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Moderne Melancholie

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13.03.2020
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Moderne Melancholie

Seine Haare wehten im Wind. Es war kalt auf dem Turm. Die Art Kälte, die kurz vor dem ersten Schnee herrscht. Wie eine beißende stechende Umarmung, die alle Wärme, alles Leben aus einem herauszieht. Er trug nur ein T-Shirt, das blaue mit dem Loch in der Brust. Aber es machte keinen Unterschied, er spürte nahezu gar nichts von der Kälte.

Die Worte seines Vaters hallten klirrend in seinem Kopf wider: „Ich kann das nicht mehr!“ Was zum Teufel konnte er nicht mehr? Jede Nacht betrunken nach Hause kommen? Seine Mutter anschreien? Ihn und seine Schwester ignorieren? Nun war er weg, bei einer anderen Frau, mit anderen Kindern. Zwei Mädchen, soweit er wusste. Sein Vater war weg und er war noch da, festgekettet. Alles was ihn in den letzten Jahren am Leben gehalten hatte, war der Gedanke nach dem Abschluss von hier wegzukommen, weit weg. Vielleicht ins Gebirge oder an die Küste oder noch besser, in eine Stadt, so groß, dass er darin untergehen konnte, niemandem auffiel. Aber nun war ihm klar, dass er vermutlich, wie der Großteil seiner Mitschüler hier in Medora, einer Vorstadt von Indianapolis, Hauptstadt der gepflegten Vorgärten und engstirnigen Menschen, ja seiner ganz persönlichen Hölle auf Erden, sterben würde. Denn irgendwer musste ja jetzt für seine Mutter und seine Schwester da sein. Was für ein Mensch würde sie jetzt allein lassen? Ein Mensch, wie sein Vater. Und so wollte er weiß Gott niemals werden.

Darum stand er jetzt hier, weit über den Dächern der Häuser, die Nase schon ganz rot vom kalten Wind. Ganz sicher nicht zum Springen, nein. Ganz davon abgesehen was für eine Sauerei das machen würde, wäre es schließlich auch nicht groß anders als die Koffer zu packen und weg zu fahren. Seine Mutter und Schwester auch im Stich zu lassen. Das war es nicht, wieso er hier stand. Wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht genau, was er da oben suchte. Vielleicht wollte er sich den Ort, an dem er nun wohl oder übel den Rest seines Lebens verbringen, verschwenden würde von oben ansehen. Vielleicht war er auch nur gekommen, weil er hoffte, 60 Meter über dem Boden, wieder etwas zu spüren. Ja, vielleicht hoffte er, das taube Gefühl, das er nun schon seit Tagen hatte, das bei dem man sich vorkommt, als würde man alles nur durch eine dicke Schicht Nebel miterleben, würde hier einfach vom Wind weggeweht. Aber so war es nicht. Der Nebel war noch da, schwer und kalt und unüberwindbar.

Ein letztes Mal ließ er den Blick über die Stadt schweifen. Da sah er es. Zwischen den Dächern und Kaminen, recht weit hinten, aber immer noch gut zu erkennen. Wände. Wände, die nicht grau oder weiß gestrichen waren, wie die restlichen in Medora. Sie waren bunt, voll mit Graffiti, die zwar schon ziemlich verblasst und zum Teil abgeblättert war, aber immer noch da. Genau wie er. Er war noch da.

Eine verlassene Fabrik, die geradezu darum bettelte, als Leinwand genutzt zu werden. Als Leinwand, an die er all die Orte projizieren konnte, zu denen er immer wollte, die er sich immer ausgemalt hatte. Er war vielleicht hier gefangen und konnte niemals zu ihnen reisen, aber sein Geist war frei, nicht eine Mauer um seine Gedanken, und so könnte er all die magischen Orte zu sich holen. Und er dachte an die noch nicht besprühten Wände der Fabrik und die noch halb vollen Sprühdosen in der Garage und an den Gesichtsausdruck von Mrs. Moor, wenn sie von Vandalismus in ihrem perfekten kleinen Städtchen hören würde. Und plötzlich spürte er sie. Die eisige Kälte, die ihn umgab und den Wind, der unter sein T-Shirt fuhr und ein Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.

