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Närrisches Treiben

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21.12.2015
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Närrisches Treiben

„Und ihr wollt allein auf diesen Kostümball gehen, ohne Begleitung? Mit sechzehn? Kommt überhaupt nicht in Frage, Astrid.“
Wenn Asters Mutter streng wird, benutzt sie den Namen Astrid. Den hat sie aus ihrer ostpreußischen Heimat mitgebracht. Hier, im Südwesten Deutschlands, klingt er alles andere als lieblich. „Aaschtrittle“ ist die hier übliche Version. Aster erinnert sich mit Schaudern, wie die Kinder an ihrem ersten Schultag auf dem Gymnasium kicherten und sich Zettelchen zuschoben.
Den Namen Aster hat Michael erfunden, Lauras ältester Bruder. Er studiert Germanistik und arbeitet bereits an seiner Doktorarbeit.
„Aster, Sternblume, na, das passt doch hervorragend. Du bist ja wohl ein Sternchen am Teenagerhimmel.“
Alle finden den Namen prima, nur Asters Eltern können sich nicht so recht damit anfreunden.
Aster reicht ihrer Mutter ein weiteres Leintuch zum Strecken. Bei dieser Arbeit lässt sich gut miteinander reden.
„Aber Mama, es ist im Kurhaus, am späten Nachmittag. Da sind ja sogar Kinder dabei, jedenfalls hat Laura das erzählt. Und sie muss es wissen.“
„Was Laura sagt, muss ja nicht unbedingt stimmen. Deine Freundin neigt schon mal zum Flunkern. Wenn ich daran denke, wie sie dich ...“
„Aber Mama, lass doch die alten Geschichten. Sie hat sich ja entschuldigt. Und überhaupt haben ihre Eltern gar nichts dagegen. Im Gegenteil. Sie haben mich sogar extra dazu eingeladen. Und ich brauche gar kein Geld. Laura sagt, sie muss noch ordentlich trainieren, wenn sie am Abschlussball den ersten Preis gewinnen will.“
Es ist nicht gerade geschickt von ihr, Lauras Tanzstunden zu erwähnen. Aster bereut es sofort. Ihre Eltern können sich nun mal keinen Tanzkurs für sie leisten. Der Vater schuftet auf dem Bau und die Mutter nimmt Bügelwäsche an, um den schmalen Geldbeutel aufzupolstern. Zum Glück ist das Schulgeld abgeschafft worden, sonst hätte Aster niemals aufs Gymnasium gedurft. Da hätte auch die flammendste Fürsprache ihres früheren Klassenlehrers nichts genutzt.
Aster nimmt ein weiteres Leintuch aus dem Wäschekorb. Sie hat nicht so oft Gelegenheit, im Haushalt zu helfen. Die Mutter meint, das Lernen gehe vor.
„Spätestens um zehn kommt Michael und bringt uns nach Hause. Laura musste hoch und heilig versprechen, dass sie keinen Aufstand macht. Bitte, Mama!“
Ihre Mutter antwortet nicht gleich. Sicher grübelt sie wieder darüber nach, ob es richtig war, die Tochter aufs Gymnasium zu schicken. Ein Handwerkerkind, dazu noch ein Mädchen. Und die Ansprüche werden immer größer. Bücher, Schulausflüge, Tanzstunden, jedes Jahr mehr. Andererseits ...
„Michael holt euch ab? Ist der über einundzwanzig?"
"Aber Mama, das weißt du doch!"
"Na ja, meinetwegen. Wenn das so ist …, aber frag erst nochmal deinen Vater. Er soll entscheiden.“
Aster atmet auf. Ihren Vater herumzukriegen, ist die leichteste Übung. In der Regel übernimmt er Mamas Argumentation und gibt sie als seine eigene aus. Aster trifft ihn im Keller, wo er am Werkeln ist. An ihrem Fachwerkhäuschen in der Altstadt gibt es ständig etwas zu reparieren. Sie muss brüllen, um sich gegen den Lärm der Kreissäge zu behaupten.
„Soso, ins Kurhaus“, sagt er und stellt die Säge ab. Er bückt sich nach einem Handbesen und beginnt, ohne aufzuschauen, die Abfälle zusammenzukehren. „Die Leute können dich wohl gut leiden, wenn sie dich einladen.“
„Laura ist meine Freundin und wir lernen zusammen. Es hilft uns beiden.“ Pause. Aster betrachtet seine schütteren Haare und den gebeugten Rücken. Ein Leben, das nur aus Arbeit besteht. Und aus Entbehrungen, ihretwegen. Der Vater schüttet den Kehricht in einen Eimer, richtet sich auf, legt die linke Hand auf seine kaputte Hüfte und blickt Aster forschend an.
„Du gehst gern zu denen?“
Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage. Aster nickt.
„Ja, dann kann ich wohl nichts dagegen haben. Und komm pünktlich zurück. Du weißt, Mutter kann nicht schlafen, bevor du in deinem Bett liegst. Aber pass auf dich auf.“
Aster weiß, was er damit meint. Sie freut sich auf die Abende bei Laura zuhause. Auf dem Esstisch stehen Blumen, und jeder hat seine eigene Stoffserviette, auch Aster. Nach den Matheaufgaben und den Vorbereitungen für den Bio-Test wird sie mit Laura die Tanzschritte üben. Vielleicht kommt sogar Michael dazu.
„Danke, Paps.“ Sie springt die Kellertreppe hinauf, nimmt nur jede zweite Stufe. Auf jeden Fall muss sie noch die Haare waschen.

Der Kostümball am Rosenmontag hat im Kurstädtchen Tradition. Die Eintrittskarten sind nicht gerade billig. 'Carneval in Venedig' ist dieses Jahr als Motto ausgegeben.
Laura schiebt Bücher, Hefte und Schreibmäppchen zusammen und fegt sie mit dem rechten Unterarm in ihre geräumige Umhängetasche.
„Mir reicht's. Hoffen wir, dass ich nicht an die Tafel muss. Ich kapier's einfach nicht. Ich wollte, ich wär schon auf einer Highschool, Sport gilt dort wenigstens was.“
„Wieso, heute lief es doch gar nicht schlecht. Du musst dich eben konzentrieren. Und denk dran, wenn das mit dem Austausch nächstes Jahr klappen soll, dann brauchst du anständige Noten.“
„Ja, ja, das weiß ich doch, aber ich hab ja dich, da wird es schon klappen.“
Laura macht ein paar Dehnungsübungen und lässt die schmalen Hüften kreisen. Aster weiß, dass langes Stillsitzen nicht Lauras Sache ist. Am liebsten klemmt sie ihre Füße auf dem Stuhl unter den Po und stützt sich mit den Ellenbogen auf die Tischplatte, um zu lesen oder zu schreiben. Oder sie setzt sich auf einen großen Medizinball vor ihren Schreibtisch und bleibt dabei ständig in Bewegung.

„Los, wir üben. Also, viele Jungs wird es da nicht geben. Ich bringe Benny und Dieter mit. Beide tanzen spitze, ich halte sie für die besten im Kurs. Und Micha kommt später auch mit seiner Freundin vorbei.“
Das versetzt Aster einen Stich.
„Michael hat eine Freundin? Kennst du sie?“
„Ha, sie ist eine blöde Gans, meinen Bruder himmelt sie weiß Gott wie an, aber mich behandelt sie, als wäre ich noch ein Baby. Keine Ahnung, was Micha an der findet.“
„Wie heißt sie denn?“
„Hab ich vergessen.“
„Ist sie hübsch? Kennt er sie vom Studium her?“
„Ja, wahrscheinlich, aber frag ihn lieber selber. Ich hab keine Lust, darüber zu reden.“ Kurze Pause. „Meiner Mutter bringt sie immer Blumen mit.“
Da muss etwas vorgefallen sein, wenn Laura so kratzbürstig reagiert. Michael, der Star der Familie, ist ihr Ein und Alles. Aster mag ihn auch, sehr sogar, obwohl er fast zehn Jahre älter ist. Oder gerade deswegen.
Ihm zuliebe hat sie begonnen, Schiller und Goethe zu lesen, sogar Gedichte, nachdem sie von seiner Doktorarbeit über Brentano gehört hat. Laura hat sich an die Stirn getippt, als Aster ihr davon erzählen wollte.
„Mann, Aster, es reicht mir, wenn Mama ihren literarischen Salon pflegt. Diese Familie ist so was von gestern.“
Das findet Aster überhaupt nicht. Sie fühlt sich geschmeichelt, wenn sie zu den Abenden eingeladen wird. Lauras Eltern fördern die Freundschaft mit der Klassenbesten, seit ihre Tochter eine Ehrenrunde drehen musste. Lauras Vater ist der Kurdirektor. Da versteht sich von selbst, dass viele interessante Menschen bei ihnen ein- und ausgehen.

