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Mutanten
Was für ein Tag! Wir schreiben das Jahr 2199 und man steckt immer noch im alltäglichen Feierabendstau. Der Mutant hinter mir ist schon ganz unruhig. Will schnell zum 4. Hafen, bevor der Krieg beginnt.
„Geht's nicht ein bißchen schneller, Herr?“
Wenigstens wahrt er die Form.
„Nein, Du Asek. Sei froh, daß ich Dich überhaupt fahre.“
„Ich heiße nicht Asek. Mein Name ist Smael. Und ich habe Ihnen den doppelten Preis versprochen.“
„Richtig. Und je länger ich hier im Stau stecke, um so teurer wird's für Dich.“
Das werden immer mehr seit dem großen Krieg. Die Mediziner machen sich langsam Sorgen. Keiner will sie haben, schon gar nicht die Krankenagenturen. Verständlich, schließlich sind das Mutanten. Hier im Sektor Ruhr geht's ja noch einigermaßen, aber drüben in Berlin oder Paris geht's ja richtig hoch her. Da stellen die Mutanten doch glatt die Regierung. Zum Glück gibt's hier sowas nicht.
Der Verkehr lockerte sich ein wenig.
„Glauben Sie, daß wir es noch rechtzeitig schaffen?“
„Hast Du nur ein halbes Hirn, Du dummer Mutant? Oder warst Du noch nie in diesem Sektor?“
„Als ich noch klein war, da war ich zuletzt hier. Es hat sich soviel verändert.“
„Das kommt davon, daß die Mutantenviertel so verwahrlost sind. Wird besser, wenn Ihr weg seid.“
„Wir sind keine Tiere!“ schrie er. „Wir sind über Euch hinausgewachsen. Es ist Eurer Neid, der Euch zu Angsthasen macht.“ Jetzt wurde er wirklich böse. „Ihr rottet Euch zusammen wie Herden und fallt über unsere Frauen und Kinder her. Vor uns Männern habt Ihr Angst.“
„Das sagst Du! In den Zeitungen steht was ganz anderes. Man ist als Mensch nicht sicher in Euren Gegenden. Deshalb patrouillieren jetzt dort unsere Soldaten.“
„Die hiesigen Zeitungen sind nichts anderes als faschistisches Propagandamaterial.“
Die Diskussion ging so eine Weile weiter, bis es mir zu blöd wurde. Ich schmiß den Kerl einfach raus und fuhr nach Hause. Meine Frau war jetzt schon im 7 Monat. Ich mußte ein bißchen auf sie acht geben.
„Hallo Schatz“
„Hallo, Liebes. Wie geht's Euch beiden?“ Ich hing meine Jacke an den Haken. „Das duftet ja vorzüglich. Was gibt es denn?“
Wir gingen in die Küche. Meine Frau sah mit ihren 30 Jahren noch verdammt gut aus. Ich bekam schon wieder Lust auf sie, doch ich hielt mich zurück. Die Schwangerschaft machte ihr schwer zu schaffen. Bewundernswert, wie sie trotzdem alle ihre Arbeit in den Griff kriegte.
„Uns geht's gut.“ Sie lächelte mich mit ihrem bezauberndem Gesicht an. „Es gibt Spreggels mit Soja und Risi. Wieso bist Du so früh?“
„Ach, so ein verdammter Mutant - Smael -“, ich verzog das Wort zu einem Leiern, „hat mich zugenervt. Die mit ihrem ewigen Unterdrücktseingesülze.“
Sie sah mich tadelnd an. „Es ist hier nicht gerade leicht für sie. Überall werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Dabei wollen Sie auch nur Leben und Arbeiten.“
„Einen Scheißdreck wollen die. Die wollen doch nur an die Macht, genau, wie in Berlin.“
„Wenn Du meinst.“ Damit wandte sie sich ab und nahm ihre Jacke vom Haken.
„Wo willst Du denn jetzt so schnell noch hin? Ich denke, wir essen jetzt!?“
„Ich habe keinen Hunger mehr. Dein rassistisches Gesülze kotzt mich an.“ Damit schlug sie die Tür hinter sich zu.
Frauen! Seit Ihr eine Freundin ein Vid gegeben hatte, das die Herkunft der Mutanten aufzuklären versuchte, war sie so anders, wenn es um das Thema ging. Und heutzutage ging es fast ständig um das Thema, seit der Krieg mit Berlin und Paris droht. In dem Vid hieß es, jeder könnte heutzutage als Mutant geboren werden. Es sei eine genetische Evolution. Schwachsinn! Entweder man ist Mensch oder ist es nicht. Pferde gebären auch nicht plötzlich Esel!
