Was ist neu

Mordinstrument: Kugelschreiber

Mitglied
Beitritt
25.07.2003
Beiträge
6
Zuletzt bearbeitet:

Mordinstrument: Kugelschreiber

Mordinstrument: Kugelschreiber
Eine komische Alltagsdarstellung


Morgens, mal wieder: ein alltäglicher Alltag, der sich täglich wiederholt, wie alle Tage eben – so könnte man zumindest meinen. Aber der werte Herr Morgenmuffel merkte sogleich nach dem Erwachen, dass diesen Dienstag etwas Besonderes prägen würde.
Er ließ sich nicht vom verflixt verlorenen zweiten Socken aus der Ruhe werfen, auch nicht von den Kaffeeflecken auf seinem neuen City-Hemd. Herr Morgenmuffel war die Ruhe in Person. Aber dennoch: Er spürte, dass an diesem Dienstag noch etwas anderes in der Luft lag, als Kaffee- und Dieselgerüche.
„Schizophrenie“, war das Stichwort, das ihm ständig durch den Kopf schoss, als er mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof fuhr, „ja, Schizophrenie ist etwas scherzhaft Schlimmes, eine unschöne Krankheit!“
Halb in seinem Gedanken versunken, drehte er sich nervös nach allen Seiten um, „Es könnte mir, ausgerechnet mir, an einem Dienstag, ausgerechnet an einem Dienstag, etwas schlimm Schreckliches zustoßen!“

Es war kurz nach acht, sein Zug in die Provinz fuhr erst in zwanzig Minuten. Und er rannte zu seinem Gleis, er rannte, als ob er seinen Zug soeben verpassen würde, er rannte – so gerannt, gelaufen, gesprintet ist er, so scheint’s, in seinem Leben noch nie - und nun rennt er um dieses!
Er fühlt sich verfolgt, nein, er wird verfolgt, von einer älteren Dame, einer Oma, samt Aldi-Tüte und Bollerwagen, er rennt zu seinem Gleis, biegt rechts ab, rennt die Treppe hinauf, ist außer Sichtweite – und Atem.

Er setzt sich.
Kalter Schweiß rinnt von seiner Stirn.
Gerötet sind seine Augen.
Sein ganzer Leib zittert.
Insgeheim hoffte er, dass endlich Etwas passieren würde, er sein Bewusstsein verliere – dann wär’ es zumindest vorbei! Die Angst vor der Angst – diese machte ihm mächtig Angst!
Er wunderte sich sehr, warum er heute so „schizophren“ sei, sei er doch auch sonst nicht so. Achja. Da fiel es ihm wieder ein. Das Omen, die Intuition am Frühstückstisch. Die Verfolgung. Seine Arbeitsstelle, sein Wohnort, sein Beruf, sein Leben, ja, gar „seine“ Gesellschaft – die Gesellschaft in der er sich anpasste! Hinter jedem Gesicht, dessen er mit einer Maske verglich, könnte ein grausames Wesen stecken. Ein Unmensch, der nur ungutes von ihm verlangte!
Seine Gedanken verschwommen immer mehr. Er war verwirrt. Konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er fühlte sich wie eine hieroglyphische Schlange, die sich selbst in den Schwanz beisst und sich sogleich selbst auffrisst.
Eine tiefe, sonore Stimme durchdrang jedoch seine Trance: „Achtung, auf Gleis zwölf fährt nun ein, der Regional-Express...“, und er besonn sich: „Mein Zug, meine Rettung, meine Ruhe!“

Im Großraumabteil des 610er, fühlte er sich wohl. Obgleich viele Menschen hier saßen, war er gelassen und entspannt. Sie dösten, wollten alle die Nacht verlängern, so auch Herr Morgenmuffel.
Von einem durchdringenden Geräusch wurde er hellwach, seine Augen klaffen im Abteil umher.
Aus dem Fenster: Bäume, Bäche, Berge.
An der Decke: Lampen, Lüftung, Lautsprecher.
Im Abteil: Sitze, Tische, eine Frau nebenan.
Das Geräusch ist so aufdringlich, er beginnt zu zittern und zu schwitzen. Sein Hemd ist durchnässt. Die Blicke der Dame sah er als Bedrohung, als dämonisches Teufelsgelächter. In ihrer rechten Hand: ein Kugelschreiber, dessen Mine sie per Knopfdruck ein- und ausfährt.
Er hat panische Angst. Angst vor einem Kugelschreiber. Phobie vor einer Frau. Die Frau scheint ihm näher zu rücken. Immer näher.
Er zittert noch mehr; versucht zu schreien. Kein Wort. Kein Pieps. Er scheint die Mine an seinem Hals zu spüren. Er wagt es nicht hinzusehen. Nun ist es vorbei, endlich vorbei, dachte er sich noch. „Schizophrenie“, schoss ihm noch einmal durch den Kopf, „Schizophrenie, ist etwas scherzhaft Schlimmes!“
Er zog an der Notbremse über ihm – Geschrei im Abteil. Die Frau vis-a-vis saß entsetzt über ihrem Notizheft.
„Schizophrenie.“
Er fasste sich an seinen Hals, wo er sich unwohl fühlte, sah nach unten: Blut.


