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Morgen.Grauen.

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11.11.2004
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Morgen.Grauen.

Ich habe lange genug aus dem Fenster gesehen. Jetzt lege ich meine Hände um den Schaft des Gewehrs und hebe es an meine Wange. Ich schaudere kurz, als das kalte Metall meine Haut berührt. Dann fixiere ich den Mann und bringe seinen Kopf mit Kimme und Korn und meinem rechten Auge in eine Linie. Ich lege mit dem Daumen den Sicherungshebel um. Atme tief ein, dann wieder aus, nochmal ein und halte den Atem ...

***

„Sieh doch mal, der Garten. Ist der schön.“
Andrea blickte mit leuchtenden Augen von der Terrasse auf unser neues Grundstück.
„Ja, wunderschön.“
Ich war glücklich, dass es Andrea hier gefiel.
„Na, Kati. Jetzt hast du endlich viel Platz zum Spielen. Viel mehr als in der Stadt.“
„Mami, Mami, schau mal der riesige Baum da. Ist das ein Tannenbaum?“
„Nein. Nein, nein, das ist ein ... sag mal Wolfgang, wie heißt dieser Baum?“
„Kiefer, glaub ich“, sagte ich.
Andrea legte ihre Arme um mich, schmiegte ihren Kopf an meinen Hals, erdrückte mich fast.
„Hier bleiben wir. Es ist so schön hier – und … so friedlich.“

Beim Blick auf das Grundstück rechts von uns, meinte ich hinter den Vorhängen des alten Hauses eine Bewegung zu erkennen. Die Leute von dort hatten wir noch nicht kennengelernt. Die anderen, die mit uns neu hergezogen waren, kannten wir schon. Da war das sympathisches Paar in unserem Alter, mit einer Tochter, so alt wie unsere Kati. Neben uns im Doppelhaus wohnte eine amerikanische Familie, zwei Söhne. Nette Leute, wie die meisten Amerikaner halt. In dem Doppelhaus auf der anderen Seite des Platzes, der von vier neuen Häusern eingerahmt war, wohnten noch ein Lehrerehepaar mit zwei zehnjährigen Zwillingstöchtern und ein muskelbepackter Autoverkäufer mit einer hübschen, brünetten Pilatestrainerin, hochschwanger. Das vierte Haus war noch leer, später sollten hier Leute einziehen, die nett und höflich waren, regelmäßig grüßten und sonst keine Probleme machten.

Ein paar Tage, nachdem wir uns schon einigermaßen häuslich eingerichtet hatten, kamen die Schmidbauers von der anderen Straßenseite. Wie unsere Nachbarn von der rechten Seite, Kurzmaier hiessen sie, waren auch die Schmidbauers hier seit Generationen ansässig.
„Hallo, ich bin der Ralf. Wir haben euch ein bisschen beobachtet.“
Ein offenes Gesicht mit hellen, neugierig leuchtenden Augen grinste mich an.
„Ihr seid in Ordnung. Herzlich willkommen in unserer Straße.“
„Wir machen nächste Woche eine Einweihungsfeier mit unseren neuen Nachbarn. Kommt doch rüber, wir würden uns freuen“, sagte meine Frau Andrea.
„Gern, wir kommen gern. Wir dürfen doch unsere zwei Jungs mitbringen?“
Die Antwort konnte er in unseren lachenden Gesichtern ablesen. Ralf sollte einer meiner besten Freunde werden.

Die Feier war sehr lustig und sehr laut; und sie dauerte so lange bis wir uns alle duzten. Kurzmaiers kamen trotz Einladung nicht, wollten uns aber gegen Mitternacht die Polizei wegen Lärmbelästigung auf den Hals schicken. Die Beamten waren offensichtlich einfühlsam genug, unsere Housewarming-Party nicht zu stören. Oder Paul Kurzmaiers Drohung war so leer, wie die Bierflaschen, die wir am nächsten Morgen zusammensammelten, um danach bei einem kräftigen Kaffee den Kater zu töten und über die letzte Nacht zu lachen. Von da an war meine Welt wieder in Ordnung, so glaubte ich.

Fünfzehn verdammte Jahre ist das jetzt her. Die Amis sind längst zurück in den Staaten. Wir waren gut befreundet, besuchten sie auch mal in Maryland, wo sie jetzt wohnen. Seitdem lebten verschiedene Leute im Haus neben uns, die meisten Namen habe ich vergessen. Wir redeten kaum mit einem und wissen nicht viel über sie.

***

Um sieben Uhr weckt mich das Kreischen der Kreissäge. Schlaftrunken und verärgert taumle ich ans Fenster. Ich muss kurz überlegen, ob ich mich noch in meinem Traum ober bereits in der Realität befinde. Im Nachbargarten hantiert Paul Kurzmaier mit seinem Lieblingsspielzeug, einer Kreissäge, mit welcher er Brennholz für den bevorstehenden Winter sägt. Kurzmaier ist ein Kerl mit fettigen und für sein Alter zu langen Haaren, das speckige T-Shirt über seinem Bierbauch hängend. Während der Woche arbeitet er beim Fernsehen, irgendein Privatsender. Keine Ahnung was er da macht. Seine Frau erwähnte mal, er sei Manager. Er ist meist nur am Wochenende zuhause. Dann arbeitet er im Garten, bastelt an seinem Motorrad oder an einem seiner drei Autos herum.

Stoisch schiebt er Holzscheit für Holzscheit am Sägeblatt entlang. Die beiden Teile fallen dann am Ende des Sägetisches auf einen schon beachtlichen Haufen bereits zerkleinerter Holzstücke. Diese Tätigkeit ist anscheinend unaufschiebbar und so wichtig, dass man sie unbedingt am Samstag morgen, pünktlich um sieben Uhr ausführen muss. Sobald die gemeindliche Lärmschutzverordung, von der ich gar nicht wusste, dass so etwas existiert, den Betrieb einer 75 Dezibel lauten Säge erlaubt. Samstags um sieben - während ein bedeutender Teil der hart arbeitenden Bevölkerung ihren verdienten Wochenendschlaf genießt.

Ich weiß nicht, wie lange ich da stehe und ihn beobachte. Jedenfalls Zeit genug, um meinen Hass warmlaufen zu lassen. Jetzt ruft Kurzmaiers Frau zum Kaffee. Seltsam, ich kenne immer noch nicht ihren Vornamen. Seinen weiß ich von Ralf, wir hatten mal darüber gescherzt, dass auf allen seinen Autokennzeichen seine Initialen stehen - PK – Paul Kurzmaier. Die beiden haben noch zwei Söhne, die aber schon aus dem Haus sind und nur gelegentlich zu Besuch kommen. Man grüßt sich, wenn man dem Blick des Gegenübers nicht mehr ausweichen kann. Gleich wird er die Säge abschalten und Kaffeepause machen, es ist neun Uhr inzwischen.

***

Ein paar Wochen nach unserem Einzug, wir hatten noch keinen Zaun, fand ich einen Zettel vor unserer Terrassentür.
Wir wollen nicht das Wäsche im Garten aufgehengt wird!!!
Drei Ausrufezeichen. Ich schmunzelte über die Rechtschreibfehler und schüttelte den Kopf. Als ich Andrea den Wisch zeigte, wurde ihr Lächeln müde. Sie ließ das Blatt sinken und zu Boden schweben, stand da und schaute durch mich in den Garten. Erst Jahre später wurde mir klar, wer diesen Schwachsinn produziert hatte. Ich nahm mein Frau in den Arm, würde sie beschützen, alles Böses von ihr fernhalten - mit allen Mitteln.

Zwischen den vier neuen Häusern feierten wir unsere Hoffeste, dort lernten unsere Kinder das Radfahren, spielten Fußball oder Seilspringen, tobten herum. Wir brachten Leben ins Dorf. So viel war hier lange nicht mehr los gewesen. Die vielen Kinder, die meisten neu hergezogenen Familien und auch Ralf von gegenüber, wir alle vertrugen uns wirklich gut. Paul Kurzmaier schickte meist seine Frau oder einen seiner Söhne, wenn seiner Meinung nach ein Sommerfest zu laut war, der Grill zu stark rauchte, ein Auto falsch geparkt war, die neu gepflanzten Sträucher zu nahe an seinem Zaun postiert waren oder jemand die Regeln verletzt hatte, von denen er immer faselte, und die außer ihm keiner kannte, vermutlich weil es seine eigenen Regeln waren. Manchmal warf er selbst erstellte Pamphlete, fein säuberlich mit Maschine geschrieben in unsere Briefkästen, zitierte Gesetzestexte, Verordnungen und Paragrafen. Zumindest hörten sie sich authentisch an. Keiner von uns wusste es, keiner war juristisch vorgebildet und keinen interessierte es wirklich. Sonst schien Paule eher harmlos. Man grüßte sich, wenn man dem Blick des Gegenübers nicht mehr ausweichen konnte.
Aber ab und zu schrie Kurzmaier persönlich hinter seinem Zaun hervor. Vor allem auf die Kinder hatte er es abgesehen, wenn sie zu nah an sein Grundstück kamen. Dann krähte er schon mal:
„Elende Bastarde, runter von meinem Grundstück!“
Oder als unser Dreijähriger eines Sonntags mit seinem neuen Spielzeugrasenmäher durch den Garten geknattert war.
„Markus! Sonntag ist Ruhetag! Da bleibt der Rasenmäher aus!“
Was war das nur für eine jämmerliche Type, wie konnte man sich derart aggressiv gegen Kinder wenden? Meine Abneigung gegen diesen Herrn Kurzmaier wurde von Tag zu Tag größer. Die Ruhe und das friedliche Zusammenleben, das ich mir so für uns gewünscht hatte, mit allen anderen hier konnte ich es erreichen. Nur mit unserem unmittelbaren Nachbarn nicht – warum?

