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Moritz büxt aus
Moritz ist ein junger, rabenschwarzer Stallhase, nur sein kurzer Stummelschwanz ist weiß. Er ist nichts Besonderes, sondern ein ganz gewöhnlicher Hase mit großen Schlappohren und kleinen Kulleraugen.
Rechts, neben ihm, sitzt die dicke Susi und links der alte Hase Mümmel.
Eigentlich wäre das Trio ganz zufrieden, wenn Susi nicht ständig etwas zu nörgeln hätte.
Sie schimpfte pausenlos über dies und das.
Kaum hatte sich der alte Mümmel in seine Schlafecke gekauert, fing Susi lauthals an sich zu beschweren: „Ich bekomme noch kalte Füße bei dem bisschen Stroh und hier drinnen wird’s auch ständig enger!“
„Das liegt daran, dass du immer dicker wirst“, murmelte der alte Mümmel. So zankten sich die beiden den lieben langen Tag und Moritz hielt sich seine Schlappohren zu.
Oft träumte er davon, wie ein Kaninchen über die Felder zu hoppeln und draußen im Wald zu wohnen.
„Wenn ich einmal groß bin, dann möchte ich mehr von der Welt sehen“, sagte er zum alten Mümmel.
„Du hast ja gar keine Ahnung wie gefährlich es da draußen ist“, erklärte er. „Überall lauern Gefahren und nirgends bist du sicher.“
„Wieso?“, wollte Moritz wissen.
„Im Wald gibt es viele Feinde und du bist ein Stallhase. Also, sei vernünftig und schlag es dir aus dem Kopf!“
„Ich bin schnell und kann mich gut verstecken. So ein Hase wie ich, hat doch keine Angst!“
„Wenn du nicht auf mich hören willst, dann versuch es doch.“
Eines Tages war die Gelegenheit da.
Gerade als die Stalltür ein klein wenig offen stand, büxte Moritz aus. Wie ein Blitz sprang er aus dem Bau, schlug drei kraftvolle Haken und war schnurstracks im Wald verschwunden.
Hier war alles anders und viel schöner als zu Hause. Für Moritz gab es viel zu entdecken. Zuerst glaubte er, er sei allein im Wald, doch dann traf er einen Igel. Fast wäre Moritz über den Igel gestolpert, aber dieser konnte noch rechtzeitig ausweichen.
„Vorsicht, kannst du nicht aufpassen?“, fragte der Igel.
Moritz entschuldigte sich höflich und erklärte, er sei das erste Mal im Wald und einen Igel hätte er noch nie gesehen.
„Schon gut“, beruhigte sich der Igel. „Wenn du willst, kannst du mit mir kommen, dann zeige ich dir alles.“
So trabte Moritz neben ihm her. Plötzlich tauchte in der Ferne ein Fuchs auf. Der Igel begann sich zu einer Kugel zusammenzurollen, so dass er wie ein Nadelkissen aussah. Moritz schaute ganz verdattert zu und machte es dem Igel nach. Dabei verlor er die Balance, kippte nach vorn und schlug einen Purzelbaum.
Der Igel kicherte und rief: „Hey, du bist doch ein Hase und musst weglaufen!“
Erschrocken sah Moritz sich um, dann nahm er endlich Reißaus und verschwand im Dickicht.
Das ging gerade noch einmal gut, dachte Moritz. Er hockte sich unter einen Busch, um zu verschnaufen.
Als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, sah er ein Eichhörnchen, das gerade an einer Eichel knabberte. Erst jetzt bemerkte Moritz, dass er großen Hunger hatte. Vorsichtig schlich er auf das Eichhörnchen zu.
„Hast du vielleicht eine Möhre für mich?“ fragte er. Das Eichhörnchen fuhr erschrocken herum und sah Moritz an.
„Eine Möhre? Was soll ich mit Möhren anfangen? Ich esse keine Möhren!“
Wieder entschuldigte sich Moritz höflich und erklärte, er sei das erste Mal im Wald.
„Ist ja nicht so schlimm“, sagte das Eichhörnchen. „Wenn du möchtest, dann zeige ich dir den Weg auf das Feld. Dort findest du bestimmt etwas gegen deinen Hunger.“
Kaum waren sie ein paar Schritte unterwegs, da entdeckte das Eichhörnchen einen Jagdhund.
„Nichts wie weg!“, rief es und kletterte auf den nächsten Baum. Moritz sah dem Eichhörnchen nach und versuchte, ebenfalls am Baumstamm hochzuklettern. Er schlang seine Pfoten um den Stamm und versuchte sich hochzuziehen. Keuchend robbte er Stück für Stück empor, aber nach wenigen Zentimetern sauste er wieder nach unten. Da nahm er einen Anlauf. Er scharrte mit den Hinterpfoten wie ein Stier, rannte los und setzte zum Sprung an. Mit einem – Klatsch! – landete er am Baumstamm. Schmerzhaft rammte seine Hasenschnauze das harte Holz.
„Autsch!“, rief er, als er wie ein nasser Sack nach unten glitt und in einem dicken Nadelhaufen landete. Es piekste und stach entsetzlich. Moritz sprang erschrocken auf, rieb sich über den Hintern und zog die Tannennadeln heraus.
„Du dummer Hase!“, schrie das Eichhörnchen von oben herab. „Du kommst doch nie den Baum hoch. Du musst weglaufen!“
Moritz drehte sich um und sah den Jagdhund schon recht gefährlich nahe. Da begriff er endlich. Ja, weglaufen, dachte er und rieb sich die schmerzenden Stellen. Aber nicht weiter in den Wald, sondern sofort wieder nach Hause. Für den Wald tauge ich wirklich nicht, das sah er endlich ein. Und dann lief er, so schnell er konnte, nach Hause.
Am Abend saß Moritz wieder in seinem Stall. Rechts die dicke Susi und links der alte Mümmel. Wie froh war er, wieder zu Hause zu sein. Müde, zerschunden und hungrig kauerte er sich in eine Ecke und schlief ein.
Der alte Mümmel sagte jedoch nichts. Auch er hatte als junger Hase seine eigenen Erfahrungen im Wald gemacht.