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Mondmord
Mondmord
Die kleine, schwache Hand hielt die Baumwolltasche nah am Körper. Es war eine der altmodischen Taschen, mit Holzgriffen und Blümchenmuster. Die alte Frau blieb stehen, um ein wenig Luft zu holen. Ihre schwachen Lungen füllten sich mit der Frische des Novemberabends. Nieselregen rollte ihr in kleinen Perlen den Wintermantel herab. Vor ihr lagen abwärts die Straße, der Bürgersteig und die hochgezogenen Vorkriegsbauten, wie ein langer Korridor. Nebel legte sich auf die alten Dächer nieder und versperrte die Sicht in den Vollmondhimmel.
Mühselig setzte sie ihren Gang fort. Man konnte ihr schweres Atmen hören.
Kaum eine Laterne funktionierte in der Straße. Noch ehe die Nieselnebelwolken den Vollmond ganz verschlossen, griff sich eine Eule im Sturzflug eine schlafende Rotkehle aus der Baumkrone einer Eiche, zerfleischte es und flog dann mit den Fetzen in die kalte Nacht. Allmählich wurde aus dem Niesel ein heftiger Regenguss, der den weißen Filz des Mantels durchnässte. In den Unebenheiten der Straße bildeten sich Pfützen und Bäche strömten den Rinnstein entlang. Das bläulich aus den Fenstern flackernde Licht gab der nebelgetränkten Finsternis einen noch kühleren Ton. Die Frau überquerte die Straße. Plötzlich herannahende Schritte versetzten sie in Angst. Sie atmete schwer. Fast behutsam und völlig lautlos durchdrang das Messer ihren Hals. Die Alte glitt leise seufzend zu Boden. Aus der Wunde quoll Blut und färbte den weißen Wintermantel rot. Das Blut überströmte ihr blasses Faltengesicht und floss dann in den Regenbach des Rinnsteins. Blutiges Wasser floss die Nebelstraße hinab, als wollte es ihn noch einholen.
Friedrich (25) Mondmord