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Mr. Leech
Das Klicken des Verschlusses hämmerte sich in meinen Kopf.
Die Waffe war schon lange leer. Hülsen lagen um mich herum und die golden schimmernden Metallstücke wurden langsam von einer Lache dicken, roten Blutes überflutet, das langsam über den Boden kroch..
Die Sicht war verschwommen. Wo ich mich befand war nicht ersichtlich. Doch schon seit Minuten lag ich hier und konnte mich nicht mehr bewegen.
Nur die rechte Hand krümmte sich immer wieder in dem Versuch die Waffe abzufeuern.
Ich spürte wie Blut an meiner Wange herunter ran und auf meine Schulter tropfte.
Meine Schulter war ohnehin taub, doch ich wusste nicht genau weshalb. Die Wunde am Kopf erklärte sich durch den Querschläger der vor mir in die graue Steinwand gefahren war. Scheinbar waren weitere Splitter durch meine kugelsichere Weste geschossen und hatten meine Schulter zerfetzt.
Zu meinem Entsetzen stellte ich fest dass ich alles vergessen hatte.
Wo war ich?
Wie war mein Name?
Wer war ich?
In meinem begrenzten Sichtfeld bewegte sich eine verschwommene Gestalt an mir vorbei.
Ich hatte keine Ahnung um wen es sich handelte und ob die Person bemerkt hat, dass ich noch am Leben war.
Bei dem Gedanken fragte ich mich, war ich überhaupt noch am Leben?
Vielleicht war ich dazu verdammt die Ewigkeit zu erleben. Die Gefühle des Schmerzes weiterhin zu ertragen und die Torturen ewiger Bewegungslosigkeit erdulden zu müssen.
Wieder bewegte sich etwas vor mir. Doch die Regung war so minimal, dass es wahrscheinlich nur der Wind war, der durch den Staub auf dem rauen Boden fuhr. Doch im Augenwinkel nahm ich die Bewegung erneut wahr und ich konzentrierte mich auf die Stelle.
Es wurde schwarz.
Als ich wieder erwachte war die Welt um mich herum dunkel. Reflexartig versuchte ich meine Arme zu bewegen. Ohne Erfolg. Selbst der steife Nacken lies sich um keinen Zentimeter mehr verrücken. Als ich es dennoch versuchte wurde es wieder schwarz um mich herum.
Licht. Die Sicht war noch schlechter als zuvor. Es hatte zu Regnen begonnen was eine Erleichterung war. Der Schmerz lies ob der kühlen Erfrischung des Regens nach und ich konnte mich wieder konzentrieren.
Das Blut von meiner Wange wurde abgewaschen und die Lache zu meinen Füßen wurde langsam verdünnt und weggespült.
Nur noch schemenhaft nahm ich meine Umgebung wahr. Und doch löste sich ein dunkler Schatten aus dem Boden und erhob sich.
Anfangs schien mich die Silhouette nur an zu starren. Doch ich konnte keine Augen oder Gesichtszüge erkennen. Bei Gott, ich konnte nicht mal ein Gesicht erkennen.
Dennoch, auch wenn mein Körper nahezu komplett zerstört war und ich nirgendwo mehr etwas fühlte, spürte ich, dass das Wesen vor mir sich auf mich konzentrierte und mich beobachtete.
Adrenalin wurde freigesetzt und strömte durch meine Venen. Mein Kreislauf kam damit nicht mehr zurecht und meine Sinne verließen mich erneut.
Meine ersten Gedanken als ich zu mir kam waren, dass die Gestalt hoffentlich gegangen war. Denn obwohl ich nichts erkennen konnte, nichts sehen konnte und nichts mitbekam, erfüllte mich die bloße Anwesenheit dieses Dinges mit einer unerklärlichen Furcht.
Doch als ich blinzelnd erwachte, stand die Gestalt immer noch regungslos einige Meter vor mir. Meine Sicht schien besser zu werden, doch zugleich wurde es auch dunkler und es war immer noch unmöglich etwas genaues zu erkennen. Vielleicht hielt es mich für tot? Vielleicht war es selbst tot? Vielleicht war ICH tot?