Ralfs Frau sprach mich eines Tages wegen der Kiefernadeln und Zapfen in unserem Garten an.
„Sagt mal, stört euch das nicht?“
„Was?“
„Na die ganzen Nadeln. Überall.“
„Ja, sogar in der Dachrinne“, sagte Andrea.
„Die kommen von dem blöden Baum da drüben. Und Schatten wirft er auch.“
Sie hatten ja Recht, nur, ich wollte keinen Ärger. Die Nadeln wurden tatsächlich immer lästiger, zerstörten den Rasen, fraßen sich richtiggehend in den Boden. Da wuchs nichts mehr. Eines Tages gab sogar unser Rasenmäher seinen Geist auf. Die verdammten Nadeln hatten sich irgendwie im Scherblatt verklemmt und das Ding war knirschend abgeraucht. Ungute Situation. Ich versuchte Pauls kleine mopsige Frau, deren Vornamen ich immer noch nicht kannte, darauf anzusprechen. Aber da war nichts, keine Reaktion, nur verständnisloses Grinsen auf ihrem verlebten Teiggesicht. Das sei unser Problem, meinte sie, aber wir möchten doch in Zukunft bitte darauf achten, neue Büsche im Mindestabstand von achtzig Zentimetern von ihrem Zaun … blablabla. Gibts das, dachte ich, was erzählt die mir da? Hat die mir überhaupt zugehört? Ich bin es, der ein Problem hat, ich – nicht sie. Kurzmaier, auf den ich meinen Ärger viel lieber abgeladen hätte, war mal wieder auf Dienstreise und als er wiederkam, hatte ich den Vorfall längst vergessen. Wieder stand ein langer, harter Winter vor der Tür und es musste Holz gemacht werden, das bedeutete Kurzmaier begann mit seiner Lieblingsbeschäftigung – Holzsägen.

So gingen die Jahre ins Land. Wir wurden älter und mancher von uns, nicht jeder, wurde vernünftiger und gelassener. Der Baum verlor weiterhin seine Nadeln, im gleichen Rhythmus wie ich meine Haare verlor. Von Jahr zu Jahr wurden es mehr. Andrea mühte sich, aus unserem Garten ein Schmuckstück zu machen. Ich setzte meine Mühe fort, mit allen Nachbarn ein normales Verhältnis zu pflegen. Nur bei Kurzmaiers, das gelang mir nicht, denn die waren nicht normal. Nicht für mich. Alle Menschen um uns waren freundlich und höflich, hilfsbereit, auch aufmerksam oder sogar fröhlich. Andrea und ich, natürlich großstädtisch geprägt und äußerst tolerant. Auch Ralf, den ich manchmal im Scherz einen falschen Bauernfünfer hieß, war uns gegenüber aufgeschlossen. Auch wenn er manche unserer städtisch geprägten Eigenarten mit hochgezogenen Augenbrauen, aber doch schmunzelnd, beobachtete. Wir fühlten uns längst der Dorfgemeinschaft zugehörig, schließlich waren seit unserem Einzug schon einige Jahre vergangen. Nur ein kleines, schäbiges Haus, bewohnt von einer verbitterten Frau, deren Gatte wochenlang unterwegs war und für einen Home-Order-TV-Sender Werbeminuten verkaufte, leistete erbitterten Widerstand gegen meinen Versuch, eine heile Welt zu schaffen. Wenn dieses Ekelpaket daheim war, parkte er seine drei überdimensionierten Blechkisten vor meinem Grundstück, warf seine Kreissäge an und zerkleinerte alles was an Holz in seinem Drecksgarten lag, außer seiner Scheiß-Kiefer.

'Beruhig dich, reiss dich zusammen, Wolfgang', es pulsierte in meinem Kopf. Irgendetwas, vor dem ich Angst hatte, gewann zunehmend die Gewalt über mich. 'Gib der Gewalt nicht nach, verdammt, versuch es mit Diplomatie', in meinem Schädel hämmerte es immer stärker.
„Hören sie zu, Herr Kurzmaier. Ich will ihnen einen Vorschlag machen. Ich will keinen Streit und keinen Ärger. Lassen sie uns doch den Baum gemeinsam abschneiden. Ich übernehme die Kosten. Beim nächsten Sturm fällt er eh um - und dann mitten auf mein Haus.“
„Bestandsschutz.“
„Was? Wie bitte?“
„Bestandsschutz. Der Baum steht da schon hundert Jahre. Hat alles überlebt. Der kommt nicht weg.“
„Aber, hören sie, ich habe Schäden. Die Dachrinne ist ständig von Kiefernnadeln verstopft. Meine Solarzellen kriegen kaum Sonne wegen dem Schatten. Mein Rasenmäher ist kaputt gegangen von den harten Nadeln. Überall Schmutz ...“
„Ne, ne. Bestandsschutz.“
Er zuckte lakonisch mit den Schultern, drehte sich um, warf seine Kreissäge an und begann das Holz für den Winter zu schneiden. Trotz der herbstlichen Kühle wurde mir plötzlich sehr heiß. Ich musste schnellstens ins Haus. Diese Sturheit, diese verdammte Bauernsturheit.

An einem schwülen Sommerabend saß ich mit Ralf zusammen auf seiner Terrasse, wir tranken Bier. Der Himmel war schwer, wie das Märzen, das wir durstig runterkippten. Grillen zirpten, der Vollmond hing müde und schlaff am Himmel.
„Weißt du, der kurze Maier, du musst seine Geschichte kennen, sonst verstehst du ihn nicht richtig“, sagte Ralf.
„Der kurze Maier?“
Ich lachte in meinen Bierkrug.
„Ja. Er ist der kurze, weil sein Vater war größer als er. Und sein Großvater erst. Fast zwei Meter groß.“
„Fantastisch. Wenn die also von Generation zu Generation weiter schrumpfen, hat sich das Problem irgendwann von allein gelöst – sozusagen aufgelöst.“
„Ja, ja, gut möglich. Also paß mal auf. Siehst du das gelbe Haus am Ende der Straße? Von da bis runter wo die Tanke früher war, das hat alles mal Kurzmaiers Opa gehört. War sozusagen der Großgrundbesitzer im Dorf. Manche nannten ihn auch den Baron.“
Ralf spuckte das Wort Baron verächtlich in seinen Bierkrug, bevor er einen kräftigen Schluck nahm und dann weitersprach.
„Der Alte hatte nur ein Problem.“
„Weiber“, sagte ich.
„Nee. Saufen und Zocken. In Bad Weissensee, da war früher mal ein Casino. Der alte Kurzmaier war Stammgast. Der Baron von Bad Weissensee. Innerhalb von wenigen Jahren hat er seinen ganzen Grund verzockt und versoffen. Stück für Stück, eine Parzelle nach der anderen. Als er damit fertig war gehörte ihm nur noch das Grundstück mit seinem Haus und das daneben, auf dem jetzt eure Häuser stehen. Da hat er sich aufgehängt.“
„An der Kiefer?“
Ich kicherte fies.
„Nein, nein. Nicht an der, auf eurem Grund da standen noch ne Menge von diesen Bäumen. Die wurden später alle gefällt. Die Kiefer vom Kurzmaier ist die letzte im ganzen Ort. Der kurze Maier war zwei oder drei Jahre alt, als sie den Alten fanden. Keine Ahnung, wie viel er davon mitbekommen hat. Jedenfalls Kurzmaiers Vater übernahm die ganze Chose - also das was davon noch übrig war. Er hatte noch zwei ältere Brüder, die waren schlauer. Die hatten sich ihren Anteil schon vorher vom Baron geholt. Bargeld, Goldbarren, was weiß ich. Dann hauten sie ab, Australien oder Neuseeland. Paules Alter blieb auf den Grundstücken sitzen und jeder Menge Hypotheken. Aber er war ein fleißiger Kerl. Grundehrlich und gutmütig bis zur Dummheit. Hat gearbeitet wie ein Vieh. Hat nichts genützt. Irgendwann musste er das letzte Grundstück verkaufen, um wenigstens das eigene Haus erhalten zu können. Die Kirche hats ihm abgekauft – sozusagen ein Akt der Nächstenliebe.“
„Das wo wir jetzt wohnen?“
Ich musste meine Kehle befeuchten, nahm einen kräftigen Schluck.
„Ja, ich glaube, die hatten da auch Ziegen oder Schafe. Paule durfte die immer hüten. Eines Tages waren die alle weg. Hat den Kurzen ziemlich mitgenommen. Bald darauf starb sein Vater. Die Leute sagten – gebrochenes Herz. Seine Frau war ihm kurz vorher auch noch durchgebrannt. Die ist wohl einem seiner Brüder nach.“
Krachend stießen wir unsere Krüge zusammen und tranken in gierigen Zügen.
„Paule wollte das Grundstück zurückkaufen. Aber bevor er das Geld zusammenhatte, verkaufte die Kirche es wieder. An den Bauunternehmer, der dann ein paar Jahre später eure Häuser gebaut hat.“
„Na und? Bist du sein V… Ver ... Verteidiger, oder warum erzählst du mir diesen ganzen Mist?“
Einige Liter dieses herrlich frischen, dunklen Gebräus breiteten sich schon in unseren Schädeln aus.
„Nee. Wollte dir bloß ein bisschen Heimatkundeunterricht geben.“

