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My Heart will go on

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06.06.2018
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My Heart will go on

Ich liege im Bett und denke über Karl Marx nach. Draußen applaudiert kühler Regen. Da ich letzte Nacht vergessen habe den Vorhang zu zuziehen, kann ich durch das Fenster verschwommen sich im Winde wiegende Bäume sehen. Unzählige kleine Regentropfen mäandern sich von außen mein Fenster hinab und die Stille ist durchsetzt mit der ernstfrohen Musik rauschenden Windes und der des Regenprasselns. Mein kleiner Digitalwecker auf dem Nachttischchen zeigt 09:34 Uhr. Samstag. Karl Marx feiert seinen 200. Geburtstag. In seiner Heimatstadt Trier wurde eine Bronzestatue enthüllt, geschaffen von einem chinesischen Künstler. Die AfD veranstaltet einen Schweigemarsch unter dem Motto „Marx vom Sockel holen“ wogegen wiederum die Linken demonstrieren. Verfolgte Chinesen, junge Katholiken, Tierschützer und Hebammen protestieren auch für irgendwas. Im ehemaligen Marxschen Wohnhaus befindet sich heute ein Ein-Euro-Discounter. Was für eine unfreiwillig ironische und irrwitzige Pointe!

Ich lasse diesen Gedanken vorbei ziehen. Neben mir leises Rascheln. Eine kurze Bewegung. Ich wende meinen Blick vom Fenster ab und beobachte sie. Mein Blick ist gefangen und gleichzeitig befreit. „Dein Herz ist mein Ankerzentrum! Du bist mein Fixstern am Horizont dieser verwirrenden und wüsten Welt!“ denke ich. Im trägen Licht erkenne ich die weichen und doch wohl und klar definierten Züge ihres Gesichts. Der kleine Tragus-Ring an ihrem Ohr. Die trotz tiefen Schlafs leicht geöffneten Augen. Die Haarsträhne, die auf ihrer Stirn ruht und die Andeutung von Grübchen in ihren Wangen. Ihr leises, rhythmisches Atmen vermischt sich mit dem feinen Rauschen des Windes und dem Prasseln des Regens zu einer mich ganz ausfüllenden Lebensmusik. Ich möchte jetzt augenblicklich auf Pause drücken. Das Leben anhalten. Den Moment konservieren. Einfach hier in meinem Bett, in dieser traumgleichen Kulisse liegen bleiben. Ich könnte mir nichts Schöneres und Erfüllenderes vorstellen!
Aber das Leben verlangt nun mal nach Fortsetzung. Ich schäle mich aus dem Bett und versuche dabei so leise wie möglich zu sein, um ihren friedlichen Schlaf nicht zu stören. Nachdem ich mich ins Badezimmer geschlichen habe, putze ich mir die Zähne und starre dabei abwesend in den direkt vor mir befindlichen Spiegel.

Gestern war Herrenrunde. In unregelmäßigen Abständen wird sich getroffen und amtlich amüsiert. Aber nicht einfach so. Es gibt Regeln. Wenn auch nur wenige: Es wird Dosenbier getrunken (kleine sentimentale Huldigung an die Jugend). Es wird gute Musik aufgelegt (Vorzugsweise Punkrock. Vorzugsweise Vinyl). Frauenintegration findet an diesen Abenden nicht statt. Es ist immer wieder schön, sich alte Geschichten von längst vergangenen Zeiten zu erzählen und dabei die Bierdosen aneinander klatschen zu lassen, während im Hintergrund die Schallplatte den Soundtrack dazu liefert. Die Wirkungsstätte unserer Anekdotenrunden variiert bei jedem neu angesetzten Termin. Jeder ist mal Ausrichter. Dabei werden die Ansprüche an die eigene Planungsfähigkeit mit fortschreitendem Alter immer höher. Ohne Terminplaner und To-Do Listen, völliges Versagen der persönlichen, inneren Strukturgebung. In der Jugend war Planen ein Fremdwort. Kein Internet. Kein Mobiltelefon. Kein WhattsApp. Kein Terminkalender. Nur kurzes, auf Übermittlung der wichtigsten Daten beschränktes Telefonieren:
„Der Steff hat heut Abend sturmfrei!“
„Geil! Dann lass uns um acht vorm Spar treffen, Bier kaufen und dann da hin latschen.“
„Alles klar! Bis später.“ Tut-tut-tut.

Es war eine Zeit, in der die Tätigkeit „leben“ intensiv betrieben wurde. In der man das Meiste unmittelbar und ohne technische Umwege wahrnahm. Wenn die Kids heute auf ein Konzert gehen, sind sie mehr damit beschäftigt, an ihren Smartphones rum zu nesteln, um Fotos oder Videos zu machen und direkt zu verschicken, als die Schönheit und Intensität des Augenblicks da vorne auf der Bühne überhaupt richtig und ungefiltert wahrzunehmen. Schnittstellenfrei.

