Mixy
Mixy war immer ein treuer Begleiter gewesen. Wie ein bester Freund, oder ein Ehepartner, ja wie ein Vater.
Ein Leben ohne ihn war für mich einfach unvorstellbar geworden, wir teilten jede Minute unserer Leben miteinander.
Morgens wenn ich aufwachte, kam er in mein Bett gehuscht, machte es sich auf meinem Bauch gemütlich und wir schlummerten noch ein paar Minuten vor uns hin.
Zum Frühstück stellte ich ihm jeden Morgen ein Schüsselchen Milch auf den Boden und ließ ihm immer ein paar Krümel meines Brots runterfallen, die er dann begierig aufschleckte und mich danach glücklich anmiaunzte.
Wir waren ein perfekt eingespieltes Team und manche Tage nahm ich ihn sogar mit in die Stadt. Vorsichtig verstaut in meiner Tasche, den Kopf an die Luft steckend, beobachtete er das Geschehen um sich herum.
Natürlich gab es neugierige, ja sogar verächtliche Blicke von allen Seiten, aber das war uns egal. Wir lebten unser Leben als Einheit und ließen uns durch niemanden davon abhalten.
Umso komischer ist es, dass sich unsere Wege nun trennen sollen.
6 Jahre kennen und lieben wir uns nun bereits und manchmal bilde ich mir ein, er miaue meinen Namen.
„Miau! Miau! Mick! Miau!“
Mick und Mixy, ja wir waren sogar von unseren Namen her ein eingespieltes Team.
Ich weiß noch, wie ich Mixy klein und ausgehungert in einem Straßengraben entdeckt hatte, es war auf dem Heimweg von einer meiner Sitzungen. Sein Miauen war so schwach und kläglich, dass ich es beinahe überhört hätte. Oh wie froh bin ich, dass meine Ohren in jenem Moment Alarm schlugen! Wie froh, dass ich die Bekanntschaft dieses liebenswerten, kleinen Fellknäuels machen durfte!
Aber wie soll es weitergehen, wenn wir nun nicht mehr zusammen leben können? Ich hatte nie über diese Möglichkeit nachgedacht, es gab für mich nur das Miteinander, nur den Augenblick! In diesem Genießen des Moments hatte ich die Zukunft aus dem Blick verloren. Wie konnte ich… wie geht es weiter?
War es ein Zeichen, dass ich Mixy abgemagert und schwach an dem Tag fand, an dem ich die Nachricht bekam, mein Lungenkrebs habe sich zurückgebildet? War es ein Zeichen, dass Mixy ab diesem Tag an in meiner Gegenwart wuchs und stärker wurde? Sein Miauen lauter und meine Worte leiser wurden? Es war mir nie in den Sinn gekommen, aber hatte ich diesem zerbrechlichen Geschöpf einen Teil von mir einverleibt, den es nun für sich beanspruchte? Hatten meine Mühe und mein Ehrgeiz, dieses Wesen aufzupäppeln, dazu geführt, dass ich meine Bedürfnisse in den Hintergrund stellte, gar vergaß?
Jetzt lieg ich hier, angebunden an viele Geräte, dessen Sinn ich leider nie verstehen werde, dessen Geräusche mich in einen ständigen Halbschlaf wiegen und mich jeglicher Rationalität berauben. Fantasiere ich bloß und entwickelt mein Gehirn bloß wirre Geschichten über Mixy, weil er mein Leben mit Sinn füllte, mein zweiten Lebens nach der Diagnose war?
Mit ihm begann mein zweites Leben und mit dem Gedanken an ihn soll es nun enden.
Ich beschließe, ein letztes Mal aus dem Fenster zu schauen, ein letztes Mal den blauen Himmel zu sehen. Er kommt mir grauer vor als gestern.
Ich richte meinen Kopf nach oben, fühle meinen schwachen, dünnen Körper auf der Matratze des Krankenhausbettes und schließe die Augen.
Ich merke, wie mich ein unsichtbarer Faden aus dem Bett zu heben scheint. Jetzt ist es soweit, Mixy. Du bist allein, es tut mir leid. Aber ich gab dir meine Kraft. So wie ich vor unserer Bekanntschaft ein abenteuerliches Leben geführt habe, so wirst du es mir nun gleich tun.
Ich merke wie ich fortdrifte, als ich etwas höre.
Ein Miauen.
Mit letzter Kraft öffne ich die Augen und richte meinen Blick zum Fenster.
„Mixy“, stöhne ich mit letzter Kraft und sehe wie der Kater auf der Fensterbank zu verschwimmen beginnt.
Mit dir begann mein zweites Leben und mit dem Gedanken an dich soll es nun enden.