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Mondlicht
MONDLICHT
Der Vollmond über mir sah bizarr aus. Mit bloßem Auge konnte ich die langen, dünnen Linien erkennen. Von Menschenhand geschaffene Röhren, welche die vier größeren Forschungskomplexe miteinander verbanden. Ein unglaublicher Anblick, der mich immer noch faszinieren vermochte, während er für andere bereits Alltag war. Seufzend schnallte ich die kleine Plastikflasche vom Gürtel ab, öffnete den Verschluß und trank einen Schluck. Obwohl die Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt lagen, tat die kühle Flüssigkeit gut. In meinem Ohr knisterte es. Ein kurzes Rauschen, dann hörte ich Holdens Stimme. Dass sie leicht verzerrt klang, konnte damit zusammenhängen, dass der Satellit eine ungünstige Position in der Umlaufbahn hatte. Seit Wochen kämpften die Ingenieure mit den Steuermechanismen, die aus bisher unerklärlichen Gründen regelmäßig ausfielen und dann einfach so wieder ansprangen.
"Meldung!"
Irrte ich mich, oder klang Holden ein wenig aufgeregt? "Lemond hier, Sir", flüsterte ich leise. Ein letztes Mal sah ich zum Mond. (Wunderschön! Irgendwann wirst du auch da oben sein!) "Noch gut dreihundert Meter, Sir." Nur um sicher zu gehen, sah ich auf das kleine Display am meinen rechten Ärmel. Das rote Dreieck zeigte geradeaus, die vierstellige Zahl darunter zeigte 0305 an. Ich lag also ganz gut mit meiner Einschätzung.
"Denken Sie daran, dass das Exemplar lebend zurückgebracht werden muss. Tot nützt uns Mister Palmer nichts!"
"Ja, Sir." Das sagte Holden bei jedem Einsatz, obwohl es unnötig war. Schließlich waren wir Profis, speziell für Einsätze wie diesen trainiert. Ich konnte mir Holden gut vorstellen, wie er vor den vielen Monitoren saß, schwitzend mit der dicken Zigarre in der Hand, der ganze Raum vom Rauch vernebelt, ständiges Telefonklingeln, und er selbst ein nervöses Wrack, vier Jahre vor dem Ruhestand. Das nervte mich immer am meisten, dieses plötzliche Kontrollieren, wenn die Sache bereits so gut wie erledigt war. "Ich melde mich, sobald der Einsatz abgeschlossen ist, Sir", sagte ich freundlich und beendete den Funkkontakt. Den Männern gab ich ein Zeichen, dass sie den Funkverkehr auf die teaminterne Frequenz umstellen sollten. Nun waren wir von der Richmond-Militärbasis in Kalifornien abgeschottet. Ich fand das auch besser so. Störende Meldungen kurz vor dem Zugriff konnten wir nicht gebrauchen. Ich sah wieder auf das Display. Noch zweihundertsiebzig Meter. Das Objekt hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Das war ungewöhnlich, aber für uns äußerst hilfreich.
Die Sache mit den Werwölfen hatte vor etwas mehr als zwanzig Jahren angefangen. Zeitgleich mit der Einweihung des ersten Forschungskomplexes auf dem Mond tauchten auch die Mutationen auf. Anfangs waren es nur Gerüchte, die dankbar von den Medien aufgenommen wurden. Natürlich nahm man an, dass es sich um psychisch gestörte Menschen handeln musste, die offensichtlich Spaß daran hatten, andere zu zerfetzen und aufzufressen. Doch schnell stellte man fest, dass es sich wirklich um Werwölfe handelte. Das Springs-Video, welches wochenlang von jedem Sender gezeigt wurde, war keine Fälschung, sondern ein echtes Dokument, das der entsetzten Menschheit die reale Wahrheit offenbarte: Es gab Mutationen. Menschen, die anders waren. Es gab Werwölfe. Das erste lebende Exemplar wurde an einem Dienstagmorgen gefangengenommen und den Militärs überlassen. Untersuchungen ergaben, dass es sich dabei um einen vierundreißigjährigen Mann handelte, der ein tadelloses Leben als perfekter Familienmensch führte, bis ihn das Virus befiel und ihn genetisch veränderte. Es traf nur weiße Männer zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr. Schnell wurde auch bekannt, dass sie zudem Linkshänder und zeugungsunfähig sein mußten. Das waren die Bedingungen, damit das Virus in den Körper eindringen und ihn bei Vollmond verändern konnte. Es gab kein Gegenmittel. Hinter vorgehaltener Hand war zu hören, dass viele Wissenschaftler der Meinung waren, dass das Virus außerirdischen Ursprungs sei, bei einer der zahlreichen Mars-Expeditionen versehentlich mitgenommen wurde. Mir war es im Grunde genommen egal. Ich war kein Linkshänder. Ich nannte zwei wunderbare Kinder Jamie und Lara. Der Job brachte gutes Geld, der Adrenalinkick dagegen war jedoch unbezahlbar.