„Weißt du Alter“, sagte ich, „jetzt erzähl ich dir mal eine Geschichte. Wir sind ja auch nicht grad die neureichen Städter, die euch armen Bauern ihr Land wegnehmen, um da ihre modernen Betonklötze hinzustellen.“
„Bin kein Bauer.“
„Mein ja auch nicht dich. Aber die Kurzmaiers waren ja wohl … Landbesitzer … also Bauern.“
Das Bier und diese ach so furchtbare und entsetzlich traurige Geschichte Paul Kurzmaiers, ließen mich trotz der Hitze der Nacht frösteln. Gierig soff ich den Rest des Kruges leer.
„Die Andrea - meine Andrea - die wär beinah gestorben in der Stadt. Damals. Bevor wir hierherkamen. Eines Abends. Sie kam von so 'nem Weiberabend mit ihren Freundinnen. Mit der U-Bahn. Von der U-Bahn bis zu unserem Haus sinds nur zehn Minuten. Ist aber 'n ziemlich dunkler Weg. Vorher war nie was passiert. Die ging da oft lang. Auch bei Nacht. Obwohl ich immer gesagt hab zu ihr ... Pass auf ... Geh da nicht allein in der Nacht ... hab ich gesagt. Ruf mich an, ich hol dich ab. Ach was, sagte sie immer. Was soll schon passieren, auf dem kurzen Stück. Gelacht hat sie. Ist ja auch nie was passiert. Bis dann … dann passierte es doch. Zwei Kerle ... hat man nie gekriegt, die Schweine. Die wollten sie … wollten sie … ver … verge … aber sie hat sich gewehrt. Wie der Teufel hat sie sich gewehrt. Getreten und geschrien hat sie. Aber allein gegen zwei Typen … keine Chance. Auf einmal stechen die zu, die Dreckschweine. Stell dir das vor, die wollten meine Andrea abstechen … die war da grade das zweite Mal schwanger. Irgendwelche Leute haben sie schreien gehört … die zwei Mistkerle sind abgehauen. Sie hats überlebt. Knapp. Aber das Kind …. das Baby … unser zweites Kind … wir habens verloren. Sie lag ein halbes Jahr im Krankenhaus. Die haben sie dort wieder zusammengeflickt … ein Wunder. Als sie wieder daheim war, wollten wir sofort weg aus der Stadt. Nur weg, weit weg. Irgendwohin … aufs Land. Da wo es sicher ist. Da wo friedliche Leute leben. Und hier, was ist hier? Dieser Kurzmaier, dieses Ar … Arsch … Arschloch … Dabei hats uns doch gleich gefallen hier ... hier wollten wir doch bleiben. Hier haben wir uns doch wohl gefühlt … und sicher … einfach wieder sicher ...“

Von irgendwo zog Ralf eine Schnapsflasche her. Wir tranken weiter. Wir tranken. Wir redeten. Wir heulten. Wir lachten. Mein bester Freund Ralf, das Landei und ich, der Stadtfrack, der ewig Fremde, der Eindringling in eine längst verlorene Idylle, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte.

***

Seit mehr als zehn Jahren nervten uns diese Leute jetzt. Kurzmaier und seine bessere Hälfte waren nun immer seltener zuhause. Irgendein Krankheitsfall in seiner Familie. Umso mehr ärgerte mich, dass er seinen Baum, die mittlerweile die pflanzliche Inkarnation des Bösen für mich darstellte, immer noch nicht fällen wollte. Gelegentlich sprach ich Paule weiterhin darauf an, alles andere – die Autos, die Kreissäge - das alles erwähnte ich gar nicht, um ihn nicht zu überfordern. Die Reaktionen waren wie erwartet und nichts tat sich. Im Gegenteil – wenn Kurzmaier daheim war, machte er uns die Hölle heiß, zum Beispiel, weil ich meinen Kirschbaum nicht regelkonform geschnitten hatte oder ihm fielen sonstige Absurditäten ein.

Quid pro quo – es war offensichtlich, dass dieser ekelhafte Mensch diesen Grundsatz weder kannte, noch sich jemals daran zu halten gedachte. Ein friedliches Zusammenleben mit diesen Individuen war unter solchen Umständen nicht möglich. Und so reiften in den kommenden Monaten und Jahren Gedanken in meinem Kopf, die mich nur noch ganz zu Anfang erschreckten. Am Schluss hatte ich nur noch eine fixe Idee – ich oder er.

***

Da man heute im Internet beinahe alles kaufen kann, von Büchern über Autoreifen und Viagra, bis zu Atombomben mit dazugehöriger Bauanleitung, ist es auch ein Leichtes, sich eine halbautomatische Waffe zu besorgen. Ich entscheide mich für eine Heckler & Koch HK 33. Ein leichtes, trotzdem genaues und solides Sturmgewehr. Schwarzmarktpreis 500 Euro. Hätte nicht gedacht, dass die so günstig zu haben sind. Ich denke, das ist eine sinnvolle Investition.

Weil ich UPS oder DHL nicht zutraue, mir den Schießprügel ins Haus zu liefern, fahre ich selber nach Belgien, um mir die Knarre dort abzuholen. Sicher ist sicher. Außerdem kann ich unterwegs ein paar Schießübungen machen. In den Ardennen, da ist immer noch dichter, unbewohnter Wald – menschenleer. Nach zwei Tagen will ich zurück sein. Hab Andrea von einer Geschäftsreise in unsere Niederlassung bei Brüssel erzählt, damit sie keinen Verdacht schöpft.

Auf der Rückfahrt fahre ich bei Kati vorbei, die studiert da oben in der Ecke, in Aachen. Das Gewehr ist im Kofferraum, eingewickelt in Packpapier und eine Decke. Es ist schön Katarina wieder zu sehen. Sie besucht uns nur selten. Ist halt doch ganz schön weit bis zu uns runter. Ist ne richtig hübsche junge Frau geworden. Bin stolz auf sie. Sie fragt mir Löcher in den Bauch, nach ihrer Mama und Markus, der jetzt die neunte Klasse besucht. Und nach unseren Nachbarn und ihren Freunden. Sind jetzt fast alle aus dem Haus, nur noch wir Alten da. Die Jungen, verstreut über das ganze Land, ach was, über die ganze Welt. Wir haben eine sehr nette Unterhaltung, was sie wohl alle so treiben, am Schluss fragt sie mich noch nach dem Baum. Wie eine dieser verdammten Nadeln sticht mir die Frage ins Herz. Sie weiß doch nichts? Ahnt sie etwas? Gut, sie hat den Baum immer geliebt, weil er so knorrig ist, so alt, so unverfälscht. Aber das Bücken nach seinen Nadeln hat Andreas Rücken kaputtgemacht und mich hat das stachelige Monster zu dem gemacht was ich jetzt bin, aber das sage ich nicht zu Katarina. Ich muss sie da raushalten.
„Ach, der Baum, ja, ja, der steht noch.“
Ich versuche ein Lächeln. Sie blickt mich ernst an, als würde sie etwas ahnen. Beim Abschied umarmt sie mich besonders fest.
„Machs gut Papa. Und pass auf dich auf und auf Mama.“
Schimmert da eine Träne im Augenwinkel?

Der Besuch bei meiner Tochter dauert länger, am Freitag komme ich erst spät abends heim. Andrea ist übers Wochenende bei Schwiegermama. Markus mit seinen Kumpels weggefahren. Ich bin allein im Haus, schalte den Fernseher ein, trinke noch ein Glas Wein. Den guten Roten aus dem letzten Spanienurlaub. Draußen frischt der Wind auf – ein Herbststurm zieht auf. In zwei Monaten ist Winter. Zeit zum Holz machen.

'Ich hätte da eine Idee. Kiefern – geben die kein gutes Brennholz ab? Ich meine – wenn die Säge eh schon läuft?'
'Ne, ne. Zuviel Harz. Außerdem, sie wissen ja … '
'Ja, ja – Bestandsschutz!'
Spielverderber – versteht echt keinen Spaß.
In dieser Nacht träume ich lang und wirr.

