- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Mr. Iks
Ich kann die Realität nicht mehr von den Erzählungen unterscheiden. Zu nah stehen sie beieinander. Doch auch nach so langer Zeit, jagt der Anblick mir einen Schauer über den Rücken. Wie er da steht, in seinem Garten, sich nicht regt – nie. Wie eine Vogelscheuche. Die Schaufel in der Hand – als Stütze – nicht zum Arbeiten. So früh, dass ihn nie jemand herauskommen sieht. Er trägt ein langes Hemd, Hut, Stoffhose und Handschuhe – immer. Zwischen uns die Straße, sein Haus inmitten schwarzer Tannen, die wie Spitzen riesiger Pfeile wirken. Der Asphalt glüht unter der Sonne, schimmert, spiegelt wie Wasser.
»Hey, hey …« Mein Ellenbogen rammt Rios Arm. »Mr. Iks! Mr. Iks!«
»Au, was denn … «, sagt er. Sein Blick fixiert den Garten. »Oh …«
Frey schaut erst zu uns, dann folgt er unseren Blicken. »Ach«, sagt er, seine Augen rollen, »kommt schon. Seid nicht kindisch. Ist `n alter Mann im Garten.« Gleichgültiges Lächeln, hochgezogene Brauen. Im Mundwinkel wippt ein Grashalm, in seinen Händen hüpft ein Baseball. Lichtflecken, die das Geäst über uns durchdringen, tanzen auf seinem runden Gesicht.
»Ach ja?« Rio rappelt sich auf; das Gras platt, hat die Form seines Rückens angenommen. »Keiner kann sagen, wie lange er schon hier wohnt und bis heute hat noch niemand je seine Stimme gehört.«
»Ach laber’ nicht! Sind Ammenmärchen.«
»Was glaubt du denn, warum die Leute ihn Mr. Iks nennen?«, fragt Rio.
»Na, heißt er nicht so?« Verwirrt zuckt Frey den Kopf zurück.
Ich schaue zu Rio, er zu mir. Wir lachen. »Alter, bist du so blöd oder tust du nur so?«
Frey schaut uns an, die Stirn kraus, die Blicke fragen.
»Ach, passt, alles gut!«, sage ich und winke ab. Verschränke die Arme hinter dem Kopf, das weiche Gras kühl im Schatten. Meine Beine übereinander, rieche die Erde, die Blumen, die Pollen in der Luft. Der Himmel blau, keine Wolken. Schließe die Augen, Vögel singen, Insekten schwirren, die Luft steht.
»Ich glaube, dass er auf unseren neu zugezogenen Sunnyboy hier steht«, sagt Rio nach einer Weile.
Ich grinse. »Vielleicht.« Die warme Luft schmiegt sich an meinen Körper.
»Was? Jungs, Jungs, Jungs. Wieso auf mich?« Freys Stimme überschlägt. Dann räuspert er sich. »Und wenn schon? Ist eh nur `n alter Mann.«
»Ein alter Mann, der seinen Boden mit Kinderknochen düngt.« Ich heb eine Braue an, öffne das Auge. »Man sagt, er habe auch was mit dem Verschwinden von Clara zu tun.«
»Wer ist Clara?«, fragt Frey, schaut zu mir, zu Rio, dann wieder zu mir.
»Ach ja, die arme Clara«, sagt Rio nachdenklich, »Weißt du noch, wie wir letztes Jahr in der Pause ihre Schultasche versteckt haben.«
»Stimmt, diese komische rosa Tasche mit den Bändchen dran, ne? Sie ist ja richtig durchgedreht deswegen.« Mein Lächeln geht in eine nachdenkliche Miene über: »Ich hoffe, ihr ist nicht schlimmes zu gestoßen und sie taucht bald wieder auf. In der Schule gibt es schon die übelsten Gerüchte.«
»Ihr verarscht mich doch bloß!« Freys lächelnder Gesichtsausdruck eingefroren.
»Wenn du willst, kannst du den Schläger nehmen«, sagt Rio und drückt das dicke Ende des Baseballschlägers, den er unter seinem Nacken hatte, in Freys Bauch. »Du weißt schon, falls er dir auflauert, wenn du nach Hause gehst.«
»Ist doch albern«, sagt Frey und schlägt ihn weg.
»Was albern ist, ist diese unerträgliche Wärme«, sage ich und schließe wieder die Augen. »Jetzt ein Bier. Schönes, eiskaltes Bier.«
Höre, wie sich Rio ebenfalls wieder hinlegt. Er seufzt. Stimmt mir zu.