Ich schaute solange angestrengt auf die Silhouette um etwas, außer der schwarzen Konturen zu erkennen, bis mir die Augen tränten. Ich blinzelte und bekam einen Schock.
Innerhalb eines Wimpernschlags war die Kreatur um zwei Meter nach vorne gerutscht, sodass sie jetzt nur wenige Meter vor mir stand.
Mittlerweile konnte ich die Konturen als die Gestalt eines Mannes deuten. Der Kopf hob sich nun deutlich vom Rest der Körpers ab und ging nicht mehr einfach in ihn über.
Ein dünner Lichtstreifen von irgend woher beleuchtete das Wesen kurz und erhellte kurz den Kopf.
Was ich sah lies meinen Verstand aussetzen. Das Gesicht war kein Gesicht.
Die Augen waren unmenschlich groß und schwarz. Leer. Ohne Seele, ohne Gefühle. Die Augen waren direkt auf mich gerichtet, die Nase bestand aus zwei kleinen senkrechten Schlitzen und der Mund war viel zu breit und mit viel zu vielen, spitz zulaufenden Zähnen besetzt. Die Haut war schwarz und ledrig, der Kopf war schmal und das Wesen trug einen pechschwarzen Hut, wie man ihn früher Vogelscheuchen aufgesetzt hatte. Unter dem schwarzen Lederhut hingen einige fettige, nasse Strähnen in das kantige Gesicht.
Ohne nachzudenken drückte ich den Abzug meiner Waffe erneut durch.
Erneut erhellte ein kurzer Lichtschein die Umgebung. Ich bemerkte dass es Blitze waren, denn es grollte dumpf in meinen Ohren.
Beim zweiten Blitz, stand die Gestalt immer noch genau gleich da. Mit entsetzen stellte ich fest, dass die Gestalt mich mit den schwarzen Augen direkt fixiert hatte, doch was viel schlimmer war, sie schien dabei zu lächeln. Als würde sie realisieren dass ich bemerkt hatte dass es mich anstarrt, neigte das Wesen leicht den Kopf und das Lächeln wurde breiter.
Die Angst hatte mich nun soweit getrieben, dass ich mich vor der Dunkelheit und der Ungewissheit panisch Fürchtete. Ich betete dass es wieder blitzte, sodass ich sehen konnte wo das Vieh sich befand und ob es immer noch lächelnd da stand.
Kurz darauf wurde es wieder hell. Das Gesicht war direkt vor mir.
Die schwarzen Augen kaum zehn Zentimeter von meinen entfernt.
Der große Mund lächelte breit und als das Wesen bemerkte was für Ängste sich in mir abspielten, neigte es erneut den Kopf und zwinkerte mir zu.
Dann beugte es sich zurück und entfernte sich wieder in den Schatten. So schnell wie es gekommen war, verschmolz es mit der Dunkelheit und lies mich mit einer übernatürlichen Furcht und tränennassen Augen zurück.
Stunden später, hörte ich Schritte schnell näher kommen. Lichtkegel durchstochen die Dunkelheit an verschiedenen Stellen. Kurz darauf blendete mich eine Taschenlampe so stark, dass ich zehn Sekunden nichts mehr sehen konnte. Mir wurde erneut schwindelig und ich kämpfte darum nicht wieder in Ohnmacht zu fallen.
Ich verlor den Kampf.
Doch wenige Sekunden später erwachte ich mit einem Stöhnen.
„Hey hier ist noch jemand am Leben!“
Schwärze.
Erneutes, schmerzhaftes erwachen.
Wieder beugte sich jemand über mich. Dieses mal ein normales, menschliches Gesicht.
Ein junger Mann, um die zwanzig.
„Lass mich mal.“
Der Mann wurde beiseite geschoben und ein älterer Typ erschien vor mir. Er leuchtete mir kurz mit einer kleinen Lampe in beide Augen und nickte, scheinbar zufrieden.
„Er heult zwar irgendwie rum, ist aber noch am leben.“
Von irgendwo hinter mir ertönte eine dritte Person.
„Dann flick ihn zusammen. In fünf Minuten möchte ich hier weg sein.“
Der Mann nickte. Er sah mir direkt in die Augen.
Hinter ihm sah ich, wie das Grauen wieder aus dem Schatten trat.
