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Momente eines Festivals

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02.03.2002
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Momente eines Festivals

IIn dem Moment, als er sie das erste Mal sah, rückte alles in den Hintergrund. Inmitten einer ohnehin bereits surrealen Wirklichkeit verlor er sich in den Anblick dieser geheimnisvoll wirkenden Frau. Das Dröhnen der Lautsprecher, das die Menge mit eindringlichem Technosound zu rhythmischen Zuckungen reizte, drang nur noch gedämpft zu ihm vor. Das riesige Feuer im Zentrum der Meute tauchte alles in waberndes Licht. Tausende Menschen um ihn herum, eben noch lachend. johlend im Takt der Musik tanzend, gefroren in ihren Bewegungen. Es war, als würde alles um ihn herum gefiltert und seiner Realität entzogen. Sein Fokus galt diese Frau. Ihr Körper flackerte im Widerschein der Flammen, verschwand kurz im Dunkel, wenn größere Menschen sich zwischen sie und das Feuer schoben, um kurz darauf durch explodierende Raketen stroboskopartig erhellt zu werden. Der fast vollständig nackte Körper verweigerte sich dem Rhythmus der Musik und folgte, wie in Zeitlupe, dem Diktat einer fremden Eingebung.

Er hatte sie gerade erst gesehen. Ein merkwürdig ruhender Pol in der zuckenden Menge. Ihre Kleidung, war nichts Besonderes, hier gab und kleidete sich jeder, wie es ihm gefiel; nackt oder angezogen spielte nur eine Rolle, wenn die Temperaturen Richtung Gefrierpunkt fielen. Ihre Brustspitzen waren von Blumenaufklebern bedeckt, ein lederner Lendenschurz bedeckte ihren Schritt. An ihren Füßen hatte sie leichte, lederne Sandalen. Sie bewegte sich langsam, wie in Trance, den Kopf leicht gesenkt. Die Arme ein wenig angewinkelt, als wolle sie etwas greifen, was unsichtbar vor ihr schwebte oder vielleicht auch nur, um Herumtanzende bei einem Zusammenstoß abwehren zu können. Jedoch machte sie nicht den Eindruck, als würde sie die anderen wahrnehmen. Aber gerade ihre scheinbare Abwesenheit machte sie für ihn umso präsenter. Dann erkannte er kleine Reflexe auf ihrem ästhetisch, aber versteinert wirkenden Gesicht; es sah aus, als weine sie. Ja, sie weinte.

Er war von ihr gefangen, von ihrem Gesicht, ihrem Körper, ihrer Attitüde. Er bemerkte nicht, dass er sich, wie sie, der Hektik der Meute entzog. Zögernd bewegte er sich in ihre Richtung. Die Zeit hatte sich ihrem Tempo angepasst. Er wollte zu ihr, schnell, jedoch brachte er es nicht fertig die Geschwindigkeit aufzunehmen, die ihm eigentlich geboten schien. Dann, nach ewig langer Zeit, erreichte er sie. Zögernd, fast ängstlich, trat er neben sie.

In diesem Augenblick sprang ein kleiner Junge direkt in ihren Weg, stieß mit voller Gewalt mit ihr zusammen. Sie trat durch den Aufprall ein Stück zurück, Ihre Augen klärten sich, die Trance war entschwunden. Ihre Augen liebevoll auf den kleinen Jungen gerichtet, bückte sie sich zu ihm herab, kniete sich vor ihn, um auf Augenhöhe zu sein und hielt ihm ihre Hand entgegen.

„Hast du dir wehgetan?“

Dabei lächelte sie tröstend, um seinen möglichen Schmerz zu lindern. Da er direkt neben ihr stand, konnte er Ihre Stimme gut hören. Eine dunkle, weiche Stimme, die angenehm und sympathisch klang.
„Nein, meine Mama...“, er unterbrach sich, schaute ihr in die Augen und sah, dass ihr Tränen die Wange runter liefen. Er hielt kurz inne, seine Hand hob sich und er strich ihr behutsam mit dem Finger über die Wange, wischte die Tränen beiseite. Sie ließ es reglos über sich ergehen. Er tat es wortlos, dann sagte er ernst und mitfühlend:

„Es wird alles wieder gut.“

Innerhalb von Sekunden hatte sich eine mystische Vertrautheit zwischen Kind und Frau aufgebaut. Ein kleiner Junge der mit bewundernswerter Empathie innerhalb eines Augenblickes in das Herz seines Gegenübers geschaut hatte und der instinktiv die Gefühle weitergab, die er selbst bei Gelegenheiten empfangen hatte, die ihn weinen ließen. Sie nahm diese Geste mit offensichtlicher Dankbarkeit und Wehmut an und strich ihm zärtlich übers Haar. Der Zauber dieser Szene währte jedoch nur kurz. Abrupt wurde der Junge von hinten hoch genommen. Eine blonde Frau mit einer bunter Federboa und vielen blinkenden Lichtern hob ihn auf den Arm und strich ihm durchs Haar.