»Und wer holt das Bier?«, fragt Frey in einem Ton der Vorahnung.
Ich krame aus meiner Tasche einen zerknüllten Geldschein hervor und reiche es in seine Richtung, ohne die Augen zu öffnen. »Wer so blöd fragt, natürlich.«
»Sag mal, Rio, war das ernst gemeint?«, fragt Frey als er zurückkommt und legt eine Tüte mit den Dosen ab. Seine Stimme müde, Haare verklebt, T-Shirt dunkel auf der Brust und unter den Achseln.
»Hm? Was denn?«, fragt Rio. Die Plastiktüte raschelt, während seine Hände nach einer Dose fischen.
»Na, das mit der Lauer und dem Mädchen, Clara«, sagt Frey und reicht mir das Restgeld.
Rio wirft eine Dose in meine Richtung und zwinkert mir zu. Dann wird er ernst und flüstert so, wie er es immer tut, wenn jemand diese Frage stellt. »Na was denkst du, Mann. Erst beobachtet er dich, merkt sich jeden deiner Schritte …«
Ich schalte ab, kann mich dabei nicht zusammenreißen, lache jedes Mal und vermassle Rio den Spaß. Wie schafft er es nur, ernst zu bleiben? Und dazu diese Mimik, die Spannung, die er erzeugt. Der arme Frey; dem fallen gleich die Augen aus dem Kopf.
»… und dann, wenn du`s am wenigsten erwartest, da greift er nach dir, seine Hände nur Knochen, deshalb auch Handschuhe, greift nach deiner Kehle und …«
Freys Blicke springen hin und her. Ich kämpfe gegen den Reiz, meine Mundwinkel beben. Ich versuche unauffällig den Mund zu verdecken und halte die Dose unnötig lange vor dem Gesicht. Doch letztendlich gebe ich auf, lache los, Rio lacht auch. Wir rollen uns auf dem Gras. Jedes Mal, wenn Rios Blick meinen trifft oder wir Freys runzelige Stirn und die verängstigten Augen sehen, lachen wir noch lauter.
»Ihr seid solche Arschlöcher«, sagt er und wirft mit dem Ball nach mir.
»Du glaubst aber auch alles«, sage ich zwischen Lachattacken. Mein Bauch krampft, ich schwitze. Ich bemühe mich, das Bier nicht zu verschütten.
»Und? Hast dir in die Hosen geschissen?« Rio wischt sich stöhnend Tränen aus den Augen.
»Ach haltet doch die Klappe!«
Vereinzelte Sonnenstrahlen leuchten glutrot durch die sich umarmenden Baumwipfel auf den Hügeln. Lange Schatten liegen auf der Straße. Grün wird allmählich zu schwarz. Sirenen in der Ferne.
Die nächste Dose zischt, herausquellender Schaum befeuchtet meine Fingerkuppen. Wie ein kalter, rauschender Bach gleitet die Flüssigkeit durch meinen Rachen und die Brust. Der grasige, frische Geruch steigt mir in die Nase. Schiele rüber, Mr. Iks‘ Garten ist leer, keine Ahnung, wann er gegangen ist, keine Anzeichen von ihm. Mit der Dämmerung kommt eine schwache, aber willkommene Brise. Die Zweige der Tannen bewegen sich wie kleine Ärmchen, die sich aus dem Dickicht befreien möchten.
Ich werfe den Ball auf Frey, er schreckt auf.
»Na los«, sage ich, ziehe den Schläger hinter Rios Kopf hervor, der auf die Erde fällt und renne auf die Straße. »Lass uns spielen!”
Frey steht auf, kratzt sich gähnend den Hinterkopf, kneift ein Auge zu und zielt. »Ich warne dich, ich war schon immer ein brutaler Werfer.«
»Quatsch nicht und wirf!«, sage ich.
»Na, wenn du meinst«
Er holt aus, wirft, der Ball wie ein Strich in der Luft, ich verfehle.
»Eins zu null«, sagt Frey und lacht.
»Du lässt dir das gefallen?«, ruft Rio amüsiert und rülpst. Seine Sprache schwammig. Um ihn herum zerknüllte Dosen, wie silberne Blumen, die im Abendlicht glänzen.
»Du solltest nicht so viel trinken und den Schläger schwingen!«, rufe ich ihm entgegen. Er winkt ab und hickst.
»Hey, hör auf, abzulenken, na Los! Du bist dran!«, sagt Frey.
