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Monty, Teil 1: Da ist noch einiges drin
Ich kaufte Monty bei einem Züchter in Gelsenkirchen, eine Stadt, seit jeher dafür bekannt, edelste Mischlinge hervorzubringen.
Die Züchter dort machten eigentlich keinen Hehl aus ihrer speziellen Gelsenkirchener Technik, die im Wesentlichen daraus bestand, dass man einfach eine selbstgedrehte Zigarette rauchte, während sich kunterbunte Hunde um Kopf und Kragen poppten.
Der Mann, zu dem wir fuhren war mir aber empfohlen worden, und zwar von Uwe, der zwar keinen Hund besaß, aber meinte, der Züchter hätte schon mal bei ihm einen Großbildfernseher gekauft und dabei im Allgemeinen durch Sachverstand geglänzt. Was der Erwerb eines 16:9 - Monstrums mit Aufzucht und Hege von Welpen zu tun hat, sagte Uwe nicht.
Uwe war Chef im Mediamarkt, und auch wenn über seinem Schreibtisch ein Schild hing, auf dem »Führungsqualität bedeutet, seine Mitarbeiter so schnell über den Tisch zu ziehen, dass sie die Reibungshitze als Nestwärme empfinden« stand, vertraute ich ihm.
Wir hatten als Kids gemeinsam zu viele Marvel - Comics zerlesen, als das er mich jetzt, in unserer intellektuellen Blütezeit, bescheißen würde.
Ich befuhr den Hof des Gestüts, das verkehrsgünstig an der A 42 lag und außer Pferden auch - sozusagen in einem Abwasch- die reizendsten Hunde züchtete.
Als ich aus dem Wagen steigen wollte, ergriff meine Freundin meinen Arm, und die geballte Kraft einer Hand, die ohnehin mal ganz ordentlich auf den Tisch hauen konnte klemmte mir die Blutzufuhr ab.
»Wasn?«, fragte ich.
»Das da«, hauchte sie, und ich folgte ihrem Blick durch die Windschutzscheibe.
Vor unserem Kühler stand ein Titan in Kord, einem sandgestrahlten Charles Bronson nicht unähnlich- der Prototyp des übellaunigen Landwirts, seltsamer, speckiger Hut und wettergegerbtes Gesicht inklusive; er winkte mir zu – allerdings weniger, als wolle er mich willkommen heißen, als vielmehr wie ein schmuddeliger King Kong, der nach Hubschraubern schlägt.
»Tach«, riss ich mich los.
»Kommst du wegen des Hundes?«, brummte er, wobei er mich musterte; sein Blick blieb kurz an meiner sauberen Jeans hängen. Klar- als frischgewaschener Städter konnte ich bei dem Mann keine Punkte machen, aber ich würde ihn weich kochen, indem ich seine Sprache anschlug. Ich sah es direkt vor mir: der Bauer, wie er über dem Licht einer Trankerze Bratkartoffeln mit unsagbaren Sülzekomponenten in sich hinein schaufelt.Ein Klassiker.
Wäre doch gelacht: in meinem speziellen Speicher für Lokalkolorit und Umgangssprache schnappte eine Schublade auf und ließ sämtliche Folgen der »Waltons« und »Unsere kleine Farm« an die Innenwände meines Schädels prasseln.
»Schätze schon«, erwiderte ich und tippte mir an den Schirm meiner Baseballkappe - nicht übel: als nächstes würde ich irgendwen anweisen, einen Stosstrupp zu bilden, um den Pferdedieb zu verfolgen. Und dann würden wir ihn aufknüpfen, während ich Kautabak auf den staubigen Boden rotzte...
»Dann fahr mal deine Karre auf die Besucherparkplätze, sonst scheißt Dir da noch irgend ein Pony drauf «, erwiderte er mit einem Blick, der besagte dass es ihm völlig gleichgültig war, ob ich ewig lebte oder auf der Stelle tot umfiel.
