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Mittwochs ins Paradies
Es war wieder einer dieser Tage , wo Tom am liebsten die ganze Welt in Brand gesteckt hätte. Diese Anwandlungen hatte er in letzter Zeit wieder öfter , sein Psychiater hatte ihm , mit doch etwas besorgter Mine erklärt , dass es für einen Jugendlichen in seinem Alter „relativ normal“ sei sauer auf die Welt zu sein. Das war jetzt mittlerweile über 2 Jahre her. Das einzige was er aus seinen wöchentlichen Besuchen bei Dr. Freud gelernt hatte war das ihn wirklich niemand auf dieser gottverdammten Erde verstand. Er hatte die Therapie seit genau vierzehn Tagen und vier Monaten nicht mehr besucht und er fühlte sich gut. Seine Mutter wußte nichts davon und solange kein Anruf oder Brief von Dr. Freud in sein Elternhaus gelangen würde , würde er sie auch in dem Glauben lassen , daß er sich jeden Mittwoch in die Therapie begeben hatte. Heute war leider Mittwoch.
Er saß auf einer Parkbank und blickte nervös auf seine Uhr , 14:15 , noch eine Stunde , „Scheiße !“. Er würde die Stunde warten müssen , um von seinem vorgetäuschten Seelenklempnerbesuch zurückzukehren. Tom haßte es zu warten , es gab ihm die Möglichkeit über sein Leben nachzudenken. Egal wie sehr er sich auch zwang in eine andere Richtung zu denken er kam immer zu dem Schluß . daß seine Leben ein Haufen Scheiße war. Er hatte mal versucht sich dieses Bild von der Seele zu malen. Sein „Kunstwerk“ hatte Aufsehen erregt , das war nicht der Punkt , aber das Geld das seine Mutter zahlen mußte um sein Bild von der Frontseite des Hauses seiner Mathematiklehrerin zu entfernen , hatte nur zu neuerlichen innerfamiläreren Problemen geführt. Seine Mutter hatte mittlerweile drei Jobs um die „Familie“ (sie bestand nur aus ihr und ihm) über Wasser zu halten , sein Vater war kurz nach seiner Geburt , aus ihrer beider Leben getreten , er hatte ne Jüngere. Tom wußte es hatte eine Bedeutung für sein Seelenheil , dass er ohne Vater aufgewachsen war , aber er hatte keine Lust sich selbst zu analysieren und hatte sich dazu entschieden sich einzugestehen das es ihn zwar beschäftigt aber , dass sein Vater es nicht Wert wäre , einen Komplex davonzutragen. Er beschloß eine zu rauchen , es war Teil seines Projektes systematische Selbstzerstörung , aber irgendwie ging es ihm zu langsam. Klar auch er hatte schon mal über Selbstmord nachgedacht , jeder Mensch hat mal solche Phasen , davon war Tom überzeugt , aber es auch wirklich zu tun , daß war ein ganz anderes Kalieber. Wie oft hatte er sich schon ausgemalt wie er es anstellen würde. Das Fernsehen hatte ihm schon unzählige Male aufgezeigt , wie man es machen müßte. Aber nach unzähligen Recherchen im Internet hatte er herausgefunden , daß die Fernsehmacher alle absolut keine Ahnung hatten. Sich die Pulsadern horizontal aufzuschneiden hatte zwar irgendwie einen melodramatischen Touch , war aber vollkommener Schwachsinn. Ein guter vertikaler Schnitt würde mehr Blut entweichen lassen und würde die Chance seine Ziel auch zu erreichen beachtlich steigern. Die absolute Sicherheit aber würden der Schnitte am Hals bieten , ohne Carotis würde er hundertprozentig im Jenseits landen.
Tom öffnete seine schwarze Umhängetasche und fand zwischen Mao-Fibel und Ghandis-Autobiographie , das Objekt seiner Begierde , ein altes Armeemesser , es hatte früher einmal seinem Opa gehört und hatte „damals“ im Krieg schon einigen Feinden Deutschlands die Kehle durchtrennt , wie er bei den unzähligen Familienfesten immer wieder zu hören bekam.
