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Morgenstunde
Die riesige Halle wurde von tausenden Kerzen erleuchtet und es roch nach Wein, Schweiß und Blut. Hunderte von Stimmen füllten den Raum, und es war ein einziges Grollen, vermischt mit Gesang, lustvollem Stöhnen und schmerzendem Wimmern der Gepeinigten. Die Menschen feierten, tranken und sangen, schlugen sich oder zeigten ihre Schönheit und ihr Können.
Das Fest, das sie in seinem Namen veranstalteten, ging bis in die Morgenstunden. Er im Gegenzug genoss es, auf seinen Thron zu sitzen und auf sie alle herabzuschauen. Sie zu beobachten, sie angewidert anzublicken, denn sie alle waren nichts wert, sie waren nur Diener, seine Untertanen, seine Gefangenen, seine Sklaven.
Im Inneren stellte er sich vor, dass die ganze Welt vor seinem Thron feierte, ihn hoch ansah, ihn lobte und preiste, ihn anbetete und vor ihn kniete. Ihm die Treue schwur und ihm seine Hand küsste. Denn die Welt war sein, alles war sein. Es war sein Verdienst für all seine Anstrengungen, für all die Mühe, die er sich gab, um seine Macht zu erhalten.
Das war sein Babylon. Er hatte sich den Turm erbaut, durch seinen Zorn und seine Gewalt, durch die Strenge, mit der er seine Armee führte, und durch seinen Vorteil, keine Schwäche oder Mitleid zu zeigen.
Auf seinen Schlachtzügen hinterließ er keine Überlebenden, es sei denn, er konnte sie ausnutzen, um noch mächtiger zu werden. Der Rest, ob Frauen oder Männer, wurde gekreuzigt und verbrannt.
Die Feste veranstalte er, um allen zu zeigen, dass er wohlhabend, aber auch gnädig sei, dass er streng sei, aber auch zu seinem Volke stehe, doch am meisten zeigte er seine Macht, in dem er auf den Festen töten und bestrafen ließ, die, die ihn nicht als Zaren ansahen, die ihn nicht als Gott priesen oder anerkannten. Er ließ sie kreuzigen, bevor die Feier begann, und er ließ sie enthaupten während der Feier. Und die betrunkene und angsterfüllte Masse jubelte, wenn der Gekreuzigte vor Schmerzen schrie, spielte mit den Köpfen den Enthaupteten und spuckte auf die Gehenkten.
Die Toten blieben in der Halle des Festes liegen und hängen bis zum Schluss, und er ergötzte sich daran. Der Anblick verschaffte ihm innere Macht, denn er genoss das Wissen, über Leben und Tod entscheiden zu können. Er ließ die Hunde an den Leichen fressen und sorgte dafür, dass die Toten auf Kreuzen vor seinem Palast in den Morgenstunden brannten.
Der Tod selbst und jene, die es wagten, sich gegen ihn zu stellen, fürchtete er nicht. Er wusste sich zu beherrschen, denn er war Gott, und Götter sind unantastbar, Götter haben keine Angst, Götter verbreiten Angst und Schrecken, und das tat er und er war gut darin, doch in dem Augenblick, als er die ersten Zeichen auf der Wand sah, erstarrte seine Hand. Sein Körper reagierte nicht mehr auf seine Befehle, sein Verstand schrie und kreischte, als er versuchte, damit fertigzuwerden, was er sah. Seine Augen traten aus den Höhlen, und aus seinem Mundwinkel tropfte Speichel, aber er merkte es nicht, er nahm nichts mehr wahr um sich herum, er roch nichts und hörte nichts, er fühlte nichts und war nur auf das konzentriert, was vor ihm geschah. Er starrte auf die Wand bei seinem mächtigen Thron. Er konnte den Blick nicht abwenden, als hielte ihn jemand fest und zwinge ihn, hinzusehen, und seine Hände fingen an zu zittern.
Auf der Wand wurden Buchstaben deutlich, die von einer unsichtbaren Hand geschrieben wurden. Die Worte erschienen in blutrot leuchtenden Zeichen, und die unsichtbare Hand veröffentlichte in kunstvollen Wellen mehr davon. Es waren Schriften, die für ihn unbekannt waren, die er nicht entziffern oder lesen konnte. Und die Zeichen leuchteten und glühten und es sah aus, als laufe Blut durch ihre Adern, denn die Buchstaben schienen sich zu bewegen, zu leben und zu atmen.
