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Museum
Museum
„Blau!“ rief die Mäusedame. Läperli suchte nach blau. Dieses Spiel des Suchens nervte ihn. Und trotzdem schätzte er das Spiel als solches mit seiner besten Freundin Mausi so sehr, dass seine vorübergehende Unzufriedenheit schneller überwunden war. Dreimal schon hatte er daneben geraten. Blau, blau, „ Es ist hier alles braun, es ist Herbst, Mausi hat mal wieder blaue Fantasie.“ „ Du musst schauen - in die weite Welt hinein!“ Nein, das war ihm jetzt doch zu viel, bei aller Liebe. Kein Blau zu sehen, kein Blau da. Der Herbstwald duftete nach dem Tod des Grünen, verschiedene Braun- und Rottöne kündeten von einer baldigen Nacktheit der Bäume. Wütend über seine Erfolglosigkeit kickte Läperli am Boden einen braunen Ast zur Seite. Die Hände in seinen Hosentaschen zu Fäusten zusammengedrückt versuchte er sich nicht abzuwenden. Plötzlich piepste es. Unter dem Ast leuchtete etwas Metallenes, schnelle Hände wischten das restliche Laub weg und Mausi hielt ein kleines technisches Wunderwerk hoch. Von Menschen gemacht. Eine winzige Kassette, deren Rollen sich drehten, war umschlossen von einem winzigen Kasten, auf dessen Seite Knöpfe angebracht waren. Worte purzelten aus dem Gerät, Worte, die weder blau noch verständlich waren. „diktieren ... Wirtschaftswunder ... Defizite ... Schuldenduo ...“
„Von was reden die?“ „Keine Ahnung!“ Ratlos starrten zwei Mäusepaaraugen, Fragen tauchten auf und verschwanden wieder, denn: für die Antwort waren sie, zwei kleine Wesen in einem allzu großen Wald, nicht geschaffen. „Sind da Menschen drin?“ Läperli beugte sich neugierig Richtung Ton, doch der gab sein Geheimnis so nicht preis. „Nein, natürlich nicht, das haben Menschen vor langer Zeit gesprochen und dieses Band da hat die Zauberkraft, die Worte gefangen zu halten.“ Bewundernd schaute Läperli zu Mausi auf: “Das können die?“ Keck drehte sie sich auf ihrem Absatz und scherzend lief sie davon. “Ja, und noch viel mehr!“ Läperli hatte alle Mühe, dem schnellen Schritt zu folgen. „Die haben Berge von alten Gedanken auf Band, auf Papier und in ihren Köpfen gesammelt.“ „Wo gehst du hin?“ „Ich bringe das in unser Museum, dorthin, wo es hingehört!“
Das Museum, ein erstaunlicher Ort mit Fundstücken aus dem Wald, war in einem uralten mächtigen Baum, dessen ausgewaschene Wurzeln eine Höhle freigaben, untergebracht. Winzige Stockwerke drehten sich nach oben auf, vollgesteckt mit diesen kleinen Absonderlichkeiten, die im Wald ansonsten dem schnelleren Verfall verschrieben gewesen wären. Stücke, die einer sachkundigen Erklärung bedurft hätten, um die Welt und damit die Geschichte der Menschen dem Waldpublikum transparent zu machen. Das war das beliebte Besuchszentrum der Waldbewohner, die klein genug waren, um die Pforte zu durchschreiten, gehegt und gepflegt von den Wissbegierigen. Besucher kamen manchmal aus Langeweile und manchmal aus Interesse an der Sache und manchmal nur, weil es einfach schick war, dort ein paar Stunden zu verbringen.
„Warum sammeln sie Gedanken?“ „Na ja, wieso sammelst du Nüsse?“ „Na, weil ich Hunger habe!“, antwortete Läperli einsilbig. „Und?“ „Was und ...?“ „Kannst du dir nicht vorstellen, dass die Menschen auch Hunger haben? Hunger auf Wörter und Gedanken?“ „Nee, brauch` ich ja auch nicht.“ „Läperliiii!“ Mausi stand schon am Rande ihrer Geduld. „Du liebst doch auch Geschichten und Spaß und Spiele und Gespräche, aus was anderem sind sie denn zusammengesetzt, als aus Worten, Gedanken und Inhalten ... außerdem haben wir auch ein Museum!“ „Da sammeln wir doch nur Sachen zum Anfassen ...“. Die Stimme von Läperli klang etwas enttäuscht, angesichts der Heldentat der Menschen, so etwas Luftiges wie Gedanken zu sammeln. Mausi zuckte mit den Schultern. Hatte sie denn nur eine gefräßige kleine Maus an ihrer Seite, eine, die nicht bereit war, länger als zwei Sekunden über etwas nachzudenken und nur den eigenen Körper mit Nüssen zu füllen gedachte? War ihm nicht klar, dass die Sachen zum Anfassen Geschichten erzählen konnten? Eben aus Gedanken geformt?
„Weißt du was?“ Läperli kratzte sich am Ohr. „Wir brauchen eigentlich kein Museum, wir sind ja selbst eines!“
Mausi lachte glücklich angesichts der schnellen Einsicht und so schlurfte sie mit ihm Richtung Waldmuseum, umgeben von den unbeschreiblichen Worten aus dem Kästchen.
„Und was ist blau?“ Der Mäusejunge schielte verstohlen zur Mäusedame, die flugs unter sein Kinn griff und es nach oben drückte: “Der Himmel, mein Lieber, unser aller Dach! Komm mal aus deinem Kopfmuseum heraus!“
© Pierra Kayser