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Nächtlicher Besuch

Stu

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19.04.2017
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Nächtlicher Besuch

Ein Knacken, ein leises Knartschen der Dielen und Julius saß kerzengereade in seinem Bett. Ihm stand wohl wieder eine schlaflose Nacht bevor. Beinahe schon traurig, mit welcher Gleichgültigkeit er diese Strapaze akzeptierte. In der Schule hatte er bei manchen Kindern schon den Spitznamen "Zombie", da seine Augenringe mittlerweile schon ein fester Bestandteil seines Gesichtes waren. Aber was konnte er dafür, dass seine blühende Fantasie keine Gabe, sondern ein Fluch war?
Diese Nacht würde also ebenso routiniert ablaufen wie schon hunderte davor. Er würde im Bett liegen (hauptsächlich sitzen), alle paar Sekunden seine Augen über sein Zimmer laufen lassen und auf jedes Geräusch hören, was sich auch nur minimal von denn unterscheidet, die er sonst jede Nacht vernimmt. All das ohne das Licht anzuschalten, aus Angst davor jemand könnte mitkriegen, dass er noch wach ist. Vielleicht bekam er, im besten Fall, noch etwa drei Stunden Schlaf bevor der Wecker losginge.
Da! Da war doch wieder ein Geräusch. Für Julius hörte es sich so an wie Stoff, der im Flur über die Dielen gezogen würde. Schwarzer Stoff. Schwarzer Stoff, der den Körper eines Toten einhüllte. So ein Schwachsinn!, dachte er sich. Bis jetzt war jede dieser Angstattacken immer nur ein Gespinnst seines Hirns, also versuchte er sich stets gut zuzureden. Aber trotzdem, jedesmal wenn das Licht ausging und lange Schatten die Welt um ihn herum ins Ungewisse hüllten, musste er unweigerlich an jeden Horrorfilm denken, den er je gesehen hatte.
Bilder schossen ihm durch den Kopf, Bilder von modernden Leichen, die sich aus der Erde zogen, Bilder von spitzen Zähnen, die viel zu lang sind, Bilder von gelb leuchtenden Augen, die einen aus der Dunkelheit anfunkelten. Julius fühlte sich plötzlich so, als würden ihn kalte und lange Finger den Hals zuschnüren. Er steigerte sich zu sehr in seine Angst hinein.
Sie steigerte sosehr, dass er beinahe sehen konnte wie seine Tür langsam und quietschend geöffnet wurde. Eine Hand mit langen Fingern und noch längeren spitz zulaufenden Fingernägeln legte sich um die Tür und drückte sie weiter auf. Ein menschenähnlicher Kopf, ohne Haare, aber mit spitzen Ohren schob sich hinter Hand hinein. Die gelben, strahlenden Augen, die in dem Kopf saßen fixierten seine und ein gräßliches Lächeln, welches eine Reihe scharfer Zähne entblößte, machte sich auf dem Gesicht der Kreatur breit.
Es trat komplett herein und reichte beinahe bis an die Decke. Es schloss die Tür und kam langsam auf Julius zu.
Julius steckte den Kopf so schnell er konnte unter die Decke und erinnerte sich an eine Beruhigungstechnik, die er mal in einem Film gesehen hatte. Er zählte langsam bis zehn und achtete darauf seinen Atem nicht zu schnell werden zu lassen. Sicherheitshalber zählte er noch zwei weitere Male bis zehn und hatte nun genug Mut gesammelt den Kopf wieder unter der Bettdecke hervorzuholen. Und natürlich war weit und breit keine Gestalt zu sehen. Es war also wieder doch nur seine Fantasie. Wäre er nicht immernoch so voll mit Angst, hätte er beinahe über sich Lachen können.
"Du bist so ein verdammter Idiot", flüsterte er sich selbst zu, "alle Türen sind zu und Mama und Papa sind doch auch noch im...", doch die letzten Worte blieben ihm im Halse stecken, als seine Türklinke ein Geräusch von sich gab. Ein Geräusch, dass der Wirklichkeit und nicht seinem Hirngespinnst entsprang, da war er sich sicher.
Sie wurde komplett heruntergedrückt und langsam aber sicher öffnete sich die Tür. Für Julius wirkte alles wie eine Szene aus einem Actionfilm, in das Geschehen in Zeitlupe abläuft und man nurnoch den Herzschlag des Protagonisten hören konnte.
"Julius? Bist du wach?". Die vertraute Stimme, die da hinter der Tür hervordrang, löste automatisch jegliche Spannung aus seinem Körper und ein beruhigtes Lächeln entwischte seinem nun verschwitzten Gesicht. "Ich hab hier ein Flüstern gehört, schläfst du noch nicht?" Es war sein Vater.
"Nein, tut mir Leid. Ich konnte nicht."
Die kräftige Statur seines Vater erschien im Türrahmen und Julius konnte nur sein, durch das Mondlicht bestrahlte, Gesicht erkennen, dass deutlich verschlafen aussah.
"Ist es etwa schon wieder so schlimm?"
"Nein, es war relativ schlimm, aber ich glaube jetzt geht es wieder."
"Bist du dir sicher? Wenn du es garnicht aushälst kannst du ruhig zu uns kommen. Du musst schlafen, morgen ist ein Schultag."
"Ja, ich weiß. Ich schlaf jetzt sofort. Alles gut."
Sein Vater lächelte und warf noch ein leises "Ok, gute Nacht" in den Raum, während er die Tür hinter sich schloss.
"Nacht Papa."
Die Tür war nun zu und Stille verbreitete sich wieder in seinem Zimmer. Julius legte seinen Kopf wieder auf sein Kissen und schloss, das erste Mal seit Stunden nun, seine Augen. Sein Vater hatte einfach eine Gabe ihn zu beruhigen wenn er vor irgendetwas Angst hatte. Und sollte irgendjemand oder irgendetwas ins Haus kommen, war sein Vater noch da und würde demjenigen ordentlich einheizen. Zufrieden lag er noch einige Minuten da und stellte sich amüsiert vor, wie sein Vater Dracula beim Kragen packte und mit einem Arschtritt aus der Vordertür beförderte, bis der Schlaf schließlich doch über ihn kam.