Wir erinnern uns gemeinsam an eine bestimmte Party. Auf Festivitäten gab es ein ungeschriebenes Gesetz: Wer Alkohol-induziert einschläft, wird angemalt. Gnadenlos. Nico wurde sehr oft angemalt. Eigentlich regelmäßig. Er hatte nun mal die von uns schamlos ausgenutzte Gabe, von einer Sekunde auf die andere, in einen wie von einem Hypnotiseur herbeigeführten Tiefschlaf zu verfallen. Man hätte ihn kopfüber bei Rock am Ring auf der Center-Stage aufhängen können, während Slayer „Raining Blood“ intonieren. Er hätte selig weiter geschlummert. Einmal ging er von besagter Party am nächsten Tag alleine nach Hause. Sehr verkatert schlurfte er teilnahmslos und träge durch die Straßen. Ihn quälte der oft zitierte Nachdurst. Er kam zufällig an einer Pizzeria vorbei und wollte dort etwas Trinkbares in Form einer Cola erwerben. Stattdessen drückte ihm der Verkäufer erst mal wortlos einen nassen Waschlappen in die Hand. Er ging auf die Pizzeria-Toilette und starrte mit seinen müden und rot geäderten Augen in den Spiegel. Nico mit Adolf Hitler Gedächtnis-Bärtchen starrte zurück. Verschämt wischte er die Spuren der letzten Nacht aus seinem Gesicht, trottete zurück zum Verkäufer, tauschte Waschlappen gegen Cola, bezahlte und verließ gedemütigt wie nach der Prostata Untersuchung beim Urologen den Laden.

Bei einem Punk-Konzert im städtischen Jugendzentrum übermannte ihn der Schlaf noch vor Beginn der Musikaufführung direkt im Eingangsbereich. Er saß neben dem Eintrittsgeld kassierenden und im Gegenzug Stempel auf Handoberflächen drückenden Veranstalter auf einem Stuhl. In sich zusammen gesunken lungerte er da rum und der Kassierer machte sich einen Spaß daraus, nach jeder abgestempelten Hand ihm auch einen Stempel aufs schlafende Gesicht zu verpassen. Nach halbstündigem Powernapping stand er ohne etwas bemerkt zu haben auf und kam sich den ganzen Abend seltsam beobachtet vor, bis ihn der Harndrang zur Toilette lotste. Auch hier wieder eine eindrückliche Spiegel-Erfahrung. Diesmal kein dezenter Hitler Gedächtnis-Bart, sondern die ganze Visage übersät mit unzähligen Stempel-Abdrucken des JUZ-Konterfeis. Sah aus wie eine akut behandlungsbedürftige Hautkrankheit. Wurde von ihm aber mit stoisch besoffener Gelassenheit hingenommen. Er genoss sogar die ihm entgegengebrachten, irritierten Blicke der anderen Konzertbesucher. Seit dieser eindrücklichen und seinem narzisstischen Charakter sehr entgegenkommenden Erfahrung, denkt er ernsthaft über die für ihn egotherapeutische Maßnahme einer Gesichtstätowierung nach.

„Geht’s dir gut?“ höre ich auf einmal hinter mir. Ich habe sie gar nicht bemerkt in meiner Gedankenverlorenheit. Sie steht da im Türrahmen und schaut mich an. Nur bekleidet mit einem alten Tomte-Shirt von mir. Das mit dem Herz und dem umgedrehten Kreuz auf der Brust. Ich stehe immer noch am Waschbecken vor dem Spiegel. Aber jetzt ihr zugewandt. Ich gehe langsam auf sie zu, blicke durch die Eingangspforte ihrer Augen ganz tief in sie hinein und lege vorsichtig ihre Hände in die meinen. „Komm lass uns noch was ins Bett gehen“ flüstere ich ihr ins Ohr. Sie schweigt und lächelt ihr gütig melancholisches Lächeln. Eng umschlungen gehen wir zusammen zurück ins Schlafzimmer, in diese zeitlose Raumkapsel. Ich ziehe die Vorhänge zu und wir legen uns ins warme Bett. Gemeinsam liegen wir da, in dieser schaurig-schönen und verheißungsvollen Dunkelheit, in tiefer, gegenseitig verschaffender Gewissheit, hören zu, was Wind und Regen zu erzählen haben und überlassen die Zeit ihrem Schicksal.

 
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Hallo Tars,

deine Geschichte ist für mich ein Konstrukt von einzelnen Szenen; die, wenn sie auserzählt wären, jeweils eine gute Geschichte ergeben könnten. So verpackst du das Aufwachen neben der Herzdame mit einem Schwall an Gedanken übers vergangene und aktuelle Leben und kommst dann wieder am Ende der Geschichte inhaltlich zu ihr zurück.