An solchen Abenden spielt Michael den Empfangschef. "Spät kommst du, doch du kommst", deklamiert er, wenn Aster von der schnellen Radfahrt abgehetzt klingelt. Oder auch: "Je später der Abend, desto schöner die Gäste. Das ist Aster, nicht zu trennen von meiner wilden Schwester Laura“, und schiebt sie unerbittlich vor das amüsierte Publikum. Beobachten und zuhören, glaubt sie, ist ihre Rolle. Aber ab und zu wagt sie es doch, die eine oder andere Bemerkung beizusteuern. Wenn Michael ihr dann zuzwinkert, ist der Abend für sie ein Erfolg.
Nach zwei oder drei Stunden mit Lesungen, Scharaden oder auch Kartenspiel, je nachdem, wer gekommen ist, bringt er Aster zur Tür. Das lässt er sich nicht nehmen.
Einmal nimmt Lauras Mutter Aster in den Arm und sagt:
„Ich bin froh, dass ihr Mädchen euch so gut versteht. Du weißt, dass du uns immer willkommen bist.“
„Ja, das kann ich bestätigen, Asterchen. Lass dich ja nicht einschüchtern von dem Volk da drinnen. Aber, aber, was ist denn?
Rosenblütchen, das gute Kind,
Ist geworden auf einmal blind,
Denkt, die Mutter sei Hyazinth ...
"
Aster flieht hochrot und mit klopfendem Herzen die Treppe hinunter durch den Vorgarten, ihre blinden Augen sehen in den Beeten links und rechts nur noch Rosen und Hyazinthen, Rosen und Hyazinthen ...
Bei jedem 'Gute Nacht' hofft sie, Michael werde sie ein Stück begleiten. Aber das passiert nie. Na ja, es gibt dafür auch keinen Grund. Bis in die Altstadt über dem Fluss hat sie auf dem Fahrrad genug Zeit zum Abkühlen.

„Wir brauchen ein Kostüm, eins, mit dem wir auffallen“, sagt Laura und stöbert in den Schränken ihrer Patentante Erna. Sie hat auch eine Platte mit Tanzmusik dabei.
„Tantchen, du kennst dich doch mit Bühnenstücken aus. Hast du nicht mal das Gretchen gespielt?“
„Das Gretchen, das Käthchen, die Luise Millerin, Nora ... Hab ich eine vergessen? Wir können ja mal meine Fotoalben durchforsten. Stellt euch ans Fenster, wo es hell ist.“ Mit ihren kurzsichtigen Augen prüft sie die beiden Mädchen von allen Seiten.
„Laura, du mit deinen langen Beinen solltest ein Kostüm für eine Hosenrolle haben. Ja, bestimmt finde ich noch eine Pluderhose und ein Mieder. Schau mal im Album von 1928, da muss es ein Bild von mir geben. Und du, Schätzchen, wirst ein Mädchen aus dem Biedermeier. Spitzen am Ausschnitt und die Locken hochgesteckt. Ha, am liebsten würde ich mit euch auf den Ball gehen. Wenn nur die Arthrose nicht wäre.“
„Untersteh dich, Tantchen, wir brauchen keine Anstandsdame. Es reicht, dass Micha den Aufpasser spielt.“
„Ist ja nur Spaß, Kindchen, ich versteh dich doch, war ja schließlich auch mal jung. Also dann, lasst mich nur machen. Wo hab ich denn meine Brille?“
„Wir üben noch ein bisschen hier. Du hast so schön viel Platz zum Tanzen. Aster, du brauchst noch Feinschliff beim Cha-Cha-Cha. Komm her, ich führe.“

