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Moonlight Girl – das Haus am See
Das Telefon klingelt. Stefanie hebt rasch ab. Es ist Lukas. Er lädt sie an diesem Samstagnachmittag in sein Haus am See ein, und er werde sie gerne abholen. Dabei nennt Lukas ihr die Adresse.
Ob es ihr denn passt, so kurz abgekündigt. Stefanie überlegt. Normalerweise fährt sie mit einem Mann, den sie nicht sehr gut kennt, nicht zu diesem nach hause. Sie fühlt in sich hinein. Es leuchtet kein kleines rotes Lämpchen in Stefanies Unterbewusstsein auf. Sie sagt ja zu der Einladung.
Stefanie ist 27, und sie ist allein. Sie arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Die Arbeit ist nicht sehr abwechslungsreich, aber das Einkommen reicht im Moment für ein angenehmes Leben.
Ihr früherer Freund hat sich vor etwa zwei Monaten getrollt. Seitdem funkt es bei ihr SOS. Herz in Not. Und Lukas ist ihr Rettungsboot. Den Reim hat Stefanie kürzlich im Radio aufgeschnappt und übernommen. Stefanie ist gerne kreativ.
Lukas ist ihr derzeitiger Favorit. Sie hat ihn im Internet Dating Portal kennen gelernt. Er sieht auf dem Foto schick aus. Er gibt an, er sei 31 Jahre alt, und er sei selbständiger Exportkaufmann. Bisher haben sie einige Emails ausgetauscht. Heute sehen sie sich zu ersten Mal. Dieser Mann hat keine schlechten Absichten, denkt Stefanie. Er hat die Adresse des Hauses genannt. Das ist anständig.
Sie geht ins Bad und macht sich fein. In ihrem Höschen tanzt sie vor dem Spiegel hin und her und singt: Tchin, tchin, a votre sante. Immer wieder den gleichen Refrain. Ich muss den ganzen Text einmal auswendig lernen, denkt sie.
Stefanie meint, dass sie zu klein ist mit ihren knappen einssiebenundsechzig. Größere Frauen machen mehr her. Sie bildet sich ein, dass sie die fehlende körperliche Erscheinung wettmachen muss. Womit? Mit Lachen, mit Freundlichkeit. Freundlichkeit ist ihre Stärke.
Nur, Freundlichkeit allein reicht in ihrer Vorstellung leider oft nicht aus. Die äußere Erscheinung muss auch stimmen. Mode, Outfit. Was zieht sie heute Paradiesisches an? Shirt, Top, Stretchhose, Armspange. Nicht zu viel. Adam muss sich konzentrieren können. Denn das Thema lautet heute: Grün, apfelgrün. Stefanie, die Apfelpflückerin.
Lukas holt Stefanie mit einem weißen Cabrio ab. Er begrüßt sie freundlich, unaufdringlich, und er sieht aus wie auf dem Foto im Portal. Bei Stefanie tickt ein inneres kleines, grünes LED Licht.
Sie fahren zu einem einstöckigen Haus, das außerhalb der Wohngebiete liegt. Vom Baustil her ist es offenbar ein Haus aus den 50er Jahren. Die Eltern haben es Lukas vererbt, so erzählt dieser.
Hinter der Toreinfahrt erstreckt sich eine mittelgroße Wiese. Nach der Größe des Grundstückes zu urteilen liegt hier eine stattliche Summe an Immobilienwert. Diese Art von Grundstück war vor 60 Jahren offenbar noch bezahlbar. Am unteren Rand der Wiese blickt Stefanie auf einen kleinen See. Dies ist ein aufgegebener Baggersee, erklärt ihr Lukas.
Der Hauseingang liegt im Innenhof und wird von einer niedrigen Veranda geschmückt. Auf dem Boden dieser Veranda, gleich neben der Haustür, haben umsichtige Geister einen länglichen, hölzernen Tisch fest angebracht.
Lukas bittet Stefanie ins Haus. Die Wohnung ist von der Größe her überschaubar
Auf Bücherregalen entdeckt Stefanie sehr viel Literatur über Elektronik sowie Fotobände aus aller Welt.
Es ist Sommer. Der Tag ist sonnig und warm. Lukas hat am Telefon vorgeschlagen, sie sollten auch schwimmen gehen. O je, dachte Stefanie. Hoffentlich endet das nicht in der blöden Schau: mit nackten Po in den See hüpfen. Aber es kommt nicht so. Lukas sagt, er werde gleich seine Badehose anziehen. Sie möchte sich doch bitte auch schon einmal umziehen.
Stefanie geht in das Bad. Interessiert schaut sie sich dort um. Ihr Bad ist ein Pflegeparadies, und es sagt viel aus über sie. Was erwartet sie hier? Das erste, was ihr auffällt, ist sein rizzy Nassrasierer. Ein tolles Teil, so urteilt Stefanie spontan. Blau, und gold, mit einem stromlinienförmigen Griff.
Ansonsten, die Bad Armaturen sind nicht so brandaktuell. Lukas spart in der Einrichtung. Ist er mehr im Cabrio unterwegs, bekleidet mit chicen Anzügen? Und wenn ja, wohin fährt er dann? Und mit wem? Schnell verscheucht Stefanie diese Gedanken. Jetzt nur nicht eifersüchtig werden. Es ist noch gar nichts entschieden.