„Du sollst doch bei uns bleiben, du Schlingel. Du gehst uns noch verloren in diesem Trubel.“

Ohne genauer hinzuschauen lächelte sie der knienden Frau entschuldigend zu, murmelte ein schnelles „Sorry“, drehte sich herum, während der kleine Junge noch unverwandt den Blick auf die Weinende gerichtet hielt, und kehrte zu ihren Freunden zurück.

Er nutzte den Moment und bückte sich zu ihr hinab, wobei er behutsam mit der Hand ihre Schulter berührte.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Zuerst schien sie überhaupt nicht zu reagieren, doch nach einem kleinen Moment hob sie ihren Kopf und schaute ihn an. Kein Versuch ihre Tränen zu verbergen. Jedoch ohne Antwort. Schweigend erhob sie sich, noch immer die Hand auf der Schulter duldend, wartete bis auch er aufgestanden war. Dann musterte sie ihn auffällig langsam von oben bis unten, offensichtlich auf alle Details achtend. Doch ihr Blick wirkte erneut ein wenig entrückt. Dann hob sie die Hände, umfasste seine Wangen, zog den Kopf auf ihre Höhe und berührte mit ihren Lippen seine Stirn. Liebevoll, wie eine Mutter, die Ihrem Kind ein Gute-Nacht-Kuss gibt. Verblüfft ließ er das mit sich geschehen, ratlos wie er darauf reagieren solle. Irgendwie jedoch hatte er das Gefühl, dass ihr Blick trotz allem etwas Versöhnliches an sich hatte. Schließlich hielt sie ihm für einen Moment die offene Hand vor die Brust, als wolle sie ihn zurückhalten, Stop sagen, schüttelte leicht den Kopf, drehte sich herum und ging. Nicht schnell oder zielstrebig, aber auch nicht mehr wie vorhin, langsam, wie in Trance. Sie ging, erhobenen Hauptes, ohne sich umzuschauen.

Der Technosound drang wieder durch, wurde lauter, das Vibrieren der Lautsprecher wieder körperlich spürbar, die Bewegungen der tanzenden Menschen um ihn herum wieder schneller. Der Puls des Festivals begann erneut zu schlagen und ihn in seinen Bann zu ziehen. Er blieb stehen und sah, wie sie in der Menge verschwand.

Er sah sie nie wieder, doch in seinen Träumen folgte er ihr noch oft, als sie ging, ohne sich umzuschauen.

 

Hallo querkopp, bist ja schon länger hier als ich, deshalb werd ich dich nicht begrüßen. :) Aber schön, dass du mal wieder reinschaust.

Deine Geschichte - naja, ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, dass ich dafür der richtige Leser bin. In den Geschichten, die ich mag, muss mehr Handlung sein, ich muss greifbare Personen kriegen. Einen echten Ausschnitt aus ihrem Leben lesen können. Aber da seh ich jetzt mal von meinem Lesergeschmack ab und lass mich auf dein kleines Experiment ein, denn einen Lebensausschnitt erzählen, eine Figur nahebringen, so dass man sich mit ihr identifizieren kann, das weiß oder merk ich ja, das hast du hier gar nicht gewollt.

Du wolltest, der Titel sagt das ja schon, irritierende oder bewegende Momente erzählen, die den Erzähler berührt haben. Das Ganze spielt auf einem Festival, also in einer lauten, chaotischen Umgebung, von der sich das Rätselhafte der fremden Frau besonders prägnant abgebt. Darum ging es dir wohl, das Rätselhafte dieser Frau und ihrer Trauer zu zeigen und den Moment, der zwischen ihr und dem Kind passiert und der sie dann ein klein wenig verändert, so dass sie anders als vorher gehen kann.

