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Mobiltelefone mucken auf
Das Geräusch des Sandes
Hektisch durchbrachen zwei helle, industriegenormte Lichtkegel tanzend die im Mondschein Silber schimmernde Landstraße, die geradezu stur ohne große Schlenker die kurze, seichte Abfahrt herab führte und in ein sich bis weit hinterm Horizont erstreckendes Wüstenareal mündete, das im schummrigen Glanz geradezu gespenstisch anmutete. Bisweilen unterbrach eine einsame, spärlich beleuchtete und zumeist defekte Telefonzelle die Monotonie der Wildnis und Cindy fiel es nicht schwer, sich auf die schmale Fahrbahn zu konzentrieren. Das einzige, was die Einöde barg, war die tödliche Langeweile, und Cindy dachte mit Schaudern an die erschreckenden TV-Berichte von wirklich bedauerlich verlaufenen Unfällen auf dieser Straße. Sekundenschlaf, plötzlich aus der Dunkelheit auftauchende Kojoten oder Trunkenheit am Steuer waren die häufigsten Ursachen und jeder, der hier Kautschuk auf den rissigen Asphalt setzte, war sich der latenten Gefahr bewusst, die versteckt wie ein wildes Raubtier im Wüstenstaub lauerte und nur darauf wartete, sich das nächste Opfer zu greifen.
Die schwüle Hitze lastete selbst zu fortgeschrittener Stunde, ein Blick auf das auf dem Beifahrersitz liegende Mobiltelefon verriet Cindy, dass es bereits kurz nach Eins war, immer noch drückend auf dem toten Asphalt. Müde kurbelte das Mädchen die blasse Scheibe an der Fahrerseite herunter und erhoffte sich durch den kühlen Wind etwas Erfrischung. Ungestüm pfiff er durch ihre langen, blonden Haare, und gestattete ihr in dem kleinen, blauen Ford ihres Vaters für einen kurzen Moment die faszinierende Illusion ein Cabrio auf der Route 66 Richtung Freiheit zu lenken.
Ihre Gedanken schweiften zurück an den vergangenen Abend. Alles war anders geplant gewesen. Ihr Freund Sam hatte nicht zu spät zu Johns Party, ihrem ältesten Cousin, kommen wollen und erst recht nicht mit dieser, wie hieß sie doch gleich, Sarah, eine verachtenswerte und stadtbekannte Dorfschlampe mit einschlägigen Absichten, im Arm. Cindy warf einen verächtlichen Blick auf den verstaubten Tacho. 45 Meilen pro Stunde zeigte die rote, dünne Nadel an, das war okay. Das Mädchen war zwar völlig nüchtern, aber etwas müde, und wenig daran interessiert an diesem Tag noch aus ihrem brennenden Auto zu krabbeln und den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.
»Cindy, darf ich dir jemanden vorstellen«, hatte Sam grinsend gefragt und ohne Antwort fortgesetzt, »das ist Sarah und wir lieben uns.«
Demonstrativ hatten sie sich einen langen, innigen Kuss gegeben und unsittlich berührt, bevor er weiter sprach: »Aber ich liebe auch dich, weißt du, und ich dachte wir könnten zu dritt...«
Weiter war Sam nicht gekommen, denn die überrumpelte Cindy hatte ihn mit einer mustergültigen Ohrfeige zum Schweigen gebracht, empört die Flucht ergriffen und war mit dem Ford davon gebraust, ohne auch nur einen sehnsüchtigen Blick zurückzuwerfen. Sam war in ihren Augen nur noch ein abstürzender Komet auf dem Weg ins Verderben und dieses Verderben hieß Sarah und damit verbunden war Sex, schlechter Sex. Fast 80 Meilen schnell war sie zu Beginn im Affekt gefahren, durch Eastcoast, Barkley und den anliegenden Nadelwald, hatte sich jedoch allmählich gemäßigt und schnurrte nun ruhig über die verlassene Fahrbahn.
Das Mädchen sah an ihrem wahrlich vorbildhaften Körper herunter, streifte mit dem rechten Zeigefinger ihr schwarzes, eng anliegendes Minikleid und attestierte ihren Beinen durchaus Modeltauglichkeit. Im Seitenspiegel, vorm Hintergrund der trostlosen Einöde, sah ihr Gesicht noch einmal ein wenig bezaubernder aus, als es ohnehin schon war und Cindy lächelte stolz. Kräftige, blaue Augen prahlten in Perfektion, eine in sanften Linien verlaufende Nase, eine feine Schmolllippe, blendadent-weiße Zähne und ein graziles Kinn zierten ihre Front und sie sah keinen Anlass dazu, Sams impertinenten Wunsch nach trauter Dreisamkeit nachzukommen, diesbezüglich fühlte sie sich zu schön und begehrt von allzu demonstrativen Männerblicken in ihrem Rücken, als dass sie aus einer eventuellen Typennnot heraus ihr nicht zusagende Dinge ausführte. Sie hatte solch ein hormonell bedingtes Experiment nicht nötig.
Ekel erfüllte sie bei dem Gedanken, mit einer fremdem Frau ihren Freund, vielmehr gesagt Ex-Freund, in knapper, schwarz glänzender Unterwäsche und Nylonstrümpfen an diversen Orten und Stellen sexuell zu stimulieren, dabei versehentlich gar zur überzeugten Lesbe zu werden und ein Kind adoptieren respektive eine Samenbank aufsuchen zu müssen.