***

… ich spüre einen heftigen Schlag gegen meine Schulter, als ich den Abzug des HK33 durchdrücke, sich die Kugel löst und durch das Fenster exakt die vorgeplante Linie entlang fliegt, um schließlich die rechte Brust und Teile der Schulter von Paul Kurzmaier wegzusprengen. Der Knall ist lauter, als ich ihn von den Übungen in den Wäldern der Ardennen in Erinnerung habe, vor Schreck ziehe ich ein zweites Mal durch. Wie es der Zufall will, schneidet die Flugbahn des zweiten Projektils genau die Stirn des nach vorne Fallenden. Mir ist, als höre ich das Klatschen des Stücks Blei, das seinen Kopf auseinander platzen lässt. Ich muss unwillkürlich an diese Kürbisse denken, die jetzt, kurz vor Halloween, vor allen Häusern herumstehen. Mit geschnitzten Gesichtern und Kerzen in den ausgehöhlten Köpfen, die ihnen einen flackernden geisterhaften Ausdruck verleihen. Paules Fratze, ungläubig glotzend, verliert jegliche Form. Während der schwammige Körper nach vorne fällt, schwappen Blut und Gehirnmasse aus dem offenen Schädel und besudeln den von Sägespänen verdreckten Boden. Sein Leib schlägt, wenige Sekunden nach dem Eindringen der Kugeln, in der blutig-staubigen Pampe auf. Ein Geräusch, wie wenn ein Metzger eine tote Sau achtlos auf die Schlachtbank wirft.

Der Fernsehmanager Paul Kurzmaier, verheiratet mit – zum Teufel wie heißt sie nochmal mit Vornamen? – Vater zweier erwachsener Söhne, Besitzer dreier Autos, eines Motorrades und einer Kreissäge, bekommt den Aufprall nicht mehr mit, da sein Geist sich an diesem wunderschönen Herbstmorgen mit dem lichtenden Nebel schon verflüchtigt hat, als sein irdischer Körper noch im Fallen ist. Ich grüße ihn – ein letztes Mal - weil ich dem starren Blick des Gegenübers nicht mehr ausweichen kann.

Dann sinke ich zurück auf die Bettkante, verharre noch einige Zeit so, lausche dem Geräusch der herrenlos weiterlaufenden Säge und lasse mich schließlich zurückfallen. Im Einschlafen meine ich das Kreischen zu hören, das entsteht, wenn man einen Holzscheit über ein laufendes Sägeblatt schiebt und sich dessen Zähne ihren Weg durch das weiche, frisch riechende Holz fressen.

Aber ich kann mich auch täuschen. Vielleicht schlafe ich bereits. Vielleicht träume ich schon wieder.

Ich liebe den Duft von frisch geschnittenem Holz – herrlich – ich atme tief durch und träume weiter.

 
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Hallo Resi26,

ich hab deine Geschichte gelesen. Gefallen, na ja. Für meinen Geschmack war da zu viel schwarz/weiß. Einerseits die "nette" Spießerfamilie aus der Stadt, die noch nicht einmal Tannen von Kiefern unterscheiden konnte. Bäume müssen weg, die machen nur Dreck! Und Männer, die - sagen wir mal über 40 sind - und immer noch langes Haar tragen, sind suspekt. Diese Familie wollte am liebsten mit jedem Freundschaft schließen, und wehe es schließt sich jemand aus, und erzählt nicht jede Einzelheit aus seinem Leben! Die Freunde des Ehepaares sind natürlich auch edel und gut und dazu noch schön anzuschauen. Als Gegenstück nun der "fiese" Nachbar mit Frau. Er ist feist, hat ein schwammiges Gesicht und langes fettiges Haar, seine Frau ist eine unattraktive Pummel.
Dass er beim Privatfernsehen beschäftigt ist und sein Geld durch Werbesendungen verdient, hast du ein paar mal erwähnt, einmal hätte genügt.
Der Schluss - Spießbürger wird zum Mörder - das kam für mich persönlich nicht so gut rüber.
Ich persönlich lese gerne etwas über Konflikte in der Nachbarschaft. Leider kommen solche, wie von dir geschilderten Streitfälle, laut Presse, öfters vor. Und Querulanten gibt es in fast jedem Miethaus.
Ich denke, du hast beabsichtigt, das ganze von der ironischen Seite her zu schildern. Das kam aber für meinen Geschmack nicht so stark rüber.

Gruß
Leia4e

 

Hallo Leia4e

Ich gehe mal auf deine Kommentare, für die ich dir dankbar bin, in erklärender Weise ein, weil ich vermute, dass du die Geschichte ganz anders verstehst, als ich. Was an sich nichts schlimmes ist, weil ja jeder einen anderen Geschmack haben darf. Aber ich hätte trotzdem gerne, dass du etwas besser verstehst, was ich gemeint habe. Wobei es immer kritisch und schwierig ist eine Geschichte zu erklären – so wie man einen Witz nicht erklären sollte :D. Aber wenn es nicht so rüberkommt, wie ich es gemeint habe, habe ich vielleicht was falsch gemacht.

Durch schwarz/weiß werden ja Gegensätze ausgedrückt, ich finde Geschichten, die keine Gegensätze, sondern nur graues Einerlei beinhalten, wenig spannend. Gerade durch Gegensätze entsteht doch Spannung und ich glaube, die dürfen auch durchaus mal übertrieben dargestellt werden, sonst schwimmt es so dahin wie lauwarme Suppe. Dazu gehört auch, die Helden vom Äußeren her sympathisch oder eben nicht sympathisch (fette Haare, Bierbauch) zu zeichnen.

Deine Charakterisierung der Stadtfamilie als Spießer kann ich gar nicht nachvollziehen. So hatte ich mir die Familie nicht vorgestellt, eher das Gegenteil. Für mich ist klar Paul Kurzmaier der Spießer, mit seinen ganzen Verordnungen und Regeln, mit denen er die Nachbarschaft gängelt, und seinem Ärger über die neu Zugezogenen, die plötzlich in seine Welt einbrechen. Er ist es doch, der stur auf seinen wöchentlichen Ritualen beharrt, z.B. seine Kreissäge zu unorthodoxen Zeiten laufen lässt, seinen geliebten Fuhrpark vor dem Nachbargrundstück parkt, anstatt vor seinem eigenen, seine Kiefer (es ist übrigens die dreijährige Tochter, die den Baum als Tanne vermutet) gegen jeden Angriff verteidigt, mit der typisch spießbürgerlichen Behauptung, sie stünde unter Bestandsschutz.

Womit ich nicht die zugezogene Familie verteidigen will, speziell Wolfgang der auch seine Macken hat, die sich im Laufe der Jahre weiter entwickeln und ihn schließlich zum Mörder werden lassen. Das ist eigentlich nicht ironisch gemeint, auch wenn die eine oder andere Formulierung Ironie enthalten soll, das ist sehr wohl beabsichtigt. Übrigens halte ich den Schluß am ehesten für ironisch oder zumindest interpretationsfähig. Bringt er den ungeliebten Nachbarn wirklich um oder …

Aber ich kann mich auch täuschen. Vielleicht schlafe ich bereits. Vielleicht träume ich schon wieder.

Dass eine Familie mit jedem lieber Freundschaft schließen will als das Gegenteil, was ist daran verwerflich? Und wo liest du, dass sie ihre Freundschaft jemandem aufdrängt und an familiären Einzelheiten interessiert ist. Aus dem sommernächtlichen Gespräch der sich betrinkenden Freunde Ralf und Wolfgang, in welchem erst die Ursachen für das Verhalten der beiden Nachbarn skizziert wird?

Na, gut. Vielleicht liest du die Geschichte jetzt nochmal mit anderen Augen. Ich sehe im Moment nicht wo ich was wie ändern könnte, bin aber für weitere Erklärungen dankbar.

Danke und schönen Abend noch

Resi26

 

Hallo Resi26,

das mit Spießbürger habe ich vielleicht falsch formuliert. Ich fand den Prot ziemlich intolerant und selbstgerecht. Leider wird die Geschichte hauptsächlich von Wolfgangs Seite beleuchtet. Dass Wolfgang auch seine Macken hat, das stimmt und das hast du, jetzt beim zweiten Durchlesen, ganz gut herübergebracht. Der Mensch war mir von Anfang an unsymphatisch. Der "Fiesling" Kurzmaier bleibt trotz verbalen Ausfällen und Sägearbeiten etwas blass im Hintergrund. Aber das ist, wie gesagt nur meine Ansicht.
Apropo "Bestandsschutz Bäume" - ab und zu werden uralte Bäume unter Denkmalschutz gestellt, und das finde ich überhaupt nicht spießig. So ein Baum hat ein paar Jahrhunderte "auf dem Buckel" und soll nun der Säge zum Opfer fallen.

Gruß
Leia4e

 

hallo Resi,
jetzt habe ich mich mal über einen deiner Texte hergemacht. Der Anfang ist sehr spannend, eine super Einleitung für einen Spannungsaufbau - Wer wird der Mörder sein?

Über den langen Mittelteil hinweg, der wild zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her springt, habe ich mich irgendwann gelangweilt.

Diese gängigen Nachbarschaftskonflikte sind mir zu langatmig.
Am Anfang fallen viele Namen, die im Grunde völlig gleichgültig sind. Ich musste immer wieder scrollen. Hä? Who is nun Who?

Tatsächlich sehe ich in allen Figuren Spießer. Ich habe ein Misch Neubaugebiet vor Augen. Mit klaren Richtlinien, Zäune, Abstellplätze, akkurat gepflegter Garten.....Das Normale: Das darf man und das darf man nicht. Alles muss seine Ordnung haben / wir sind aber alle ganz locker drauf.