Ein erneutes Knacken riss Julius aus dem Schlaf und lies seine Sinneswahrnehmungen sofort auf 100 Prozent laufen. Er guckte schnell auf seinen Wecker und stellte ernüchternd fest, dass es drei Uhr war. Also waren circa zwei Stunden vergangen, seit er eingeschlafen war und die Morgensonne war auch noch weit entfernt.
Während er seinen Blick nun wieder gespannt durch den Raum schweifen lies, entdeckte er etwas, was ihm für einen kurzen Moment die Luft abschnürte. Seine Zimmertür stand offen.
Sie war nicht weit geöffnet, nur einen Spalt, aber das war ihm in diesem Moment egal. Fakt war, die Tür war offen und er war sich sicher, dass sein Vater sie hinter sich geschlossen hatte.
Julius schluckte schwer und versuchte sich zu besinnen. Er musste rational an die Sache gehen. Womöglich hat Papa die Tür nicht richtig geschlossen und deswegen ist sie von alleine wieder aufgegangen, dachte er sich. Und wieso hast du dann das Knacken der Türfalle gehört? Antwortete sofort eine hämische Stimme in seinem Kopf. Dann muss eben Mama oder Papa noch einmal reingekommen sein um nach mir zusehen. Ja, genau! Es war bestimmt Papa, der gucken wollte ob ich wirklich schlafe. Die Erklärung erschien ihm äußerst plausibel. Du weißt das Mama und Papa, die Tür nachts immer schließen. Du weißt sie wollen nicht, dass Rico bei dir im Bett schläft und vielleicht hineinpinkelt, wieder die Stimme, die mit so einer kühlen Präzision antwortete, dass es Julius erneut jeglichen Mut raubte.
"Das ist doch alles Schwachsinn", murmelte er wieder in sich hinein und lies sich wieder auf sein Kissen fallen. Auch wenn er auf Anhieb keine Antwort auf die offene Tür finden konnte, tat er es trotzdem damit ab, dass es eine rationale Antwort darauf geben musste. Dennoch hatte er zuviel Angst aufzustehen und sie wieder zu schließen.
Papa hat Recht, dachte er sich, ich muss morgen früh raus... naja heute... und muss endlich schlafen. Bevor das möglich war, entschloss Julius, musste er noch einmal einen raschen Blick in sein Zimmer werfen. Aus reiner Sicherheit. Er hob also den Kopf und scannte von einer Wand zur anderen, von der Decke bis zum Boden. Ihm klappte die Kinnlade herunter, als er etwas auf dem Boden sah.
Ein schwarzer Haufen lag in der Mitte seines Zimmers.
Es hätte ein Haufen zusammengeknüllter Klamotten gewesen sein können, doch für Tommy sah es eher aus wie eine Person in einem schwarzen Gewand, die am Boden kauerte. Die gerade zum Sprung ansetzte.
Schwachsinn! Schreite es in seinem Kopf, es waren nur Kleider, da war er sich sicher. Immerhin stand er vor einiger Zeit vor einer ähnlichen Situation, in der er auch eine schwarze Gestalt erkannt hatte. In einem Anflug von Panik und Verzweiflung hatte er dann sein Kopfkissen gegen den Eindringling geworfen, nur um festzustellen, dass der Eindringling in Wirklichkeit nur sein Schreibtischstuhl war. Diese Situation war die Selbe, da war er sich sicher. Wieder nur ein Trick seines lebhaften Gehirns.