Es hatte einen Grund warum er gerade dieses Messer für seinen Selbstmord benutzen wollte , es hatte bereits Blut vergossen , er wußte nicht warum , aber es würde die Sache für ihn leichter machen. Er wollte mit dieser Retro-Nummer keinesfalls den National“sozialismus“ gutheißen noch irgend etwas was mit Nazideutschland zutun hatte. Das einzigste was er und Hitler gemeinsam hatten war , daß sie beide Vegetarier waren und wahrscheinlich beide Selbstmord begangen haben oder bald würden und das war der EINZIGE Grund der Tom zwang am Leben zu bleiben. Es war schon schlimm genug etwas mit Hitler gemeinsam zu haben aber ein Selbstmord war doch etwas sehr essentielles. Er wollte nicht ins Jenseits eingehen als jemand der soviel mit diesem Schwein gemeinsam hatte. Es hätte sich nicht gut auf seine Chancen ausgewirkt ins Paradies zu kommen. Trotzdem nahm Tom jetzt einen kleinen Messerschärfer aus seiner Tasche und begann das Messer zu schärfen. Wie jeden Mittwoch.
Demian , er wußte immer noch nicht warum seine Eltern gerade ihm einen so ausgefallenen Namen gegeben hatten , er war eigentlich ziemlich normal , wenn man es genau betrachtete war er sogar sehr normal. Er war geldgeil , na und ? , wer in der heutigen Zeit die Macht des Geldes nicht erkannt hatte , sollte sich besser sofort einsargen lassen. Demian hing sein Jackett über die Lehne seines Bürosessels und fing an zu arbeiten. Aber irgendwie kam er nicht richtig in Schwung , das Mittagessen war wohl doch etwas zu hastig heruntergeschlungen worden , aber er hatte keine Zeit , er hatte nie Zeit. Es war jetzt schon 14:30 wie er nach einem kurzen Blick auf seine Rolex bemerkte. Er arbeitete jetzt mit seinen gerademal neunzehn Jahren in der Firma seines Vaters , als Abteilungsleiter. Gar nicht schlecht für jemanden der das Abitur nur mit hängen und würgen hinter sich gebracht hatte , müßte er sich selbst eingestehen. Er klappte die Zeitung auf und begann den Wirtschaftsteil der Zeitung zu lesen , den Rest warf er in seinen übervollen Papierkorb. Was für eine Sauerei seine Aktien waren ins Bodenlose gestürzt , es wäre nun ja nicht so das er nun arm wäre , aber so etwas konnte einem echt den Tag vermiesen. Er zerriß die ohnehin schon dezimierte Zeitung und verteilte die Schnipsel im Raum. Er brauchte Ablenkung. Deshalb und vielleicht auch aus lauter Boshaftigkeit schrieb er eine Kündigung für seine eigens für ihn angestellte Putzfrau. Wenn sie sein Büro nicht sauber halten konnte , mußte sie halt verschwinden. Jetzt war ihm erst recht nicht mehr nach arbeiten zu Mute. Er zog sein Jackett an und verließ sein Büro , seine Vater würde es verstehen , er hatte für alles Verständnis. Gerade als er die Tür hinter sich geschlossen hatte , kam Frau Burger , mit einem Staubsauger bewaffnet , ihm entgegen. Bevor sie Guten Tag sagen konnte drückte er ihr die Kündigung in die Hand und schrie sie an , sie solle sich doch einen Job suchen der sie nicht überfordere. Seine Laune hatte sich schlagartig verbessert. Er hatte den Nachmittag frei , er hatte wieder mal gezeigt was für ein großartiger Mensch er war und das beste war er hatte die Aktien zwar nicht vergessen aber verdrängt. Er hatte Lust auf einen Spaziergang im Park.
