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Moin Moin
Die Sonne war auf der seeabgewandten Seite langsam über den weidenbestandenen Knick hervor gekrochen, der Hahn schlich müde zum Misthaufen, um ihn zu erobern und mit lautem Krähen nicht nur seinen Mädchen, sondern auch den anderen Bewohnern des Hofes vom neuen Tag zu künden. Der Bauer stand in seiner Stube und steckte seinen Kopf in die Waschschüssel, während die Magd bereits in der Küche den Herd angeheizt hatte.
Nur hinter der hölzernen Klappe im Stall rührte sich nichts. Stille. Aus der Schlafkoje des Knechtes drang kein Laut.
Es war wie an jedem Morgen. Leif, der Knecht, war nicht wach zu bekommen. Es mochte sich noch so viel Leben im großen Haubarg regen, der im Norderheverkoog auf Eiderstedt Wind und Wetter trotzte, der Knecht verließ seine Schlafkammer erst, nachdem ihm Sönke die allmorgendliche Standpauke gehalten, ihm gedroht hatte, er würde ihn von dannen jagen.
Hoch und heilig versprach Leif jeden Tag aufs Neue: „Moin, Bauer, werde ich nicht mehr verschlafen.“
Es half nichts. Am nächsten Morgen bot sich wieder das gleiche Bild.
Sönke, der Herr auf dem Marschenhof, war der Verzweiflung nahe.
Welchen Auftrag er auch immer erteilte, stets nickte der Knecht freundlich, bestätigte eilfertig, sich der übertragenden Arbeit anzunehmen und fügte im Stillen – für sich selbst – ein „Moin! Vielleicht Moin!“ hinzu. Es war die Art der Selbstrechtfertigung, vergleichbar den hinter dem Rücken gekreuzten Fingern bei der Abgabe eines heiligen Versprechens.
„Leif, du musst heute den Zaun hinten am Deichknick reparieren, sonst drohen die Kühe auszubrechen. Hast du mich verstanden?“
Der Knecht nickte: „Ja, Sönke, alles klar.“ Um in seinen Bart ergänzend hinein zu murmeln. „Moin...“.
Er stammte aus Eiderstedt, der Helfer auf dem Hof. Auf einem Gehöft in der Nähe Tatings aufgewachsen, hatte er die kleine Schule des Kirchspiels besucht. Bereits der Lehrer hatte seine liebe Not mit dem Knaben gehabt. Sein Bemühen, ihm Schreiben und Lesen zu vermitteln und die Kenntnisse durch aufgetragene Übungen zu vertiefen, hatter der Junge mit einem leisen „Ja...“ um dann anzufügen „aber erst Moin...“ quittiert.
So hatte er seine liebe Not mit den Geheimnissen der Schriftkunst, konnte gerade mühsam seinen Namen unter ein Papier setzen und überließ es anderen, sich die Weisheiten der Welt aus den schwarzen Lettern heraus zu lesen.
Es schien ihm nicht im Geringsten zu stören, dass ihn jedermann für dumm hielt, nur weil er in seiner unendlichen Trägheit alles auf den folgenden Tag verschob.
Der Pastor verzweifelte schier, als er ihm die Geheimnisse von Gottes Wort und der heiligen Kirche nahe bringen wollte. Leif hörte mit offenem Mund zu, wusste aber auf ihm gestellte Fragen zum Verständnis nur zu antworten: „Moin, Herr Pastor...“
Und nur weil alle Menschen im Kirchspiel Tating durch die Konfirmation in die Kirche aufgenommen wurden, und es bisher immer so war, durfte auch Leif vor den Altar des Herrn treten.
Danach ward es Zeit, in sein eigenes Leben zu treten. „Leif,“ hatten seine Eltern ihn gemahnt, „Du musst Dir nun einen Herrn suchen, um Dein eigenes Brot zu verdienen.“
„Ja,“ hatte der Sohn geantwortet. „Ich werde gleich mit der Suche beginnen.“ – Pause – „Gleich Moin...“
So hatte er den Weg zu Sönkes Haubarg gefunden. Und seinen Bauern in die Verzweiflung getrieben.