 

Hola @Acton,

bevor ich Deinen aktuellen Text lese, hab ich noch Deine Spiegel-Geschichte studiert.
Über die will ich zwar heute nicht reden, doch merkte ich beim Lesen, dass Du, der Autor, Dir große Mühe gibst, dem Text auf die Sprünge zu helfen. Auch wenn die Spiegelei im KC zwischenlandete, hast Du nicht geschmollt, sondern weitergemacht. Yes, Mann!
Und jetzt zur Sache:

Es war kalt auf dem Türm.
... er spürte nahezu Garnichts von der Kälte.
gar nichts Aber: Er ist ein Garnichts.
Zwei Mädchen K soweit er wusste.
... untergehen konnte, Niemandem auffiel.
Ganz sicher nicht zum Springen, nein. Ganz davon abgesehen K was für eine Sauerei das machen würde, wäre es schließlich auch nicht groß anders K als die Koffer zu packen und weg zu fahren.
Wolltest Du tatsächlich klar machen, dass der Prota keinen nennenswerten Unterschied macht zwischen Todessprung und Reise-Reise? Bisschen verrückt oder unbeabsichtigt?
wegzufahren
Das war es nicht K wieso er hier stand.
Wenn er ehrlich war, ...
Besser Konjunktiv: Wäre er ehrlich ... Wenn er ehrlich wäre ...
von Oben
... weil er hoffte K 60 Meter über dem Boden, wieder etwas zu spüren.
ließ er den Blich

voll mit Graffiti, das zwar schon ziemlich verblasst
der oder das Graffito, die Graffiti

Warum das in Medora stattfindet, weiß ich nicht. Könnte auch Gott weiß wo sein.
Was ist das Besondere an Medora (außer dem schönen Namen:hmm:)?

... die geradezu darum bettelte K als Leinwand genutzt zu werden.
... Mauer um seine Gedanken K und so könnte er ...
... und so könnte er sich all die magischen Orte zu sich holen.

Eine verlassene Fabrik, die geradezu darum bettelte als Leinwand genutzt zu werden. Als Leinwand, an die er all die Orte projizieren konnte, zu denen er immer wollte, die er sich immer ausgemalt hatte.
Prima Idee.
Sicherlich könnte man noch dies und das am Text (quasi an jedem Text) verändern im Sinne von Verbessern, doch ist das oft subjektives Empfinden. Ich meine, Du schreibst gut – und wie es den Anschein hat, hast Du Feuer gefangen und wirst immer besser.

Bin gespannt auf Deine nächste Geschichte. Aber lass Dir Zeit.
Schöne Grüße!
José

 

Hi @Acton !

Kurz gesagt: very well done! Mir gefällt dein Text richtig gut. Du bringst die Gefühls- und Gedankenwelt des Protagonisten klar und deutlich rüber, ohne in unnötiges Monologisieren zu verfallen. Du skizzierst seine Familienverhältnisse kurz und prägnant, und ich konnte mich wahnsinnig schnell mit dem armen Kerl connecten. Dass die Geschichte in den USA spielt, hat mich ein wenig überrascht, aber letztlich ist die genaue geographische Verortung ja nicht wichtig (so gesehen könnte man sie vielleicht sogar weglassen). Es sei denn, du wolltest die Konstellation in einer längeren Geschichte weiterverarbeiten. Und ich muss sagen, dass mir der Gedanke gefällt. Du bringst so viele schöne Andeutungen rein, über seine Familie, über seine geplatzten Träume, über die Spießigkeit der Vorstadt, der er nun nicht mehr entkommen kann, weswegen er ihr mit der Spray Can den Kampf ansagt, eine Rebellion im Kleinen, aber doch für alle sichtbar, vor allem für Mrs. Moor. (Seine Lehrerin? Die Bürgermeisterin? Die Vorsitzende des Ortsverschönerungskomitees?) Das packt mich irgendwie gerade total, und ich würde sehr gerne noch mehr über das Leben des Protagonisten erfahren. So ist es erstmal "nur" eine kleine, hübsche Szene, die einen ersten Eindruck vermittelt, quasi wie ein Trailer der eigentlichen Geschichte. Aber in meinen Augen steckt da großes Potenzial drin. Einen Leser hättest du schon mal im Sack. ;)

Schöne Grüße
PtG

 

Hi @Acton !