Tom hatte Durst , also stand er auf und ging zum Kiosk , wie jeden Mittwoch. Und wie jeden Mittwoch flaxte er ein bißchen mit dem Budenbesitzer herum , ein Althippie , wie Tom bereits nach dem ersten Gespräch mit ihm festgestellt hatte. Er bestellt eine Kapitalistenbrause und wartete. Die guten Kunden , und Tom war einer , bekamen ihre Getränke aus dem Kühlschrank der weiter hinten im Laden stand. Tom’s Blick streift über die Auslage , FAZ , Ruhrnachrichten , diverse Frauenmagazine , von denen Tom stolz behaupten konnte noch kein einziges gelesen zu haben , und natürlich die Bildzeitung. Er fragte sich warum ein Althippie dieses Blatt ausliegen hatte , wo die 68er doch nie den Frieden mit Springers Bild der Welt finden konnten. Er überflog die Überschriften „Die Affäre-Friedmann ! Jetzt redet ein Freund !“ , „Katzenmenschen , die neue Überrasse ?“ und etwas das ihn schlucken ließ , „Neue Aufzeichnungen Hitlers gefunden , doch kein Selbstmord ?“ Tom wußte das die Bildzeitung keine vertrauliche Quelle ist , aber es brachte ihn zum nachdenken. Was zur Hölle war eigentlich so schlimm daran sich das Leben zu nehmen , diese bescheuerte Ausrede nicht so wie Hitler sein zu wollen. Er war nicht wie Hitler , er hatte nie den Holocaust befohlen , versucht Europa zu überrennen oder ähnlich beschränkte Reden gehalten. Das war nichts weiter als ein letzter verzweifelter Versuch seiner Seele sich ans Leben zu klammern. Er hatte einen Entschluß gefaßt , wenn er es heute nicht zu Ende bringen würde , würde er es nie tun. Plötzlich blickte er hoch , er hatte etwas entdeckt. Und außerdem noch etwas zu erledigen. Die Cola war jetzt ohne Bedeutung , dies war nicht wie jeden Mittwoch.
Demian wollte sich gerade auf eine Parkbank setzen als sein Blick auf ein altes Armeemesser und einen Messerschärfer fiel , der Finder darf es behalten war immer sein Motto gewesen , also hob er das Messer auf und betrachtete es genauer. Es kam ihm irgendwie bekannt vor , aber er konnte sich nicht genau erinnern warum. Er steckte das Messer in seine Hosentasche und ließ den Schärfer liegen. Irgendwie hatte er keine Ruhe mehr , etwas war in ihm erwacht und er wußte nicht genau was. Plötzlich schossen ihm Bilder aus seiner Kindheit durch den Sinn , er stand mit seinem Opa und einem anderen Jungen dessen Gesicht wie hinter einem Schleier verborgen war an einem Baum und sie schnitzten ihre Initialen in die Rinde. Er erinnerte sich wieder an Bruchstücke des Gespräches „Vergiß nie wer du bist !“ hatte sein Opa zu ihm gesagt. Langsam kam die Erinnerung an diesen Tag wieder in sein Gedächtnis , er wurde ganz früh am Morgen von seinem Opa abgeholt als sein Vater noch geschlafen hatte. Sie hatten noch den anderen Jungen abgeholt und waren zu der großen Eiche im Stadtpark gegangen. Er ging los , er wollte sich erinnern. Wer zur Hölle war der andere Junge und warum hatte er das Messer seines Opas gefunden , er war sich sicher das es sein‘s war. Er war sich sicher. Verdammt , er glaubte nicht an Zufälle , er war Kapitalist.
Tom sah ihn schon von weiten , endlich dachte er , er hat es doch geschnallt.
Demian näherte sich dem Baum und war so in Gedanken versunken , daß er die Gestalt die vor dem Baum erst wahrnahm als sie ihn ansprach. „Na wie geht’s Bruderherz ?“ Er blickte hoch und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Bruderherz ? Kein Zweifel der Typ am Baum sah aus wie er , bis auf die langen Haare , die vergammelten Klamotten und die überdeutliche Blässe im Gesicht. Der Junge aus seiner Erinnerung.
Tom genoß den Augenblick des Wiedersehens und das unglaubliche Gefühl der Überlegenheit beim Anblick der Angst in Demians Augen. „Setz dich ! Wir müssen reden !“ befahl er und machte eine einladende Handbewegung. Demian setzte sich und zum ersten Mal in seinem Leben war er unsicher. “Wo soll ich anfangen ?“ , fragte Tom mit verschmitztem Lächeln. Demain antwortete nicht , er hatte nie ein Problem gehabt sich im Spiegel zu betrachten , aber so ?
„Gut , ich sehe du bist ein wenig irritiert.“ , der Spott in Toms Stimme war nicht zu überhören. Demian glotzt ihn mit gläsernen Augen an . „Ich sehe , daß wird ein sehr einseitiges Gespräch werden , was anderes bin ich eh nicht gewöhnt , ist die jahrelange Therapie Erfahrung. Es begann alles damit das unsere Eltern sich trennten , einer von uns war damals schon auf der Welt , aber gerade erst ein paar Monate alt. Der Streit ums Sorgerecht begann , ich weiß nicht wie sie auf diesen verrückten Gedanken kamen aber sie entnahmen einem von uns Stammzellen und begannen daraus ein Brüderchen zu basteln , so das niemand auf das Kind verzichten mußten.“ „Woher willst du das wissen !“ , schrie Demain im flossen die Tränen übers Gesicht. „Unser Opa hatte uns beide einmal abgeholt und uns zu diesem Baum geführt , wo er uns beiden die Wahrheit erklärte , wir begriffen damals nicht.