Michael hat den Borgward seines Vater ausgeliehen und hält vor der Auffahrt zum Kurhaus. Schon hier kann man die an- und abschwellende Tanzmusik hören, auch Gelächter und die sonore Stimme des Maitre de plaisir. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt. Soeben sind die Straßenlaternen angegangen und konkurrieren mit der bleichen Mondsichel. Zwei Gestalten in schwarzen Umhängen und silbernen Halbmasken huschen vorbei. Es reicht aber für einen interessierten Blick auf die Freundinnen.
„Bis später dann, ihr seht klasse aus. Aster, dreh dich mal. Fast wie Werthers Lotte. Oder ist das Biedermeier? Du solltest immer solche Locken tragen. Sogar du gefällst mir heute, Schwesterherz, wirklich, die langen Beine und das kurze Pluderhöschen! Nur in das Mieder musst du noch hineinwachsen. Da hat Erna aber wieder mal in Erinnerungen geschwelgt. Macht bloß keine Dummheiten. Bonne chance.“
Er hat es eilig. Wahrscheinlich wartet seine Freundin auf ihn.
Der Eingang zum Kurhaus ist hell erleuchtet. Bunte Lampions und reiche Kaskaden von Papiergirlanden schmücken den Rahmen des Portals zum Foyer. Eine breite, geschwungene Treppe führt zum Kursaal hinauf. Es herrscht einiges Gedränge. Aster bleibt stehen und schaut sich um. Hier ist sie noch nie gewesen. Sie ist froh, die ersten Schritte auf dem ungewohnten Parkett im Schlepptau ihrer Freundin gehen zu können. Laura packt sie am Ellenbogen und dirigiert sie zur Garderobe.
„Hoffentlich ist wenigstens Benny schon da. Ich hab ihm gesagt, er soll einen Tisch für uns reservieren. Du siehst ja, es ist ganz schön viel los.“
Am Saaleingang werden sie durchgewinkt. Eintrittskarten brauchen sie nicht. Man kennt die Tochter des Direktors.
Benny entpuppt sich als langmähniger Schlacks im Winnetoukostüm. Aster wundert sich. Nicht gerade passend zu Lauras historischem Outfit und schon gar nicht zum Motto des Balls. Aber das scheint ihre Freundin nicht zu stören, jedenfalls sagt sie nichts dazu. Hauptsache, sie haben ihr Tischchen ganz nahe an der Tanzfläche.
„Was ist mit Dieter? Wieder mal zu spät, was? Ach so, das ist Aster, wir gehen in die gleiche Klasse. Aster, hier siehst du den künftigen deutschen Meister in den Standardtänzen. Der Tisch ist okay. Hast du schon was zum Trinken bestellt? Sprudel? Schorle? Gut. Ganz schön heiß hier. Wo bleibt denn Dieter?“
„Ich sag's dir, wenn du mich zu Wort kommen lässt. Dieter hat abgesagt, sie haben unerwarteten Besuch bekommen, aus Köln. Und die möchten die hiesige Fasnet kennenlernen, durch Kneipen ziehen. Da kann er nicht kneifen, sagt er.“
„Verdammt, was machen wir jetzt mit dir, Aster?“
Benny lächelt Aster zu.
„Ich glaube, du findest genügend Tänzer, so wie du aussiehst. Außerdem kann ich ja abwechseln. Vielleicht zur Erholung, wenn Laura mir genügend auf die Füße getreten ist.“
Laura lacht, knufft ihren Tanzpartner in die Seite und schiebt ihn Richtung Tanzfläche. Sie scheint nicht beleidigt. Na klar, sie sind Sportskameraden eben, Kumpel, mehr ist da nicht. Und sie wollen keine Zeit verlieren.
Aster setzt sich. Sie legt ihren bestickten Stoffbeutel auf den freien Stuhl neben sich, dann auf den Tisch, schließlich wieder auf den Stuhl. Genau das hat sie befürchtet. Laura und Benny widmen sich ihrem Training, sie als Mauerblümchen klebt auf dem Stuhl, angewiesen auf völlig fremde Tänzer. Wenigstens bringt der Kellner sofort das Mineralwasser, so dass ihre Hände sich am Glas festklammern können. Aster sucht in ihrem Stoffbeutel. Ein Glück, dass Patin Erna in weiser Voraussicht beiden Mädchen eine Halbmaske mitgegeben hat. Darunter lässt sich Asters Unbehagen halbwegs verbergen.
Nach der ersten Tanzrunde kommt Benny kurz an den Tisch zurück. Er stürzt im Stehen ein Glas Wasser hinunter. Laura steht bei einer Gruppe Harlekine und winkt von weitem.
„Wir haben noch Leute vom Kurs getroffen und wollen für morgen einen Auftritt organisieren. Die übernächste Runde gehört dir, Aster, Laura will sowieso noch mit Bekannten ihrer Eltern reden.“
Das Kurorchester beginnt wieder zu spielen. Donauwalzer. Sofort springen einige ältere Herren auf. Wiener Walzer ist kein Lieblingstanz von Aster. Bei den schnellen Umdrehungen wird ihr leicht schwindlig. Besonders, wenn es erst rechts, dann links herum geht. Sie will erst mal zuschauen und erkennt beruhigt, nicht alle sind beim Walzer begnadete Tänzer.
Sie beobachtet, wie ein weißhaariger Mann mit einem breitrandigen Hut sich durch das Gewühle kämpft. Vor ihrem Tisch bleibt er stehen.
„Mein schönes Fräulein“, sagt er und verbeugte sich kurz, „darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“
Aster würde lachen, wenn sie weniger schockiert wäre. O Gott, ein so alter Mann, wohl ein Goethefan, sie sieht ihre Reclamheftchen auf dem Nachttisch. Ablehnen kommt nicht in Frage. Das wäre ziemlich unhöflich. Und schließlich ist sie ja zum Tanzen gekommen. So steht sie stumm auf und lässt sich auf die Tanzfläche führen.
Der Mann mit dem berühmten Goethehut ist kein ungeübter Tänzer. In korrekter Haltung führt er Aster übers Parkett. Allmählich gewinnt sie Sicherheit und kann sich etwas entspannen.
„Sie tanzen wunderbar, wie eine Feder. Darf ich fragen, wo Ihre Begleiter sind? Eine so junge, hübsche Frau sollte nicht allein am Tisch sitzen.“
„Ich bin mit meinen Geschwistern hier, mit meiner Schwester und meinem großen Bruder.“ Aster weiß nicht, warum sie lügt.
„Nun ja, heutzutage sind die Sitten etwas anders. Erzählen Sie doch ein wenig von sich. Ich habe leider kaum Kontakt mit jungen Leuten.“
Damit kann Aster dienen. Also spricht sie über ihren Schulalltag, über ihre sportbesessene 'Schwester', auch über ihre Begeisterung für klassische Literatur. Nach dem Walzer kommen langsamere Rhythmen, Slowfox und Blues. Herr Goethe lächelt milde und hält die Konversation durch kurze Einwürfe in Gang. Aster hätte niemals gedacht, dass sie sich als eine solche Plaudertasche entpuppen würde. Nach exakt drei Tänzen führt er sie zurück und rückt ihr den Stuhl zurecht. Das Orchester spielt noch einen Tango.
„Es war mir ein Vergnügen, liebes Fräulein, ich danke Ihnen.“ Aster sieht ihm erleichtert nach. Das ist ja gar nicht so schlecht gelaufen. Sie steckt die Halbmaske zurück in ihren Stoffbeutel, der zum Glück noch unversehrt zwischen mehreren halb gefüllten Flaschen und Gläsern liegt. Wahrscheinlich haben Laura und Benny nach ihr gesucht. Nun, Winnetou hat ihr ja auch einen Tanz versprochen.
Benny erscheint nicht. Weder bei der nächsten, noch bei der übernächsten Runde. Dafür taucht Herr Goethe wieder auf. Sie wagt nicht, ihn zurückzuweisen. Aufs neue Plauderei, diesmal erzählt Johann, wie er sich lächelnd vorstellt, von seinen Reisen. Er ist viel herumgekommen. Italien ist sein Lieblingsland, und dort vor allem die Toscana. Asters Reiseerfahrungen beschränken sich auf einen Schulausflug ins Elsass. Also schweigt sie meistens. Sie gibt vor, einen Austausch in die USA zu planen. Allmählich langweilt sie sich, mehr noch, sie fühlt sich unbehaglich. Johanns Hand ist inzwischen von ihrem Schulterblatt am Rückgrat entlang nach unten gewandert. Dadurch muss sie näher an Johanns Brust heranrücken. Kein angenehmes Gefühl. Aber so tanzen die meisten um sie herum, manche noch viel enger. Sie sucht nach einer Ausrede, um den Tanz zu beenden. Aber es fällt ihr keine ein. Übung in Ausreden hat sie keine. Wo nur Laura und Benny sich herumtreiben? So war es nicht verabredet gewesen. Michael würde sie bestimmt retten, aber mit Michael kann sie so schnell nicht rechnen.

Aster entkommt ihrem Verehrer nicht. Bei jeder neuen Runde steht er sofort an ihrem Tisch. Kein anderer hätte eine Chance, falls es einer wagen würde. Schließlich fragt er höflich, ob er Platz nehmen dürfe. Aster resigniert. Herr Goethe bestellt zwei Gläser Sekt. Aster nippt nur ein klein wenig daran.
Wieder zwingt er ihre Hand auf seinen Arm und führt sie wie ein Brautvater zum Altar.
„Sie haben mir noch gar nicht Ihren Namen genannt. Aster? Ein ungewöhnlicher Name. Wenn Sie erlauben, möchte ich Sie lieber Ulrike nennen. Ulrike, ja, das passt.“
Er wirbelt sie mehrmals herum, so dass er fest zupacken muss, damit sie nicht stürzt.
„Ach, Ulrike, Sie lieben doch Gedichte, haben Sie gesagt. Da möchte ich Ihnen eines schenken. Vielleicht verstehen Sie mich dann besser.“
Und er fängt an zu zitieren:
Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,
von dieses Tages noch geschlossener Blüte?
Das Paradies, die Hölle steht dir offen
;“
Das Orchester spielt bekannte Operettenmelodien. Der Geräuschpegel steigt gewaltig an, nicht wenige im Saal singen oder summen mit, auch ältere Herrschaften gehen auf Tuchfühlung.
Johann zieht Aster näher an sich heran.
„Verstehst du nun, mein Mädchen, geliebte Ulrike?“ Johanns Gesicht kommt Aster gefährlich nahe. Sie kann seine Alkoholfahne riechen. Sein Arm liegt wie ein Eisenring um ihre Taille.
Und da versteht Aster endlich.
„Aber soweit ich weiß“, sagt sie und legt all ihre Abwehr in die Stimme, „hat diese Ulrike Goethe nie erhört. Es ging ihm ziemlich schlecht danach.“

Johann bleibt abrupt stehen. Sein Gesicht, gerade noch vor Erregung und freudigem Erwarten gerötet, wird kreidebleich.
Er verschränkt sein Arme hinter dem Rücken, deutet ein Verbeugung an, murmelt etwas wie „Verzeihung“ und wankt mit zuckenden Schultern davon, ein alter, geschlagener Mann. Ein kleiner Kreis von Neugierigen hat sich um sie herum gebildet. Manche kichern. „So ein blöder Lustmolch“, hört sie eine jugendliche Stimme sagen, „lässt sie einfach stehen!“

