Mons Olympus
Selmak und Krill schauten dem Treiben der Expeditionsgruppe ratlos zu.
Im Basislager war die zehnköpfige Truppe noch eine zivilisierte Partie gewesen.
Alle waren sehr aufgeräumt, konzentriert und freuten sich einfach den höchsten Punkt des Sonnensystems erklimmen zu dürfen.
Hier, drei Stunden vom Gipfel des Mons Olympus entfernt, fiel eine gewisse Nachlässigkeit auf.
Die beiden Sherpas waren für eine Werbetour am Mars angeheuert worden.
Grundsätzlich kein Problem für die Exoalpinisten, aber während des Marsches hatte sich herausgestellt, dass nicht alle um des Gipfelsieges wegen unterwegs waren.
Der Expeditionleiter Al-Muharad kniete einige Meter entfernt auf seinem Gebetsteppich und versuchte die exakte Ausrichtung nach Mekka zu finden.
„Diese Pauschaltouristen widern mich an“, sagte Selmak und starrte auf das Treiben.
Auf der steinharten Anhöhe standen sieben Figuren in Raumanzügen und übten für ihren großen Moment.
26,4 Kilometer über dem Abgrund.
Kevin Jones, ein ehemaliger Baseballspieler, schwang seinen Schläger.
Drei Schwedinnen fingerten an ihren Sauerstoffgeräten herum, ein Ehepaar aus der
Hillary-Clinton-Gedächtnis-Kolonie war auf der Suche nach dem besten Ausblick für ein Erinnerungsfoto
und eine Person stand zitternd am Rande des Abhangs.
Krill schielte nach dem Muslim.
Dieser hatte sein Gebet beendet, stand mit stolzem Blick in der Landschaft und wartete darauf, dass die Gruppe es bemerkt.
„Weiter meine Freunde, es ist nicht mehr weit!“, krächzte er schließlich und das Team formierte sich zum Aufstieg.
Schritt für Schritt mühte sich die Seilschaft die Heinrich-Harrer-Route hinauf.
Der Gipfel wies wie der Finger Gottes in die Unendlichkeit des Universums.
Selmak konzentrierte sich auf den Weg, als ihn ein jäher Aufschrei aus der Bahn warf.
Er hieb seinen Pickel in den Sandhang und ächzte.
Augenblicklich war die Frequenz voll mit Schreien des Schreckens und Entsetzens.
Krill klopfte dem Gestürzten auf die Schulter und deutete in Richtung Kevin Jones.
Sein Körper hüpfte wie ein Gummiball den Abhang hinunter, den Schläger fest im Griff.
Ein herabfallender Stein hatte sein Visier zertrümmert.
„Mit dem weitesten Schlag vom höchsten Punkt des Sonnensystems wird es wohl nichts mehr.“, sagte Krill mit Grabesstimme.
Al-Muharad brüllte: „Ruhe! Jetzt sehen sie was passiert, wenn man zu übermütig ist! Dafür haftet niemand.“
Er rüttelte an der Verbindungsleine und schubste Selmak nach vorne.
Stille war eingekehrt.
Schwer marschierte die Expedition aufwärts. Das Keuchen und Fluchen wurde von einem genialen Filtersystem durch Walgesänge ersetzt, um den Touristen nicht den Spaß zu verderben.
Krill bemerkte als erster, dass die Spannung in der Nabelschnur der Gruppe nachgelassen hatte. Wohlweislich drehte er sich um und sah gerade noch, wie sich der stillste Teilnehmer verabschiedete, als er versuchte seinen Urinbeutel zu entleeren.
Große dunkelgelbe Tropfen umrankten seinen fallenden Körper wie ein Heiligenschein.
„Beim Barte des Propheten! Hatte ich nicht gesagt ihr sollt aufpassen!“, schrie Al-Muharad.
Selmak schaute Krill traurig an.
„Immer diese Schreierei. Das kann ja nichts werden.“
„Ja, wo er doch nur auf das höchste Minarett des Sonnensystems will.“, meinte Krill.
Zwanzig Minuten später wurde die Gruppe erneut aus ihrem meditativen Schritt gerissen.
Die drei Schwedinnen hatten sich von der Leine gelöst und posierten vor einer Kamera.
‚Penthouse – The Mars Edition’ stand an.
Al-Muharad, Krill, Selmak und das Ehepaar sahen erstaunt zu, wie drei magersüchtige Blondinen nackt in exquisit erotischer Stellung davon trieben.
Ein Ring aus Körpern die sich in den Schoß der jeweils anderen verkrallte rotierte in den Abgrund.
„Sex, Sex, Sex! Verdammtes Teufelswerk!“, schimpften die Stimmen des alten Ehepaares durch die Helme der Übriggebliebenen.
Fünf Gestalten quälten sich den letzten Anstieg hinauf.
Mehr kriechend als gehend zogen sie sich gegenseitig über die Kante des Plateaus.
Sie hatten ihr Ziel erreicht.
Das Sonnensystem lag ihnen zu Füßen.
Al-Muharad entfernte sich und legte seinen Teppich erneut auf, um zu beten.
Seine Predigt hatte er schon seit Jahren im Kopf.
Das Ehepaar prüfte, ob ihre Sternzeichen zu sehen waren und begann die Ausrüstung aufzubauen.
Krill hob den Rucksack von Selmaks Schultern und gratulierte ihm.
Unter den Sternen des Universums war nur mehr ehrfürchtiges Murmeln zu hören.
Selmak hob den Hologenerator auf einen flachen Felsen und justierte ihn.
In tiefen Gedanken versunken ging jeder seiner Tätigkeit nach.
Ein gewaltiger Knall riss Krill aus der Meditation.
Er starrte Selmak ins Gesicht, der mit starrweitem Maul auf das Ehepaar schaute.
Inmitten einer Ausrüstung, die der Apollomission zur Ehre gereicht hätte, lagen zwei Raumanzüge.
Sechs falsch abgestimmte KI-Kameras hatten beim Panoramafoto entschieden ihren Geist aufzugeben.
Zu lange hatten sie in Diensten der Kriegsberichterstattung Tod und Leid gesehen. Sie waren nur mitgekommen um einen ordentlichen Abgang zu liefern.
Davon hatte das Ehepaar natürlich nichts gewußt, als sie es um die Hälfte billiger von einem Lastwagen kauften. Es war ihr aller Ende.
„Was ist mit dem Imam?“, schreckte Krill hoch.
20 Meter von ihnen entfernt lag ein Körper in Fetallage und schwieg.
Selmak hüpfte zu ihm und begutachtete das Gesicht des Expeditionsleiters.
Eine graue Masse aus Haaren blickte ihn an.
„Beim Barte des Propheten, von wegen. Hat wohl zu tief eingeatmet.“, sagte er leise.
„Erstickt?“, fragte Krill.
„Yep!“
Die beiden Sherpas aktivierten den Hologenerator.
In gewaltigen Lettern prangte die Werbung ihres Auftraggebers am Firmament.
„AkneForte! Wir bezwingen die hartnäckigsten Pickel der Menschheit!“, schrie das Hologramm.
„Nett!“, grinste Krill.
„Ja, wusste ich auch nicht. Passt hier aber ganz gut her.“, kam es von Selmak zurück.