Offenheit eines Städters vielleicht ein guter Versuch die Spießigkeit zu überplaudern. Aber da ist sie doch. Natürlich wird lässig Bier getrunken und mit allen Nachbarn Freundschaft geschlossen. Das kann ein Spießer auch.

Wer mag schon gern gewöhnlich sein?

Was auch immer die Andrea für schreckliche Dinge aus der Stadt vertrieben haben, es spielt in der Geschichte keine Rolle.

Mit fehlt, durch das viele Drum herum die Zuspitzung der eigentlichen Sache. Mir wäre es lieb, Wolfgang ist ein Spießer, der verzweifelt um Lockerheit bemüht ist, freundlich sein will und dabei auf seine eigenen Grenzen und seine Machtlosigkeit stößt. Wie sich so langsam seine Aggression steigert, wie er versucht den Nachbar zu verstehen, aber der Baum im Weg ist..... Ach, mir fehlt einfach der innere Konflikt. Da ist so viel drumrum los. Frau, Tochter, diverse Nachbarn, plus deren Kinder, Verstorbene und sonst was.

Mit Sicherheit ist das Empfindungssache. Kritik ist immer etwas Persönliches. Anderen mag es damit anders gehen.
Mir passiert zuviel Langweiliges im Außen, während sich in Wolfgang ein sehr interessanter innerer Konflikt entwickelt, der ihn zum Mörder werden lässt.

Mir fehlt die Linie. Es ist mir zu sprunghaft. Und das sage ich. Das Flatterhirn. Das in dem Maß Sprünge in einen einzigen Satz packen kann, wie du sie in eine Geschichte packst. Ich werde noch eine von dir lesen.

Liebe Grüße
fh

 

Hallo Flatterhirn,

und vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Mir scheint, es ist mir wirklich nicht besonders gut gelungen, meine Intention zu der Geschichte herüber zu bringen. Vermutlich liegt es auch daran, dass ich selbst natürlich einen ganz anderen, eher persönlichen Zugang zu der Geschichte habe, da haben auch die Einzelheiten, die du langweilig findest, eine andere Wertigkeit. Aber das ist vermutlich mein Problem, dass ich die Sicht des Lesers, was interessiert ihn (nicht mich), welche Wertigkeit haben Personen und Handlungen für den Leser (nicht für mich), nicht eingenommen habe oder mir vorzustellen vermag. Daran muss ich noch arbeiten.

Dennoch, zu einigen deiner Kommentare muss ich direkt antworten.

Die vielen Namen, ja, die wirken verwirrend, zumal die meisten für die Geschichte wirklich keine herausragende Rolle spielen. Es kommen, neben dem Prot, im Verlauf ja auch nur zwei oder drei mehrmals vor, die anderen bilden nur einen Rahmen. Man muss wissen dass es sie gibt, mehr eigentlich nicht. Aber als Autor habe ich zu diesen Figuren halt auch eine andere, persönliche Beziehung, daher ist es vielleicht nicht ganz einfach auf einige der Personen zu verzichten.

Der Sprung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, das ist beabsichtigt. Eigentlich erzählt die Geschichte die paar Minuten, die Wolfgang am Fenster steht, den Nachbarn beobachtet und den Mord vorbereitet. Dabei gehen ihm die Gedanken, die sich in der folgenden Geschichte ausdrücken, durch den Kopf. Aktuelle Gedanken ebenso wie solche aus der Vergangenheit. Warum ist es soweit gekommen, was sind die Ursachen, dass er überhaupt mit der Knarre in der Hand hier steht? Solange er das Gewehr in der Hand hält, ist er immer noch am überlegen, soll ich wirklich abdrücken? Er sieht diese von mir absichtlich unsympathisch gedachte Figur des Nachbarn die ganze Zeit durch das Zielfernrohr und zugleich spielen sich vor seinem Auge gewissermaßen die letzten fünfzehn Jahre nochmal ab und verstärken letztendlich seinen Entschluss, doch abzudrücken. Mir ist klar, dass solche Zeitsprünge für den Leser meist ein Problem sind, da er ja die Geschichte (noch) nicht kennt (ähnlich wie bei den unbekannten Namen) und er muss immer wieder überlegen, wann findet das jetzt statt und in welchen Kontext steht es zur aktuellen Handlung.

Ich versuche in diesem Teil den Konflikt auch langsam (vielleicht zu langsam = zu langatmig) aufzubauen, über die ersten eigentlich lächerlich kleinen Vorkommnisse (der anonyme Zettel in seinem Garten) bis zu den wirklich größeren Hämmern (das ständige Sägen an jedem Samstagmorgen), die schließlich zur Eskalation führen.

Mit einer deiner Aussagen bin ich absolut nicht einverstanden:

Was auch immer die Andrea für schreckliche Dinge aus der Stadt vertrieben haben, es spielt in der Geschichte keine Rolle.

Das ist eigentlich die zentrale Ursache, warum Wolfgang und seine Familie von der Stadt aufs Dorf gezogen sind und warum er sich so nach einer friedlichen, konfliktfreien Welt sehnt. Und der böse Nachbar, der ja seine bzw. Andreas Geschichte nicht kennt, trifft nun mit seinem Verhalten genau in diese Wunde und führt (unbeabsichtigt?) schließlich den finalen Gewaltausbruch herbei. Natürlich ist daran auch Wolfgang nicht unschuldig, schließlich hätte er vielleicht dem Nachbarn einfach erzählen sollen, warum er hierhergezogen ist – ähnlich wie er das mit seinem Freund Ralf macht.

Mit fehlt, durch das viele Drum herum die Zuspitzung der eigentlichen Sache. Mir wäre es lieb, Wolfgang ist ein Spießer, der verzweifelt um Lockerheit bemüht ist, freundlich sein will und dabei auf seine eigenen Grenzen und seine Machtlosigkeit stößt. Wie sich so langsam seine Aggression steigert, wie er versucht den Nachbar zu verstehen, aber der Baum im Weg ist..... Ach, mir fehlt einfach der innere Konflikt. Da ist so viel drumrum los. Frau, Tochter, diverse Nachbarn, plus deren Kinder, Verstorbene und sonst was.

Das ist vermutlich das Hauptproblem der Geschichte, das durch die vielen Nebenpersonen der Fokus auf den inneren Konflikt nicht deutlich wird. Das müsste ich vermutlich besser herausarbeiten. Ich habe das in der Trinkszene zwischen Wolfgang und Ralf versucht. Aber ich wollte keine dieser sich selbst dauernd bemitleidenden Typen schildern. Ich wollte durch Erzählen einiger Szenen aus den letzten Jahren den Konflikt und die Entwicklung von Wolfgang vom fürsorgenden Familienvater zum rasenden Mörder verdeutlichen und nicht nur seinen Gemütszustand beschreiben. Offensichtlich ist mir das nicht gelungen.

Interessant übrigens, dass auch du Wolfgang mehrfach als Spießer bezeichnest. So hatte ich die Figur absolut nicht gedacht. Vielleicht haben wir aber nur unterschiedliche Ansichten, was einen Spießer auszeichnet.

Nun ja, ich muss das erstmal verarbeiten, bevor ich entscheide ob und was ich an der Geschichte noch ändern werde. Bisher haben sich ja zwei weibliche KommentatorInnen geäußert, hätte mich interessiert, was die Jungs im Forum so dazu sagen. In der Regel sind ja männliche und weibliche Sicht durchaus unterschiedlich - was für eine banale Binsenweisheit :Pfeif:

Trotzdem, ich warte mal noch ein bisschen, vielleicht meldet sich ja noch der eine oder andere Geschlechtsgenosse.

Auf jeden Fall hat mir dein Kommentar wieder ein Stück weiter geholfen und mein Augenmerk auf offene Probleme bei meinen Schreibbemühungen geworfen.

Danke dir dafür

Resi26

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Resi,
im Grunde ist die Geschichte doch eine super Idee. Jetzt wird mir manches nochmal klarer. Wolfgang steht am Fenster mit dem Gewehr. Dafür sind seine Gedanken tatsächlich zu ruhig und zu langatmig. Ob es da nicht sogar erlaubt ist, Hektik und Stress, Wut und Verzweiflung durch eine extreme Sprunghaftigkeit in den Gedanken und Verwirrtheit darzustellen, vielleicht darf sogar so mancher Gedanke gar nicht fertig gedacht werden? "Und dann immer diese Säge, am Samstag um sieben..., und dabei sind wir hier her gekommen um endlich unseren Frieden zu finden."

Sich Dialoge von vor 15 Jahren, mit dem angelegten Gewehr, noch so präzise durch den Kopf gehen zu lassen, ist nicht glaubwürdig. Überhaupt dürfen nach meiner Ansicht, keine Dialoge in Wolfgangs Kopf ablaufen. Ein tiefgehendes, einprägsames Zitat ja: "Sie haben immer gesagt..." oder ein "das Baumschutzdingsbumsgesetz," das ja. Was knappes eben. Keine Ahnung wie genau.