Der Zar beherrschte sich wieder und brachte seinen Körper wieder unter Kontrolle. Er erhob sich. Die Gestalt, die er abgab, machte den Menschen Angst, und als die Masse mitbekam, dass er stand, wurde es still. Keiner wagte auch nur zu stöhnen, geschweige denn etwas zu sagen, denn wenn der Zar sich erhob, und das wusste jeder in diesem Raum, dann hatte er etwas zu sagen, und wenn er etwas zu sagen hatte, musste jeder zuhören, oder man riskierte, seine Zunge zu verlieren und gekreuzigt zu werden.
Alle Anwesenden, folgten seinem Blick. Aufschreie und Stöhnen folgten, leise Gebete erfüllten den Raum.
Der Zar schmetterte das goldene Gefäß, das Er in seinen Händen gehalten hatte, auf den Boden, und der Rotwein hinterließ einen Fleck neben seinem Thron.
Er erhob die Hand, und die Menge wurde wieder still.
Mit seiner eisernen und hassvollen Stimme sprach er: „Wer wagt es, mein Fest zu stören und meine Feier zu unterbrechen, wer wagt es, in meinen heiligen Hallen Hexerei zu benutzen und meine Wand mit Teufeleien zu besudeln?”
Seine Untertanen hörten, dass er nüchtern wurde, und versuchten, sich ruhig und kraftvoll zu zeigen, aber sie hörten auch, dass seine Stimme zitterte.
Er blickte in den Raum. Sein Blick war erniedrigend, voller Hass und Wut. Er sah sie alle an und versuchte jene auszumachen, die damit zu schaffen hatten.
Keiner sprach und nur leises Schluchzen war zu vernehmen. Die Angst war zum Greifen nah und stank, aber da war auch etwas anderes. Man könnte sagen, dass es wie bei Hunden ist, die Gefahr spüren und anfangen zu heulen und zu wimmern, so war das jetzt und hier, der Zar und seine Untertanen fühlten es, spürten die Gefahr, als käme ein Sturm auf, als sei der Regen zu riechen, bevor er anfängt.
Er erinnerte sich wieder daran, dass es immer sein Wahrzeichen gewesen war, weder Angst noch Schwäche zu zeigen. Also beruhigte er sich und setzte sich wieder hin.
Von all den Gefühlen überrollt, deckte er seine Augen der Hand ab, und schwer ausatmend schaute er in die Menge. Die Worte oder Zeichen an der Wand musste er nicht ansehen, er konnte sie fühlen. Sie pochten in seinem Kopf, sie pulsierten mit seinem Herzen, er konnte die Hitze spüren, die von ihnen ausging.
Er deutete mit der Hand an, dass alle sich aus dem Raum scheren sollten, und die Menschen folgten seinem Befehl.
Der Zar rief seine engsten Berater zusammen und befahl, alle gelehrten Menschen und Sklaven zu ihm zu bringen, um die Zeichen zu entschlüsseln. Alle, die lesen konnten, wurden zu ihm gebracht und an die Wand gestellt. Doch die Zeichen machten ihnen Angst, und es war widerlich und schmerzvoll, sie anzusehen, aber sie standen da und gaben sich Mühe, das, was an der Wand geschrieben stand, zu entziffern. Es waren Männer von verschiedener Herkunft, sie alle sprachen verschiedene Sprachen und hatten Kenntnisse in Wort und Schrift, aber dieser Aufgabe waren sie nicht gewachsen. So standen sie da vor der Mauer und starrten die Schrift an, ohne eine Lösung oder Übersetzung für das Gezeichnete zu finden.
Der Zar verfolgte das Geschehen, aber sagte nichts, denn all seine Kraft war aus ihm gewichen, es fiel ihm schwer, zu atmen, und jeder kleinste Blick an die Wand tat weh in seinen Augen. Das Pochen machte sich in seinem Kopf breit und unter starken Kopfschmerzen versuchte er sich zu konzentrieren.
Wer konnte ihm das angetan haben, was waren das für Tricks, die dafür angewendet wurden, war dies Zauberei oder Hexerei? Er wusste es nicht und er wollte es auch nicht wissen, denn das Pochen machte das Denken zu einer schmerzvollen Aufgabe. Inzwischen hatten sich die Gelernten zusammengetan. Da sie keine Antwort auf die Schrift hatten, beschlossen sie, dem Zaren mitzuteilen, dass das, was an der Wand geschrieben stand, nur für ihn bestimmt war, und die, die es für ihn lesen würden, müssten an Ort und Stelle sterben.
