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Mondschein
Mondschein
Nach Sonnenuntergang wartete Sylvain noch eine viertel Stunde, um ganz sicherzugehen, dass auch der letzte Besucher des Friedhofs seinen Weg nach draußen gefunden hätte. Danach begab er sich wie gewöhnlich auf seine abendliche Runde, um die schmiedeeisernen Tore der vier Haupteingänge und die drei Gatter der Nebeneingänge zu verriegeln. Vom West-Tor aus kam man auf geradem Wege zu der kleinen gotischen Friedhofskapelle – er machte ein Kreuzzeichen – umging sie dem Weg folgend, hielt sich an der nächsten Wegkreuzung rechts, um nach zwei weiteren Minuten vor dem kleinen steinernen Gartenhäuschen halt zu machen, das als Werkzeuglager für die Gärtner des Friedhofs diente.
Seine Arbeit als Friedhofs-Wärter galt ihm als eine durchaus glückliche Fügung. Nicht so sehr wegen des vereinbarten Lohnes – der war angemessen. Schließlich musste man berücksichtigen, dass diese Art der Tätigkeit einen nicht unbedingt der Gefahr aussetzte, sich zu überarbeiten. Jedoch gewährte diese Anstellung über das offizielle Gehalt hinaus hübsche Möglichkeiten zusätzlichen Verdienstes.
Jean wartete auf der Eingangstreppe des alten Gartenhäuschens sitzend und nippte an einer guten Flasche Rotwein. Es war bereits dunkel geworden, als Sylvain endlich ankam. Sie begrüßten sich kurz, borgten einige Schaufeln, einen Spaten und ein Beil aus dem Gartenhäuschen und marschierten los zu dem abgemachten Grab.
Der Mond ging auf und tauchte die Büsche und Grabsteine in einen silbernen Schein. An der richtigen Stelle angekommen legten sie ihre mitgebrachten Werkzeuge auf den Boden, reichten noch einige male die Weinflasche hin und her, bis sie geleert war, und begannen mit dem Graben. Der Mann war vor zwei Wochen hier beerdigt worden, der Erdboden war noch schön locker. Etwas knackte laut hörbar. Die Männer hielten inne und lauschten. Nichts geschah – kein Laut. Die Luft war kühl geworden. Sie gruben weiter. Der Erdhaufen neben dem Grab wuchs und wuchs. Als sie über den Sargdeckel schabten, mochten etwa zweieinhalb Stunden vergangen sein.
Der Deckel ließ sich leicht anheben. Etwas blitzte im Mondschein. Jean stand neben dem offenen Grab, hob das mitgebrachte Beil und blickte hinab auf Sylvain. „Ah - merde!“ Hastig stieg er aus dem Loch.
„Impossible - ne fais pas de conneries!“ entfuhr es Jean, stieg selbst hinab, tastete etwas unbeholfen an dem einen Ende des Loches im Dunkeln herum, kletterte wieder heraus - „Merde.“
„Arrête – éclaire me!“ - Jean leuchtete auf das Holzkreuz – dort stand: Nicolas Jacques Pelletier, mort 25. avril 1792.