So gesehen sind die Zeitsprünge sogar super, dürfen fast sogar noch etwas mehr springen, schneller hektischer, aggressiver. Ich bezweifle nämlich, dass man in einer solchen Situation noch wirklich zu so klarem, ruhigen Denken fähig ist. Er ist in einer sehr viel angespannteren Situation, als es die Geschichte spüren lässt. Ich will ja als Leser mit dem Wolfgang mitfühlen können, will mich in ihn reinversetzen. Dieser zwanghafte Wunsch vom Wolfgang nach Friede und Harmonie im Außen und der gleichzeitig, zunehmende Unfriede in ihm - dieser Zwiespalt fehlt mir, weil es zu gemütlich zu geht.

Das Flatterhirn würde die Geschichte jetzt flattern lassen, ganz klar. Aber das ist nicht jedermanns Sache, dass habe ich schon gelernt. Drum sind wirklich weitere Meinungen nötig!

Ja die Andrea ist tatsächlich wichtig. Sie fliehen vor dem Bösen in der Stadt, denn das hat eine tiefe Wunde gerissen und jetzt haben sie das Recht auf ewigen Frieden. Dann stellen sie fest, das Böse oder der Unfrieden lauern überall, sogar im Wolfgang selbst. Er läuft vor etwas weg, was er selbst in sich trägt. Außen wird alles hübsch gemacht, drinnen siehts immer dusterer aus.

Ich liebe diese Geschichten über die feinen, geleckten Fassaden, hinter denen der planke Horror sitzt. Die Todeswaffe hinterm Spitzengardinchen sozusagen.

Kann mir auch sehr gut vorstellen, dass eine Männerwertung anders ausfallen wird! Da können wir emanzipieren wie und was wir wollen, wir werden doch immer unterschiedlich bleiben und unterschiedlich ticken. Alles andere wäre auch langweilig. ich wünsche dir also in bälde eine maskuline Meinung.

Liebe Grüße
fh

 

Hey Resi26,

ein schönes Thema und ich bin Dir auch gern durch die Zeilen gefolgt, wollte wissen, wer da wen und warum erschießen will. Und man spürt, dass du Dir da viele Gedanken gemacht hast. Das empfinde ich als sehr angenehm.
Was mir auch gefallen hat, dass der Text einen Zeitraum von 15 Jahre aufgreift. Das liest man hier selten, weil es eben auch schwieriger ist. Dafür schon mal mein Kompliment.

Was mir nicht gefällt sind die vielen Namen am Anfang.

Resi26 schrieb:
Es kommen, neben dem Prot, im Verlauf ja auch nur zwei oder drei mehrmals vor, die anderen bilden nur einen Rahmen. Man muss wissen dass es sie gibt, mehr eigentlich nicht. Aber als Autor habe ich zu diesen Figuren halt auch eine andere, persönliche Beziehung, daher ist es vielleicht nicht ganz einfach auf einige der Personen zu verzichten.

Das Du als Autor eine Beziehung zu denen hast, ist ja gut. Aber ich als Leser sehe nur Namen und über Namen baue ich keine Beziehung zu denen auf. Das ist ähnlich wie zu Namen im Telefonbuch. Namen halt ;). Du kannst die Familien ja beschreiben, um das Umfeld zu zeigen, aber nur denen einen Namen geben, die im weiteren Verlauf wichtig sind. Sonst habe ich als Leser ja das Gefühl, mir die alle merken zu müssen - und dabei muss ich das gar nicht.

Der Anfang ist gut. Richtig gut! Aber da sind wir schon bei meine Hauptproblem ich sehe das Motiv nicht, was am Ende den Abzug drücken lässt, sei es nun real oder im Traum. Du sagst, dass er es für seine Frau tut. Aber eine nadelnde Kiefer ist doch keine Bedrohung für seine Frau. Die will ihr doch nix tun. Auch Kurzmaier stellt für mich als Person keine Bedrohung dar. Wenn er der Frau nachstellen würde, sie mit schmutzigen Bemerkungen/Komplimenten/Blicken belästigen würde, wenn er in ihrer Anwesenheit onanieren würde, oder sonst was - dann würde ich eine Bedrohung erkennen. Aber nicht, weil er sich unsozial gegenüber den Nachbarn verhält. Außerdem ist er zu Ende des Textes ja kaum noch anwesend. Die "Bedrohung" somit minimiert wird. Also, ich verstehe es nicht. Jedenfalls nicht, wenn er sterben soll, damit Andrea beschützt wird. Ich sehe da keinen Zusammenhang.
Entweder, Kurzmaier macht andere Probleme, oder es ist ein Mord, weil sich der Prot. da in seinen Zorn steigert und aus den anfangs kleineren Nachbarschaftsproblemen unlösbare für ihn werden. Da müsste für mein Empfinden mehr Psycho dann in den Prot. Und über 15 Jahre kann man sich schon schön in was reinsteigern.

„Sieh doch mal, der Garten. Ist der schön.“
„Ja, wunderschön.“

Wer redet da? Ich hatte irgendwann Probleme, als ich erkennen musste, es sind drei Personen. Ich bin immer von einem Mama-Tochter-Gespräch ausgegangen, weil man dass ja der dritten Gesprächszeile entnimmt. Stimmt aber gar nicht und da musste ich erst mal neu sortieren.

„Hier bleiben wir. Es ist so schön hier – und … so friedlich.“

Diese so-Steigerung sagt mir stilistisch nicht zu. Aber das ist sicher eine Geschmacksfrage. Mein Satz wäre dieser:
„Hier bleiben wir. Es ist schön und … friedlich.“

Und ich mach auch mal einen Vorschlag für den folgenden Absatz. Kannst ja mal drüber schauen, ob da dann Informationen für den nachfolgenden Text fehlen. Aber das ist echt Informationsüberschuss da :)

Ich blickte auf das Grundstück rechts von uns, meinte hinter den Vorhängen des alten Hauses eine Bewegung zu erkennen. Die Leute von dort, habe ich noch nicht kennengelernt.
Die anderen, die mit uns neu hergezogen waren, kannten wir schon. Da war das sympathisches Paar in unserem Alter, mit einer Tochter, so alt wie unsere Kati. Neben uns im Doppelhaus wohnte eine amerikanische Familie, zwei Söhne. Nette Leute. Wie die meisten Amerikaner halt.
In dem Doppelhaus auf der anderen Seite des Platzes, der von vier neuen Häusern eingerahmt war, wohnten noch ein Lehrerehepaar mit zwei zehnjährigen Zwillingstöchtern und ein muskelbepackter Autoverkäufer mit einer hübsche brünette Pilatestrainerin, hochschwanger. Das vierte Haus war noch leer, später sollten hier Leute einziehen, die nett und höflich waren, regelmäßig grüßten und sonst keine Probleme machten.

Vielleicht würde ich die Familien auch gar nicht über Beruf und Kinderanzahl einführen, sondern bei den einen stehen auf der Terrasse die Farbeimer, während bei ihren Nachbarn schon Stühle, Tisch und Grill aufgebaut sind. Ein anderes Paar hat ein Badebecken hingestellt, indem die Zwillinge wilde Wasserschlachten veranstalteten. Also mehr über solche Dinge die Leute an den Mann bringen. Ich glaube, da ist man eher gewillt, sich die Leute vorzustellen.

So, die zwei Punkte. Ansonsten habe ich den Text aber gern gelesen. Der hat schon was.

Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

ein schönes Thema ... man spürt, dass du Dir da viele Gedanken gemacht hast. Das empfinde ich als sehr angenehm.

Vielen Dank, das höre ich gerne.

Was mir auch gefallen hat, dass der Text einen Zeitraum von 15 Jahre aufgreift. Das liest man hier selten, weil es eben auch schwieriger ist. Dafür schon mal mein Kompliment.

Danke, das ist auch wirklich schwer, aber ich mag solche Geschichten, die nicht nur die Gegenwart reflektieren.

Der Anfang ist gut. Richtig gut!

:shy::) Nochmal danke – daran hab ich auch wirklich gefeilt, bis das saß.

Du sagst, dass er es für seine Frau tut. Aber eine nadelnde Kiefer ist doch keine Bedrohung für seine Frau. Die will ihr doch nix tun. Auch Kurzmaier stellt für mich als Person keine Bedrohung dar.

Also so direkt hab ich, glaub ich nicht, gesagt, dass er es für seine Frau tut. Ich habe lediglich gesagt, dass Wolfgang mit seiner Familie deswegen aufs Land gezogen ist, weil es in der Stadt zu der Fastvergewaltigung seiner Frau gekommen war und weil er gehofft hatte, hier mit ihr in Frieden leben zu können. Die Kiefer dient da gewissermaßen nur als Metapher. Da sind ja noch andere Probleme, jedes für sich gesehen sicher eine Kleinigkeit, z.B. die vor seinem Garten parkenden Autos, die Kreissäge usw. In der Summe stören sie halt Wolfgangs Frieden. Natürlich ist das alles noch kein Grund für einen Mord. Aber vielleicht hat ja Wolfgang durch sein eigenes Verhalten auch eine Art Psychose entwickelt. Er steigert sich da rein und diese vermeintlichen Kleinigkeiten stören ihn ja mehr als seine Frau. Es gibt doch auch Leute, die wegen falsch ausgedrückter Zahnpastatuben oder herum liegender Socken morden. Eigentlich mordet er nicht, um seine Frau zu schützen, sondern um sein eigenes psychologisches Problem zu bewältigen. Das konnte ich offensichtlich nicht verständlich darstellen, vielleicht müsste ich den Charakter von Wolfgang noch mehr ausbauen, damit der Leser seine Psyche und die Veränderung seiner Persönlichkeit besser erkennt und seine Tat besser nachvollziehen kann. Ist halt in einer Kurzgeschichte eine ziemliche Herausforderung. Aber eigentlich geht es mir gar nicht so sehr um den Mord, der für die Geschichte nur den Rahme bildet. Der Kern ist die Persönlichkeitsentwicklung.