Eine Venus entsteigt dem Badezimmer. Der Bikini steht ihr gut, findet sie. Er ist schon ein bisschen gewagt. Gewagt, aber nicht obszön. Stefanie tanzt in diesem Punkt auf einem Kraterrand des guten Geschmacks, auf Zehenspitzen. Nun gut, Verführung muss sein.
Auf der Veranda sind nun zwei gemütlich aussehende Holzstühle um den Tisch herum angeordnet. Die Stühle sind mit hohen Rückenlehnen und komfortabel aussehenden Armstützen ausgestattet. Lukas ruft Stefanie von Seeufer her zu sich. Dort hat er inzwischen zwei Sonnenliegen aufgestellt. Die Liegen haben die gleiche, stabile Machart wie die Verandastühle. Über die Liegen hat Lukas Badehandtücher ausgebreitet.
Auf einem kleinen Beistelltisch steht eine Flasche mit Limonade. Zwei Gläser im Capri Look laden zu einem zischenden Vergnügen ein. Drei Ringe in orange, grün und weiß tanzen um die Glaskelche herum. Die Farben und Muster erinnern Stefanie an ihren Urlaub auf Capri. Schön war es dort.
Auch der Behälter mit Eisstücken fehlt nicht. Daneben hat Lukas einen kleinen Teller mit Zitronenscheiben gestellt. Und, er hat auch zwei kleine Gabeln dazu gelegt, zum Aufspießen der Zitronescheiben. Lukas ist ein umsichtiger Mensch. Gut so. Alles sieht in Stefanies Augen sehr einladend aus.
Stefanie schaut sich ihren Lukas nun etwas genauer an. Lukas hat einen kräftigen, leicht untersetzten Körperbau, der durch seine retro Schwimmhose noch unterstrichen wird. Arme und Beine sind stabil, aber nicht übermäßig muskulös. Stefanie beschließt, ihre Gastgeber insgeheim Neanderl zu taufen. Sie schmunzelt in sich hinein. Ach nein, das ist nicht charmant von mir, denkt sie dann. Ich nenne ihn ganz einfach Lukas.
Er ist auch nicht sooo groß, vielleicht 1,77 oder 1,78, keinesfalls über 1,80. Stefanie ist immer froh, wenn ein Mann nicht so ein Riesenkerl ist. Dann kommt sie sich selbst nicht ganz so klein vor.
Die Backenknochen stehen bei Lukas etwas stark vor. Der Gute hat bestimmt Vorfahren in den Horden des Dschingis Khan gehabt, vor 500 Jahren oder was weiß ich. Nur, welcher Mitteleuropäer hat keine asiatischen Vorfahren in seiner Blutlinie?
Lukas` Augen stehen etwas nah beieinander. Was sagen dir diese Augen? Sie blickt länger hinein. Freundlichkeit. Stefanie entscheidet, dass dieser Mensch freundlich aus seinen braunen Augen heraus schaut. Das ist gut. Gleich und gleich gesellt sich gern.
Seine Nase passt harmonisch in das Gesicht. Sie ist nicht zu kurz, und auch nicht zu lang, nicht zu fleischig, nicht zu spitz. Der Mund liegt gerade, ohne besondere Merkmale. Ein Kussmund? Mal sehen.
Seine Haare? Sie sind Mittelblond, und sie erscheinen ihr eher dünn als kräftig. Aber Stefanie will keine vorzeitige Glatzenbildung erkennen. OK, Männer und Haarwuchs. Da haben wir Frauen es doch besser, denkt sie insgeheim.
Nun zur Seele. Sprich, damit ich dich seehle. Stefanie beginnt das Gespräch.
Das Gespräch fließt leicht dahin. Ihre Worte spielen ineinander wie bunte, fraktale Spiralen. Zwei Menschen am See verbreiten diese Atmosphäre einer ungeheuren Leichtigkeit des Seins. Die Sehnsucht nach Glücklichsein.
Nach einiger Zeit gehen beide in den See. Sie neckt ihn, sie spritzt ihn mit Wasser nass. Er wehrt sich mit einigen Spritzern, aber er lässt ihr den Sieg. Ein Gentleman, auch beim kindlichen Wasserspiel, denkt Stefanie.
Später kocht der Kavalier Spaghetti. Die Nudeln schmecken so lala. Aber die Soße ist superb. Lukas hat Tomaten geschält und entkernt. Dieser Mann hat Stil, denkt sie.
Still genießen sie die Abenddämmerung. Die beiden sind zu zweit auf weiter Flur. Lukas tischt eine Flasche Weißwein auf. Chianti. Sie prosten sich mit dem ersten Schluck zu. Sie nehmen ihre Gläser und gehen hinunter zum See. Rechter Hand sind zwei glatte, kniehohe Steine wie Sitze angeordnet. Sie setzen sich und plaudern über Reisen, das Essen, die Farbe der untergehenden Sonne, und über viele andere Dinge des carpe diem. Die Sätze reihen sich aneinander in einer langen Kette von kreativen und oft lustigen Worten.
Die Sonne ist untergegangen. Der zunehmende Mond verbreitet ein angenehmes Licht. Lukas blickt hoch zu den Sternen. Siehst du die Sterne dort oben, spricht er. Er schaut sie an.
Viel später. Das Bett ist mit rot-weißem Bettzeug bespannt. Wie im Heimatfilm, denkt Stefanie. Lukas hat seinen rechten Arm um sie gelegt. Sie hat sich an Lukas gekuschelt wie eine Katze in ihrem Körbchen. Amor Amor Amor …