Nach ein paar Tagen hatte sie sich wieder beruhigt. Wir schauten zusammen die Nachrichten
„...wurde der Mutant Smael Jolchi der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Die Experten gehen von einer schnellen Verurteilung und Hinrichtung aus.“ Sie zeigten ein Bild.
Es war derjenige, dem ich im Taxi begegnet war.
„Schatz, das ist der, von dem ich Dir erzählt habe.“
„Der, der zum Hafen wollte?“
„Genau der! Deshalb war der so nervös. Die IS war im wohl schon auf den Fersen.“
Maria schwieg.
Weitere Wochen vergingen. Ich verfolgte den Prozeß gegen Smael und die Entwicklungen der Konfrontation mit Paris und Berlin. Krieg schien immer wahrscheinlicher. Überraschend war, daß Smael sich gegen alle Anschuldigungen der Inneren Sicherheit und der Staatsanwaltschaft erfolgreich zur Wehr setzen konnte. Seine Anwälte waren gut. Der Prozeß zog sich hin, in denen die IS immer mehr Anschuldigungen in das Feld warf. Irgendwann wurde er durch Indizien schuldig gesprochen. Die Anwälte protestierten, hatten aber keinen Erfolg. Sie beantragten sofort Revision, um die Hinrichtung noch ein Weilchen aufzuschieben.
Kurz vor der Geburt des Kindes gab es Komplikationen. Meine Frau kam in die Krankenagentur. Die Ärzte wußten nicht genau, was mit ihr los war, beruhigten mich aber. Sie war nicht die erste Frau, der eine Geburt Schwierigkeiten bereitete.
Etwa zur gleichen Zeit entkam Smael dem Gefängnis. Die Medien machten einen Riesenaufruhr und einige Köpfe rollten, doch Smael blieb verschwunden. Gleichzeitig spitzte sich die politische Lage immer mehr zu. Der Ausbruch Smaels und der drohende Krieg veranlaßte die Regierung dazu, alle Mutanten im Sektor Ruhr zu inhaftieren. Stadtteile wurden umzäunt und die Mutanten darin eingepfercht. Jeder, der jetzt noch frei herumlief, sei ein Terrorist und würde sofort erschossen, hieß es.
Ich besuchte Maria am Krankenbett. Sie war blaß und schweißgebadet. Sie schaute mich aus müden Augen an.
„Ralph.“
„Maria. Wie geht es Dir?“ Ohne Zweifel eine dumme Frage.
„Versprichst Du, unser Kind zu schützen, so gut es geht?“
„Was soll die Frage? Natürlich.“ Tränen liefen meine Wangen herunter.
„Ich.. Ich weiß nicht. Es gibt da so ein Gefühl...“
„Wirst Du sterben?“ Ich jammerte.
„Ralph.... das Kind! Ahhhhhhh!“ Sie schrie.
„Doktor, schnell! Kommen Sie“
Sofort waren die Ärzte da. Sie nahmen das Bett und schoben sie schleunigst in den O.P.
„Wird sie sterben, Doktor?“
„Wir tun, was wir können, Mann.“
Dann waren sie fort.
Eine halbe Stunde später kam einer der Ärzte heraus.
„Herr Fiennes?“
„Ja?“
„Kommen Sie bitte.“
Ich ging ihm hinterher. Sollte ich fragen, wie es ihr geht? Was war mit dem Kind? Wir kamen in den O.P.
Dort lag meine Frau. Blaß und die Haare durchnäßt. Sie schlief.
„Sie steht unter Morphium, wegen der Schmerzen.“
„Wird sie...“
Eine der Schwestern schüttelte den Kopf. „Es tut uns leid.“
„Das Kind?“
„Hier drüben.“
Sie zeigte auf eine kleine Wiege. „Es ist ein Junge.“
„Wir kommen in zwanzig Minuten wieder. Solange lassen wir Sie alleine.“ sagte die Schwester.
„Danke.“
Es war ein Mutant! Mein Baby war ein Mutant.
„Zwanzig Minuten, hören Sie?“
Verwirrt drehte ich mich um.
„Ich....“
„Haben Sie verstanden?“
„Ja.“ Ich hatte verstanden. Mir blieben zwanzig Minuten, bis die IS hier war.
Ich nahm das kleine Bündel in den Arm und ging damit hinüber zu Maria, die friedlich schlief und nie mehr aufwachen würde.
„Das ist Deine Mutter.“ sagte ich zu ihm. Ich gab Maria einen letzten Kuß und ging.
Ich verließ die Krankenagentur und stieg in mein Taxi. Behutsam legte ich das Kind neben mir auf den Sitz.
Ich fuhr los in Richtung des Mutantenghettos. Ich mußte Smael finden. Vielleicht konnte er mir helfen.