Montag
Montagabend. Es war saukalt, dunkel und jetzt hatte es auch noch zu regnen begonnen. Sie hasste Montage. Eigentlich hasste sie die ganze Woche. Und da die Woche nun einmal mit Montagen begann, hasste sie diese stellvertretend. Sie hatte im Büro gesessen und den Sonnenuntergang betrachtet. Ein Büro ist nicht der richtige Ort für sowas. Sie hätte am Strand oder auf einem Berg sitzen müssen und nicht auf einem unbequemen Schreibtischstuhl. Aber sie hatte keine Zeit für Strand oder Berge. Sie musste arbeiten. Von 9 bis 18 Uhr. Jeden Tag. Auch montags.
Nun stand sie an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus. Sie war zu früh losgelaufen und jetzt musste sie im Regen stehen. Aber noch länger im Büro hätte sie es nicht ausgehalten. Sie hatte gesehen, wie es erst hell und dann wieder dunkel wurde. Hatte die Lichter in den umliegenden Büros an- und wieder ausgehen sehen, während sie weiter vor ihrem Monitor saß und darauf wartete, dass auch sie das Licht ausschalten durfte. Am liebsten für immer. Die Zeit schien extra langsam zu vergehen. Als es endlich soweit war hatte sie ihren Mantel geschnappt und war hinausgelaufen. Doch draußen war es dunkel und kalt und die feuchte Luft konnte ihre Stimmung nicht aufhellen. Insgeheim wusste sie, dass sie etwas ändern musste. Dass sie dieses Leben nicht weiterleben konnte ohne in der Dunkelheit der Montage verloren zu gehen. Aber es fehlte ihr die Zeit. Und die Kraft.
Autos fuhren vorbei und spritzten dunklen Matsch auf den Bordstein. Das unechte Licht der Straßenlaternen konnte die Dunkelheit nicht vertreiben. Sie hielt die Arme verschränkt und hatte die Hände in die Mantelärmel zurückgezogen. Zuhause würde sie sich zwingen etwas zu essen und kurz darauf ins Bett gehen. Sie konnte es nicht ertragen noch länger wach zu bleiben und sich von gekünsteltem Licht blenden zu lassen.
Aus dem Haus neben der Bushaltestelle war ein Mann getreten. Er hatte eine Zigarette angezündet und beobachtete die Autos auf der Straße. Obwohl er nur im Pullover da stand, schien ihm die Kälte nichts auszumachen. Er hatte sogar die Ärmel hochgeschoben und hielt sein Gesicht beharrlich in den Regen. Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Seine langen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. Zu seinem knallroten Pullover trug er eine grüne Stoffhose. Er passte überhaupt nicht in diesen grauen Tag und sie fragte sich, wie er so glücklich aussehen konnte. Plötzlich drehte er sich zu ihr und lächelte. Die Glut seiner Zigarette warf ein rotes Licht in die Pfütze zu seinen Füßen. Vorsichtig lächelte sie zurück. Der Mann machte eine Geste mit der Hand: Komm doch her. Das Licht in der Pfütze tanzte. Ihr Herz klopfte, als sie einen Schritt auf ihn zu machte.
In diesem Moment hielt der Bus neben ihr und die Türen wurden geöffnet. Im Inneren sah sie Menschen mit dunklen Mänteln und dunklen Blicken. Sie stieg ein. Es war eben einfach nur ein Montagabend.