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04.08.2002
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Momente

Sie zündet sich eine Zigarette an, die im Aschenbecher verrauchen wird. Glücklich blickt sie ihn an, spiegelt sich in seinen Augen.

Zärtlich legt er seine Hand in ihren Nacken. Sie entspannt sich, genießt die Berührung. Die Welt draußen, andere Menschen, Probleme; alles tritt zurück in diesem goldenen Moment. Zeit und Raum sind aufgehoben, ihr Geist versinkt in anderen Sphären, sie ist geschützt und geborgen. Ihre Hand gleitet über seine Wange, seinen Hals, seinen Brustkorb, seinen breiten, gnadenlos männlichen Brustkorb. Die Pupillen weiten sich in der gegenseitigen Faszination. Ein Kuss ist vollkommen, ist notwendig, unausweichlich. „Was machen wir hier?“, flüstert er zärtlich in ihr Ohr, lässt seine Hand über ihren Rücken gleiten. Sie hält sich an ihm fest, umarmt ihn eindringlich, umklammert seinem Körper. Sie wissen um den Sog, kennen die Gesetze der Leidenschaft. Die Zärtlichkeit wird fordernd.

Er beherrscht ihre Seele, sie beherrscht seinen Körper. Er wirbt um ihren Körper, sie wirbt um seine Seele. Die Spirale entlang nach oben zur blauen Blume, hinauf in die Sphären des Unerhörten. Es zieht sie ins Uferlose, das Es übernimmt die Steuerung dessen, was passieren wird. Das roteste Rot umhüllt das Geschehen; die Sekunden, sie sind vollkommen.

Ein Blitz durchzuckt ihren Körper.
Genau jetzt weiß er, wofür er lebt.


Wie eine Mauer kommen die Menschen auf sie zu. Sie atmet die kalte Luft ein, starrt auf den bräunlichen Schneematsch am Gehsteigrand. Ihr Gang wird schneller, der Atem hastig. Mit jedem Schritt gewinnt sie räumlichen Abstand zu ihm, was sie beruhigt.

Dass sie sich jemals mit einem verheirateten Mann einlassen würde, dass sie jemals die Rolle einer Geliebten spielen würde, das hätte sie nie erwartet. Im Moment erscheint ihr die Situation kitschig, banal und unerträglich.

Im Laufschritt steigt sie die Rolltreppe zur U-Bahn hinunter. Sie erreicht den Zug gerade noch, ist erleichtert. Sie will fliehen, vor ihm und auch vor sich selbst. Wenn sie ihn wirklich verlassen wird, wird sie älter geworden sein.

 

Hallo Klara!

Der Anfang ist sehr gefühlvoll geschrieben, die Leidenschaft, das bedinungslose Gefühl dieses Moments, das Du beschreibst kommt sehr gut rüber, finde ich.

Dann, der erste "Hinweis":

Er beherrscht ihre Seele, sie beherrscht seinen Körper. Er wirbt um ihren Körper, sie wirbt um seine Seele.
An dieser Stelle hab ich mich gefragt, was für eine Beziehung das wohl sein mag, in der jedem Beteiligten Körper oder Seele zugesprochen werden... aber dennoch, die Auflösung: sie ist seine Geliebte, sie traf mich unvorbereitet.
Sehr gut schilderst Du die Gegensätze: am Anfang, der besonder ´Moment, es gibt nicht auf der Welt als die Beiden, dann... Menschenmassen, Ubahn, "nur" Geliebte... und zum Schluss, dieser eine Gedanke des Verlassens, des Erwachsenwerdens, der Mut zur Entscheidung wird angesprochen.
Der Verlauf und die Umsetzung haben mir gefallen, allerdings... vielleicht könnten die Gedanken in Teil 2 noch intensiever sein... was empfindet sie genau, wie fühlt sie sich (und er?)... vielleicht könntest Du das noch mehr rausarbeiten, nur ein Gedanke.

schöne Grüße, Anne :)

 

Servus Klara!

Es ist seltsam, mir schien gerade der Anfang noch gar nicht so gefühlsbetont, trotz der Szenerie. Erst als sie Einblick gewährt worauf sie sich eingelassen hat, das Ahnen was daraus entstehen könnte an Verletzungen und Wunden lässt mich das Aufgewühltsein erkennen. Ihr inneres Fluchtverhalten wird spürbar und dieses nicht wissen ob man noch davonkommen kann ...

So habe ich es verstanden. Was du gut in Szene setzt, ist, dieses bindungsmäßig noch nicht ganz eingelassen haben, und doch bereits zu fühlen sich zu verlieren.

Lieben Gruß Eva

 

Hallo Maus und schnee.eule!

Ich danke euch für eure Kritik und freue mich, dass euch die Geschichte gefallen hat.

Ich habe sie nach einer längeren Schreibblokade geschrieben und mir erscheint sie nun selbst etwas knapp. Ich denke, ich werde sie ausbauen. Die Gedanken im zweiten Teil und vielleicht auch seine Gedanken in einem anderem "Moment", im Kreis seiner Familie.

Das innere Fluchtverhalten, die inneren Widersprüche sind ein spannendes Thema, da ließe sich mehr draus machen glaube ich. Eure Kritik war nach der Schreibpause jedenfalls ermutigend für mich. :)

lg
klara

 

Hallo klara,

warum zündet man sich eine Zigarette an? Normalerweise, um sie zu genießen. Doch diese Zigarette wird im Aschenbecher verrauchen, sie wird gewissermaßen umsonst angezündet worden sein. Mir kommt es so vor, als ob dasselbe für die bei der Frau entfachte Leidenschaft gilt - sie muß noch um seine Seele werben, während er schon weiß, „wofür er lebt“. Sie ist eine Gebende, ohne adequat zu empfangen.
Die Kürze Deiner Geschichte gefällt mir gut, auch die verwendete Sprache.
„spiegelt sich in seinen Augen“ - finde ich etwas übertrieben, „Zeit und Raum sind aufgehoben“ ist für mich ein ziemlich abgegriffenes Statment, es kann aber auch Zufall sein, daß ich immer wieder über diesen Begriff stolpere. Den „goldenen Moment“ finde ich einfach und einfach gut.

Tschüß... Woltochinon

 

Tag Woltochinon!

Danke für deinen Beitrag. Ich finde es schön, wie du die umsonst angezündete Zigarette als Metapher für die umsonst entfachte Leidenschaft bei der Frau begreifst. Auch freut mich, dass Kürze und Sprache bei dir ankommen. :)

Ich kann es nachvollziehen, dass du das mit dem in den Augen spiegeln für übertrieben hältst. Es ist auch ein bißchen dick aufgetragen, aber es zieht den Leser gleich mitten in das Geschehen. Das mit der aufgehobenen Zeit und dem aufgehobenen Raum kommt vielleicht oft vor, aber es beschreibt doch sehr gut einen Zustand. Aber vielleicht klingt es aufgrund des häufigen Gebrauchs schon abgedroschen - schade eigentlich.

lg
klara

 

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