Wenige Minuten später findet sie sich im Säulengang vor dem Portal wieder, Stoffbeutel und Mantel hat sie bei sich. Sie atmet tief durch und die kalte Luft bringt ihre Besonnenheit zurück. Was soll sie jetzt tun? Am liebsten möchte sie sofort nach Hause. Muss sie nach Laura suchen, um ihr Bescheid zu geben? Die hat sich ja den ganzen Abend nicht blicken lassen. Aster ist im Moment nicht besonders gut auf ihre Freundin zu sprechen. Auf Michael warten, im Foyer? Auch nicht gerade angenehm. Wer weiß, ob auf ihn Verlass ist, und wenn er dann noch seine Freundin mitbringt …
Aster kramt seufzend nach dem Geldbeutel. Vater hat ihr heimlich noch einen Schein zugesteckt, den wird sie jetzt wohl für ein Taxi ausgeben müssen. Noch einen letzten Blick auf den Eingang und sie bewegt sich Richtung Taxistand. Da sieht sie Michael die Auffahrt heraufkommen. Er ist allein, und er ist auch nicht kostümiert.
„Was ist passiert? Wo sind die anderen?“
„Es geht mir nicht so gut. Laura hat, glaube ich, noch ein paar Leute getroffen. Ich kann mit dem Taxi heimfahren.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage. Du steigst jetzt in mein Auto. Um Laura kümmere ich mich später. Die kann was erleben.“
Aster setzt sich erleichtert auf den Beifahrerplatz. Es ist das erste Mal, so nahe und allein neben Michael. Die Heimfahrt ist kurz, beide schweigen. Vor Asters Häuschen stellt Michael den Motor aus.
„Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?“
Aster zögert. „Ich hab mich blöd benommen.“
„Du? Aster, das glaub ich nicht. Du benimmst dich nie blöd. Das ist eher Lauras Spezialität.“
„Ich hab nicht gewusst, dass Worte so verletzen können.“
Aster wartet auf eine Antwort, aber Michael bleibt erst einmal stumm und schaut links zum Seitenfenster hinaus. Dann dreht er sich zu Aster herum.
„Doch, Aster, Worte sind scharfe Waffen, besonders, wenn sie von unerwarteter Seite kommen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es heute selbst zu spüren gekriegt. Komm, erzähl mir, was dir passiert ist.“
Und Aster erzählt.
„Er hat mir ja nicht wirklich was getan. Ich meine, vielleicht war ich ja auch nur wütend auf Laura, und das hab ich diesen alten Mann spüren lassen.“
Michaels Blick hat sich verändert. Aster liest Anteilnahme darin und, ja, einen Hauch Schmerz. Der ist neu. Aster könnte lange so im Auto sitzen bleiben. Vielleicht wird ihr Michael auch erzählen, was ihn verletzt hat.
Michael hilft ihr galant beim Aussteigen. Er küsst sie leicht auf die Wange und sagt:
„Ach Aster, ich wünschte, es gäbe mehr Mädchen wie dich.“
Als Aster auf Zehenspitzen durchs Treppenhaus schleicht, hört sie ihre Mutter aus dem Elternschlafzimmer rufen:
„Bist du das, Astrid, ist alles in Ordnung?“
„Ja, Mama, alles in Ordnung, du kannst jetzt schlafen.“
Alles in Ordnung, denkt Aster, und mehr als das. Morgen wird sie ihre Haare wieder offen tragen.

 
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Hej Wieselmaus,

deine Zeitreise ist für mich gleichzeitig eine kulturelle Reise. Mir ist der Südwesten unserer Republik bis jetzt fremd. Du zeigst mir also mit deiner Geschichte Verschiedenes auf einmal und es hätte mich gar nicht gestört, wenn ich noch mehr erfahren hätte, wie es in einem Kurstädtchen zu der Zeit als man noch Borgward fuhr, so vor sich ging.

Die Liebesgeschichte einer Teenagern unterscheidet sich dann ja nicht so sehr von denen in den Jahren später. Der aufdringliche alte Mann hätte allerdings heutzutage keine Chance mehr, auf diese Art bei einer jungen Frau zu punkten. (Sagte man damals echt schon "Wichser"?)

Da wir uns vor einiger Zeit mal über die Erzählperspektive unterhielten, fällt mir hier direkt wieder ein, dass es in diesem Fall der Protagonistin sicher einen Versuch wert wäre, die Ich-Perspektive zu versuchen.
So hätte man z.B. vermeiden können, das der Erzähler weiß, was Aster findet. Sie könnte für sich selbst sprechen und ihre Gefühle, um die es ja in dieser Geschichte vorrangig geht, sei es die für Laura oder dem "Oberstudienrat" oder eben für Michael. Auch für Vater und Mutter. Es könnte alles ein bisschen mehr dafür sorgen, dass ich Aster besser kennenlerne.

Was ist eigentlich aus Michaels Freundin geworden? :shy:

Herzlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,

Ich freue mich, wieder von dir zu lesen. Ja, ich erinnere mich an unsere Diskussion. Und ich habe meine Geschichte zuerst als Ich- Erzählung verfasst. Im Augenblick gefällt sie mir so besser, aber das kann sich wieder ändern.
Eigentlich dachte ich, alles sei durch die Augen Asters geschildert. Das hat wohl nicht so ganz funktioniert. Ich habe auch versucht, sparsam mit Adjektiven umzugehen und eine recht einfache Sprache zu benutzen. Aster kommt ja aus einer Familie, in der vieles nicht ausgesprochen wird.
Deshalb erfahren wir auch nichts Genaues über Michaels Freundin. Sie spielt ja ohnehin keine wichtige Rolle.

Auch hatte ich die Geschichte in der Vergangenheitsform geschrieben. Also auch hier ein Experiment mit Gegenwart. Für mich ganz ungewohnt. Da bin ich sehr gespannt, was da noch für Reaktionen kommen, wenn überhaupt :D.

Ich danke dir für deine Anregungen und werde sie aufgreifen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Wieselmaus,

mir hat deine Geschichte gut gefallen. Ich konnte mich gut in Aster und ihre Gefühle hineinversetzen, in jene Teenagerzeit, in der sie sich befindet.

Beim ein oder anderen Verb steht noch das Präterium von deiner vorherigen Version. An der ein oder anderen Stelle erzählst du auch nochmal das, was du gleich zuvor oder gleich danach durch Handlung beschreibst; dadurch kommt man aus Asters Blick heraus und man sieht einen dritten, neutralen Erzähler vor sich. Eine Überlegung ist noch ob der Konflikt mit dem älteren "Goethe" so ausreicht. Vielleicht würde das alles noch dramatischer wirken, wenn er sie unschicklich berührt oder noch aufdringlicher wirkt und sie ihn dann mit ihrer ausgewählten aber bestimmten Ausdrucksweise zurückweist. Aber das ist wie gesagt nur eine Überlegung.

Ansonsten hat mir die Story gut gefallen, besonders Michael fand ich sehr sympathisch (natürlich neben Aster).

Lg, chico

 

Hallo wieselmaus,

ganz leicht fällt es mir zuerst nicht, mich in deine Geschichte hineinzuversetzen. Eine junge weibliche Hauptperson; eine Zeit, die ich nicht selbst erlebt habe und die ich erst relativ spät im Text wirklich klar identifizieren konnte. (Bis wann galt die Volljährigkeitsgrenze bei 21 Jahren? Wann wurden Schulgebühren fürs Gymnasium abgeschafft? Der Borgward hat mich dann endgültig verortet.) Aber ich habe es euch mit meiner Basketballgeschichte ja auch nicht gerade leicht gemacht; da ist es wohl nur fair, wenn ich mich hier auch mal ein bisschen anstrenge. :) Und wer hätte das gedacht? Ehe ich's mich versehe, bin ich dann doch ganz schnell drin im Geschehen.

Die Leiden eines verliebten Backfischs (und wann habe ich das Wort zuletzt benutzt?); der erste Ball; der unerwünschte, viel zu alte Verehrer - das ist sehr klassisch, ein bisschen altmodisch, aber im besten Sinne. Ich fühle mich zurückversetzt in eine (vermeintlich) einfachere Zeit und bekomme so ein gewisses Immenhof-Feeling, mein innerer Film zeigt Heidi Brühl als Astrid und Peter Kraus als Michael.

Das ist nicht die Geschichte, an der man unrealistische Dialoge kritisiert oder das Schild "Show, don't tell!" hochhält. Vielmehr passt der Erzählstil zur erzählten Zeit, und die Sprache trägt zum Charme der Geschichte entscheidend bei. Eine Wohlfühlgeschichte mit nicht ganz klischeefreien, aber sehr sympathischen Figuren und einem (zwar nur angedeuteten, aber ganz bestimmt folgenden) Happy-End. Einfach schön und unangestrengt zu lesen, meinen kleinen Startschwierigkeiten zum Trotz.