Kurz gesagt: very well done! Mir gefällt dein Text richtig gut. Du bringst die Gefühls- und Gedankenwelt des Protagonisten klar und deutlich rüber, ohne in unnötiges Monologisieren zu verfallen. Du skizzierst seine Familienverhältnisse kurz und prägnant, und ich konnte mich wahnsinnig schnell mit dem armen Kerl connecten. Dass die Geschichte in den USA spielt, hat mich ein wenig überrascht, aber letztlich ist die genaue geographische Verortung ja nicht wichtig (so gesehen könnte man sie vielleicht sogar weglassen). Es sei denn, du wolltest die Konstellation in einer längeren Geschichte weiterverarbeiten. Und ich muss sagen, dass mir der Gedanke gefällt. Du bringst so viele schöne Andeutungen rein, über seine Familie, über seine geplatzten Träume, über die Spießigkeit der Vorstadt, der er nun nicht mehr entkommen kann, weswegen er ihr mit der Spray Can den Kampf ansagt, eine Rebellion im Kleinen, aber doch für alle sichtbar, vor allem für Mrs. Moor. (Seine Lehrerin? Die Bürgermeisterin? Die Vorsitzende des Ortsverschönerungskomitees?) Das packt mich irgendwie gerade total, und ich würde sehr gerne noch mehr über das Leben des Protagonisten erfahren. So ist es erstmal "nur" eine kleine, hübsche Szene, die einen ersten Eindruck vermittelt, quasi wie ein Trailer der eigentlichen Geschichte. Aber in meinen Augen steckt da großes Potenzial drin. Einen Leser hättest du schon mal im Sack. ;)

Schöne Grüße
PtG

Hi @PleasureToGrill,
vielen dank, ich freue mich wahnsinnig, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Das mit der sehr genauen Ortsbeschreibung stimmt natürlich, das war für eine Kurzgeschichte vielleicht nicht unbedingt nötig (der Ort ist mir nur als erstes eingefallen, als ich an die Typische Vorstadt gedacht habe :) ).
Nochmal vielen Dank für die Anmerkungen
Viele Grüße
Acton

 

Hola @Acton,

bevor ich Deinen aktuellen Text lese, hab ich noch Deine Spiegel-Geschichte studiert.
Über die will ich zwar heute nicht reden, doch merkte ich beim Lesen, dass Du, der Autor, Dir große Mühe gibst, dem Text auf die Sprünge zu helfen. Auch wenn die Spiegelei im KC zwischenlandete, hast Du nicht geschmollt, sondern weitergemacht. Yes, Mann!
Und jetzt zur Sache:

Es war kalt auf dem Türm.
... er spürte nahezu Garnichts von der Kälte.
gar nichts Aber: Er ist ein Garnichts.
Zwei Mädchen K soweit er wusste.
... untergehen konnte, Niemandem auffiel.
Ganz sicher nicht zum Springen, nein. Ganz davon abgesehen K was für eine Sauerei das machen würde, wäre es schließlich auch nicht groß anders K als die Koffer zu packen und weg zu fahren.
Wolltest Du tatsächlich klar machen, dass der Prota keinen nennenswerten Unterschied macht zwischen Todessprung und Reise-Reise? Bisschen verrückt oder unbeabsichtigt?
wegzufahren
Das war es nicht K wieso er hier stand.
Wenn er ehrlich war, ...
Besser Konjunktiv: Wäre er ehrlich ... Wenn er ehrlich wäre ...
von Oben
... weil er hoffte K 60 Meter über dem Boden, wieder etwas zu spüren.
ließ er den Blich
voll mit Graffiti, das zwar schon ziemlich verblasst
der oder das Graffito, die Graffiti

Warum das in Medora stattfindet, weiß ich nicht. Könnte auch Gott weiß wo sein.
Was ist das Besondere an Medora (außer dem schönen Namen:hmm:)?

... die geradezu darum bettelte K als Leinwand genutzt zu werden.
... Mauer um seine Gedanken K und so könnte er ...
... und so könnte er sich all die magischen Orte zu sich holen.

