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Morgengrauen

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11.10.2009
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Morgengrauen

Morgengrauen

Meine Augen kriege ich nur schwer auf. Die Lider scheinen wie aus Blei. Vielleicht sind sie auch verklebt. Im Bett ist es wollig warm. Ich sehe keinerlei Veranlassung aufzustehen, außer eventuell ein gewisser Druck im Unterbauch. Nichtsdestotrotz rekle ich mich mit halb geschlossenen Augen noch einmal in den Daunen. Eine feuchte Wärme umgibt mich. Schlagartig reiße ich die Augen auf. Mit schockgeweiteten Pupillen, regungslos liege ich da. Ich zwinge mich, zum Wach werden.
„Verdammter Dostojewsky! Du hast in mein Bett gestrullt!“
Ich springe aus dem Bett, stolpere über eine leere Ginflasche, vom Vortag, fange mich aber geschickt ab. Meine Hände gehen automatisch in Richtung Ohren. Leider hat die Ginflasche einen Dominoeffekt in Gang gesetzt und die Bierflaschen mit umgerissen.
„Ja du kannst dich ruhig im Wandschrank verstecken! Ich werde dich einschließen! Damit du es weißt! Komm mir ja nicht noch einmal unter die Augen Dostojewsky!“
Wie Rumpelstilzchen springe ich umher, um nicht in die Scherben zu treten, während ich mich in eine Jeans zwänge. Zum T-Shirt wechseln bleibt keine Zeit, der Hund, ein schwarzer Mastino, steht bereits winselnd an der Tür. Meine Aktion wird vom Klingeln des Telefons unterbrochen, wobei mir einfällt das ich dringend aufs Klo muss. Den Hörer klemme ich mir zwischen Ohr und Schulter, indes ich mich kraftlos auf die Schüssel fallen lasse. „Was!“, schreie ich in den Hörer, mein Geplätscher scheint mich allerdings zu übertönen. Es ist schon wieder die nervende Nachbarin unter uns. Sie will wissen, ob in diesem Haus nicht endlich einmal Ruhe herrschen könnte.
„Dann halt doch den Mund!“, keife ich zurück und lege auf.

Der Hund muss jetzt dringend raus. Ich schnappe mir die Leine und ab geht’s. Aus dem Wandschrank höre ich noch ein dumpfes Gemurmel. Vor der Wohnungstür der Meckertante nötige ich den Hund, seine Notdurft auf deren Türmatte zu hinterlassen. Mein Gott, was hat das Tier gegessen? Allerdings bin ich so freundlich und hole ihre Tageszeitung nach oben, um diese fein säuberlich über den Haufen zu legen. Muss ja nicht gleich jeder sehen.

Draußen ist es kalt, es nieselt. Sandalen sind im Moment nicht das perfekte Outfit. Bedingt durch den Regen kann man allerdings nicht mehr feststellen, dass mein T-Shirt, in dem ich bereits geschlafen habe, schon nass war. Nero, so heißt der Köter hebt an jeder Ecke das Bein. Ich stehe mehr als das ich laufe. Meine Arme umschlingen fest meinen Oberkörper. Ich entschließe mich eine zügige Runde, um den Häuserblock zu gehen. Nach kaum fünf Minuten befinden Nero und ich uns wieder vor der Eingangstür.

„Jetzt ist genug Nero! Nun gehen wir wieder rein.“ Mit vier Fingern taste ich nach den Haustürschlüsseln in meiner Hose. Allmählich dämmert es mir. Der steckt noch von innen in meiner Tür.
„Scheiße!“ Dabei fällt mir ein, dass die Balkontür offen ist, leider befindet diese sich in der zweiten Etage.
Ich könnte klingeln. Doch das nutzt nichts, seitdem Sektkorkenschießen auf das Ding hat die Klingel irgendwie den Geist aufgegeben. Ich trete ein paar Schritte auf dem Gehweg zurück, blicke nach oben in Richtung Balkon.
„Dostojewsky! Dostojewsky mach die Tür auf!“ Ich starre hinauf. Vielleicht sollte ich die Blumen mal wieder gießen, oder ob die Naturbraun sind?
„Dostojewsky! Jetzt mach schon! Es ist kalt hier draußen! Los mach auf!“
Ich trete von einem Bein auf das Andere, dabei fällt mir ein, dass der Blödmann noch im Schrank hockt.