Die dunklen, seelenlosen Augen ignorierten die drei Männer um mich herum und starrten mich direkt an.
Ich hob meine Hand um auf es zu zeigen. Doch der Mann der gerade meine Kopfwunde nähte, schob die Hand beiseite.
„Alles wird gut. Du bist in guten Händen.“
Ich versuchte zu reden, bekam aber wegen meiner tauben Zunge kein Wort mehr heraus.
Ein Stöhnen entfuhr mir, als das Grauen wieder den Kopf neigte und den Mund zu einem breiten Lächeln öffnete.
Mein Arzt hielt inne und sah mich an. Dann folgte er meinem Blick und starrte hinter sich in die Dunkelheit, wo sich eben noch das Monstrum befanden hatte.
„Ich glaube da hinten ist noch jemand. Sieh mal kurz nach!“, sagte er zu einem seiner Begleiter.
Ich schüttelte krampfhaft den Kopf. Wenn der junge Mann alleine ging, würde ihn das Wesen töten.
Doch der Arzt ignorierte meine panische Gestik und hielt meinen Kopf gerade.
Im Hintergrund sag ich den jungen zwanzigjährigen im Finsteren verschwinden.
Er leuchtete mit seiner Lampe durch die dunklen Katakomben.
„Hallo? … lebt noch jemand?“, die Stimme des Jungen verriet keine Angst und er zögerte nicht sich in die finsteren Windungen des alten Gebäudes vor mir zu begeben. Das würde sein Tod sein.
„Ok. Die Kopfwunde ist fertig. Wo haben sie sonst noch Verletzungen?“
Ich versuchte etwas zu sagen, dennoch wieder ohne Erfolg.
Doch zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass ich meinen Arme wieder bewegen konnte. Wild gestikulierte ich in die Richtung des Hauseingangs, doch wieder schob der Arzt meine Arme auf die Seite.
Der ältere Mann, er musste so um die Mitte vierzig sein, brachte ein kleines Lächeln zu Stande.
Seine spröde Haut hatte schon viele Falten, die sich auf abstruse weise verzogen, als er lächelte. So sah er nun aus wie ein knautschiger Pittbull. Doch trotz seinem fortgeschrittenen Alter, wirkte der Mann recht fit und aktiv. Er hatte eine athletische Statur und wachsame Augen, die stets ernst zu schauen schienen. Der Mann war locker doppelt so alt wie ich.
Nun lächelte dieser Fremde auf mich herab und sagte mir das alles gut werden würde.
„Mein Freund kümmert sich schon darum, dass die anderen auch gefunden werden. Jetzt geht es erstmal um sie. Wo haben sie noch Schmerzen?“
Der Typ dachte also, dass ich nur versuchte ihm klar zu machen dass es weitere Überlebende gibt.
Ohne die Fähigkeit zu sprechen war das Unterfangen, ihn von meiner wahren Absicht zu überzeugen, ziemlich sinnlos. Also deutete ich wage auf meine Schulter, die immer noch etwas taub war. Der Arzt machte sich ans Werk. Von den anderen Beiden die ich vorhin gehört hatte, war nichts mehr zu sehen.
Ein paar Minuten später (mehr als fünf), war auch meine Schulter verbunden. Ich konnte sie zwar noch nicht wieder perfekt bewegen, doch der Schmerz war nun erträglich und ich fühlte mich bereit aufzustehen.
„Die Schwellung ihrer Zunge wird in einigen Minuten zurückgehen, doch versuchen sie bis dahin bitte nicht mehr zu reden, sonst verlangsamt das die Reaktionszeit des Mittels, dass ich ihnen gespritzt habe. Lehnen sie sich gegen die Wand hier, während ich hier den Rest zusammentrommele!“
Ich nickte schwach und lies mich gegen die Wand sinken.
Der Arzt entfernte sich mich großen, schnellen Schritten und lies mich in der Dunkelheit und im Regen zurück.
Komischerweise fürchtete ich mich.
Ich wusste genau warum. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Auch keine Angst davor alleine gelassen zu werden. Keine Angst vor Schmerzen.
Ich hatte Angst vor dem Ding, dass in den Schatten lauerte.
Ich hatte Angst vor Mister Leech.