Ich hörte, wie sich Garcia und Jennings miteinander unterhielten. Im Flüsterton, aber immer noch laut genug. Ich drückte den kleinen gelben Knopf am Handgelenk. "Ruhe!" Verärgert sah ich die beiden an. "Wir sind gleich da. Konzentration jetzt!" Noch einhundertfünfzig Meter. Das Objekt hatte sich keinen einzigen Millimeter von der Stelle gerührt. (Das gibts doch nicht, verdammt!) "Sitzt Palmer fest?"
"Sir?", wollte Garcia wissen.
Ich blieb stehen und sah mich um. Das schwache Licht des Mondes tauchte die verfallene Szenerie in eine unheimliche Atmosphäre. Das machte mir nichts aus. Was mich bewegte, waren die verfallenen Häuser, der ganze Dreck auf der Straße, die vielen Knochen. Vor ein paar Jahren, schätzte ich, lebten hier gut und gerne knapp dreißigtausend Menschen. Aber die goldenen Jahre waren vorbei. Heute gab es nur noch acht gewaltige Städte, und dazwischen tausende Zeltcamps, in denen die Mittellosen ein elendes Dasein fristeten. Wind kam auf. Staubwolken verdunkelten den Mond. "Nachtsichtgeräte!", befahl ich. Garcia und Jennings gehorchten aufs Wort. Schneller als ich hatten sie die kleinen Masken aufgesetzt.
"Was ist mit Palmer?", hakte Garcia nach und überprüfte sein Gewehr.
Ich zuckte mit den Schultern. Den Mythos Werwolf gab es seit Jahrhunderten. Dass die Mutanten nach der Verwandlung wie Werwölfe im klassischen Sinn aussahen, war einfach Zufall. Genaus so wie die Sache mit dem Vollmond. "Nichts! Er ist immer noch ein Mensch. Zwar ein armes Schwein, aber ein Mensch." Noch einhundertzwanzig Meter. Palmer rührte sich nicht vom Fleck. An eine Fehlfunktion der Anzeige glaubte ich nicht. Schließlich hatte ich das Gerät konzipiert und entwickelt.
Jennings zeigte mit der Spitze seines Gewehrs zu einem halbwegs intakten Einfamilienhaus. "In so einem Haus habe ich meine Kindheit verbracht."
Er sagte das in einer Art und Weise, die mich jedes Mal aufs Neueste beeindruckte. Jennings war die Ruhe in Person. Egal, wo wir uns befanden. Der Typ kaute Kaugummi und blinzelte nur, wenn in zehn Kilometern Entfernung eine mittlere Atombombe gezündet wurde. "Nun, geschadet hat es Ihnen ja nicht." Ich lächelte und nickte ihm zu. "Vielleicht ist Palmer irgendwo reingefallen und kommt nicht mehr raus."
"Sie meinen eine Art Grube, oder so?" Garcia schüttelte den Kopf. "Das muß eine sehr tiefe Grube sein. Die Biester haben viel Kraft. Wißt Ihr noch? Brewster? Der Typ ist über eine Wand gesprungen, die zehn Meter hoch war!"