„Scheiße!“ Jetzt ist guter Rat teuer. Was soll’s, ich klingele einfach bei unseren Nachbarn. Ein Blick auf die Klingelknöpfe langt, da steht schon sein Name, Willi Hartwichsen. Zeigefinger drauf und drücken.
Das dauert, ob der überhaupt zu Hause ist? Ich vernehme ein surren, stemme mich gegen die Tür und bin drin. Endlich wieder im trockenen. Der Kläffer rennt vor, ich sprinte hinterher. Während Nero vor unserer Tür stehen bleibt wende ich mich dem Nachbarn zu.
„Guten Morgen Herr Hartwichsen.“ Brummig glotzt er mich an. Seine Glatze glänzt fettig, als wäre das Fett aus seinem gewaltigen Bauch in den Kopf geschossen. Sein Unterhemd umspannt seinen massigen Körper. Seine Oberarme sind die reinsten Bilderbücher. Unwillig sieht er mich mit seinen Tränensack behangenen Augen an. „Was gibt’s!“, donnert er, „ich hatte Nachtschicht!“
„Ja tut mir leid, aber ich habe mich ausgesperrt. Wenn ich vielleicht über ihren Balkon steigen dürfte?“
„Lebensmüde? Der ist in der zweiten Etage! Nur zu, eventuell kehrt dann mal endlich Ruhe hier ein.“ Er öffnet die Tür und geht nach drinnen. Ich folge ihm. Seltsam bei ihm wirkt alles so ordentlich. Muss an der Wohnung liegen. Er öffnet die Balkontür.
„Das ist aber gefährlich!“, gibt er zu bedenken, dabei fällt sein Blick auf seinen Bierkasten, der verloren in einer Ecke steht. Wirklich armselig so ein fast leerer Kasten.
Halb stehe ich schon auf dem Geländer. „Machen sie sich mal keine Gedanken, dass habe ich schon oft gemacht!“ In diesem Moment verfluche ich mich für mein loses Maulwerk. Willi sieht mit einem Mal tatsächlich wach aus.
„Verdammter Dreckslappen! Du klaust mir dauernd die Flaschen! Warte nur …!“
Mit einem Olympiareifen Sprung lande ich auf unserem Balkon, Willi knallt mit seiner Wampe gegen die Brüstung. Ich haste nach drinnen, schließe vorsichtshalber die Balkontür und lasse Nero rein. Sicher ist sicher. In dem Moment, als ich die Tür für Nero öffne höre ich die Nachbarin unter uns.
„So eine Sauerei! Ich werde mich beschweren!“
Im ersten Augenblick bin ich geneigt darauf zu Antworten, entscheide mich aber anders.

Es ist an der Zeit Dostojewsky aus dem Schrank zu lassen, mit einer linkischen Bewegung drehe ich den Schlüssel herum. Ist das zu fassen! Der Kerl ist doch tatsächlich eingeschlafen. Sanft trete ich mit meiner Fußspitze gegen seine Schulter. „Hey komm raus, du Stinker!“ Da hockt er, zusammengekauert und sieht mich an. Fasst tut er mir leid. „Los mach ran. Du bist heute dran, mit einkaufen. Ich war schon mit dem Hund draußen. Bin total nass geworden. Blöder Regen.“
Stöhnend erhebt er sich. Schlurfend geht er ins Bad. In der Zwischenzeit sammle ich die Pfandflaschen zusammen. Stecke sie in eine Plastiktüte, damit Dostojewsky sie gleich mitnehmen kann. Nach einer Weile höre ich die Klo-Spülung. Da steht er, noch immer mit zerzausten Haaren, nur mit einem schäbigen graugrün gestreiften Bademantel bekleidet. Umständlich steigt er in die Gummistiefel, greift zur Tüte und macht sich vom Acker. Ein wenig versuche ich Ordnung in unser Chaos zu bringen. Nachher wollte Romanow noch vorbei kommen. Es ist nicht wirklich sein Name, aber er benimmt sich so. Wir spielen Skat. Romanow bringt Wodka mit, hoffentlich lässt er seine Geige zu Hause. Man muss die Nachbarn ja nicht total verärgern.