„Ich werde ihn aus dem Haus werfen“, hatte Sönke oft seiner Frau im Zorn zugerufen, um – geprägt durch den langjährigen Umgang mit seinem Knecht – sich selbst zu ergänzen: „Gleich Moin...“
„Eine Frau hätte ihm gut getan“, merkte Sönkes Weib einmal an. Der Bauer nickte dazu. Es gab einmal eine junge Deern, adrett im Äußeren, patent in der Bewältigung der Dinge des Alltags, freundlich im Wesen. Frauke, so war sie getauft, war Leif wohl zugetan. Zur Überraschung aller, die ihn kannten, entwickelte er sogar Eigeninitiative, kümmerte sich ohne ständige Mahnung um die Angelegenheiten seines Herzens.
Doch dann war der Zeitpunkt unausweichlich, zu dem sich junge Leute tief in die Augen sehen und einander die Frage beantworten, ob sie das Leben fortan miteinander teilen wollten.
„Leif“, so säuselte Frauke ihm ins Ohr, „könntest du dir vorstellen, mir die Frage zu stellen, die alle Frauen einmal hören möchten?“
Der junge Mann hatte seine Stirn gekräuselt und ebenso zart-romantisch zurück gesäuselt: „Ja, Moin...“
So waren die Jahrzehnte verstrichen. Leif war grau geworden. Aus dem faltigen Gesicht blitzen zwei müde Augen, sein krummer Buckel beugte sich wohl eher unter der Last der Jahre denn unter der Bürde eines harten Arbeitslebens.
Es lebten zwar nicht viele Menschen im Koog und Kirchspiel, aber jeder kannte Leif und seine Lebensdevise „Moin – Moin“. Die Kinder, trafen sie den Altknecht, liefen spottend hinter im her, klatschten vergnügt in die Hände sangen sein Motto. Gleich, wem er begegnete, unabhängig von der Tageszeit, ein jeder verzog sein Gesicht zu einem lästerlichen Schmunzeln und warf ihm fröhlich entgegen „Moin – Moin“.
Eines Tages, ihm war seit langem das Gnadenbrot zuteil geworden, saß er auf der Bank hinter dem großen Haubarg und genoss die Frühlingssonne, als sich ein Schatten zwischen ihm und den wärmenden Strahlen schob. Leif blinzelte durch seine halb geschlossenen Lider und gewahrte die große schwarze Gestalt. Obwohl er ihr noch nie begegnet war, umfasste ihn die Ahnung alter Menschen.
„Bist du der...?“ fragte er vorsichtig.
Das schwarze Wesen nickte. „Ich bin hier, dich zum Übergang zu begleiten. Du hast viele Sommer erleben dürfen. Nun hat das Schicksal beschlossen, den kommenden ohne deine Gegenwart verstreichen zu lassen.“
Leif nickte nur.
„Bist du bereit, die Reise an zu treten?“
Der Altknecht öffnete seine Lider ein wenig mehr. Die List blitze aus seinen Augenwinkeln.
„Ja, natürlich,“ entgegnete er, „Moin...“
„Was heißt Moin? Heute, genau genommen sofort, soll die Reise beginnen“ antworte der Schwarze.
Leif schüttelte ganz langsam den Kopf.
„Neee! Mein ganzes Leben habe ich immer ´Moin´ gesagt. Warum sollte ich dir etwas anderes antworten?“
„Du weigerst Dich also?“ grollte die dunkle Gestalt.
Leif zuckte mit den Schultern. „Frage doch die Leute im Koog, im Kirchspiel, frage sie in ganz Eiderstedt. Jeder wird dir beim Nennen meines Namens antworten: ´Moin´“.
So blieb dem schwarzen Mann nichts anderes übrig, als heimlich herum zu schleichen und sich umzuhören. In der Tat, überall in dieser Region hörte er, zu jeder Tageszeit, bei jeder Gelegenheit, das „Moin“.
Und immer, wenn er es in den folgenden Jahren erneut versuchte, den müden Leif zur großen Reise ab zu holen, wurde er von diesem mit einem „Ja, Moin...“ fort geschickt.
So erlebte der Altknecht noch viele Sommer und alle Menschen, die von ihm und seiner unglaublichen Geschichte erfuhren, grüßen seit dieser Zeit einander weise und klug mit
„Moin – Moin!“