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Nach dem Abendessen. Eine Szene.
Nach dem Abendessen.
Eine Szene.
(Dezember. Eine Wohnung am Kohlmarkt. Sechs Künstler, oder solche, die sich dafür halten, sitzen um eine Tafel. Mahagoni. Das Abendessen ist soeben zuende gegangen)
LUTZ GEORG (unbekannter Schriftsteller)
Lyrik hat mich immer irritiert.
Die Wortgewalt wirkt manieriert auf mich.
FRAU VON BARSZODY (schüttelt den Kopf)
Fangen Sie nicht wieder mit Rilke an.
Immer gehen Sie gegen Rilke vor.
LUTZ GEORG
Ich habe Rilke mit keinem Wort erwähnt.
HERR VON BARSZODY (Regisseur, etabliert)
Nachher haben wir noch Käse und einen guten burgenländischen Roten.
MARTIN HULAN (begnadeter Tenor mit Kehlkopfkrebs)
Von Rilke hat er nichts gesagt.
Was wäre die Musik ohne Lyrik?
LUTZ GEORG (zündet sich eine Zigarette an, die Schachtel mit der Aufschrift „Rauchen verursacht Krebs“ schiebt er in Richtung Hulan)
Dann wäre sie einfach nur Musik.
Was wäre die Lyrik ohne Musik?
Einfach nur Lyrik.
Und schon das ist mir zu wenig.
MARTIN HULAN
Sie haben niemals Lyrik geschrieben.
Was haben Sie überhaupt geschrieben?
Gelesen habe ich nie etwas von Ihnen, auch zu kaufen gibt es nichts von Ihnen.
HERR VON BARSZODY
Singen habe ich Sie auch schon lange nicht mehr gehört.
FRAU VON BARSZODY (wirft ihrem Mann einen zurechtweisenden Blick zu)
Wie dem auch sei.
Rilke habe ich immer gemocht.
„Der Panther“ ist ein Jahrhundertgedicht.
Dieses Gedicht besteht für die Ewigkeit.
LUTZ GEORG
Dass ich nichts veröffentlicht habe, kann mir niemand zum Vorwurf machen.
Ich schreibe, also bin ich Autor.
Erfolglos, aber Autor.
BERND HAUKE (Enkel eines Bildhauers; stark betrunken)
Ein Künstler sozusagen.
Ein sogenannter Künstler.
(höhnisches Lachen)
MARTIN HULAN
Seit gestern wird „Guillaume Tell“ in der Staatsoper gegeben.
Ich habe mir überlegt, hinzugehen.
FRAU VON BARSZODY
Die Inszenierung soll schrecklich sein schreibt „Die Presse“.
HERR VON BARSZODY
Wir werden nicht hingehen.
Ich bin ein Mann des Filmes.
Meine Filme hat man auf der ganzen Welt schätzen gelernt.
Vor drei Jahren bin ich nur knapp an einem Oscar vorbeigeschrammt.
LUTZ GEORG
Wenn „Die Presse“ das schreibt, würde ich auch nicht hingehen.
Natürlich würde ich niemals in eine Oper oder in ein Theaterstück gehen,
das von der „Presse“ in der Luft zerrissen wird.
Soviel ich weiß, hat die „Presse“ auch an Ihnen, Hulan, nie viel Freude gehabt.
(bläst Hulan Rauch ins Gesicht. Dieser wehrt mit der rechten Hand ab.)
CARINA TEFLIS (Kunstmalerin)
Wenigstens aber war sein Name mehrfach abgedruckt,
in einer großen österreichischen Tageszeitung.
MARTIN HULAN (lacht)
LUTZ GEORG
Schüttbilder kann auch jeder.
CARINA TEFLIS
Schüttbilder mache ich schon lange nicht mehr.
FRAU VON BARSZODY
Schade eigentlich, Ihre Schüttbilder haben mir am besten gefallen.
(bemerkt verlegen ihren Faux-pas)
HERR VON BARSZODY
Ihre Studien, Ihre derzeitigen Studien zum Thema
„Nationalsozialismus unter Kommunisten“ finde ich fantastisch.
Können wir uns Schüttbilder erwarten?
BERND HAUKE (schüttelt den Kopf, gießt sich Wein nach)
Sie sagte doch, dass sie keine Schüttbilder mehr malt.
LUTZ GEORG
Schüttbilder haben mich auch immer irritiert.
Jedes vierjährige Kind kann Schüttbilder malen.
Wie jedes vierjährige Kind Schüttbilder malen kann,
kann jeder Mensch lyrische Prosa schreiben.
Er bildet sich dann gleich etwas auf sich ein.
MARTIN HULAN
Natürlich, in Wahrheit sind Sie auch ein zweiter Handke.
LUTZ GEORG
Handke ist doch völlig indiskutabel, Herr Möchtegernpavarotti.
BERND HAUKE
Neidisch?
HERR VON BARSZODY (steht auf, geht in Richtung Küche)
Ich bringe jetzt den Käse.
FRAU VON BARSZODY
Lieber hätte ich einen süßen Wein zum Käse.
Zu Käse passt süßer Wein.
Eine Spätlese, eine Trockenbeerenauslese.
LUTZ GEORG
Handke bereichert sich am Unverständnis der Menschen.
CARINA TEFLIS
Abgesehen davon, dass ich das für völlig legitim halte, ist es einfach unrichtig.
BERND HAUKE
Er ist ja nur neidisch.
MARTIN HULAN
Schreiben Sie einmal wie Handke, Georg.
Haben Sie überhaupt jemals etwas geschrieben?
Wie gesagt, gelesen habe ich nichts von Ihnen.
HERR VON BARSZODY (kommt aus der Küche, eine Käseplatte ins Esszimmer tragend)
Jetzt habe ich tatsächlich noch eine Flasche Trockenbeerenauslese gefunden.
FRAU VON BARSZODY
Wunderbar
LUTZ GEORG
Rotwein passt besser.
Zu Käse habe ich gerne Rotwein.
BERND HAUKE (verächtlich)
Der Kenner.
Ein sogenannter Weinkenner.
MARTIN HULAN
Was an der Lyrik, Georg, wirkt manieriert auf Sie?
Erklären Sie uns das.
LUTZ GEORG
Wie ich schon sagte:
Mit ostentativ vorgetragener Wortgewalt, versucht man zu beeindrucken.
Dann kann es der größte Unfug sein.
Hauptsache, es klingt nach Literatur.
CARINA TEFLIS
Über Kunst kann man nicht streiten.
HERR VON BARSZODY
Vor drei Jahren, bin ich wie schon erwähnt, knapp an einem Oscar vorbeigeschrammt.
BERND HAUKE
Doch, über alles kann man streiten.
Könnte man nicht streiten, würde ja jeder immer alles hinnehmen.
Nähmen die Menschen alles hin, wären die Menschen nicht so, wie sie sind.
LUTZ GEORG
Und wie sind die Menschen?
BERND HAUKE
Größenwahnsinnig, selbstsüchtig und arrogant, wie Sie.
Wie Sie alle.
(Vorhang)
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