Die Genugtuung in seiner Stimme nervt mich. »Jungfrauenglück!«, rufe ich und werfe ihm den Schläger zu. »Ich zeige dir jetzt, wie ein wahrer Meister wirft.« Ich schaue mich um, lecke die Lippen. Die Nase angezogen, die Brauen gekniffen, der Nacken angespannt.
Frey schlägt den Schläger gegen sein Schienbein, spuckt auf den Boden und nimmt Position ein. Der Schläger zittert zwischen seinen Händen. »Na dann, her damit!«
Ich umschlinge den Ball so fest ich kann, fühle die Nähte, das kühle Leder, hole weit aus, ziehe mein Bein mit an, um zusätzlichen Schwung au zu nehmen und lasse das Geschoss los. Höre, wie der Ball zischt.
Er knallt gegen den Schläger in Freys Händen und katapultiert sich in die Luft. Schleierhaft segelt er durch die Dämmerung. Er fliegt und fliegt, über Mr. Iks’ Zaun und an den Tannen vorbei.
Bis Scheiben klirren und ein sternförmiges, schwarzes Loch im Fenster der Dachgaube zu sehen ist.
»Fuck!« Meine Achseln angezogen, eingefroren, das Gesicht verzerrt, beiße mir auf die Lippe.
»Das wäre dann ein Home-Run und der Sieg«, sagt Frey, der Kopf angehoben, der Schläger über die Schulter gespannt, schiefes Lächeln im Gesicht.
»Du Idiot, der war handsigniert«, sage ich und blicke zum Haus.
Rios Füße schleifen auf dem Boden, wie ein fegender Besen. »Guter Schlag!«, sagt er. »Jetzt musst du den Ball holen.«
»Wer? Was? Wieso ich?«, sagt Frey, starrt uns verdutzt an.
»Na, Schütze holt«, sagt Rio mit ungleich weit geöffneten Augen und schlägt ihm auf die Schulter. »Ich mach` mich jetzt vom Acker, wir sehen uns morgen!« Er hickst laut. »Falls ihr noch am Leben seid.«
»Ich warte dann hier«, sage ich und mache einen Schritt zur Seite, sodass Frey freien Weg hat.
»Ne, ne!«, sagt Frey, rupft die Nase, schüttelt den Kopf. »Ich geh‘ da nicht rein.«
»Alter, willst du mich verarschen? Du hast ihn da reingeschossen, jetzt hol‘ ihn wieder!«
»Ne man, sorry. Ist doch nur `n Ball. Ich hol dir `n neuen.«
Ich streiche mir durch die Haare. »Sag mal, bist du eigentlich behindert? Ich sagte doch, dass es ein handsignierter Baseball ist. Mein Bruder bringt mich um.« Schweißperlen sammeln sich auf meiner Stirn. »Hast du schiss? Ist doch nur `n alter Mann. Hast du selber gesagt. Du wirst einfach nur klingeln, höflich nachfragen und den Ball nehmen.«
»Und die Scheibe? Soll ich einfach da rüber latschen und `hallo Mr., wir haben einen Ball durch Ihr Fenster geschlagen, könnten wir ihn bitte zurückhaben`, sagen?«
»Vielleicht arbeitest du noch etwas an deiner Tonlage, aber – ja, warum nicht? So könntet du das probieren.«
»Dann mach es doch selbst!«, sagt Frey, seine Finger bewegen sich unkontrolliert hin und her. »Ich bin raus, sorry. Scheiß drauf!« Er dreht sich um, geht zum Baum, schnappt sich seine Tasche und entfernt sich mit schnellen Schritten.
Auf meine Rufe reagiert er nicht, nur ein Scheiß drauf! erhalte ich noch als Antwort, ehe er hinter einem Haus verschwindet.
»Pisser!« Ich schüttele den Kopf, zucke mit den Brauen und drehe mich um. Vor mir die leere Straße, keine Menschen, keine Tiere, nur kalter, blanker Asphalt.
