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Mysteriöser Betrug
Langsam aber sicher schlossen sich seine Augenlieder obwohl er mit aller Kraft gegen die unerbittlich scheinende Müdigkeit ankämpfte. Wahrscheinlich war es ein Schutzmechanismus seines Körpers, der Mike dazu zwang zu schlafen.
Er hatte 6 Tage kein Auge mehr zugetan. Seit dieser einen Begebenheit mit Anneliese hatte er sich geschworen, nie wieder zu schlafen. Anneliese ist Mikes Freundin oder war es zumindest noch bis vor kurzem. Die Beziehung zwischen den beiden verlief glücklich, jeden Sonntag trafen sie sich im Park und spazierten gemächlich in der Au herum und unter der Woche gingen sie ihrem gemeinsamen Hobby, dem Fischen am nahe gelegenen See nach. Alles war wunderbar. ..
Doch irgendwie schien Mike schon zu ahnen, dass an dieser erdrückenden Idylle irgendetwas nicht stimmen konnte. Jeder Tag seines Lebens mit Anneliese ähnelte einer billigen Fernseh-Seifenoper im Nachmittagsprogramm, einfach alles war perfekt, Probleme musste man sich selbst schaffen, um welche zu haben, die Gesamtsituation war ihm absolut abstrakt.
Es war etwas im Busch zwischen ihm und seiner Liebsten, das wusste er, nur konnte er die Richtung nicht orten aus der die Gefahr kam, sodass sich sein Verdacht nicht mit Beweisen hintermauern ließ.
Anneliese war so zuverlässig, sodass es war für ihn unvorstellbar war, dass sie ihm etwas verheimlicht. Normalerweise besprachen sie immer alles am Abend im heimischen Bett, wenn er von der Baustelle zurück war und sie den Stress im Büro bewältigt hatte. Nach dieser Problembekämpfung liebten sie sich noch meistens und betraten anschließend eng umschlungen gemeinsam das Land der Träume.
Doch nicht so an diesem einen Abend vor 6 Tagen. Mike kam nach Hause, doch von Anneliese war weit und breit keine Spur. Er dachte anfangs, sie wäre bei Freundinnen feiern oder ähnliches, man kann als Mann immerhin nicht ständig wissen, welche verrückten Sachen Frauen im Kopf herumspuken... Dementsprechend beruhigt legte er sich ins Bett und schlief in der Erwartung ein, morgen in der Früh wieder neben seiner Freundin aufzuwachen.
Dies war auch der Fall, nur konnte er das, was dazwischen vorfiel, nämlich seinen Traum, nicht verarbeiten... Er träumte von Anneliese und einem anderen Mann, sie liebten sich eifrig zwischen Tulpen und Gänseblümchen in einer, tatsächlich in seinem Ort existierenden Blumenwiese. Ihr Partner war gut gebaut, trug etwas längere, schwarze Haare, kombiniert mit einer dunkleren Hautfarbe, er erinnerte ihn etwas an das typische Klischeebild eines Indianers, man konnte ihn mit „Sally“ aus der Fernsehserie „Dr. Quinn – Ärztin aus Leidenschaft“ vergleichen. Ob er wohl in letzter Zeit zuviel fernsah?
Langsam neigte er seinen Kopf zu Anneliese rüber und betrachtete sie kritisch. Er musterte sie ab, Zentimeter für Zentimeter, jedes kleinste Stückchen ihres Körpers. Sie sah wunderbar aus, wie sie so da lag. Die Augen friedlich geschlossen schlummerte sie mit einem Grinsen auf den Lippen vor sich hin. Er dachte darüber nach, ob es denn möglich sei, dass sich sein Traum eines Tages in die Realität umsetzen würde.
Er schüttelte seinen Kopf und wollte gerade wieder einschlafen, als ihm plötzlich etwas am Fuß kitzelte, deshalb griff Mike zu seinen Schuhgröße 45 massiven Gehwerkzeugen und kramte dort suchend herum.
Das Ergebnis seiner spontan gestarteten Suchaktion erschütterte ihn, er brach innerlich regelrecht zusammen.
“Schatz, woher hast du die Feder, die du in der Hand hältst?“ wisperte seine eben erwachte Freundin neben ihm.
„Ach, die hab ich nur draußen auf der Straße gefunden, ich denke, ich werde sie als Dekoration für das kommende Kinderfest der Nachbarn verwenden...“
Er wollte sie nicht direkt auf seine Vermutung ansprechen. Ihm erschien die ganze Sache zu verrückt, um wahr zu sein, also beutelte er diese absurden Gedanken aus seinem Schädel und versuchte wieder zu schlafen.
„OK. Ganz ruhig bleiben. Er hat nur eine olle Feder gefunden, nicht mehr, nicht weniger. Nur eine Feder. Da kann er unmöglich schlüssige Zusammenhänge erkennen. Ich sollte Al-Gayan wirklich mal klar machen, dass es nicht reicht, wenn wir bei der Verabschiedung nur eine Strasse Sicherheitsabstand zu meinem Haus halten. Mike ist kein Idiot, wenn wir so weitermachen, wird er es bemerken. Aber wie kam denn wirklich diese verfluchte Feder in unser Bett... Hmm, es muss sich nach seiner Verwandlung eine von ihm gelöst haben, eventuell blieb diese dann an meiner Kleidung haften. Doch wann genau ist denn das geschehen??? Ich muss den gesamten Abend wohl oder übel noch einmal vor meinem geistigen Auge abspielen.