Aber er steckte auch jedem von uns einen Brief zu in dem die Wahrheit stand. Als ich nach Hause kam versteckte ich den Brief , aber du warst wahrscheinlich so schlampig und hast ihn in deiner Hose vergessen , das unser Vater ihn gefunden hat. Seitdem wurde unserm Opa verboten dich zu sehen. Bei mir erschien er immer regelmäßig zu Familienfesten und so weiter , den Vater unserer Mutter totschweigen war wohl doch nicht so einfach für Mama.
Aber wir verloren nie ein Wort über den Brief oder jenen Tag an dem Baum.
Kurz bevor er starb gab er mir sein Messer und erinnerte mich an den Brief. Ich machte mich auf die Suche nach dir , vergebens. Bis ich dich vor einer Woche sah , ich folgte dir und sah was für ein Leben du führst. Wir hätten doch beide die selben Grundlagen bekommen sollen , ist es fair das dein Leben so viel besser ist als meins ?“ Demian hatte sich wieder im Griff und schaute auf seinen Bruder der die letzten Worte mit soviel Haß herausgestoßen hatte wie er es noch nie zuvor von einem Menschen gehört hatte. „Wir sind unser eigens Glückes Schmied .“ , sagte Demian , er wußte selbst nicht warum er es gesagt hatte , aber es erschien im passend. Tom fing an in seiner Tasche zu kramen und holte ein Päckchen Zigaretten hervor und fing an zu rauchen. „Eben nicht , als ich gestern nach Hause kam , war Mutter so betrunken , dass sie anfing mir einige Fragen zu beantworten , ich erfuhr , daß einer von uns genetisch optimiert wurde , man hatte ihn mit einer gesteigerten Intelligenz versehen , daß war wohl das letzte große Symptom des Konkurenzkampf der Beiden.“ Er lachte verbittert. „Ich möchte nicht als ein minderwertiges Produkt weiterleben. Warum erhielt ich nicht dieses Geschenk ?“
Es vergingen unzählige Minuten bis sich einer der Brüder bewegte , Tom war aufgesprungen und hatte mit einer schnellen Bewegung , daß Messer aus Demians Tasche gezogen und sich die Pulsadern aufgeschnitten , horizontal , es sollte reichen.
Demian hielt noch lange den Kopf seines mittlerweile verbluteten Bruders , sie hatten bis zu seinem Tode nicht mehr miteinander gesprochen. Demian legte seinen Bruder auf die Bank und schloß seine Augen. Er saß noch lange vor dem Baum und überlegt was ihn dieser Tag gelehrt hatte. Sollte er wirklich ein Klon sein , nichts weiter als eine Kopie , zwar verbessert aber nicht natürlich , nicht im Einklang mit der Welt. Alles was er bisher geglaubt hatte über sich selbst zu wissen war heute in Rauch aufgegangen , wie sollte er so weiterleben ?
Als der Himmel sich von der Abendsonne rot färbte , hatte Demian seine Kampf gegen das Gift verloren das an diesem Tag in seine Gedanken gepflanzt wurde.
Oberkommisar Herbst schnipste seine Zigarette unachtsam ins Gras und bahnte sich seinen Weg durch die Presseleute , alles Geier , und duckte sich unter dem Absperrband hindurch. „Wer waren die Toten ?“ , fragte er den Polizisten der zuerst vor Ort war. „Tom Wagner und Demian Gerber.“ „Bitte ? Zwillinge mit unterschiedlichem Namen ?“ „Und unterschiedlichen Geburtsdaten.“ , fügte der Beamte hinzu. „Der junge Mann im Anzug war dreizehn Monate jünger !“ Herbst ordnetet eine Genanalyse an und legte den Fall recht schnell zu den Akten , aber dieser Fall würde ihm immer im Gedächtnis bleiben , als Anfang der Klonselbstmorde.