Noch ein paar kleine Fehlerchen und sonstige Beobachtungen:

Närrisches Treiben
Ein sehr schöner Titel. Auf diesem Ball sind ganz unterschiedliche Narren unterwegs.

den ungeliebten Namen Astrid. Der klingt im Südwesten Deutschlands alles andere als lieblich. „Aschtrittle“ ist die dort übliche Version. Aster erinnert sich mit Schaudern, wie die Kinder an ihrem ersten Schultag auf dem Gymnasium kicherten und sich Zettelchen zuschoben.
Die Ärmste ... das A etwas gedehnt ausgesprochen, und fertig ist der Schimpfname ... das haben die Eltern wohl nicht zuende gedacht.

Sie hat nicht so oft Gelegenheit, im Haushalt zu helfen.
Und wie viele Teenager gibt es, die darüber traurig sind? Naja, wenn Lernen die Alternative ist ... :lol:

'Carneval in Venedig' ist dieses Jahr als Motto ausgegeben.
Daran scheint sich aber nicht jeder zu halten, jedenfalls ist Winnetou meines Wissens nicht typisch venezianisch. Ich vermisse ein wenig, dass sich jemand an Bennys Kostümierung stört. ("Nicht gerade passend zu Lauras historischem Outfit", heißt es, aber ohne Bezug auf das Motto des Balls.)

Oder sie setzt sich auf einen großen Gymnastikball vor ihren Schreibtisch und bleibt dabei ständig in Bewegung.
Waren diese Sitzbälle damals schon gebräuchlich?

An solchen Abenden spielt Michael den Empfangschef.Leerschritt"Spät kommst du, doch du kommstAnführungsstriche, deklamiert er, wenn Aster von der schnellen Radfahrt abgehetzt klingelt.

„Ich bin so froh, dass du und Laura euch so gut versteht. (...)“

„(...) Stellt euch ans Fenster, wo es hell ist.“

„(...) Aster, dreh dich mal. Fast wie Lottes Schwester. (...)“
Wer ist Lotte? Oder meint er, sie könne Lauras Schwester sein?

Der Eingang zum Kurhaus ist hell erleuchtet.

In korrekter Haltung führt er Aster übers Parkett.

Also spricht sie über ihren Schulalltag

Mister Goethe lächelt milde
Warum der englische "Mister"?

„Aber soweit ich weiß“, sagt sie und legt all ihre Abwehr in die Stimme, „hat diese Ulrike Goethe nie erhört. Es ging ihm ziemlich schlecht danach.“
Endlich fasst sie sich ein Herz und macht eine klare Ansage. Schön!

„So ein blöder Wichser“, hört sie eine jugendliche Stimme sagen, „lässt sie einfach stehen!“
Hat man das damals schon gesagt? Ich weiß es nicht. Komisch in jedem Falle, dass er dafür gescholten wird, dass er sie stehenlässt, und nicht dafür, dass er sie so schamlos angebaggert hat.

Noch einen letzten Blick auf den Eingang und sie bewegt sich Richtung Taxistand.

Gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Chico,

Danke für deine Anregungen. Ich glaube, ich weiß, wo ich Asters Blickwinkel verlasse und mich als Autor einmische. Es geht um eine Erklärung, was der Maskenball für eine Funktion hat. Da suche ich noch nach einer Lösung.
Was die falschen Zeiten angeht, habe ich mMn keine Fehler gemacht. Präteritum dort, wo es auch um Vorgänge in der Vergangenheit geht. Aber manchmal ist man ja auch betriebsblind und ich finde die Fehler noch.

Ausgetauscht habe ich "Wichser" durch "Lustmolch". Dieser Begriff ist mehr humoristisch/abwertend gemeint und passt daher besser zur Situation. Es hat ja nicht wirklich ein sexueller Übergriff stattgefunden. "Goethe" hat halt die Etikette verletzt, nach der man niemals die Tanzpartnerin stehen lässt, sondern sie höflich an ihren Platz zurückbringt :D. So war es damals. Ich hab es so noch erlebt, etwa 1961!

Nochmals danke und herzliche Grüße

wieselmaus

Hallo @Holg,

schön, was von dir zu lesen. Bin gerade bei deiner Allergiegeschichte.

Aber jetzt zu deinen Fragen:

Die Geschichte spielt etwa 1961.
Volljährig mit 18 wurde man erst 1974,
Gymnastikbälle, eigentlich Medizinbälle, gibt es in Europa seit 1917,
Borgward wurde bis 1963 produziert .

Danke für die Fehlersuche. Das alte Lied. Eigentlich meine ich, alle erwischt zu haben, aber dann sind es wieder blöde Tippfehler.

"Wichser" hab ich ersetzt durch "Lustmolch". Das habe ich bei Chico schon erklärt.

Zum Inhaltlichen:

"Lottes Schwester" meint die Schwester von Werthers Lotte (die es nicht gibt). Ich hoffe, dass die Änderung jetzt nicht zu sehr auf den Leser zielt. Für Aster wäre die Verdeutlichung nicht unbedingt nötig.;)

Ich glaube, dass die Leute auf der Tanzfläche das Anbaggern gar nicht mitkriegen, die baggern ja alle selber:D. Aber ein Mädchen einfach stehen lassen, das fällt schon auf. Dieser "Goethe" hat sich halt in einen Wunschtraum hineigebaggert und wurde unsanft aufgeweckt.

Es freut mich wirklich, dass so eine Geschichte Resonanz findet. Ich komme mir manchmal vor wie von vorgestern.

Danke fürs sorgfältige und empathische Lesen.
wieselmaus

 

"Lottes Schwester" meint die Schwester von Werthers Lotte (die es nicht gibt). Ich hoffe, dass die Änderung jetzt nicht zu sehr auf den Leser zielt. Für Aster wäre die Verdeutlichung nicht unbedingt nötig.
Nur für mich Kulturbanausen. Oje ... :Pfeif: :lol:

Grüße vom Holg ...

 

Es freut mich wirklich, dass so eine Geschichte Resonanz findet. Ich komme mir manchmal vor wie von vorgestern.
Das finde ich sehr sympathisch. Und klar, ich kann das Gefühl durch mein eigenes Alter und durch meine Erfahrungen nachvollziehen. Wie oft ist mir das schon passiert, dass ich Wörter gebrauche, die heute keiner mehr kennt. :)

ABER:

„Aber soweit ich weiß“, sagt sie und legt all ihre Abwehr in die Stimme, „hat diese Ulrike Goethe nie erhört. Es ging ihm ziemlich schlecht danach.“

Johann bleibt abrupt stehen. Sein Gesicht, gerade noch vor Erregung und freudigem Erwarten gerötet, wird kreidebleich.
Er verschränkt sein Arme hinter dem Rücken, deutet ein Verbeugung an, murmelt etwas wie „Verzeihung“ und wankt mit zuckenden Schultern davon, ein alter, geschlagener Mann. Ein kleiner Kreis von Neugierigen hat sich um sie herum gebildet. Manche kichern. „So ein blöder Lustmolch“, hört sie eine jugendliche Stimme sagen, „lässt sie einfach stehen!“


Die Konflikte, die hier in deiner Geschichte Thema sind, damit meine ich die Szenerie auf dem Ball, die sind so ziemlich generationenübergreifend. Und die sind auch die Stärke deines Textes.
Ich finde du hast das auch schön beschreiben, wie Aster auf alleine auf dem Ball ist, wie sie sich da fühlt. Da könntest du ruhig sogar noch mehr in die Vollen gehen. Genau dieses Gefühl hat neulich die 18jährige Tochter von Freunden mir erzählt. Ist doch immer fies, wenn man auf einmal allein an so einem Tisch hockt, oder im Club rumhängt und keiner kümmert sich um einen und man hängt da wie ein Stück Fleisch in der Metzgersauslage und setzt Gammel an. Wie man, hier die Aster, vielleicht fast schon froh ist, dass endlich jemand auftaucht, hier halt der gepflegte ältere Herr, und sie dann nicht weiß, wie sie sich seinen Avancen entziehen soll. Das gibts doch ebnso auch noch heut. Klar, heut würd kein Typ mit dem Geschmalze einen Stich machen, aber das macht ja nichts, spielt halt früher. Aber dann das Gefühl, ihn abwehren zu wollen und nicht zu wissen, wie man das macht, auf elegante kluge Weise will man und fühlt sich gleichzeitig elend ausgeliefert. Auch dieses Gefühl ist altersübergreifend. Das kommt auf den Mensch, auf die Zeit, auf die Persönlichkeiten der Handlenden an, aber das ist jedenfalls ein urmenschlicher Konflikt. Ebenso die nachträglichen Gefühle zu ihrem echt blitzgescheiten Spruch. Sie lässt ihn abfahren mit ihrer Entgegnung, ist dabei auch noch supergebildet, und im Nachhinein ist sie ein wenig entsetzt und ernüchtert über die Wirkung. Sollte sie nicht, ich finde der alte Sack hat das verdient. Aber egal.
Also all das, liebe Wieselmaus, sind doch ewige Konflikte, die haben nichts mit Alter oder Jugend zu tun.
Die sind hier in der Geschichte drin und fertig ist.