Trotzdem bekam er das Gefühl nicht los, als würde diese schwarze Masse ihn beobachten, ihm wurde bei ihrem Anblick nahezu übel und doch konnte er seine Augen nicht von ihr lassen.
Minuten verstrichen, während Julius sich ein Blickduel mit dem Ding da auf dem Boden bot und er könnte schwören manchmal sah es so aus als würde es erregt beben. Er redete sich jedoch immer wieder ein, dass diese Situation nicht real sei. Sein Unbehagen konnte er damit nicht eindämmen, es schien sogar stetig zu steigen. Die ganze Zeit über war er sich selbst vor aufzuhören so ein Baby zu sein, einfach aufzustehen und den Kleiderhaufen auf seine Couch zu werfen. Er hasste sich selbst für seine kindlichen Ängste, schließlich war er beinahe vierzehn Jahre alt und musste endlich lernen mit seinen Problemen selbst klarzukommen.
Doch all das gute Zureden half ihm auch nichtmehr, als ihm urplötzlich ein leises summendes Geräusch an die Ohren drang. War es die Heizung? Oder war es die Klimaanlage im Flur? Nein, er kannte diese Geräusche ebenfalls zu genüge, für ihn klang es beinahe wie ein Summen, das menschlichen Stimmbändern entsprang. Oder menschenähnlichen Stimmbändern.
Seine Hände waren mittlerweile klatschnass und in einem Anflug von Ach scheiß doch drauf entschloss er sich kurzer Hand auf Flucht. Julius mobilisierte schnell seine Kräfte, riss sich die Decke vom Körper, explodierte aus dem Bett und sprintete in Rekordzeit zu seiner Tür. Er schlüpfte durch den Schlitz in den Flur und schloss die Tür schnell hinter sich. Von da aus ging er auf schnellen, aber trotzdem behutsamen Füßen (er wollte um diese Zeit ja trotzdem keinen Lärm machen) den Flur entlang, zu dem Schlafzimmer seiner Eltern.
Er trat langsam durch die offene Tür in das Zimmer und flüsterte in die Dunkelheit hinein: "Mama? Papa? Ich kann nicht schlafen." Die Hand seiner Mutter, die nur leicht durch das hereinfallende fahle Mondlicht beleuchtet wurde, winkte ihn müde herüber und signalisierte ihm, er solle sich zwischen sie legen. Julius wusste, dass es seine Mutter war, da sie stets links im Bett lag, näher am Fenster.
Auf allen Vieren tappse er behutsam über sie hinüber und verschwand schnell unter den Decken.
Hier war er sicher, hier fühlte er sich wohl, mit seiner Mutter zu seiner Rechten und mit seinem Vater zu seiner Linken, eingehüllt in wohliger Wärme. Schon seit jüngster Kindheit, wirkte die Decke seiner Eltern immer wie ein magischer Schutzmantel, der ihm vor allem Schützt, übernatürlich oder natürlich. Obwohl er trotzdem wusste, dass in dem Fall eines Einbruchs selbst seine Eltern ihn vor einem bewaffneten Räuber nicht schützen könnten.
Jetzt war ihm so wohlig, dass er beinahe schon übermutig wurde und sich gerade zu wünschte das Monster würde erscheinen, denn hier war er in der Überzahl. Das war schon immer eines seiner Makel gewesen. In ihm unangenehmen Situationen war er der größte Angsthase, doch aus sicherer Entfernung betrachtet setzte er sich den Objekten seiner Angst immer aus. Das veranlasste ihn wohl auch dazu noch nicht einzuschlafen, sondern noch einmal den Kopf zu heben und einen Blick in den Flur zu werfen. Dadurch, dass seine Eltern stets bei offener Tür schliefen, hatte er einen perfekten Blick in den Flur.