Ein blechernes Geräusch zwingt mich aus dem Fenster zu sehen. Dostojewsky kommt mit einem Supermarktwagen angeschoben. Es scheinen einige Kästen übereinander gestapelt darin zu stecken. Seine Beine zeigen schräg nach hinten, sein Oberkörper ist fast waagerecht, die Arme ausgestreckt. Ich eile zur Tür und betätige vorsorglich den Türöffner, im Takt eines blöden Liedes.
Ah, er ist zu Tür rein. Im Treppenhaus beuge ich mich über das Holzgeländer und rufe hinunter: „Dostojewsky, lass den Wagen nicht im Hausflur stehen!“
„Ne ne, keine Angst mach ich nicht!“
Es scheppert und knallt im Flur. Was macht der Kerl da bloß? Erneut neige ich mich über das Geländer. Leider sehe ich nur seine Arme und einen Teil des Supermarktwagens. Türen öffnen sich. „Was ist denn jetzt schon wieder los?“, meint unverkennbar der Rentner aus dem Erdgeschoss. Dostojewsky faselt irgendwas. Nun erkenne ich den breiten Scheitel des Erdgeschossbewohners und aus der Ersten die Trulla mit den Lockenwicklern. „Man sollte diese Taugenichtse hinaus werfen!“, keift sie vor sich hin. Der Alte hingegen stöhnt und ächzt. Eine Gänsehaut läuft über meinen Rücken. Nun habe ich den Wagen voll im Blick. Der schwankt bedächtig hin und her, befindet sich in einer gefährlichen Schräglage. Der wird ja wohl nicht …! Nein so verrückt ist der nicht. Wieder das Stöhnen des Alten. „Herr Eberwein sie werden doch nicht ..! So passen Sie doch auf! Das hält doch nicht! Sie holen sich noch einen Leistenbruch!“ Die Lockenwicklertante muss sich auch in alles einmischen. Es klappert erneut, es knallt, es splittert und spritzt. Die Tür neben mir wird aufgerissen. Nero knurrt, aus dem Augenwinkel sehe ich das schwammige Gesicht von Willi. Er krallt sich in das Geländer. Sein Kopf schwillt an, färbt sich nahezu Puterrot. Willis massiger Körper bebt. Ich verdrücke mich in meine Wohnung, die Bemerkung: „Da kommt Neuware!“, schenke ich mir. Es ist wichtig, ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn zu haben.
Zügig schließe ich hinter mir die Tür. Dennoch höre ich Hartwichsen durch das Treppenhaus brüllen: „Ruhe!“
Heute ist definitiv nicht mein Tag.

 
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Hallo IDee,
also deine Geschichte hinterlässt bei mir sehr gemischte Gefühle. Ich habe sie durchgelesen, das gelingt mir nicht bei jeder Geschichte. Die Sprache ist wirklich griffig und flüssig, der Stil kommt natürlich daher.
Der Inhalt ist aber nicht wirklich mitreißend. Eine Nachbarschaftskiste über einen humorvollen Alki, in dessen Schrank ohne eine nennenswerte Textpräsenz der Fjodor Michajlowitsch lebt.
Ja, ein paar Kleinigkeiten passieren da schon, mit der Scheiße vor der Tür und der Zeitung, ja, das war schon zum Schmunzeln und mit dem Sprung zwischen den Balkonen, aber so richtig gesprüht hat es für mich an keiner Stelle. Ein paar Stellen kamen mir ein wenig klischeehaft vor, womit man ja wahrscheinlich schon arbeiten kann, aber eher in einer spielerischen Form, statt diese als eigentlichen Gag einzusetzen. Da meine ich Stellen wie:

„So eine Sauerei! Ich werde mich beschweren!“
oder
„Man sollte diese Taugenichtse hinaus werfen!“, keift sie vor sich hin
Solche Sätze sagen die Nachbarn doch irgendwie immer in den Geschichten. Also quittiert man das, mit einem, "Aha, da wird sich also jemand wieder beschweren über irgendwelche Taugenichtse", das habe ich schon mal gehört.
Na ja und dann klingt die Geschichte einfach aus, ohne dass noch was passiert. Diese Karambolage im Treppenhaus wirkt dann auch etwas konstruiert und nicht lebendig.
Ja, tut mir leid, vielleicht verkenne ich was, habe selber noch sehr wenig Erfahrung, aber so wirkte die Geschichte auf mich.
Ich denke schon, dass du eine gute Beobachtungsgabe hast, das kommt im Text rüber, aber bei dieser Geschichte scheint es mir, als hättest du was falsches beobachtet.
Da deine Sprache aber gut leserlich war, werde ich auf jeden Fall weiter verfolgen, was du machst.
Lieben Gruß
HT

 

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