Trotzdem hab ich natürlich was zu meckern. Ich will gar nicht auf show dont tell rumreiten, da hat der Holg gesagt und dem stimme ich zu, dass das zu deiner Geschichte gar nicht recht passen würde. Aber ich finde du bist trotzdem oft viel zu ausführlich, zu erklärend und lieferst ein bisschen viel Info drumrum. Das ist so insgesamt meine Kritik. Das dauert ewig, bis es wirklich zu Sache, also auf den Ball geht.
Ich weiß beispielsweise echt nicht, ob du die Szene brauchst, wie sie bei der Tante sich die Kostüme anpassen. Also dass du Wert auf die Kostüme legst, ist schon okay, aber das muss doch nicht so ausführlich. Ich fand übrigens den Indianer mitten unter den venezianischen Masken ziemlich amüsant. Ich glaub den hätt ich aus Witz ausgebaut. Na gut, ist natürlich mal wieder meine Albernheit.

Da ist sehr viel dem Plan geschuldet, den Leser mit Infos über die Zeit zu füttern, in der die Geschichte spielt. Ich selbst bin da ein bisschen dusslig oft, wie man das geschickt macht, deshalb kann ich dir da kein schönes Beispiel bieten, aber ich glaube, man muss nicht so übergenau sein. Oder gar mit der Tür ins Haus fallen. Dein erster Satz zum Beispiel ist ja nun wirklich kein erster Kurzgeschichtensatz.
Cooler fand ich dann das mit Astrid und Aschtrittle, da hst du die Infos besser untergebracht.

Also ich würd einfach nochmal gucken, wo du zu viel erklärst, insgesamt innerhalb der gesamten Geschichte ein bisschen das Tempo erhöhen. Es mag auch damit zusammenhängen, dass du hier furchtbar viele Themen anpickst, und da wirkt die Geschichte oft unentschieden. Da hast du so viele grundsätzliche Konflikte angerissen, ohne dass sie so recht zum Tragen kämen. Da ist der Klassenunterschied zwischen den beiden Familien, der Konflikt zwischen den Bedürfnissen von Eltern und Jugendlichen, da sind die ersten Liebeswirren, ihre Schüchternheit vor den Bildungsbürgergästen, das ist zum Teil nicht wirklich auserzählt. Muss es ja auch nicht. Aber du könntest dir vielleicht überlegen, was du unbedingt für deinen Hauptkonflikt brauchst. Denn das ist nicht immer klar, obs das wirklich alles genau so braucht. Also da würde ich einfach mal gucken und mir überlegen, was an meiner Geschichte, welcher Konflikt ist mir der Wichtige. Und den würd ich dann hauptsächlich füttern. Du willst ja keinen Gesellschaftsroman schreiben.

Das gleiche mit dem Stil. Du neigst dazu, ein bisschen überzuerklären. Gut, das passiert jedem, und das ist auch Geschmackssache, aber hier ist es an manchen Stellen so direkt wiedergegeben, da würd ich mich als Erzähler einfach ein bisschen rausnehmen und es mehr dem leser überlassen, seine Schlüsse zuu ziehen.
Ich mach das mal am Beispiel von dem Schluss:

„Er hat mir ja nicht wirklich was getan. Ich meine, vielleicht war ich ja auch nur wütend auf Laura, und das hab ich diesen alten Mann spüren lassen.“
Michaels Blick hat sich verändert. Aster findet, dass der Spott und die leichte Herablassung daraus verschwunden sind. Es ist jetzt eher ein Gespräch auf Augenhöhe geworden, im wahrsten Sinne des Wortes. So sitzen sie mehr als eine Viertelstunde im Auto.
Michael hilft ihr galant beim Aussteigen. Er küsst sie leicht auf die Wange und sagt:
„Ach Aster, ich wünschte, es gäbe mehr Mädchen wie dich.“

Den Blick würd ich nun wirklich zeigen. Dass er anders geworden ist, finde ich schon mal gut. Aber in der Richtung würde ich weitermachen. Du kannst das auch über ihre Gefühle machen, dann aber nicht so direkt wie in dem nachfolgenden Satz. Das Schwarze, das ist alles Erzähler, der direkt dem Leser mitteilt, wie er den Blick zu verstehen hat. Der Satz mit der Augenhöhe ist übrigens direkt eine Verdopplung und Wiederholung von dem Satz, davor, was aus dem Blick verschwunden ist.
Und ich finde auch gar nicht, dass das inhaltlich passt, denn der junge Mann kam mir schon vorher nicht herablassend vor. Überhaupt nicht. Auch nicht spöttisch. Also passt das auch inhaltlich nicht.

Den Satz ganz zum Schluss mit den offenen Haaren fand ich dann wieder schön.


Wieselmaus, ich wünsch dir was. Was ganz Nettes.
Viele Grüße von Novak

 

Guten Morgen, Novak!

Ich bin begeistert von deinem Kommentar. Denn du hast mich erwischt, mehrfach. Aber der Reihe nach.
Einmal Lehrerin, immer Lehrerin. Ich kann's nicht lassen. Immer glaube ich, Informationen schuldig zu sein. Es ist gar nicht unbedingt Besserwisserei, sondern eher so eine Art Bringschuld. Es gibt ja auch durchaus Leser, die zusätzliche Informationen einfordern. Aber ich hab schon mal gekürzt und den unsäglichen Anfangssatz gekillt. Das mit dem show, don't tell fällt mir wirklich schwer. Ich weiß nicht, ob ich es noch hinkriege in diesem Leben:hmm:. Aber ich hab am Text schon daran gearbeitet.

Ja, ich hätte gern einen Gesellschaftsroman geschrieben. Es ist mir schon ein Anliegen, Charaktere aus ihrem gesellschaftlichen Kontext heraus zu entwickeln. Aster zum Beispiel muss einen ziemlichen Spagat hinkriegen. Hat sie nun eine echte Chance bei den Bildungsbürgern oder wird sie nur ausgenutzt? Deshalb der längere Anlauf bis zum Ball, wo "Heidi zeigen kann, was es gelernt hat". Schon wieder die Pädagogin!

Ich danke dir sehr für dein großes Einfühlungsvermögen. Meine Aster hast du hundertprozentig verstanden, und auch Michael siehst du so, wie ich ihn mir wünsche.
Und auch danke für die Aufmunterung. Ich kann sie gut gebrauchen.