"Ja, Brewster..." Jennings spuckte auf den Boden. "Ein Arschloch! Zehn Schuß waren nötig."
Ich erinnerte mich. Brewster war eine schwierige Sache gewesen. Tagelang waren wir bei tropischen Temparaturen im Dschungel an der kanadischen Grenze Brewster auf den Fersen gewesen. Ihn einzufangen gestaltete sich schwieriger als gedacht. Keiner hatte daran geglaubt, dass Mutanten eine zehn Meter hohe Wand einfach so überspringen konnten. Letztendlich fingen wir den völlig verängstigten Mann am nächsten Morgen auf einer Lichtung. Brewster war nackt und faselte wirres Zeug. Ich empfand Mitleid für ihn. Nur ganz kurz. Wir konnten es uns nicht leisten, Gefühle für die Objekte zu entwickeln. Einfach zuviel Gefahr, Fehler zu begehen. "Also weiter!" Ich sah auf das Display. "Neunzig Meter."
Das eigentliche Problem bestand darin, etwas zu jagen, was zwar jedem bekannt, aber dennoch völlig abstrakt war. Als das rote Dreieck auf dem Display sich in ein quadratisches grünes Viereck umformte, war mir klar, dass sich Palmer in unmittelbarer Nähe befand. "Hört Ihr das?" Wir befanden uns in einer großen Halle in einer verfallenen Industrieanlage. Das Knurren wirkte anders als sonst.
"Ja, Sir." Garcia nickte. "Es klingt fast panisch." Er korrigierte sich: "Palmer klingt panisch."
"Innerhalb von zwanzig Metern muß er sein." Ich runzelte die Stirn. "Palmer ist anders als die anderen!"
"Glaube ich nicht, Sir", murmelte Garcia. Er stand vor einem Schacht. "Da unten ist er. Sieht wie ein Werwolf aus."
Jennings und ich liefen schnell zu Garcia. Ich warf einen Blick in den Schacht, der vielleicht fünfzig Meter tief war. "Ist wohl hineingefallen. Er sieht wütend aus."
"Klar ist er wütend", sagte Jennings seelenruhig und entsicherte sein Gewehr. "Trotzdem werde ich ihn nun in einen angenehmen Traumzustand versetzen." Garcia stellte seinen Rucksack auf den Boden, holte ein langes extrem belastbares Seil, sowie die Kletterausrüstung heraus. Wenn Palmer ruhig gestellt war, würde Garcia den Schacht hinabklettern und das Paket für den gefahrlosen Transport vorbereiten. Jennings lächelte. "Sag Gute Nacht, Palmer!"
"Zwischen die Schulterblätter, Jennings!"
"Ich weiß, Sir. Kein Problem." Er setzte das Gewehr an und zielte. Sein Atem ging flach, er stand unbeweglich da. "Ja... Nicht... Nicht bewegen..."
Ich sah hinab in den Schacht. Palmer lief im Kreis und warf sich dabei ab und zu gegen die dreckige Wand. Bei jedem Stoß bröckelte der Putz ab, und ich glaubte sogar, kleine Risse erkennen zu können. Der Werwolf blieb abrupt stehen, hob seinen Kopf und sah uns mit funkelnden Augen an. Er riss das Maul auf und präsentierte rasiermesserscharfe Zähne. Sein Knurren verwandelte sich in ein bedrohliches Brüllen. "Was ist? Warum schießen Sie nicht?"
Jennings sagte leise: "Ungünstige Position, Sir. Die Stelle ist nicht erreichbar."
Garcia seufzte verärgert und fluchte irgendwas auf spanisch. Es klang melodisch, doch ich war mir sicher, dass er ziemlich wüste Beschimpfungen Richtung Palmer abgab. Der Werwolf stand plötzlich auf den Hinterbeinen und stieß die furchteinflössenden Krallen seiner Pfoten in die Wand des Schachtes.
"Jennings!", sagte ich eindringlich. "Das gefällt mir nicht!"