Jedenfalls nicht, wenn er sterben soll, damit Andrea beschützt wird. Ich sehe da keinen Zusammenhang.
Entweder, Kurzmaier macht andere Probleme, oder es ist ein Mord, weil sich der Prot. da in seinen Zorn steigert und aus den anfangs kleineren Nachbarschaftsproblemen unlösbare für ihn werden. Da müsste für mein Empfinden mehr Psycho dann in den Prot.

Ja – siehe mein Kommentar oben

Ich blickte auf das Grundstück rechts von uns, meinte hinter den Vorhängen des alten Hauses eine Bewegung zu erkennen. Die Leute von dort, habe ich noch nicht kennengelernt.
Die anderen, die mit uns neu hergezogen waren, kannten wir schon. Da war das sympathisches Paar in unserem Alter, mit einer Tochter, so alt wie unsere Kati. Neben uns im Doppelhaus wohnte eine amerikanische Familie, zwei Söhne. Nette Leute. Wie die meisten Amerikaner halt.
In dem Doppelhaus auf der anderen Seite des Platzes, der von vier neuen Häusern eingerahmt war, wohnten noch ein Lehrerehepaar mit zwei zehnjährigen Zwillingstöchtern und ein muskelbepackter Autoverkäufer mit einer hübsche brünette Pilatestrainerin, hochschwanger. Das vierte Haus war noch leer, später sollten hier Leute einziehen, die nett und höflich waren, regelmäßig grüßten und sonst keine Probleme machten.

Das ist ein sehr guter Vorschlag, mir gefällt deine knapp gehaltene Version auch besser.

Ich denke, ich werde mich doch nochmal über die Geschichte hermachen. Hab jetzt einige gute Kommentare als Grundlage für Anpassungen.

Schöne Grüße und vielen Dank nochmal für die hilfreichen Kommentare.

Resi26

 

So, hab das Teil jetzt nochmal überarbeitet, nach den vielen guten Ratschlägen von Euch, vor allem Flatterhirn und Fliege. Die Geschichte ist jetzt hoffentlich straffer, viele Namen, die unwichtig waren sind raus und der Konflikt ist jetzt, so hoffe ich, durch das genauere Zeichnen der psychischen Veränderung und des Charakters von Wolfgang deutlicher geworden.

Danke nochmal fürs Kommentieren - war wirklich sehr hilfreich - und ich hoffe noch auf weitere Leser und Kommentare.

Guts Nächtle

Resi26

 

Hey Resi26,

da hat sich was getan. Seine Wut zieht sich jetzt deutlicher als roter Faden durch die Geschichte, ist mir aber immer noch zu seicht und das Motiv zu schwach. Da muss schon richtiger Wahn rein, Wahnvorstellungen, alles ein bisschen übertreiben, zuspitzen - damit man ihm das Irre und unrationale auch abkauft. Ist ja alles sehr rational geschrieben, irgendwie. Kurzmaier ist ein Kauz, aber keiner der mir irgendwie Angst machen würde. Den ignoriert man und die Scheiß Nadeln schmeißt man ihn über den Zaun auf seine Rasen. Ich glaube, Dein Prot. sollte da mehr Phantasie entwickeln, wie furchtbar dieser Mensch doch ist. Den Kurzmaier aber für den Leser so darzustellen finde ich okay. Für mich ein naja - anstrengender Nachbar, aber nicht gefährlich - nur im Kopf Deines Prots. da muss mehr abgehen. denke ich. Damit sich die Kluft zwischen Wahn und realer Welt auch auftut.
Naja, jedenfalls für mich. Aber die Fassung ist auf jeden Fall schon viel besser.

Ein bisschen Stilkram hab ich auch noch im Gepäck ;)

Wie waren gut befreundet, besuchten sie auch mal in Maryland, wo sie jetzt wohnen.

Ein paar Wochen nach dem Einzug lag ein Zettel im Garten. Andrea hatte im Garten Wäsche zum Trocknen aufgehängt.

Du hast manchmal unschöne Wortwiederholungen drin. Die hier z.B. Überhaupt ist das so verquer in der Reihenfolge. Und Du schaust auf Dinge, die eigentlich uninteressant sind, und auf die interessanten dann weniger. Ich habe mal weniger Gartenanlage und dafür mehr Andrea. Nur so, zur Veranschauung für was ich meine. Aber das ist schon Kritik auf hohem Niveau ;).

Ein paar Wochen nach unserem Einzug, wir hatten noch keinen Zaun, fand ich einen Zettel vor unserer Terrassentür.
Wir wollen nicht das Wäsche im Garten aufgehengt wird!!!
Drei Ausrufezeichen. Ich schmunzelte über die Rechtschreibfehler und schüttelte den Kopf. Als ich den Wisch Andrea zeigte, wurde ihr Lächeln müde. Sie ließ das Blatt sinken und zu Boden schweben, stand da und schaute durch mich in den Garten.

Erst Jahre später wurde mir klar, ...

Andreas Blick wandelte sich von traurig zu ängstlich. Ich nahm sie in den Arm. Ich würde sie beschützen, hier sollte uns niemand Böses antun. Dafür würde ich sorgen, mit allen Mitteln.

Noch mal Stilistik. Schau mal, ob Du nicht ein paar "ichs" aus dem Text raus bekommst.

Den Platz zwischen den vier neuen Häusern nannten wir unseren Hof, wie damals in der Stadt. Und so feierten wir Hoffeste. Die Kinder lernten im Hof Radfahren, spielten Fußball und Seilspringen, tobten herum.

Ich Hof mal, Du weißt :).

Paul Kurzmaier schickte meist seine Frau oder einen seiner Söhne, wenn seiner Meinung nach ein Sommerfest zu laut war, der Grill zu stark rauchte, ein Auto falsch geparkt war, die neu gepflanzten Sträucher zu nahe an seinem Zaun postiert waren oder jemand die Regeln verletzt hatte, von denen er immer faselte, und die außer ihm keiner kannte, vermutlich weil es seine eigenen Regeln waren.

Diesen Metasatz hab ich sehr gern!

Manchmal warf er selbst erstellte Pamphlete, fein säuberlich mit Maschine geschrieben,KEIN KOMMA in unsere Briefkästen, zitierte Gesetzestexte, ...

Aber ab und zu schrie Kurzmaier persönlich hinter seinem Zaun hervor. Vor allem gegen Kinder traute er sich, groß das Wort zu führen. Als einmal unsere Kinder beim Spielen zu nahe an seinen Grund geraten waren, krakeelte er:
„Elende Bastarde, runter von meinem Grundstück!“

Du strickst aber auch so Sachen drumrum :)

Aber ab und zu schrie Kurzmaier persönlich hinter seinem Zaun hervor. Vor allem die Kinder traf es, wenn sie zu nah an sein Grundstück kamen.

Alle Menschen um uns waren freundlich und höflich, hilfsbereit, auch aufmerksam oder sogar fröhlich. Andrea und ich, natürlich großstädtisch geprägt und äußerst tolerant. Sogar Ralf, den ich manchmal im Scherz ...

Hier haben wir uns doch wohl gefüht … und sicher … einfach wieder sicher ...“

Ich schenk Dir ein gefühlt

Ich musste doch mein und das Überleben meiner Familie sicherstellen, das war mein einziges Ziel.

Nee, das kaufe ich nicht. Da muss er ihn nicht umbringen. Da denkt er doch eher daran, die Kiefer abzusäbeln.

Schimmert da eine Träne im Augenwinkel?

Ach nee. Ein bisschen rosa für die Damenwelt? :D

Ich grüße ihn – ein letztes Mal - weil ich dem starren Blick des Gegenübers nicht mehr ausweichen kann.

:) Die Wiederholung ist hübsch an dieser Stelle

Das klingt jetzt mehr negativ als gemeint. Also, die Veränderung hat der Geschichte schon gut getan. Sie wirkt konzentrierter auf mich und dadurch bin ich näher dran.
Das inhaltliche ist natürlich auch nur mein Empfinden. Ich hätte es gern mehr ins Irre gezogen. Aber das muss ja nicht für alle Leser zutreffen. Vielleicht passt es für einen anderen ja. Ich mag das nicht ausschließen.