Julius hob also seinen Kopf und dachte sein Verstand würde ihm wieder einen Trick spielen. Da draußen, vor der Tür, lag schon wieder diese schwarze Masse. Ohne Zweifel, dies war kein Kleiderhaufen.
Jeglicher Mut und jegliche Sicherheit flossen ihm aus dem Körper, er war so geschockt, dass er sich nichtmal die Augen reiben konnte. Also tat er das Einzige, was er immer tat, er zog sich die Decke über den Kopf und hielt sie so fest wie er nur konnte.
Fünf Minuten, zehn Minuten, vielleicht sogar 15 Minuten lag er unter der Decke, bis er wieder genug Mut gesammelt hatte und schob sich die Decke langsam über die Augen. Er war gerade im Inbegriff erneut den Flur zu überprüfen, als sein Augenmerk auf die Gestalt fiel, die neben dem Fenster stand.
Sie war gigantisch. Julius konnte den Umriss einer Hand erkennen, mit langen knochigen Fingern. Aber das wohl Schlimmste an ihr waren diese Augen. Diese gräßlichen gelben Augen, die ihm tief in die Seele zu blicken schienen. Er konnte nun nichtmehr an sich halten und entlies einen angsterfüllten Schrei.
Kurze Zeit danach wurde hinter ihm, die Lampe auf dem Nachttisch seines Vaters angeknipst, die mit ihrem strahlenden Licht nichtnur die dunkelen Schatten, sondern auch die Ungewissheit verscheuchte. Die Gestalt war nun in ihrer obskur perversen Pracht zu sehen, sie war genau wie in seiner Vorstellung. Julius konnte sogar erkennen, dass sie leicht bläuliche Haut hatte.
Sie lächelte ihn nur bedrohlich an, mit diesem fürchterlichen spitzen, unförmigen Zähnen und stand ansonsten nur still in der Ecke des Zimmers und beobachtete.
Julius Tränen liefen nun wie von alleine und er schluchzte unter einer zittrigen Stimme, während er sich zu seinem Vater drehte: "Papa, was ist....". Mehr bekam er allerdings nichtmehr aus seinem Hals, als er seinem Vater ins Gesicht blickte. Oder eher gesagt dem, was einmal sein Vater war.
Denn er blickte in die gleichen schrecklichen Augen, wie schon bei der Kreatur. Auf seinem Gesicht, welches dämonische Züge angenommen hatte, war eine Mischung aus Belustigung und animalischer Gier. Er bleckte seine nun ebenfalls raubtierhaften Zähne und leckte sich lüsternd über die Selben.
Das Letzte was Julius noch vernahm war eine Hand mit zu langen Fingern, die sich auf seine Schulter legte und die Stimme seiner Mutter, welche eher wie eine diabolische Karikatur ihrer Stimme klang, die in sein Ohr flüsterte: "Alles gut mein Schatz. Schlaf jetzt ein."

 

Danke für die wirklich ausführliche Kritik! Ich werde mir viel davon zu Herzen nehmen und später (in ferner Zukunft^^) mal eine Geschichte schreiben, die dir dann hoffentlich besser gefällt :D
Aber deine Kritik an meinen Formulierungen ist mir wirklich viel Wert, da es vorher komplett an mir vorbeigegangen ist, wie unglücklich manche gewählt wurden. Ich denke aber viel mehr kann man von seiner ersten Geschichte auch nicht erwarten.

 

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