Al-Gayan und ich liebten uns heftig in dieser Blumenwiese, sein dunkles Haar kitzelte mich ständig auf meinen Brustwarzen... Gestern Nacht war er besonders leidenschaftlich, er steigert sich tatsächlich von Mal zu Mal. Nur gut, dass Mike so naiv ist, wahrscheinlich hat er auch diesmal gedacht, ich wäre bei einer Freundin Bier trinken oder so was... Naja, auf jeden Fall meinte Al-Gayan danach, er wolle mich noch nach Hause begleiten, denn in so einer dunklen Nacht kann einer hübschen, zierlichen Dame wie mir viel passieren, hach, er ist ja so ein Charmeur. Auf jeden Fall blieben wir eine Strasse vor meinem Haus stehen, damit Mike auch sicher nichts mitbekommt. Ich betrachtete ihn noch ein letztes Mal, seinen prächtigen muskulösen Körper, seine Augen, die so tief sind wie ein schwarzes Loch im Universum... Ich hätte ehrlich nie gedacht, dass Medizinmänner der Tropenwaldsekte „irk mischasda ischna sad“ so attraktiv sind. Und wenn er es mir nicht selbst verraten hätte, wäre ich wohl nie draufgekommen, dass er erst seit ein paar Jahren hier in Bayern lebt um die „Unheiligen“ zu studieren und zu bekämpfen. Jaja, er macht öfters solche Scherze...
Wie auch immer, als wir schließlich an der Straßenkreuzung angelangt waren, an der wir uns stets verabschiedeten, wollte er es natürlich nicht verabsäumen, mir zum krönenden Abschluss wieder eine seiner spektakulären, wundersamen Verwandlungen zu demonstrieren, zu denen er durch seinen Gott „irk mischasda“ befugt war. Al-Gayan und ich küssten uns nie zum Abschied, nein, er verwandelte sich immer in ein Tier, danach zogen wir immer beide getrennte Wege. Ich denke, er will mich damit nur beeindrucken um mich auch in Zukunft leicht ins Bett zu kriegen. Ich kannte die ganze Verwandlungspalette schon in und auswendig, seine Verwandlung zum Bären, zum wilden Tiger, zum Elefanten, ja sogar in eine Schildkröte hatte er sich für mich schon projiziert. Dementsprechend beeindruckte mich gestern seine Verwandlung in sein Lieblingstier, dem Adler, nur mehr wenig.
Nach der erfolgreichen Anpassung seines Körpers in ein Federvieh setzte er sich auf meine Schulter, zupfte mit seinem Schnabel noch spielerisch an meinem Haar und flog dann davon. Das muss der Moment gewesen sein, in dem eine Feder an mir haften blieb. Auf jeden Fall winkte ich ihm dann noch eine Weile nach und schleppte mich nach Hause, ich war hundemüde.
Hmm, so etwas darf kein zweites Mal passieren, ansonsten bemerkt Mike noch etwas von dieser Intrige, ich will ihn nicht verlieren, liebe ich ihn doch trotzdem noch immer.“
Als die beiden schließlich miteinander am Frühstückstisch saßen, konnte sich Mike die Frage nicht verkneifen, wo Anneliese denn gestern Abend geblieben sei.
Sie antwortete: „Bier trinken, bei einer Freundin.“
Während sie diesen Satz sprach, beugte sie sich weit nach vor um den Zucker für ihren Kaffe zu ergattern. Dabei tunkte sie beinahe ihren Anhänger, auf dem zwei goldene Herzen baumelten, in den Kakao von Mike. Sie nahm einen Schluck vom Kaffee und knabberte anschließend, gespannt auf seine Reaktion, an ihrem frischen Nougathörnchen.
Er erwiderte nur „Aha.“ und ging danach zur Arbeit auf die Baustelle. Sie sah ihn nur besorgniserregend hinterher als er das Haus verließ und sprach kein Wort dabei.
Als Mike um 7 Uhr Abends nach Hause kam, traute er seinen Augen nicht. Ein riesiges Stinktier saß auf dem Küchentisch und kaute an dem Nougathörnchen von Anneliese herum. Als er es völlig konfus verscheuchen wollte, bemerkte er, dass es einen Anhänger trug, genau wie der seiner Freundin. Zwei goldene Herzen hatte das Stinktier um den Hals hängen.
„Ein neues Haustier von Anneliese? Ich muss sie unbedingt zu Rede stellen!“ dachte er sich. „ANNELIESE“ brüllte er ins Schlafzimmer hinauf, in dem sie sich zu dieser Tageszeit immer aufhielt. „ANNELIESE!!!!!!!!!!!!!!!“ kreischte er hysterisch. Keine Antwort. Er rannte ins Schlafgemach hinauf, öffnete die Tür und ... fiel in Ohnmacht. Den Anblick eines alpinen Adlers, der über seinem Bett kreischend seine Runden zog, hatte er einfach nicht mehr ertragen.