Eine verlassene Fabrik, die geradezu darum bettelte als Leinwand genutzt zu werden. Als Leinwand, an die er all die Orte projizieren konnte, zu denen er immer wollte, die er sich immer ausgemalt hatte.
Prima Idee.
Sicherlich könnte man noch dies und das am Text (quasi an jedem Text) verändern im Sinne von Verbessern, doch ist das oft subjektives Empfinden. Ich meine, Du schreibst gut – und wie es den Anschein hat, hast Du Feuer gefangen und wirst immer besser.

Bin gespannt auf Deine nächste Geschichte. Aber lass Dir Zeit.
Schöne Grüße!
José

Hola @Acton,

bevor ich Deinen aktuellen Text lese, hab ich noch Deine Spiegel-Geschichte studiert.
Über die will ich zwar heute nicht reden, doch merkte ich beim Lesen, dass Du, der Autor, Dir große Mühe gibst, dem Text auf die Sprünge zu helfen. Auch wenn die Spiegelei im KC zwischenlandete, hast Du nicht geschmollt, sondern weitergemacht. Yes, Mann!
Und jetzt zur Sache:

Es war kalt auf dem Türm.
... er spürte nahezu Garnichts von der Kälte.
gar nichts Aber: Er ist ein Garnichts.
Zwei Mädchen K soweit er wusste.
... untergehen konnte, Niemandem auffiel.
Ganz sicher nicht zum Springen, nein. Ganz davon abgesehen K was für eine Sauerei das machen würde, wäre es schließlich auch nicht groß anders K als die Koffer zu packen und weg zu fahren.
Wolltest Du tatsächlich klar machen, dass der Prota keinen nennenswerten Unterschied macht zwischen Todessprung und Reise-Reise? Bisschen verrückt oder unbeabsichtigt?
wegzufahren
Das war es nicht K wieso er hier stand.
Wenn er ehrlich war, ...
Besser Konjunktiv: Wäre er ehrlich ... Wenn er ehrlich wäre ...
von Oben
... weil er hoffte K 60 Meter über dem Boden, wieder etwas zu spüren.
ließ er den Blich
voll mit Graffiti, das zwar schon ziemlich verblasst
der oder das Graffito, die Graffiti

Warum das in Medora stattfindet, weiß ich nicht. Könnte auch Gott weiß wo sein.
Was ist das Besondere an Medora (außer dem schönen Namen:hmm:)?

... die geradezu darum bettelte K als Leinwand genutzt zu werden.
... Mauer um seine Gedanken K und so könnte er ...
... und so könnte er sich all die magischen Orte zu sich holen.

Eine verlassene Fabrik, die geradezu darum bettelte als Leinwand genutzt zu werden. Als Leinwand, an die er all die Orte projizieren konnte, zu denen er immer wollte, die er sich immer ausgemalt hatte.
Prima Idee.
Sicherlich könnte man noch dies und das am Text (quasi an jedem Text) verändern im Sinne von Verbessern, doch ist das oft subjektives Empfinden. Ich meine, Du schreibst gut – und wie es den Anschein hat, hast Du Feuer gefangen und wirst immer besser.

Bin gespannt auf Deine nächste Geschichte. Aber lass Dir Zeit.
Schöne Grüße!
José

Hi @josefelipe,
vielen Dank für deine Anmerkungen und die vielen Anregungen, ich werde versuchen sie so bald, wie möglich umzusetzen und den Text zu verbessern.
An dein Punkt mit meinem etwas komischen Vergleich (den, dass es keinen Unterschied machen würde, ob er springt oder wegfährt ) ist wirklich was dran. Mir ist selber gar nicht aufgefallen, dass das, so wie ich es formuliert habe, vielleicht ein wenig Merkwürdig rüberkommt. Mein Gedanke war eigentlich, dass es im Prinzip keinen Unterschied macht, ob er ins Auto steigt und in die Nächte Stadt flüchtet oder ob er sich stattdessen in den Tod flüchtet. In beiden Fällen lässt er seine Familie im Stich.
Nochmal vielen Dank für die hilfreichen Anmerkungen
Viele Grüße
Acton

 

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