Beste Grüße Fliege

 

Hi Fliege,

Toll – was du alles siehst ;)

Da muss schon richtiger Wahn rein, Wahnvorstellungen, alles ein bisschen übertreiben, zuspitzen - damit man ihm das Irre und unrationale auch abkauft

Nee, das geht mir doch etwas zu weit, das war eigentlich nicht meine Intention. Wolfgang hat sich ja ohnehin schon nach der Überarbeitung so in Richtung Irrer entwickelt. Ich hatte ihn aber ursprünglich nicht als Wahnsinnigen vorgesehen und dabei möchte ich auch bleiben. Er ist eigentlich ein bedauernswertes kleines Würstchen, das sich zwar maßlos über den uneinsichtigen Nachbarn ärgert – aber wirklich irre? Vielleicht hat er ne Meise, von mir aus ne gewaltige Meise. Die Tat lässt sicherlich darauf schließen. Aber ich weise nochmal auf den Satz vor dem Schlusssatz hin – vielleicht träumt er das alles ja nur, hat nur ne „schmutzige Fantasie“? Mir steht die Figur Wolfgang einfach zu nahe, als dass ich sie als total Irren zeichnen oder gar überzeichnen würde.

Zu deiner Stilkritik – absolut einverstanden. Wieso sehe ich das eigentlich nicht selber? Manchmal komm ich einfach so ins Quatschen beim Schreiben – komisch nicht. Da geht dann die Feder mit mir durch, ich merk das gar nicht. Leider nicht mal beim mehrmaligen Durchlesen. Umso dankbarer bin ich für deine Kritik.

Ich werde noch die Fehler beheben, stilistisch ein bisschen feinschleifen, aber grundsätzlich hab ich nicht vor, aus Wolfgang einen Voll-Psycho zu machen.

Ein paar Wochen nach unserem Einzug, wir hatten noch keinen Zaun, fand ich einen Zettel vor unserer Terrassentür.
Wir wollen nicht das Wäsche im Garten aufgehengt wird!!!
Drei Ausrufezeichen. Ich schmunzelte über die Rechtschreibfehler und schüttelte den Kopf. Als ich den Wisch Andrea zeigte, wurde ihr Lächeln müde. Sie ließ das Blatt sinken und zu Boden schweben, stand da und schaute durch mich in den Garten.

Das gefällt mir sehr gut – das übernehme ich 1:1 so (Der Baron lässt grüßen :D)

Hab momentan ein paar Problem mit meinem Computer - kann ein paar Tage dauern bis die neue Fassung vorliegt.

Vielen Dank noch mal und schöne Grüße

Resi26

 

Wolfgang hat sich ja ohnehin schon nach der Überarbeitung so in Richtung Irrer entwickelt. Ich hatte ihn aber ursprünglich nicht als Wahnsinnigen vorgesehen und dabei möchte ich auch bleiben. Er ist eigentlich ein bedauernswertes kleines Würstchen, das sich zwar maßlos über den uneinsichtigen Nachbarn ärgert – aber wirklich irre? Vielleicht hat er ne Meise, von mir aus ne gewaltige Meise. Die Tat lässt sicherlich darauf schließen. Aber ich weise nochmal auf den Satz vor dem Schlusssatz hin – vielleicht träumt er das alles ja nur, hat nur ne „schmutzige Fantasie“?

Das sind doch sehr gute Gründe, ihn so zu belassen. Stimmt, den Schluss lässt Du ja offen - das habe ich aufgrund meiner Vorlieben zwar registriert, aber auch ignoriert :).

 

So, hab jetzt nochmal die Fehler behoben, und ein paar stilistische Änderungen eingebaut, auch deine Änderungsvorschläge, Fliege, da die wirklich gut waren.

Danke noch mal dafür.

Denke, das ist jetzt schon ganz rund. Ich find jetzt nix mehr zum rundschleifen ;)

Schöne Grüße - ich muß jetzt ins Bett - weil morgen um sieben heißt es wieder. "Es kommt der Tag, da will die Säge sägen" :D

Resi26

 

Hallo Resi26,

die Idee zu der Geschichte finde ich gut, die Umsetzung leider weniger. Mir kommt es so vor, als hättest Du Teile tatsächlicher Begebenheiten in eine Geschichte gebaut, die aber für fremde Leser nicht so interessant sind, besonders auffällig die zu vielen Personen.
Ich habe es so verstanden, dass es um die sich steigernde Wut geht, die schließlich im Blutbad endet - dafür aber braucht man nicht so viele Leute, weil sich die Wut ja in Wolfgangs Innerem abspielt. Die Dialoge helfen da nicht so wirklich weiter.

Etwas störend finde ich die vielen Adjetive und Adverbien wie hier:

wie das Märzen, das wir durstig runterkippten

Krachend stießen wir unsere Krüge zusammen und tranken in gierigen Zügen.

Ich fände es netter, wenn der Autor Bewertungen dem Leser überläßt, anders als hier:

Am Schluss hatte ich nur noch eine fixe Idee – ich oder er.

Dass das eine 'fixe' Idee ist, darauf möchte ich bittschön selber kommen.

Als Leser möchte ich nicht für blöd gehalten werden:

Hab Andrea von einer Geschäftsreise in unsere Niederlassung bei Brüssel erzählt, damit sie keinen Verdacht schöpft.

Ja, warum hätte er es wohl sonst erzählen sollen?

Ein Geräusch, wie wenn ein Metzger eine tote Sau achtlos auf die Schlachtbank wirft.

Ich glaube nicht, dass ein Metzger achtlos mit einer Sau herumwirft, denn die ist ja bares Geld wert - ein unglücklicher Vergleich.


Der Fernsehmanager Paul Kurzmaier, verheiratet mit ... als sein irdischer Körper noch im Fallen ist. Ich grüße ihn – ein letztes Mal - weil ich dem starren Blick des Gegenübers nicht mehr ausweichen kann. Gegenübers nicht mehr ausweichen kann.

Das funktioniert in dieser Reihenfolge nicht. Denn einen Moment vorher schlug der Leib schon in der 'blutig-staubigen' Pampe auf.

Der Anlass für den Mord wirkt zu klein, selbst für einen Traum. Entweder sollte der Anlass größer ausfallen oder der Wahn des Protagonisten.
Ansonsten ein guter Ansatz, ich mag so etwas, es erinnert mich an französische Filme, in denen sich hinter friedlichem Dorfleben der blanke Horror verbirgt.

Herzliche Grüße vom
gox

 

Hallo gox,

ich möchte kurz auf deine Kommentare eingehen.

, besonders auffällig die zu vielen Personen.

Da hab ich eigentlich schon reduziert. Ich denke die vorhanden Personen sind durchaus wichtig für den Gesamtzusammenhang der Geschichte. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, die Stimmung und Probleme von Wolfgang darzustellen.

Etwas störend finde ich die vielen Adjetive und Adverbien wie hier:

Das kann man so sehen, ich denke allerdings, an manchen Stellen verstärken die Adjektive die Szenerie, z.B das gierige Trinken soll so auch benannt werden um auch die dahinterstehende Stimmung in diesem Augenblick zu verstätken. Ich wüsste nicht, wie ich das ohne Adjektiv hinbekommen sollte.

Ich fände es netter, wenn der Autor Bewertungen dem Leser überläßt, anders als hier:
.
.
Dass das eine 'fixe' Idee ist, darauf möchte ich bittschön selber kommen.

Da geb ich dir durchaus recht, das ist ein “altes“ Problem von mir, an dem ich arbeite.

Ich glaube nicht, dass ein Metzger achtlos mit einer Sau herumwirft, denn die ist ja bares Geld wert - ein unglücklicher Vergleich.

Ich halte den Vergleich für glaubwürdig, ich dachte dabei nicht an den netten Landmetzger, sondern eher an einen industriellen Schlachthof. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Metzger dort besondere Gefühle für die „Schlacht-Produkte“ hegen, und ob da bares Geld dahintersteht, ist ihnen vermutlich als Akkordarbeiter auch relativ egal.

Das funktioniert in dieser Reihenfolge nicht. Denn einen Moment vorher schlug der Leib schon in der 'blutig-staubigen' Pampe auf.

Sein Leib schlägt, wenige Sekunden nach dem Eindringen der Kugeln, in der blutig-staubigen Pampe auf. Ein Geräusch, wie wenn ein Metzger eine tote Sau achtlos auf die Schlachtbank wirft.

Der Fernsehmanager Paul Kurzmaier, verheiratet mit – zum Teufel wie heißt sie nochmal mit Vornamen? – Vater zweier erwachsener Söhne, Besitzer dreier Autos, eines Motorrades und einer Kreissäge, bekommt den Aufprall nicht mehr mit, da sein Geist sich an diesem wunderschönen Herbstmorgen mit dem lichtenden Nebel schon verflüchtigt hat, als sein irdischer Körper noch im Fallen ist.

Der zweite Satz ist gewissermassen eine Vertiefung oder Erweiterung des vorangehenden Satzes. Das ist nicht so zu lesen: zuerst passiert Satz 1 dann Satz 2.

Der Anlass für den Mord wirkt zu klein, selbst für einen Traum. Entweder sollte der Anlass größer ausfallen oder der Wahn des Protagonisten.

Also ich denke, dass Morde schon aus geringeren Gründen passiert sind. Und es ist ja nicht nur ein singulärer Anlass, sondern der über die Jahre aufgestaute Frust, der sich eben just an jenem Tag explosionsartig entlädt. Das war halt der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte.

Danke dir jedenfalls für deinen Kommentar.

Fred B

 

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