Herzlichst
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe wieselmaus,

ein echtes Zeitgemälde der späten Fünfziger, frühen Sechziger ist dir hier gelungen. Für mich gab es einiges wiederzuerkennen, einiges, was ich selbst noch erlebt habe, anderes, was ich mir sehr gut vorstellen konnte. Du hast sehr viele Einzelheiten in deine Geschichte gepackt, um die Szenerie so echt wie möglich zu gestalten. Und das ist dir gelungen: Diese Tanzstundenatmosphäre, die Angst der Eltern, ihre Töchter auch noch mit sechzehn allein ausgehen zu lassen, und daneben diese versteckte Lüsternheit dieser verklemmten Zeit.
Und auch die Wortwahl ist authentisch: die Teenager, das Mauerblümchen, der Lustmolch u.v.a.
Die von dir neutral und nicht wertend beschriebene Zeit erinnert mich an die Biedermeierzeit: Diese Jugendlichen waren (noch) nicht politisch, benahmen sich so, wie die Erwachsenen es erwarteten, suchten ihre Vorbilder, zumindest wenn sie aus dem Bürgertum kamen, noch in der Welt der Dichter und Denker.
Was deine Geschichte nicht berührt, ist, dass es daneben auch schon diejenigen gab, die durch amerikanische (und russische) Vorbilder beeinflusst, ganz allmählich anfingen, gegen diese verstaubte Welt zu rebellieren, sei es musikalisch oder später dann auch politisch.
Das aber ist nicht dein Thema. wieselmaus, deine Welt ist eine heile. Eine Welt, in der junge Menschen Goethe und Novalis zitieren, in der junge Männer noch ritterlich sind, ihre Eltern als übergeordnete Instanz achten, Mädchen sich passiv verhalten, darauf warten, dass der Junge die Initiative ergreift.
Doch nicht alles passt in diesen geordneten Kosmos. Denn es gibt da ja auch diesen lüsternen Goethe, der an die Grenze des Erlaubten geht. Diese Szene beschreibst du sehr gut. Eventuell hättest du sie noch intensiver gestalten können, denn sie hätte das Potential für einen echten Konflikt in dieser heilen asexuellen Teenagerwelt gehabt. Hier schimmert plötzlich so etwas wie Begierde durch. Und hier hätten mich die Gefühle Asters interessiert. Du setzt an,

Und da versteht Aster endlich.
aber das ist es dann auch, was ich über ihr Inneres erfahre.

Und dann das Ende der Situation: Ganz im Stil der Zeit wird glatt gebügelt: Der alkoholisierte Mann erinnert sich der gesellschaftlichen Norm und zieht sich zurück. Alles ist wieder gut. Ein bisschen Gekichere –das war’s.
wieselmaus, ich bin hin und hergerissen, was deine Geschichte angeht: Sie ist perfekt geschrieben, sehr gut ausgearbeitet in all ihren Details. Und doch frage ich mich, wen du damit ansprechen möchtest, welche Intention du mit deiner Geschichte verfolgst, wo der Konflikt liegt? Mir sagt die Geschichte etwas, weil ich mich an diese Zeit erinnere, aber welche Botschaft enthält sie für alle anderen? So lese ich sie, wie ich eine ‚Hanni und Nanni’-Geschichte lese oder wie ich einen Schwarz-Weiß-Film der frühen Sechziger sehe, zwar mit einem Schmunzeln über diese vergangene Zeit, aber doch ohne innere Anteilnahme. Es ist eine Welt, die nicht mehr lange, so, wie du sie darstellst, funktionieren wird. Dann wird sie in Frage gestellt werden – nicht von den Burschenschaften, aber von jungen Menschen, die radikal unter die Oberfläche dieser Gesellschaft schauen.

Zurück zu deiner Geschichte. Ein paar Kleinigkeiten noch:

Wenn Asters Mutter streng wird, benutzt sie den ungeliebten Namen Astrid.
Hier bist du nicht ganz genau. Es wird zwar aus dem Zusammenhang klar, aber hier hört es sich so an, als liebe die Mutter den Namen nicht.

Da hätte auch die flammenste Fürsprache
mMn flammendste

aber frag erst nochmal deinen Vater.
noch mal

wo er am Werkeln ist
wo er werkelt

Ich wollte, ich wär schon auf einer Highschool,
Ich verstehe, warum du hier ‚Highschool’ sagst, und es ist ja auch richtig. Aber es wirft mich hier ziemlich unvermittelt aus dem ‚deutschen’ Zusammenhang.

Nach zwei oder drei Stunden mit Lesungen, Scharaden oder auch Kartenspiel
Also hier bin ich jetzt wirklich im vorletzten Jahrhundert. Ich kann mir ‚Scharaden’ in den Fünfzigern/frühen Sechzigern nicht vorstellen. Aber ich bin auch kein Bildungsbürgerkind.

auch Gelächter und die sonore Stimme des Maitre de plaisir.
Auch der ‚Maitre’ scheint mir in eine andere Zeit zu gehören.

Wenige Minuten später findet sich(sie) sich im Säulengang vor dem Portal wieder
Aster könnte lange so im Auto sitzenbleiben.
sitzen bleiben

Liebe wieselmaus: Deine Geschichte habe ich unterm Strich wegen der von dir liebevoll gestalteten Details gerne gelesen. Mich hat sie an so vieles erinnert, dass ich mich zwingen musste, nicht ständig zu bestätigen: Ja, so war es.

Ich wünsche dir ein schönes Pfingstfest.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

da hast du einen wichtigen Punkt getroffen. Ich frage mich selbst, wen will ich mit so einem Text heute erreichen? Novak meint, dass auch Achtzehnjährige von heute Asters Situation auf dem Ball teilweise nachvollziehen können, wenn es auch heute solche "Goethes" kaum mehr geben mag. Da tauchen sie in anderer Verkleidung auf; statt Sekt gibt es dann Drogen.

Ich selbst bin alles andere als ein unpolitischer Mensch. Aber diese Szene mit dem Goethe habe ich genau so erlebt, einschließlich der Antwort, die mich damals "gerettet" hat. Wenige Jahre später ging ich dann zum Studium an die FU nach Berlin, wo ich in die mich prägenden Anfänge der 68-Generation geriet.

Heute schreibe ich meine Geschichten auch für meine zehnjährige Enkelin. Die soll erfahren, womit Mädchen in der vorletzten Generation zu kämpfen hatten, damit sie nicht wieder alles aus Bequemlichkeit aufs Spiel setzt.

Ich wollte gerne einen Gesellschaftsroman schreiben (um ehrlich zu sein, ich habe ihn schon geschrieben. Seine Geschichte findest du unter meinem Text "Der Paukenschlag").
Was die "heile Welt" angeht, das Bildungsbürgertum hat ein paar Werte vermittelt, die durchaus auch heute noch als Kompass durch eine sich immer schneller drehende Welt dienen können.

Danke für dein Lob, was die Gestaltung meines Textes angeht, und für deine Verbesserungsvorschläge. Ich habe dem Forum hier viel zu verdanken, gerade auch im Austausch zwischen den Genrationen.

Highschool Anfangs der Sechziger Jahre gab es bereits ein Austauschprogramm "American Field Service (AFS)". Er existiert heute noch.

Aster versteht endlich Hier versteht sie, dass sie "Goethe" mit seinen eigenen Waffen schlagen kann/muss.

Herzlich Grüße und schöne Pfingsttage von
wieselmaus

 

Hej Wieselmaus,

entschuldige, wenn ich mich mal dazwischen klinke.:shy:

Ich finde deinen Beweggrund, diese Geschichten zu schreiben, die du hier zeigst, ausreichend und ganz wunderbar. Ich wünschte, alle Großmütter würden sich die Mühe machen. Es gibt keine bessere Methode, der Vergangenheit, seinen Wurzeln auf die Spur zu kommen und sich selbst zu positionieren.
Ich bedaure es sehr, nicht mehr gefragt und erfahren zu haben, denn manchmal reicht es mir nicht, was ich über mich selbst weiß. Es fehlen Teile. Teile, die du deiner Enkelin lieferst. Sie wird sicher eines Tages sehr dankbar dafür sein.

Wollte ich nur mal anmerken.

Lieber Gruß, Kanji

 

Liebe wieselmaus

Gibt es die Welt, die Sphäre, die du beschreibst? Nein, oh nein.
Gab es sie wirklich, ich meine real, in den 50er/60er-Jahren des letzten jahrhunderts? Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich. Wenn du Zeitzeuge bist, wirst du es wissen... (obwohl Erinnerungen die Neigung zur Beschönigung, zu Pastelltönen, haben).

Mit den Zeitläuften gehen ja auch Charaktere verloren. Die Menschen oder besser, die Charaktere, wie du sie bschreibst, sind heute ausgestorben, obwohl wir sie so dringlich bräuchten, um den modernen Einheitsmensch zu bereichern. All die Ritter, all die Goethes, die Klein- und Großbürgerwelt, in der Dichtung, Kunst und ein Kurdirektor noch etwas galt.