Was dir, finde ich, bei aller Meckerei, die gleich auch noch kommt, echt gelungen ist, das ist, dass du einen schreiberischen Spot auf die Frau geworfen hast. Sie hebt sich durch deine Beschreibung tatsächlich von all den anderen Leibern ab, als wäre sie angestrahlt. Es ist dir gelungen, sie plastisch zu machen.
Das fand ich schon sehr stark.
Und noch stärker finde ich, dass dir das gelingt, obwohl ich eigentlich an ganz vielen Stellen aufjaulte (wirklich), weil die Formulierungen, mit denen du die Frau beschreibst, mir viel zu gängig, zu abgegriffen sind.
Da musst du wirklich sehr sehr durchbürsten. Engehafte Geschöpfe, die hauen einem einfach die Butter vom Brot, das geht nicht.

Ansonsten schreibst du hier sehr ruhig, zurückhaltend, viele Partizipien, viele Adjektive, alles in allem in einem eher älteren Stil. Ich nehme an, um die rätselhafte Dame ins rechte Licht zu rücken.
Ich finde das eine erklärliche, nachvollziehbare Wahl, der Erzähler, der die Frau beobachtet, kann ja nicht mitgehen in der Meute, er muss ja selbst in einem beobachtenden, viellleicht sogar nachdenklichen Zustand sein, sonst hätte er die Frau gar nicht bemerken können. Knappe Satzreihen oder Ellipsen wären da fehl am Platz. Jargonsprache, das hätte hier nicht gepasst. Trotzdem ... an manchen Stellen übertreibst du es da trotzdem , dann wirkt es gestelzt oder ein wenig zu gewollt. Ich denke, das ist einfach eine schwierige Balance.

Im Detail:

Das Dröhnen der Lautsprecher, das die Menge mit eindringlichem Technosound zu automatisch, rhythmischen Zuckungen reizte, drang nur noch gedämpft zu ihm vor.
entweder automatischen oder Komma weg. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das zweimalige ...ischen hier gut finde. Ist mir fast zu viel und man muss ja auch mal an den Rhythmus denken. Wenn ich mir das laut vorlese, ischelt meine Zunge durch die Gegend, dass ich mich gleich am Kaffee verbrühe. Ach Mensch, soll bloß heißen, schau mal, obs ohne nicht besser klingt.

Das riesige Feuer im Zentrum der Meute tauchte alles in waberndes Licht. Tausende Menschen um ihn herum, eben noch lachend. johlend im Takt der Musik tanzend, gefroren in ihren Bewegungen.
Das gefiel mir. Da hatte ich ein Bild vor Augen. Wie wenn eine Kamera mit schnellen Bildern plötzlich ein Standbild zeigt.

Ihr langes schwarzes Haar umrahmte ihr ebenmäßiges Gesicht und milderte das kurze, harte Leuchten der Explosionen.
ebenmäßiges Gesicht. Nee, das find ich nicht gut. Ich weiß, wie du sieaussehen lassen willst, aber es muss doch möglich sein, dass man nicht diese Formulierung gebraucht. Nee, dann lass es lieber weg.
Ein bisschen eigenartig ist auch der zweite Teil des Satzes. Du meinst, dass die Reflektionen der explodierenden Raketen auf ihrem Gesicht durch die Haare abgemildert werden. So wie du es formulierst klingt es unklar.

Der fast vollständig nackte Körper verweigerte sich dem Rhythmus der Musik und folgte offensichtlich wortlos, aber wie in Zeitlupe, dem Diktat einer fremden Eingebung.
Manchmal zu viel Füllwörter. Und wieso aber? Das sind so komische Einschränkungen, die blähen diese Sätze auf. Da würd ich an deiner Stelle mal drübergehen, auf mich wirkt das einfach prätentiös.

Ein merkwürdig ruhender Pol Kein Komma in der zuckenden Menge, die, mit sich selbst beschäftigt, keine Rücksicht auf auf jemanden zu nehmen schien, der sich nicht komplett der feiernden Betriebsamkeit des Festes ergab.
das eine auf ist zuviel
Hier wieder: dass es eine Feier ist, das weiß man schon. Feiernde Betriebsamkeit ist einfach zuviel.
Und dass die Menge Rücksicht nehmen sollte, warum auch? Also dieses Bild passt für mich nicht richtig. Sie fällt raus aus der Betriebsamkeit, aus den zuckenden Leibern, du beschreibst das vorher so schön, als hätte sich da ein unsichtbarer Kreis um sie gebildet. Also ich hätte es auch stark gefunden, wenn du nur geschreiben hättest ein merkwürdig ruhender Pol in der zuckenden Menge.