Ich klingele jetzt einfach an der Tür und entschuldige mich, denke ich mir. Was wird er schon machen? Mir die Haut abziehen? Ich sage ihm, dass mein Vater für die Reparatur aufkommen wird und …
Ich stehe vor seinem Zaun. Das Tor steht einen Spalt offen. Rostiger, schwarzer Stahl, klebriger Lack, quietscht wie eine heisere Katze. Die Tannen wie riesige, gespenstische Wächter im Garten, sie beobachten mich, die Wipfel nicken. Irgendwo in der Ferne bellt ein Hund, erschrecke mich, schaue umher, sehe niemanden. Das Gras unregelmäßig gemäht, per Hand, Erdhügel hier und da. Ich schlucke, nähere mich dem Haus; es wächst vor mir in die Höhe, die Fenster wie grimmige Augen, die riesige Tür aus schwerem Holz, wie ein Mund, der mich verschlingen möchte. Dicke, dornige Ranken schlängeln sich entlang der alten Lehmfassade wie Adern. Vor der Tür bleibe ich stehen, zumindest mein Körper, der Geist hat schon geklingelt, gesprochen, den Ball geholt, sich höflich verabschiedet und trinkt jetzt einen heißen Kakao im Bett. Oh man, was würde ich jetzt dafür geben, im Bett zu liegen.
Die Tür ist vernarbt, das eingelassene Glas milchig gelb. Dahinter flackert schwaches Licht, etwas entfernt, man kann es gerade noch so erkennen. Kerzenlicht vermutlich, keine Lampe.
Vergebens suche ich nach einer Klingel. Ich greife nach dem Türklopfer, ein metallener Knopf, mit Dellen und Kratzern übersäht, kalt und klamm. Meine Hand zittert. Ein Schaudern im Nacken, fühle mich beobachtet. Ich schließe die Augen, atme tief ein, die Schultern hieven eine unerklärliche Last, puste hörbar aus, dann öffne ich langsam die Augen.
Es ist nur ein alter Mann, nur ein alter Mann. Rio! Ich dreh‘ dir den Hals um!
Der Knopf schlägt auf Metall, kräftig, aber gedämpft, wie ein weit entferntes Donnern. Die Tür knarrt, geht auf, war nicht im Schloss. Mein Kehlkopf rutscht ab, merke, dass ich nicht atme.
»Entschuldigung!«, sage ich, versuche normal zu klingen. Nicht so einfach, wenn der Kiefer bebt.
Die Tür öffnet zu einem gähnenden Gang, der zu einer Glastür führt, daneben eine Holztreppe. Es ist dunkel und diesig, als hätte jemand das Essen auf dem Herd vergessen. Ich rufe ein weiteres Mal – diesmal lauter, erhalte aber wieder keine Antwort.
Mein Shirt klebt auf dem Rücken. Die Kerze steht auf weichen Wachsteich, vor einem Spiegel, auf einer alten Kommode. Die Wände sind mit einer gestreiften, grünen Tapete beklebt, leere Bilderrahmen hängen an ihnen. Ich sehe mich in dem Spiegel, die Kerze wirft fremde Schatten auf mein Gesicht. Die Bude riecht wie seit Wochen nicht gelüftet, stickig, alt, morsch.
»Ist jemand hier?«, rufe ich. »Hört mich jemand?«
Die Dielen knarzen bei jedem Schritt, ganz egal, wie vorsichtig, wie leichtfüßig ich meine Füße aufsetze. Es hört sich so verdammt verräterisch an. Ich sollte umkehren, morgen wiederkehren, wenn es Tag ist, wenn Mr. Iks wieder im Garten steht, ihn höflich fragen; er wird uns den Ball schon geben. Meine Ohren spitzen sich, der Nacken prickelt. Ich bilde mir Schatten ein, die hinter mir stehen, erwarte einen Griff auf meiner Schulter, ein Flüstern neben meinem Ohr, einen Luftzug auf meiner Haut.
Mein Atem wird schneller, oder habe ich überhaupt geatmet? Höre die Schläge in meiner Brust, den Puls in den Ohren.
Hinter der Glastür wächst eine Silhouette. Meine Beine sind gefangen, festgenagelt, die Blicke gebannt. Die Tür öffnet sich und ich erkenne Mr. Iks, sieht mich, starrt mich an, in der Hand eine Kerze, dunkle Schatten statt Augen, Rinnen auf der Stirn. Das Kerzenlicht flackert, ich spüre einen kurzen Luftstrom und hinter mir knallt die Türe ins Schloss, so dass Wände beben.
Meine Schultern sacken ab. »Ent-, Entschuldung«, sage ich, versuche es, schlucke die Wörter.
»Dein Ball?« Er hebt ihn in meine Richtung. Seine Stimme kratzig, er atmet schwer.
Ich möchte es bejahen, doch meine Stimme versagt. Ich nicke kurz, weiß nicht, ob er es überhaupt wahrnimmt.
»Lag auf meinem Dachboden«, sagt er, das Gesicht im Schatten.
