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Na toll: Stromausfall

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29.08.2002
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Na toll: Stromausfall

„Hihi, wirklich? Oder sagst du das jetzt nur so? Weißt du, ich...“
Piep. Klicks.
Fassungslos blickt Susanne auf ihr Handy, dass sich gerade mit einem selbstbewussten “Akku leer“ der Dramatik des Gespräches entzieht.
„Och Menno, immer wenn ich mit Martin telefoniere!“ Genervt sprintet Susanne die Treppen hinauf und schließt routiniert ihr Handy an das Ladegerät an. Nichts passiert. Sie bricht weinend am Boden ihres Zimmers zusammen.

Währenddessen kommt ihr Vater nach Hause, der sich mit einer lässigen Handbewegung ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt und sich dann vor dem Fernseher auf die Couch legt, um genüßlich seinen Feierabend zu zelebrieren.
„Verdammt, der Fernseher funktioniert nicht! Daran geht die Welt zugrunde!“
Nervös und mit zitternden Händen drückt er alle Knöpfe einmal durch und zieht an den Steckern des Fernsehers motiviert herum, aber nichts bringt das erhoffte Ergebnis. Angespannt setzt er sich wieder auf die Couch. „Na ja, wenigstens hab ich noch mein Bier.“ Er setzt zu einem kraftvollen Zug an. Aber anstatt seiner Leber Arbeit zu beschaffen, prustet er alles ans andere Ende des Zimmers. „Das ist ja warm!“

Es ist mal wieder Jürgen, Susannes Bruder, der das Problem identifiziert.
„Wir haben keinen Strom! Mach was verdammt, heute ist Wrestling.“
„Sei nicht so frech du kleiner Bengel, ich ruf Herbert an, der ist doch Elektriker, der wird das schon wieder richten können.“ Nach einigen trostlosen Versuchen, seinen Nachbarn anzurufen, gibt der besorgte Familienvater auf.
„Oh mein Gott, das Telefon geht auch nicht, was sollen wir nur tun?“
„Wieso gehst du nicht einfach zu ihm rüber?“
„Hmm, stimmt, das könnte ich machen, bin gleich wieder da...“
Zum allgemeinen Unglück scheitert er an der Codeeingabe der Haustür. Es folgt eine kurze, dafür aber umso härtere Beschimpfung aller Familienmitglieder, insbesondere seiner Frau, die damals gegen die teuere Anlage mit Notfalls-Batteriebetrieb war. Resignierend nimmt er sich noch ein warmes Bier aus dem Kühlschrank und versucht auf die Couch zurückzugelangen, was ihm nach zwei Bekanntschaften mit der Wand und einem kurzem Intermezzo mit dem unglücklich platzierten Trainingsgerät auch gelang. Nach und nach versammelt sich die gesamte Familie im Wohnzimmer, was wohl schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Nach der anfänglichen Wut und Verdutzung begreift mittlerweile auch der letzte Angehörige, dass man stromlos in seinem eigenen Zimmer ziemlich verloren ist. Sohnemann Jürgen durchfährt noch ein letztes Aufbäumen gegen das gnadenlos fortschreitende Dilemma: „Ich seh mal im Internet nach, wie man am besten bei einem Stromausfall vorzugehen hat.“ – Doch das bringt ihm nur Ignoranz des Computers und eine Kopfnuss des Vaters ein, der nun versucht seiner Rolle als Familienoberhaupt gerecht zu werden:
“Jetzt reißt euch mal wieder zusammen! Wir können uns auch ohne Strom beschäftigen!“
„Ach ja? Und wie soll das gehen? Bald ist es hier komplett dunkel und dann kann ich nicht einmal mehr deinen Bierbauch erkennen! Ich hätte damals auf meine Freundin Karla hören sollen. Aber nein, ich musste ja so einen Versager wie dich heiraten, du bist der absolut unfähigste...“
„Das ist doch kein Grund um sich zu streiten, ihr benehmt euch wie Kinder. Wir stellen ein paar Kerzen auf und spielen einfach was. Wie wärs mit Monopoly?“ versucht Jürgen die Gemüter zu beruhigen.
„Ach, mein kleiner dummer Sohn, was hab ich als Vater nur falsch gemacht.“
„Ich finde die Idee gar nicht so schlecht, vielleicht lenkt sie mich etwas von Martin ab, ja, von Martin, der sich in diesem Moment sicherlich gerade mit einer anderen vergnügt, weil ich ihn nicht, nicht ... schluchz“
Während Susanne wieder herumheult und die Mutter verzweifelt am Lichtschalter herumdrückt, holt Jürgen das genannte Brettspiel und ein paar große Kerzen. Als sich alle wieder etwas beruhigt haben und Bernd, als Zeichen der Stärke, eine Flasche lauwarmes Bier getrunken hat, beginnen sie zu spielen.
„Haha, du bist auf meiner Martin-Ferihuemer-Straße gelandet, das macht 30 Euro Miete!“
„Ohhh, Martin, ja, mein Martin. Oh mein Gott, was wird er wohl machen. Bettina macht ihm schon seit Wochen schöne Augen und da ist er...“
„Kannst du endlich mal mit Martin aufhören – dieser potenziellen Sozialschmarotzer – der ist sowieso nicht gut für dich!“ Bernd, dessen Laune das warme Bier immer mehr zusetzt, ist außer sich vor Wut und treibt seine Tochter zu Kurzschlusshandlungen:
„Ihr könnte mich alle mal am Arsch lecken – Ich ziehe aus!“
„So redet man nicht mit seinem Vater. Du entschuldigst dich jetzt sofort! Hausarrest hast du außerdem.“
„Einen Scheiß!“ Aufgebracht läuft sie in ihr Zimmer und versucht, sich in den Schlaf zu heulen, was ihr aber nicht zu gelingen vermag, da sie es doch gewohnt ist, beim Einschlafen Musik zu hören, Radio Dauerwelle. Sie schreitet ins Bad - mit leisem Plätschern füllt sich die Badewanne. Sie steigt zielstrebig in die Wanne, genießt noch etwas das Nass, welches ihrer Haut schmeichelt. Dann stößt sie den Fön in die Wanne. „Verflucht! Der funktioniert ja auch nicht ... Ich kann nicht mehr!“