Ihre Kleidung, beziehungsweise ihre Nacktheit, war nichts Besonderes, hier gab und kleidete sich jeder Komma wie es ihm gefiel; nackt oder angezogen spielte nur eine Rolle Komma wenn die Temperaturen Richtung Gefrierpunkt fielen.
das Fette ev. kürzen?
Und du machst öfter mal Kommafehler

Ihre Nippel waren von Blumenaufklebern bedeckt,
Hier hab ich überlegt, ob die Nippel zu der sonstigen Sprache passen. Klingt zu umgangssprachlich. Im zweiten Teil des Satzes schreibst du "ihren Schritt", da willst du jede Derbheit vermeiden. Da passen die Nippel doch nicht.

oder vielleicht auch nur, um herum tanzende bei einem Zusammenstoß abwehren zu können
.
um Herumtanzende bei einem Zusammenstoß abwehren zu können.

Er bemerkte nicht, dass er sich, gleich ihr, der Hektik der Meute entzog.
Das ist auch so ein Beispiel, wo es mir zuviel wird: gleich ihr.

Dann, nach ewig langer Zeit, Zeit die er ausgiebig zum Studieren Ihres faszinierenden Gesichtes nutzte, erreichte er sie. Langsam, als habe er Angst ein scheues Tier durch seine Annäherung aufzuschrecken, trat er neben sie.
Das schräg gedruckte ist mir zu abgegriffen. Du eillst eine ungewöhnliche Situation zeigen, eine geheimnisvolle Frau, die durch ihr Verhalten völlig aus der Menge heraussticht. Also faszinierend ist keine Beschreibung, sondern eine Beurteilung, eine Behauptung, ich muss dir das glauben, aber ich hätte ein Bild vor mir, wenn du es beschreibst oder wie vorher, wenn ich die Tränen sehe. Also der ganze Absatz, wie er ihr Gesicht studiert, nee, das sollte entweder raus oder beschreib doch die Faszination. Das gleiche mit dem scheuen Tier. Beschreib ihre Bewegung. Du ersparst dir die Arbeit an der Stelle, klar, man versteht gleich, was gemeint ist, aber ich denke für ein Bild, das sich wirklich einprägt, ist was anderes besser.

Ich muss jetzt Schluss machen. Der Job ruft.
Auch in der Begegnung mit dem Jungen und danach gibt es immer wieder so eine Mischung zwischen sehr schönen Formulierungen und Bildern, die ich genossen habe, dann aber auch wieder gestelzt wirkende oder zu gängige Bilder und Formulierungen (manchmal sogar zu schwülstig, z. B. später das engelsgleiche Geschöpf, wie schon am Anfang gesagt, das haut hier jedem die Butter vom Brot oder mir den Kaffee aus dem Maul).
Also da würde ich alles in allem noch mal sehr kritisch drüber gehen.

Und trotzdem hab ich es gern gelesen. Ich fand es eine merkwürdige, interessante Sache.
Hoffe, du kannst mit meinem Sprachgemecker trotzdem was anfangen.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo Novak,

vielen Dank für Deine Zeit und Kritik und eine ehrlich betroffene Entschuldigung dafür, dass ich dir mit meinen Formulierungen den Kaffee aus dem Maul und den Anderen die Butter vom Brot gehauen haben :D :D

Mit deinem Sprachgemecker konnte ich durchaus etwas anfangen und musste dir (leider) in fast allen Punkten recht geben. Man sieht die Fehler der eigenen Kinder meist erst dann , wenn man sie von anderen hört. Denke, der „eher ältere Stil“ der Geschichte hängt übrigens auch mit meinem eher älteren Geburtsjahr zusammen :D

Habe schon mal das Meiste korrigiert, um weitere Unglücke zu vermeiden. Habe auch die letzten Absätze „begradigt“. Vielleicht findet sich ja noch der eine oder andere, der den hinteren Teil kritisiert. Dir jedenfalls herzlichen Dank, dass du dich damit beschäftigt hast, obwohl es absolut nicht deinem Lesegeschmack entspricht.

Liebe Grüße
querkopp

 

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