»Es … «, Ich räuspere mich. »Es tut mir leid Mr. Wir werden vorsichtiger sein, versprochen. Werde meinem Vater sagen.« Ich schlucke. »Er wird für die Kosten aufkommen.«
Mr. Iks lacht und die Schatten verändern sich auf seinem Gesicht. Er wirkt freundlich, sympathisch. Ein alter Mann eben.
Ein einfacher, alter Mann … Dummer Rio. All die Aufregung. Alles wegen dir!
»Schon in Ordnung«, sagt er, »na los, hier, nimm ihn.«
Ich nicke, atme tief aus und gehe auf ihn zu. Mit jedem Schritt weicht der Schatten aus seinem Gesicht: Bleich, aber mit geröteten Backen, tiefe Falten und kleine, eingefallene Augen. Nichts Schreckliches, nichts Bedrohliches. Ein freundlicher, alter Mann.
»Vielen Dank und entschuldigen Sie nochmal.«
Er lächelt, die Lippen dünn und farblos. Ich reiche ihm die Hand.
Seine matten Augen schauen auf meine Hand, dann in meine Augen. Wieder grinst er.
Er legt den Ball in meine Hand und setzt die Kerze auf einem Beistelltisch ab. Dann reicht er mir seine Hand, die andere verschränkt er höflich hinter seinem Rücken.
Kräftiger Griff, denke ich mir.
Sehr kräftig.
Zu kräftig, für so einen alten Mann.
Ich grinse freundlich, will mich auf den Weg machen, ziehe meine Hand, doch er lässt nicht los. Ziehe wieder – vergeblich. Der Griff hart – knochenhart. Als wäre keine Haut, kein Fleisch dran.
»Gute Nacht, Mr.«, sage ich mit eingefrorenem Lächeln und ziehe, jetzt hektischer.
»Gute Nacht«, sagt er, trocken. Sein Lächeln verschwunden, die Augenhöhlen wieder im Schatten begraben, sodass sein Gesicht wie verändert wirkt.
Der Ball fällt mir aus der Hand und ich zerre nun mit beiden Händen an seiner. Plötzlich schnellt die Hand hinter seinem Rücken blitzschnell vor und schlägt gegen meine Brust. Dann lässt er mich los und weicht zwei Schritte zurück. Ich bin verwirrt, taumele rückwärts und versuche Halt an der Wand zu kriegen. Ein Stechen in meiner Brust. Mein Atem stockt, meine Beine versagen mir ihren Dienst. Schatten überkommt den gesamten Raum wie eine Welle durch einen gebrochenen Damm, begräbt alles unter sich. Ich sacke zusammen und muss mich auf dem staubigen Boden abstützen. Ich sehe hinab, in meiner Brust steckt ein Messer – jetzt kommt auch der Schmerz. Mein Brustbein brennt, flammenlos, scharf, der Rest des Körpers friert, die Muskeln um Brust und Bauch verkrampfen. Das Herz pumpt schneller, hämmert wild um sich, spüre etwas meinen Rachen hochklettern, versuche es zu unterdrücken, meine Hände umschlingen das Heft. Warmes Blut quellt zwischen den Fingern hervor, der Rachen füllt sich, es schmeckt nach Eisen. Tränen überschwemmen meine Sicht. Ich huste rote Flüssigkeit heraus, spüre wie es an den Mundwinkeln abläuft. Ich falle auf meine eigene Blutlache. Versuche zu atmen. Meine Lunge rasselt, schnappe nach Luft, doch ertrinke. Alles dreht sich, biegt sich, alles um mich herum schmilzt. Doch für einen kurzen Augenblick bleibt die Zeit stehen. So wie ich da liege, den Blick auf den Mann gerichtet, der mir zusieht und bilde mir ein, Funkeln in den Schatten zu sehen, dort, wo ich die Augen vermute. Er steht einfach nur da, breitbeinig, groß und kräftig. Durch seine Beine hinweg sehe ich die offene Türe hinter ihm, was mir im Stehen nicht möglich war. Am Fuß seines Esstischs liegt eine Tasche. Eine Schultasche, rosa, mit bunten Bändchen dran.
Verdammt, Rio hatte Recht!
Es quietscht. Mr. Iks greift in den Wandschrank, Metall schleift auf dem Holzboden.
Wie er da steht, in seinem Gang, sich nicht regt und mir zusieht. Die Schaufel in der Hand – als Stütze – nicht zum Arbeiten. Er trägt ein langes Hemd, Hut, Stoffhose und Handschuhe – wie immer.