Jennings lief um die Öffnung herum und sah hilflos zu mir. "Sir, ich habe einfach nicht die richtige Position. Wenn ich schieße, laufe ich Gefahr, das Objekt auszuschalten... Endgültig auszuschalten!"
Ich winkte ab. "Verdammt!"
"Großer Gott!", schrie plötzlich Garcia und riss sich das Nachtsichtgerät ab. "Es klettert hinauf!"
"Es macht was?" Entgeistert registrierte ich, wie der Werwolf den Schacht hinaufzuklettern begann. Mit den Hinterbeinen stieß er sich von der Wand ab, sprang ungefähr zwei Meter nach oben und stieß dann die Krallen wieder in den spröden Beton.
"Was soll ich tun, Sir?" Jennings zielte auf Palmer. "Sir!"
"Ich..." Mit so einer Situation waren wir noch nie konfrontiert worden. "Warten Sie noch." Immer noch leicht ungläubig starrte ich den Schacht hinunter. Der Werwolf hatte mittlerweile gut zwanzig Meter bewältigt. Ich fällte eine Entscheidung. Eine von der Sorte, die den obersten Bossen nicht gefallen würde. "Wenn Sie den Schuß nicht richtig ansetzen können, erschießen Sie ihn!"
"Alles klar, Sir", bestätigte Jennings und setzte wieder das Gewehr an.
Garcia hatte sich hingehockt, das Seil krampfartig in den Händen haltend. "Garcia?" Ich ging zu ihm. "Keine Panik, wir bekommen das schon hin, okay?"
"Ja, Sir. Kein Problem, Sir." Er nickte mir zu.
"Jetzt habe ich ihn!", sagte Jennings triumphierend und betätigte den Abzug seines Gewehrs.
Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, Jennings wurde nach hinten geworfen, Garcia und ich duckten uns unwillkürlich, der Werwolf jaulte kläglich auf und eine Sekunde später hörte ich einen dumpfen Aufprall. Ich richtete mich auf. "Was ist passiert?"
Jennings lag auf dem Rücken und betrachtete verwundert die Überreste seines Gewehrs. "Ich weiß es nicht, Sir. Ist einfach explodiert." Er warf die Teile hinter sich. "Materialfehler!", wiegelte er das Vorkommnis ab. Wie immer war er die Ruhe in Person.
Ich lief zu Jennings und half ihm beim Aufstehen. "Einfach so, was? Haben Sie getroffen?"
Jennings zuckte mit den Schultern. "Ich denke schon."
Zusammen gingen wir zurück zum Schacht. Garcia lag auf dem Bauch und schaute über den Rand. Dabei stieß er mit der flachen Hand ein paar Mal gegen sein Nachtsichtgerät. "Zuviel Staub. Ich kann nichts sehen!"
Palmer war nicht zu hören. "Hört Ihr irgendwas?", wollte ich von den anderen beiden wissen. Ich mußte sicher gehen, dass mein Hörvermögen durch den lauten Knall nicht Schaden genommen hatte.
Angestrengt starrten Jennings und Garcia in den Abgrund. "Weder ist etwas zu sehen, noch zu hören, Sir.", stellte Jennings leicht enttäuscht fest.
(Klar, er will ein Resultat sehen!) "Dann werden wir wohl warten müssen, bis..." Der Werwolf unterbrach mich. Unerwartet. Absolut nicht vorhersehbar.
Im selben Moment, als aus dem Schacht das wütende Brüllen nach oben kam, mit ihm ein überaus blutgieriger Palmer, rollten wir uns automatisch zur Seite und rissen gleichzeitig die Pistolen aus dem Halfter. Der Werwolf landete fast fünfzig Meter von uns entfernt auf dem Boden. Er mußte wohl all seine Wut und Kraftreserven in diesen einen Sprung gelegt haben.