Ich meine, klar, die Klassenunterschiede sprichst du in der Geschichte schon an, Aster, die aus einfacheren Verhältnissen kommt und enorm glücklich ist, eine Freundin aus "besseren" Kreisen mit einem Borgward als Familienkutsche zu haben. Ein Konflikt wird daraus unterschwellig spürbar, blaibt aber schwelend, wird nicht zu deiner Intention. Gibt ja ne Geschichte von barnhelm, die auch in den alten Zeiten wühlt und daraus einen Konflikt macht.
Muss man nicht unbedingt: das Wühlen in der Zeit, in der Erinnerung ist viel.

Ich danke dir für die Geschichte.
schöne Pfingsten
Isegrims

P.S, Ich brauch nen Film mit Romy Schneider oder Peter Kraus oder wie heißen die alle?

 

Hallo@Kanji

ich freue mich immer, wenn du mir schreibst. Ich schätze deine leisen Töne und wie du auch sanftere Schwingungen erfasst. Und du sagst auch auf sanfte Weise, was dir gefällt und was nicht. Manchmal geht es hier schon etwas ruppig zu. Aber man kann hier viel lernen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

Hallo Isegrims,

es ist wirklich spannend, wie die Reaktionen auf meinen Text ausfallen. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich den Kern dieser Geschichte selbst erlebt habe. Eigentlich wollte ich mich gar nicht so sehr "outen", aber als unpolitische Alte, die nur mit einer rosa Brille in die Vergangenheit stiert, wollte ich doch nicht rüberkommen :D. Daher mein etwas ausführlicher Kommentar bei@barnhelm.

Ich danke dir für die Geschichte liest sich wunderbar. Mit Filmtitel aus dieser Zeit kann ich dir leider nicht dienen, aber mit Peter Kraus und Heidi Brühl liegst du, glaube ich, ganz richtig. Ich erinnere mich noch an den Skandalfilm "Das Schweigen" von Ingmar Bergmann. Der war ja nicht jugendfrei. Aber ich weiß, dass einige meiner Altersgenossen (und ich) sich hineingeschmuggelt haben. Das war unsere heimliche Revolte.
Tja, die Zeiten haben sich mächtig geändert.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo liebe wieselmaus,

so, jetzt habe ich es endlich geschafft, deine Geschichte zu lesen.

Ähnlich wie Holg musste ich mich erst einmal zurechtfinden. Da die Geschichte eine ganze Weile vor meiner Zeit spielt, war ich anfangs ein bisschen verloren. Macht aber nichts, ich habe mich kurz schlau gemacht und dann hat alles gepasst.

Die Geschichte ist ruhig und liebevoll erzählt. Aster ist so ein Mädchen, das jeder kennt oder sogar selbst war. Du hast am Anfang gut beschrieben, wie wohl sich dieses Mädchen in der anderen Familie fühlt. Ich weiß, das ist nicht unbedingt die Kernaussage des Textes, aber doch so eine Note, die leicht im Bauch sticht. Da ist eine Familie, die sehr gebildet zu sein scheint, wohlhabend und kommunikativ – das Gegenteil also zu Asters eigener Familie. Ich fand das fast ein bisschen traurig, wie wohl sie sich dort fühlt. Dennoch habe ich sie verstanden. Gerade in ihrem Alter, wo man zu den eigenen Eltern ja oft nicht so ganz fair ist, fühlt man sich zu Menschen hingezogen, die ganz anders sind. Habe ich selbst auch so erlebt. Schlauer wird man erst später.

Dieser alte Lustmolch, da war ich hin- und hergerissen. Erst hatte ich Mitleid, dann fand ich ihn aufdringlich und sogar ein bisschen eklig, dann hatte ich wieder Mitleid. Asters Winden, dieses nicht aus der Situation hinausfinden, das war spürbar!

Und nun der liebe Michael. Welches Mädchen war nicht schon mal in einen älteren Bruder einer Freundin verliebt oder in den Freund des älteren Bruders oder wie auch immer?! Die Jungs, die viel charmanter, wortgewandter und männlicher wirken, als die eigenen Klassenkameraden – aber eben auch unerreichbar. Da habe ich wirklich mit ihr mitgefühlt. Dass diese Unerreichbarkeit in den letzten Sätzen ein wenig zu bröckeln scheint, dieser leichte Hoffnungsschimmer, den Aster da fühlt, das hat mich zum Schmunzeln gebracht.

Generationsgeschichtlich kann ich nicht viel dazu sagen, dafür aber, dass diese Themen wohl auch heute noch ihre Bedeutung haben und mich emotional gekriegt haben.

Eine kleine Kritik: Den Absatz mit der Tante braucht es für meinen Geschmack auch nicht, da habe ich fast ein bisschen drüber gelesen ... Für mein Empfinden hat es den Hauptstrang eher ausgebremst. Bei einem Roman wäre das etwas anderes, wenn die Tante später zum Beispiel noch eine Rolle spielen würde. Aber bei dieser Kurzgeschichte empfand ich diesen Absatz eher als zu viel.

Sehr gerne gelesen.
RinaWu

 

Da isser schon widder, der Bart mit wat dran,

liebe wieselmaus,

aber was kann ein Jeck und Tanzmuffel zu einer gelungenen Tanzveranstaltung (auch noch gesittet bis zum Stehkragen!) beitragen, außer zu stören?

Aber immerhin hat der Muffel die Rolling Stones mit 14 Jahren (!) nach Sterkrade geholt (weiß wieder keiner, wo dat is). Nicht real, aber immerhin mittels Schülerzeitung und der Vorstellung der Truppe nebst den Titeln Tell me und It's All Over Now (ein Womack-Titel, gecovert von den Stones, der bessser ankam als das Original) und handgezeichnetem Wasserzeichen der fünf Köpfe im Beitrag, wobei dem jungen, aufstrebenden Künstler natürlich Brian Jones am besten gefiel, obwohl da schon auf dem Weg zum Dylan- und Lennon-Verehrer … Sogar Freundschaften gingen in die Brüche, als zwo Freunde in Schlips und Kragen den pulloverten Friedel zu einer solch gesitteten Verunstaltung mitschleppten und der dann – nicht wegen der unangemessenen Kleidung – tatsächlich störte. Pubertäterä halt!

Aber dann doch noch ne Idee, was zu sagen: Nehmen wir zwo Namen, um Astrid vom allemannisch-schwäbischen Missklang zu befreien!

Ahd. (das übrigens aus landschaftlichen Gründen „hochdeutsch“ heißt, weil sich schriftsprachlich die Volksstämme südlich der Benrather-Linie durchgesetzt hatten, der zwoten (althochdeutschen) Lautverschiebung folgten und die andern Volksstämme, eben im platten Land Platt sprachen und nicht unbedingt der Lautverschiebung folgten (man betrachte den lautlichen Unterschied zwischen dem heranzischenden [ʃtain] und dem spitzen [stain]: da ist im klangvollen ahd. nix zu hören:)

„Ansitruda“, ans = Gottheit, drudi (=Kraft, Stärke), Michael hätt's wissen müssen.
und weil't so schön is', auch noch Ulrike:
ahd. uodal, "Erbgut(!), Heimat" + richi, "mächtig", "Herrscher", dat Herrgoethchen, ein Lümmel!

Und dann doch ein leichtes Durchscheinen der Schulgrammatik

So war es nicht verabredet gewesen
wo's auch ohne „gewesen“ ginge (hat es nicht den Klang des Ver-wesens?)

Na, im Alter wird man halt gelassener und kann sich sogar ein Tanzvergnügen anschau'n, ohne sich zu langweilen. Schön, dass Du meine alten Kumpel von 1964 geradezu rehabilitierst …

Gruß

Friedel,
der Dir dankt, dass Du ihn mitgenommen hast, obwohl er wieder im Rollkragenpulli (für'n t-shirt mit Botschaft auf der Brust ist es hier noch zu kühl), aber längerem Haar und vollbärtig sich gemäßigter verhalten wird als '64.

 

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