Sie warf einen weiteren Blick auf ihr Handy. Scheinbar ruhig schlummerte es im weichen, weißen Polster, die schwarze, schlichte Hülle reflektierte das einfallende Licht und gab ihr das gewisse Gefühl, einen angenehmen Begleiter gefunden zu haben. Einen Begleiter, den die Eltern tatkräftig finanzierten, weil sie der Überzeugung waren, dass ein solches Mobiltelefon die zwischenmenschlichen Beziehungen förderte und da sie ihre Tochter möglichst schnell unter der Haube wissen wollten, beide wünschten sich nichts sehnlicher als ein süßes Enkelkind, kam ihnen das höchste Maß an technischer Errungenschaft gerade recht, wenn auch wenig kostengünstig.
Cindy überkam mit einem Mal das seltsame Gefühl ihren Begleiter berühren zu müssen und sie beugte sich vorsichtig herüber, um zärtlich über dessen glatte Haut zu streichen. Sie spürte dieses aufkommende sehnsüchtige Kribbeln nach mehr, als sie der kühlen Erotik der Plastikschale gewahr wurde, und sie riss es aus der ledernen Hülle, wählte erregt willkürlich unbekannte Telefonnummern, betrachtete den süßen Fratz inbrünstig von allen Seiten, führte ihn stöhnend über die Innenseite ihrer Oberschenkel in den brodelnden Intimbereich und war auf einmal schrecklich verliebt in diesen Technik gewordenen Prachtkerl.
Nein, er würde keine unanständigen, gar verbotenen Aktivitäten von ihr verlangen und immer zur Stelle sein, falls sie seiner Nähe und athletisch anmutenden Ästhetik bedurfte. Wenn sie körperliche Nähe suchte, ein prickelndes Liebesabenteuer im Swimmingpool, einen romantischen Abend am Kaminfeuer zu zweit oder den ermunternden Kuss am Montag Morgen vor der Schule. Und der Clou schlechthin war: Sie konnte ihn überall hin mitnehmen, ohne dabei übliche weibliche Überzeugungskünste walten lassen zu müssen. Dieser Mann folgte ihr willenlos ohne blödsinnige Fragen zu stellen.
Ihr fiel es nicht leicht weiterhin auf den vorbei huschenden Asphalt zu achten und sie zwang sich ihre Euforie in Schach zu halten. Schweren Herzens wollte sie das Handy wieder auf den Beifahrersitz zurücklegen, als plötzlich eine beharrte Tatze zwischen den zerberstenden Tasten hervor schoss und sich mit ihren scharfen Krallen in Cindys linker Hand fest bohrte.
Das Mädchen hatte keine Zeit ungläubig zu blicken und über Realität und Fiktion zu rätseln. Ihr durchdringender und durchaus realistischer Schmerzensschrei verhallte in der Abgeschiedenheit und das Mädchen versuchte verzweifelt mit der freien Hand die eindringende Kralle, die unermüdlich tiefe Spuren hinterließ, zu lösen. Ohne sichtbaren Erfolg. Jedes Ziehen rief nur mehr Leid hervor, der Wagen schlingerte bereits bedenklich fiebrig über die Fahrbahn und Cindy hoffte auf gebührenden Mangel an Gegenverkehr. Allzu bald ereilte sie jedoch die Erkenntnis, dass sie auf diese Weise zu keinem Erfolg kam und sie ließ mit der nicht betroffenen Hand von der haarigen Gefahr ab, um die Fahrt des Wagens zu korrigieren, als geradewegs eine zweite Tatze aus dem Handy entsprang und sich an eben diese noch freie Hand klammerte. Cindy versuchte krampfhaft die Hand am Steuer zu halten, während sie in regelmäßigen Abstand durchringende Schmerzensschreie ausstieß, wollte dann aber in Panik auch diese Pranke abschütteln und nahm aus diesem Grund auch die rechte Hand vom Steuer.
Tiefrotes Blut quoll aus den tiefen Kratzspuren an den Fingerknöcheln, rann genüsslich in kleinen, verzweigten Flüssen über die Unterarme und tropfte am Ellbogen auf ihr neues Kleid. Sie war sich nicht im klaren darüber, was ihr mehr nächtliches Kopfzerbrechen bereiten sollte. Immerhin, sie hatte für dieses aufreizende Outfit ein Vermögen hingeblättert und zu diesem Zweck drei Monate lang mit einem höchst sympathischen Lächeln in einem fetttriefenden Schnellimbiss fremde Menschen an maroden Holztischen bedient.
Das Mädchen war verloren. Der Wagen kam ohne angemessene Kontrolle nur allzu rasch von der Straße ab, stellte sich alsbald im stumpfen Wüstensand quer und überschlug sich scheppernd einige Male, bis er wie ein Käfer regungslos auf dem Dach liegenblieb. Das einzige, was sich noch bewegte, waren die unversehrt gebliebenen Räder. Beinahe wehleidig produzierten sie ein spitzes, zerreißendes Jammern. Ansonsten, Stille.
Nur das Geräusch des aufziehenden Windes, der erste Sandkörner schwerfällig in die Höhe trieb.