Als der Zar hörte, was die Gelehrten zu sagen hatten, füllte Zorn seinen Körper, gab ihm neue Kraft, und er schwur und schrie, dass am Morgen alle Gelehrten auf dem Scheiterhaufen brennen würden, dass sie das Geschriebene an die Wand gebracht hätten, mit fauler Hexerei gegen ihn vorgingen, um ihn zu stürzen. Noch während er schrie und somit seine letzte Kraft aufbrauchte, kam aus den hinteren Ecken der Halle ein Sklave heraus. Als dem Zaren die Luft ausging und er neue Energie schöpfte, um die Gelehrten niederzumachen, schrie der Gefangene dem Zaren zu: „Ich kann die Schrift lesen und entziffern, ich kann das Geschriebene dir eröffnen! Ich kann und werde es dir vorlesen.”
Mit zusammengeketteten Händen und Füßen humpelte der Sklave erhobenen Hauptes auf den Zaren zu. Die Gelehrten machten den Weg frei und verteilten sich wie die Welle, die Moses erschaffen hat, um den Weg durch das Meer zu geben. Der Sklave, von Schlägen gezeichnet, bewegte sich zwischen ihnen mit einer Lässigkeit und Arroganz, die man kaum ertragen konnte. Er blieb vor dem Thron stehen und starrte den Zaren an. Er blickte dem Halbgott in die Augen, und die Blicke trafen sich und verharrten. So standen sie da und starrten sich an, ein Sklave und ein Halbgott.
Der Sklave unterbrach den Blickkontakt und ging an die Wand mit den Zeichen.
Plötzlich peitschte ein starker Wind durch den Raum und die Kerzen erloschen. In der Dunkelheit waren nur die Schrift und die leuchtende Silhouette des Sklaven zu sehen. Der letzte Mondschein, bevor die Sonne aufkam, gab genug Licht, um die Gestalt, die nicht mehr menschlich wirkte, zu beleuchten. Seine Augen waren schwarz wie Kohle und seine Haut war schneeweiß. Seine Haare erhoben sich, und als er den Mund aufmachte, war eine rote Hölle zu sehen, die mit tausend Zähnen gefüllt war. Blut rann aus seinen Mundwinkeln. Mit einer Stimme, die von einem Dämon stammte, sprach der Sklave zu dem Zaren: „Deine Herrschaft und Lebzeit ist zu Ende. Dein Grab ist vorbereitet. Ich bin hier, um dich dahin zu bringen, wohin du gehörst. Die, die deinen Namen in den Mund nehmen, sollen unter Schmerzen leiden und damit dafür sorgen, dass du für immer vergessen wirst. Da, wo du hingehst, kennt keiner deinen Namen, und du wirst ein Sklave sein. Der Weg zu Hölle ist frei und du wirst ihn jetzt antreten.”
Als das Geschrei des Dämons den Raum erfüllte, wurden die Haare der Anwesenden grau und Blut kam aus ihren Ohren. Einige fielen in Ohnmacht, und damit waren sie begnadet, nicht mit ansehen zu müssen, was folgte.
Der Zar wurde in die Luft gehoben. Als er über seinem Thron schwebte, brachen unsichtbare Hände ihn in der Mitte. Er schrie aus voller Kehle, und es hörte sich nicht mehr menschlich an. Schreiend und gebrochen wurde sein Körper in die Position der Kreuzigung gebracht. Die unsichtbare Macht griff zu und riss seine Hände ab. Etwas bohrte sich in die Augen des Zaren und presste sie tief hinein, bis eine dunkle Flüssigkeit aus den Augenhöhlen rann. Und die Schreie hörten nicht auf. Er war bei vollem Bewusstsein und erlebte jede Sekunde des Schmerzes mit. Ohne seine Hände hängend, wurde er plötzlich gegen den Boden geschmettert. Als er wieder in die Luft gehoben wurde, war der Boden mit Blut beschmiert. Zwei weitere Aufschläge folgten und dann verstummte der Halbgott. Er hing in der Luft, gebrochen, zerrissen.
Der Dämon kreischte in unmenschlicher Sprache, und der Körper des Zaren ging in Flammen auf. Der Zar wurde auf seinen Thron fallengelassen. So saß er da, brennend, machtlos, und die Sonne ging über seinem Palast auf. Die, die nicht das Glück hatten, in Ohnmacht gefallen zu sein, sagten später, dass der Sklave nicht mehr da war und keiner wusste, wohin er verschwand. Sie taten die Worte des Dämons kund, und der Zar wurde zusammen mit seinem Namen begraben.