Entsetzt sah ich zu dem Tier. (Bei Gott, es ist wirklich anders als die anderen!) Erst hier oben kamen seine wahren Ausmaße zur Geltung. Der Werwolf hatte die Größe eines Kleinwagens. Dichtes, struppiges Fell lag wie ein Feld aus Millionen von spitzen Nadeln über der Haut, über den monströsen Muskeln. Hinter dem Kopf, knapp unterhalb der Schulterblätter war das Fell blutdurchtränkt. Jennings hatte sein Ziel verfehlt. Garcia, Jennings und ich lagen Seite an Seite auf dem Boden der verfallenen Halle und zielten mit zitternden Händen auf Palmer. Wie aus dem Nichts wurde die Halle vom Mondlicht erleuchtet. Die Wolken waren verschwunden. Ich blinzelte mit den Augen und schnallte mir schnell das Nachtsichtgerät ab. Achtlos warf ich es zur Seite. "Ruhig bleiben!", flüsterte ich. Palmer trottete hin und her, schien uns zu beobachten, verharrte kurz, leckte sich die Wunde, lief wieder ein kleines Stück, kauerte sich angespannt auf den Boden und knurrte zu uns rüber.
"Was hat er vor?", fragte Garcia leise. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn, im ganzen Gesicht.
Jennings holte ganz langsam einen Kaugummi aus der Brusttasche. "Keine Ahnung."
Ich bewunderte ihn für seine Gelassenheit. "Tauschen Sie Ihr Magazin aus! Betäubungsmunition. Garcia und ich behalten für den Fall der Fälle das bisherige Magazin." Innerlich mußte ich fast lachen über diese Anweisung. Sie war irgendwie sinnlos.
"Ja, Sir." Wie befohlen wechselte Jennings das Magazin.
Der Werwolf richtete sich auf und gab ein Brüllen von sich, das durch Mark und Bein ging. Beängstigend. Ich hatte Mühe, die Pistole nicht fallen zu lassen. Und dann, einfach so, machte Palmer einen gewaltigen Satz nach vorn, befand sich plötzlich mitten unter uns und fuhr mit seinen Krallen über Garcia, der gar keine Zeit mehr hatte, loszuschreien. Seine Kehle wurde mit einem einzigen Hieb zerfetzt, Blut spritzte auf uns herab, schreiend rappelten Jennings und ich uns auf und liefen davon, während der Werwolf, so konnte ich nach einem kurzen Blick rückwärts erkennen, Garcia den Kopf abbiss.
"Gott! Erschießen Sie ihn! Töten Sie das Vieh!", brüllte Jennings und blieb stehen. "Lemond!"
Als ob in mir ein Hebel umgelegt wurde, drehte ich mich um, zielte auf Palmer und schoss das ganze Magazin leer.
Nachdem der Pulverdampf verflogen war, berührte mich Jennings. "Es ist vorbei!" Er wirkte mehr als erleichtert.
Keuchend ging ich in die Knie. "Bei Gott, so war das nicht geplant!" Palmers Körper in Gestalt einer unheimlichen Bestie zuckte, das Maul schnappte nach Luft und die Augen flackerten unnatürlich. "Verdammt nochmal!", brüllte ich meinen ganzen Ärger hinaus. Ein letztes Mal öffnete der Werwolf sein Maul. Ich schloss kurz die Augen, öffnete sie und sah einen nackten Mann, der leblos neben Garcias Leichnam lag. "Ja, das wars wohl. Palmer ist tot." Ich beugte mich zur Seite und übergab mich.
Der Hubschrauber war eine Stunde nach meiner Meldung eingetroffen. Jennings und ich sahen uns nur schweigend an, sagten den anderen nichts, die Fragen stellen, warum die Sache schief gelaufen war.
"Holden für Sie, Sir!", brüllte mir einer der Piloten zu.
Ich nickte schwach und setzte mir mühsam das Headset auf. Ich sah zu Jennings, der mit dem Verschluss seiner Trinkflasche herumspielte. "Holden?"
"Verdammt, was ist da passiert, Lemond?"
Jennings Hand verkrampfte sich. "Einen Augenblick, Sir!" Jennings ritzte sich mit dem Verschluss kleine, blutige Striche in die Haut. "David?"
Er sah mich an. "Sir?" Er ließ den Verschluß fallen und schloss die Augen.