Es schien ihm Freude zu bereiten, mit seinen Gummistiefeln schlammige Eruptionen auszulösen und damit meine Jeans zu besprenkeln; ich traute mich trotzdem nicht, aufzubegehren.
Wieder kam eine Pfütze- die bewies, dass nicht nur Milky Way, sondern auch Pferdescheiße oben schwimmt- und wieder schrillten alle Alarmglocken in meinem Kopf, untermalt vom Gebrüll einer Stimme, die vage an die von Clementine aus der Persilwerbung erinnerte.
Noch eine Pfütze.
Mit einer Körperhaltung, die Stolz ausdrückte, senkte er seinen Stiefel wuchtvoll ab, und Clementines Stimme wurde von der eines panischen Japaners, der ja - panisch schrie übertönt: »Es ist Godzilla. Er nähert sich nun dem Stadtkern Tokios – und er scheint tatsächlich aus Gummi zu sein!«
»Da vorne.« Er wies mit seinem fleischigen Finger auf einen Zwinger ohne Dach, und meine Freundin verursachte ein Geräusch, wie es bei allem Chauvinismus nur Frauen hinkriegen: es war ein entzücktes Aufjaulen, obwohl sie dabei Luft ansog und dieser Sound gar nicht hätte entstehen dürfen; das letzte Mal hatte ich es gehört, als wir vor einem verzierten Esstisch gestanden hatten, der ihr gefiel. Allerdings hatte sich ein sattes »Boah« angehängt, als sie das Preisschild gelesen hatte.
In diesem Gitterkäfig wuselten, randalierten und tobten mindestens fünfzig Hundebabys, die sämtlich völlig identisch aussahen: wuschelig, schwarz – und so süß, dass schon Bilder von ihnen Diabetes hervorrufen mussten. Sie jaulen herzzerreißend, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, ihnen ein Preisschild unter die nassen Nasen zu halten, einfach nur, um zu sehen was passiert.
»Steig rein und such` einen aus!«
»Wie jetzt?«, fragte ich.
»Na geh. Deine Jeans ist schon dreckig.«
Ich riss mir in meinem Bemühen, über die scharfkantige Längswand zu klettern beinahe sämtliche baumelnden Teile ab, aber der unmissverständliche Blick meiner Gefährtin gab mir zu Verstehen, dass sie auf das Meiste davon verzichten könnte, wenn ich nur EINS VON DEN HUNDEBABIES HOLEN WÜRDE.
Augenblicklich hatte ich vierzig Kilo untrennbar rammelnde Wuscheltiere am Bein hängen; offenbar ist das Sehvermögen bei Welpen derartig schlecht entwickelt, dass sie eine C&A - Jeans für das Hundependant von Jessica Rabbit, Rogers sanduhrenförmiger Hasengranate, halten.
»Der da ist süß«, rief sie und wies in einen Pulk verdächtig geklont aussehender Welpenwüstlinge.
»Welcher?«
»Der schwarze da!«
»Weib«, schrie ich, »die sind, echt jetzt, alle schwarz irgendwie.«
Dann sah ich ihn.
Er hockte etwas abseits und schien sich nicht für das Verhalten seiner Geschwister erwärmen zu können. Er schien sich außer für die Anatomie seiner klobigen Forderpfoten für überhaupt nichts zu interessieren.
Ein Pelzknäuel mit Pfoten von der Größe von Schöpfkellen, überdimensionierten Schlappohren und der Motorik einer mies montierten Marionette; ich mochte ihn sofort, Vorzeigewelpe, der er war.
»Komm her, Kleiner«, raunte ich in bestem Welpenübervater-Slang, erntete aber nur einen völlig desinteressierten Blick, der sich sofort wieder auf diese unfassbaren Pfoten absenkte.
Ha!
Ein Hund mit eigenem Willen, frei im Geist und von unbändiger Wildheit.
Einer, der in einen amerikanischen Familienfilm der Fünfziger gehörte: wachsam, charakterstark, edel.
»Kauf ich«, rief ich unserem speckigen Padrone zu, »was ist denn da drin?«
»Preislich?«
»Nee«, erwiderte ich, »was für Rassen?«
»Labrador, Berner Sennenhund und so«, zuckte er die Schultern.