Somit wirst du keiner Szene gerecht und mir als Leser erscheinst du gerade, als würdest du dein gesamtes Ideenarsenal innerhalb eines Textes verschießen. Fokussiere dich auf eine Handlung. Lass' dich mehr auf die Protagonisten ein. Springe nicht so von einem zum anderen wie bei einem Buffet. Bleib bei deinem Hühnerbein und knage den bis auf die Knochen ab.

Gelesen habe ich deine Schreibe an für sich gerne, also da scheint mir Potential vorhanden zu sein.

Herzlich Willkommen hier, Tars.

Und bitte belasse es erstmal bei den zwei geposteten Texten. Das ist erst mal genug auf deiner Seite der Waage.

Der englische Titel erschließt sich mir in keinster Weise. Nicht mal als Song taucht er auf. Also was soll das bedeuten? Wir sind ein deutsches Kurzgeschichtenforum.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Tars und willkommen hier!

Die einzelnen Szenen finde ich gut. Ich kann deinen Erzähler verstehen, weil ich selbst auch vorm Technikwahnsinn aufgewachsen bin und mich von daher mit seiner Wehmut identifizieren kann. Aber ich denke auch, dass du da Potential verschenkst, weil du da nur drüberhuschst. So bekomme ich zwar einen Einblick, was deinem Erzähler so im Kopf rumgeht, aber es bleiben eben nur Fragmente, die sich nicht in eine geschlossene Geschichte fügen. Und um die Wehmut auch für Leser interessant zu machen, die nicht aus dieser Generation stammen, müsstest du mMn die Vorteile dieser Zeit subtiler vermitteln, dem Leser schmackhafter machen, ohne allzuviel zu werten. Sonst klingt es schnell nach:"Früher war alles besser und heute ist alles Scheiße." Klar, das ist das, was dein Prot denkt, aber ich möchte das als Leser nicht so vordiktiert bekommen, sondern mir selbst ein Bild machen.
Vielleicht könntest du die beiden Stränge anders verknüpfen, mehr von seinem jetzigen Leben zeigen, damit ein neutraler Leser die Flucht in die Vergangenheit besser nachvollziehen kann. Er behauptet zwar, dass seine Freundin das einzig Gute in seinem jetzigen Leben ist, aber ich erfahre nicht, warum. Sie bekommt für mich kein Gesicht, nicht einmal einen Namen. Du hast sehr liebevoll beschrieben, wie er sie beim Schlafen beobachtet, das fand ich sehr schön, aber weil sie nicht agiert, fällt es mir schwer, mich wirklich in die Lage deiner Hauptfigur zu versetzen. Ich denke, da könntest du noch viel mehr rausholen und vertiefen.

"Ich denke über Karl Marx nach."
Schöner erster Satz. Macht mich neugierig. Mein Vorschlag wäre hier, die Geschichte mit dem Ein-Euro-Discounter gleich als nächstes zu erzählen, damit man überhaupt versteht, was das mit Karl Marx auf sich hat. Die finde ich nämlich herrlich ironisch, diese Discounter-Anekdote, auch ohne:"Was für eine unfreiwillig ironische und irrwitzige Pointe." Den Satz würde ich streichen, denn damit erklärst du mir den Witz und nimmst ihm die Kraft.

Ich finde, dass du grundsätzlich gut schreibst, aber einige holprige Sätze sind mir aufgefallen.

" ... und die Stille ist durchsetzt mit der ernstfrohen Musik ungelenk rauschenden Windes und der des Regenprasselns."
Den Satz würde ich streichen, denn damit machst du für mich die Stimmung kaputt, die du vorher aufgebaut hast. Ich finde, die Bilder sprechen hier für sich, und der Satz klingt ziemlich ungelenk in meinen Ohren.
Unter "ernstfroher Musik" kann ich mir in Bezug auf Wind und Regen nicht wirklich etwas vorstellen, und wenn es regnet und stürmt, ist es ja auch nicht still.

" ... zu einer mich ganz ausfüllenden Lebensmusik" finde ich auch zu viel. Im Prinzip fasst du hier noch mal zusammen, was du bereits erzählt hast.

Das sind jetzt erstmal so die Sachen, die mir aufgefallen sind. Im Großen und Ganzen hat mich die Herrenrunde aber amüsiert, ich verstehe nur nicht, weshalb Nico immer so überrascht ist, wenn er wieder mal rausfindet, dass er angemalt wurde. Er kennt das doch schon. Aber vielleicht hatte er auch noch zu viel Restalkohol im Blut, um sich darüber Gedanken zu machen. Die Geschichte mit den Stempeln finde ich richtig klasse. Die solltest du auf alle Fälle noch ausbauen.

Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen.

Viele Grüße von Chai

 

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