Ich wußte, dass er alles versuchte, um seine Tränen zu verbergen. Aber ich hatte sie gesehen. Und mir war klar, dass niemand auf dieser Welt vollkommen war. Ich dachte an Jamie und Lara. "Holden?"
"Lemond! Was ist mit Palmer?"
"Tot, Sir. Wie Garcia." Ich sah aus dem kleinen Fenster des Hubschraubers. Wir flogen über kaputte Straßen, verfallene Häuserschluchten, Berge von menschlichen Knochen. "Ich kündige, Sir!"
"Was? Lemond! Sie tun was? Ich..."
Der ruhige Flug des Hubschraubers hatte einen völlig erschöpften Jennings zum Einschlafen gebracht. Ich zog das Headset von meinem Kopf herunter und warf es in die Ecke. Vor meinem geistigen Auge sah ich meine Kinder. Für mich war es vorbei. Ich hatte erlebt, wie eine Mutation alle bisherigen Erkenntnisse außer Kraft gesetzt hatte. Sollten sich doch andere darum kümmern. Wir hatten versucht, Palmer wieder einzufangen. Wir waren kläglich gescheitert. Ich war mir sicher, dass Palmer für die Forschung unersetzlich war. Aber es war mir egal. Nach dem verheerenden Einsatz war es mir einfach egal. "David?" Jennings reagierte nicht. Ich lächelte. Ich freute mich auf meine Kinder. Jennings seufzte und verlagerte seine Position. Fast wäre er aus dem Sitz gerutscht, doch er schaffte es, unbewußt sich mit der linken Hand abzustützen. Er gähnte, rollte mit den Augen und schlief dann weiter. Jennings war achtundzwanzig Jahre alt. Ich runzelte die Stirn. (Nicht doch!) Ich sah auf seine linke Hand. (Nicht doch! Oh Nein!) Ich sah zu Jennings. Dann lächelte ich. "Viel Glück, Junge!" Ich wünschte es ihm von ganzem Herzen. Vielleicht hatte David Glück, und er blieb verschont. In einer kaputten Welt wie dieser war es Wunschdenken, das wußte ich. Wenn Jennings soweit war, um als eine monströse Bestie durch die Gegend zu streifen, unverschuldet und rein Instinkt gesteuert... Ich hatte die Anlagen in der Richmond-Militärbasis gesehen. Oft genug hatten wir entflohene Exemplare wieder eingefangen. Mutanten wie Palmer. Und wozu? "Ich wünsch dir wirklich alles Glück auf der Welt, David!" Er hatte noch eine Chance. Jemand wie Jennings, redete ich mir ein, mußte einfach Kinder in die Welt setzen. Ich lehnte mich zurück, schloss meine müden Augen und träumte nach kurzer Zeit von meinen beiden Kindern. Bald verschand auch das Brummen des Helikopters. Nur noch eine willkommene dunkle Leere umgab mich. In meinem Traum verschwanden meine Kinder recht schnell. Horden von Werwölfen überrannten das geschundene Land. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich wollte nichts dagegen tun. Mein Traum war wie eine Vorahnung. Es gab Menschen, die anders als wir waren. Der Lauf der Dinge. Und niemand konnte etwas dagegen tun. Mit einem Schrei wachte ich auf. Der Hubschrauber flog über das Meer. Das Wasser funkelte. Wie Sterne. Jennings schlief weiterhin, als ob in der Welt alles in Ordnung war.
"Sir? Alles in Ordnung?", fragte mich einer der Piloten.
Ich hob den Daumen und antwortete: "Ja, alles perfekt!" In der Ferne konnte ich die Küste von Kalifornien erkennen. Die Sonne ging auf und verdrängte den Vollmond. Der Anblick blendete mich. Die Nacht war zum Tag geworden. Der Einsatz war katastrophal verlaufen. "Alles in Ordnung!" (Eine einzige Lüge!) Ich lächelte und freute mich darauf, bald meine Kinder in den Arm zu nehmen.
ENDE
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18.08.2003