Offenbar war dieses Hundekind das Produkt einer unglaublichen Orgie, die niemand menschliches beobachtet hatte.
»Der hat mächtig große Tatzen«, hob ich erst den Zeigefinger, dann den Hund.
»Und keine Knochen«, ergänzte ich dann mit Blick auf den wie ein nasser Sack herunterhängenden Welpen.
Wir bekamen ein Impfbuch – das Tier war knapp sechs Wochen halt, hieß es darin.
Das gesäuselte »Süß« meiner Freundin enthielt verdammt viele Ü`s, als sie ihn zum Wagen trug.
»Wie nennen wir ihn?«, fragte sie.
»Godzilla«, schlug ich vor.
»Blödmann. Monty. Wie klingt das?«
»Blödmann Monty? Klingt zu lang.«
»Du bist der Blödmann.«
Das klang wie üblich.
Monty mochte Autofahren nicht besonders - er schien allergisch gegen Fahrgeräusche und Fußmatten zu sein, denn er jaulte den Motorensound in Grund und Boden - nachdem er in akribischer Feinarbeit, die man einem Welpen gar nicht zutraute, in den schmalen Spalt zwischen Matte und Schaltkonsole gekotzt hatte.
»Er scheint Nassfutter zu kriegen«, registrierte meine Freundin völlig ungerührt.
»Er scheint Probleme zu kriegen«, erwiderte ich, während ich versuchte bei Tempo 160 dem Hund das Maul zu zu halten.
»Sei nicht so grob mit dem Kleinen«, raunzte sie.
»Hör mal«, sagte ich, »wehret den Anfängen!«
Dieser kämpferische Ausspruch löste zwei Reaktionen aus: ein scharfes Ausatmen aus der Kehle meiner Freundin, gefolgt von einem gedämpften Geräusch aus dem Fußraum, das mich vage an eine Softeismaschine erinnerte; war ja klar.
Ich hatte offenbar diese Weisheit aus Jurassic Park vergessen: »Die Natur sucht sich ihren Weg«. Wenn man vorne was zuhielt...
Ich schlug die Decke zurück, starrte ins Halbdunkel und erkannte, dass an der Orgie nicht nur ein Berner Sennenhund und ein Labrador teilgenommen haben konnten; da hatte auf jeden Fall auch ein Brontosaurus sein Geschlechtsorgan im Spiel gehabt.
»Herrgott. Was für ein großer Haufen Scheiße«, blieb ich im Jurassic-Park - Jargon.
»Ja«, sagte meine Freundin, und ich meinte Stolz in ihrer Stimme zu hören, »aber alles auf die Fußmatte.«
Sie tätschelte Monty den Kopf, und ich hatte den Eindruck, ein Lächeln über das haarige Gesicht huschen zu sehen.
Monty stubenrein zu bekommen war ein heftiges Unterfangen.
Nachdem wir die ganze Wohnung mit Zeitungspapier ausgelegt hatten, verschanzen wir uns in der Küche, um den Hund bei seinen Exkrementierungsgewohnheiten zu observieren.
Klar: er hatte unreflektiert Haufen in seinen Zwinger gesetzt, seine kleine Welt voller Geschwister und Gitterstäben, keine Zwänge, keine Reue.
Jetzt war es an der Zeit, Tacheles zu scheißen, denn hier stand zufällig eine Sinatrabüste auf von Hand lackiertem Sockel, und anpinkeln bedeutete Trockenfutter bis zur Rente.
Würde er sich zurecht finden?
Würde er den Sportteil des Rheinischen Kuriers benutzen, um seinen Darm zu erleichtern?
Würde er anerkennen, dass ich Capo di Tutti Capi, der Boss aller Bosse war- und er nur mein haariger Ziehsohn, dessen Aufstieg in meinem Imperium vor allem davon abhing, ob er alles vollschiss oder ein diszipliniert auftretender Premiumwelpe werden würde?
Ende Teil 1