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Mr. Richtig, persönlich

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26.10.2002
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Mr. Richtig, persönlich

Die meistgesuchte Person der Welt ist wahrscheinlich Herr Richtig. Der Gauner, der sich auf die Entwendung des Realitätssinns verlegt hat. Der Richtige! Melde dich endlich! Die Menschheit braucht dich!
Unzählige Suchanzeigen sind aufgegeben worden, um dem flüchtigen Phänomen endlich auf die Schliche zu kommen. Seitenweise Anzeigen, mit denen noch das kleinste Landkreisblatt zwei Seiten füllen kann, was die Leser vor weiteren Pfarrfestreportagen bewahrt. Die Suche gestaltet sich allerdings etwas schwierig, da Herr Richtig immer unter einem Pseudonym auftritt: Mr. Right. Mr. Perfect. Traummann.
Scheinbar handelt es sich außerdem noch um einen Tarnkünstler. Nach Zeugenbeschreibungen entsteht ein recht uneinheitliches Bild : Nicht dick, trainiert, schlank, vollschlank. Gepflegt. Abenteuerlustig, einfühlsam. Blond, brünett, dunkelhaarig. Dominant, devot. Ausgeprägte Liebe zu Natur, Musik, Parties, gemütlichen Abenden am Kaminfeuer. Raucher, Nichtraucher, weltoffen, selbstständig, anhänglich. Romantisch, mit beiden Beinen auf dem Boden. Er kann sich scheinbar hinter jeder Fassade, hinter jedem harmlosen Gesicht verstecken.
Scheinbar kennt Mr. Right nicht nur die Lösung für alle zwischenmenschlichen Probleme, er scheint sie sogar zu verkörpern. Wie sonst ließe sich die Vorstellung vieler Mitmenschen erklären, dass mit ihm, oder ihr, an seiner Seite das Leben lebenswerter und leichter zu ertragen wäre? Was verbirgt sich hinter dem Richtigen, das ihn so unheimlich begehrenswert macht?
Einige Personen behaupten, den Richtigen schon einmal begegnet zu sein, ja sogar mit ihnen zusammenzuleben. Viele werden allerdings getäuscht.- auf einmal war es doch nicht der Richtige, sondern ein Schuft, ein elender Betrüger- und die Suche geht weiter. Manche wagen sich gar in die unfreundliche Außenwelt und suchen den Richtigen persönlich, auch wenn das bedeutet, tatsächlich Kontakt mit Fremden aufnehmen zu müssen. Alle die peinlich Berührten, Schüchternen, Verlegenen, die sich zunächst etwas Mut antrinken müssen, eint die Hoffnung, dass der Richtige vielleicht einen Barhocker weiter sitzen könnte und man ihn nur noch anzusprechen braucht. Dass ein kleines Hallo und ein Lächeln weiter der Schlüssel liegt zum Ende der einsamen Videoabende und Tütensuppen in Singleportionen. Dieses Kennenlernen ist schon ein entscheidender Moment, denn bekanntlich entscheidet ja schon der erste Blick über Sym- oder Antipathie. Es erfordert Selbstvertrauen, sich selbst zu präsentieren und sich diesem ersten Blick zu stellen, der eventuell auch Ablehnung bringen könnte; dies eine Herausforderung, der einige Mitmenschen sich nicht gewachsen fühlen.
Die Jagd auf Mr. Richtig geht jedoch weiter, und auch die verunsicherten Zeitgenossen möchten daran teilhaben. Zum Glück gibt es ja Mittel und Wege, in denen man selbst scheinbar die volle Kontrolle über alle ablaufenden Vorgänge behalten kann.: die Kontaktanzeige, wie bereits erwähnt, grassiert in bundesdeutschen Zeitungen; und hinter jeder dieser in atomaren Schriftsatz gesetzten Anzeigen versteckt sich ein Mensch, der glaubt, auf diesem Wege der Niederlage einer direkten Ablehnung entgehen zu können. Schade nur, dass diese Anzeige an sich schon eine Kapitulation ist. Warum tauscht ein so ein toller Mensch, wie es in der Anzeige heisst, denn nicht einfach den Frotteehausanzug mit etwas Angemessenem und geht hinaus, zwischen die Menschen, wo ihm die Herzen ja nur so zufliegen müssen? Kann man sich überhaupt sicher sein, dass man einen Menschen kennenlernen möchte, der glaubt, seine komplette Palette guter Eigenschaften auf einmal in 40 Wörtern ausdrücken zu müssen, um Interesse zu erregen? Der aber in seiner Beschreibung so vage bleibt, dass nicht Neugier entsteht, sondern nur Zweifel, ob es sich wirklich um eine eigenständige Persönlichkeit handeln kann und nicht nur um w25/178/56/90/60/90? Natürlich bleibt den Inserenten solcher Anzeigen die Wahlfreiheit. Die Antworten auf die Anzeige kommen per Post. Nachdem alle außer den Bildzuschriften aussortiert worden sind- warum eigentlich? Aus Angst, dass sich dahinter ein Seelenverwandter verstecken könnte, was die Selbstzweifel und Persönlichkeitskomplexe ob des Aussehens betrifft?- kann man sich in Ruhe jemanden aussuchen, von dem man glaubt, dass er Mr. Right am nächsten kommt. Noch ist es ein fremdes Gesicht, dass einem aus dem Foto entgegenstarrt, es ist nicht mal sicher ob der Absender des Briefes und der Mensch auf dem Foto ein- und dieselbe Person sind (spätestens beim ersten Treffen, nach einigen Stunden Telefonsex und Liebesschwüren wie „Es ist wohl Schicksal dass dir genau der Teil der Zeitung nicht in die Tütensuppe gefallen ist, auf der meine Anzeige stand“, nachdem man also nicht mehr einfach den Ort des Geschehens verlassen kann, fallen dann Geständnisse wie „Ich dachte ich hätte bessere Chancen mit dem Photo meines Ex-Freundes“). Dennoch starrt man angestrengt zurück und versucht, in dem Zahnpastalächeln vertraute Züge auszumachen. An irgendetwas müsste man ihn doch erkennen, wenn er es wirklich ist. Schließlich muss er sich ja irgendwo verstecken, hinter irgendeinem Gesicht.
Wenn es dich wirklich gibt.

 

Hej shrimps!

Netter Text über die ewige Suche nach dem perfekten Partner! Hab ich gerne gelesen: sehr kurzweilig, sehr treffend.
Ich hätte den Text allerdings unter "Satire" gepostet, vielleicht läßt Du ihn nochmal dorthin verschieben?

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

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