehst vermutlich, worum es geht, aber der Leser kann ja Deine Gedanken nicht lesen. Vielleicht kannst Du ja eine Geschichte daraus machen. Da sollten die Jungs zu den Milchbrötchen aber auch mal ein paar Trockenpflaumen einwerfen

 

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