Die Lage spitzt sich zu, gegenseitige Schuldzuweisungen, Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten und allgemeines Chaos. Jürgen umarmt weinend seinen Computer und den Fernseher gleichzeitig. Bernd hat erst jetzt begriffen, dass im ganzen Haus kein kaltes Bier zu finden ist und beginnt damit, seinen Biervorrat ins Auto zu schleppen, welches aufgrund der Klimaanlage seiner Sucht wieder einen angemessenen Geschmack geben soll.

Als sie gerade damit beginnen, ihren Schuldzuweisungen mit Hieb- und Stichwaffen den gebührenden Nachdruck zu verleihen, meldet sich der Fernseher mit einem zaghaften Rauschen, das Licht geht an und erfüllt das eben noch so verhasste Haus mit all seinen Insassen in ein gefälliges Hell – paralysiert taxieren sie mit kleinen Kulleraugen ihre Umgebung, als würden sie diese zum ersten Mal sehen.

„Gleich läuft die Millionenshow“ – damit durchbricht der Vater die allgemeine Erstarrung. Schneller und eifriger als Frettchen es jemals sein könnten, nehmen alle Familienmitglieder wieder ihre gewohnten Positionen ein – wie eine gut geölte Maschine, die lediglich kurze Zeit ausgeschaltet war.

„Schatz, schalt doch mal auf den Teleshopping Sender, Karla hat doch bald Geburtstag...“

 

hi malaria,

also ich muss sagen, deine geschichte hat mir wirklich ausgezeichnet gefallen. du beschreibst detailliert den aufkommenden ausnahmezustand einer familie, die auf solch alltägliche sachen wie fernseher oder computer mit einem mal verzichten muss. besonders gut hat mir dabei gefallen, wie du mit gut gewählten verben den leser zum schmunzeln bringst und somit das ganze von der satirischen seite siehst. beginnt die geschichte angangs noch etwas schleppend, will man gegen ende auf grund von gutem (und vor allem der rubrik entsprechendem) stil und passender wortwahl gar nicht mehr aufhören.
ein kleiner minuspunkt sind meines erachtens die dialoge, die im vergleich zum erzählten geschehen etwas unspektakulär sind. aber das fällt kaum ins gewicht ...

mfg,
nick155

 

Hi Malaria,

ich kann mich den lobenden Worten von Nick nur anschließen. Besonders gut finde ich, dass die Geschichte durchaus realistisch und glaubhaft beginnt, und sich dann immer weiter in übertriebene Darstellungen steigert. So, wie es bei Satiren sein soll.
Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen , und ich hatten großen Spas beim lesen.

Gruß
Jörg

 

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