Autorenkommentar: Die Realität und ihre Tücken, für viele alles Alltag, für stressgeplagte Menschen jeden Tag eine neue Tortur. Ein Gefühlschaos. Ob nun real, oder irreal, man weiß es manchmal selbst nicht, Wie oft hat man sich schon denken gehört: „Träume ich?“ – „Das kann doch nicht wahr sein!“
Manchmal ist es leider wahr, dann, wenn es wahr wird, wird der Alltag zur Katastrophe, obgleich bei welchen Geschehen. Was nun mit Herrn Morgenmuffel geschehen ist, das bleibt unserer „Schizophrenie“ überlassen!
EvdP, Freitag, den 25. Juli 2003.

 

Hallo Elias,

zunächst willkommen auf kg.de!

Ist es Absicht, dass Du in dieser Geschichte ständig zwischen den Zeitformen Vergangenheit und Gegenwart wechselst? Falls nicht, solltest Du das dringend durchschauen und korrigieren. Falls ja, entgeht mir der Sinn.

Du stellst meiner Meinung nach recht gut die psychische Erkrankung eines Mannes dar, jedenfalls soweit ich das beurteilen kann, ich bin kein Psychologe, aber Verfolgungswahn und nicht nachvollziehbare Humorausbrüche sowie sinnlose Wortschöpfungen sind durchaus ein Merkmal der Schizophrenie, soweit ich weiß. Schizophrenie sei etwas "scherzhaft Schlimmes", das ist das herausragende Beispiel hierfür.

Alltäglicher Stress (betont durch die ständige Wiederholung der Silbe "all" am Anfang) als Ursache für psychische Probleme prangerst Du ziemlich treffend und zu Recht an, wobei leider erst Dein Nachsatz endgültig klar stellt, dass es Dir darum geht. Eine Geschichte sollte aber auch ohne Nachsatz funktionieren.

An einem Beispiel möchte ich zeigen, dass sprachlich noch Verbesserungsmöglichkeiten bestehen:

Von einem durchdringenden Geräusch wurde er hellwach, seine Augen klaffen im Abteil umher.

Ich würde es aktiv schreiben, also ohne "wurde": Ein durchdringendes Geräusch weckte ihn, plötzlich hellwach zuckten seine Augen im Abteil umher.

(das meiner Meinung nach hier unpassende Verb "klaffen" habe ich auch direkt ersetzt)

Ich will nicht wieder eine Kategorie-Debatte anfangen, aber diese Geschichte gehört meiner Meinung nach ganz klar nach "Alltag", denn es ist objektiv nichts seltsames daran, und psychische Erkrankungen gehören eindeutig zum Alltag, und nicht zuletzt ist die Unterzeile der Überschrift eindeutig (wenngleich überflüssig).

Du kannst sie leicht verschieben lassen, PM an einen Mod genügt.

Fazit: Wichtiges Thema, ganz gut herausgearbeitet, sprachlich verbesserungsfähig.

Uwe

 

Danke Uwe für deine verbessernde Kritik, im übrigen, ja der zeitensprung ist beabsichtig, ich wollte damit beabsichtigen dass nun etwas wichtiges passiert.
Nunja eine besondere Aussage konntest du ja insofern auch deuten, nur viele meiner Korriganten und Agenten konnten die "Pointe" nicht erkennen und glaubten Herrn Morgenmuffel für tot...

Schizophrenie, etwas scherzhaft Schlimmes (hach ich liebe diese Alliteration welche den Text prägen) äussert sich bekanntlich durch Wahn, Hallozinationen und Ich-Störungen... *g*

 

Hm, mit dem zigfachen Ändern der Zeitform wäre ich vorsichtig. Wenn nicht ganz eindeutig klar ist, dass es Absicht ist, wird es leicht als Anfängerfehler gedeutet, fürchte ich...

 

Geschichte auf Wunsch des Autors von "Seltsam" nach "Alltag" verschoben.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom