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Mittwochmorgen
Mittwochmorgen
Was ist das für ein Gefühl, zu wissen dass der Wecker dich aus dem Schlaf geklingelt hat, aber dass ich den ersten Ton bereits im vollen Bewusstsein miterlebt habe. Das ist für mich ein gutes Zeichen. Mein Bewusstsein. Es funktioniert noch. Ich lebe, ich fühle, ich atme, ich bin einfach wieder ein Mensch. Die Sonne strahlt hinter den Vorhängen durch. Auch sie lebt und strahlt. Schön. Das Fenster ist verschlossen, kein Wind, keine Frischluft. Mir ist heiß unter meiner Decke. Ich dreh mich auf meine kühle Seite. Eins. Zwei. Drei. Mir ist wieder warm. Ich leg mich auf die andere Seite zurück. Es bringt doch nichts. Ich schaffe es nicht. Langsam hebt sich mein Oberkörper in Richtung Deckenbelichtung. Nun befindet sich mein Gehirn höher als mein Schwanz. Keine gute Idee. Der Kreislauf spielt sein Spiel und mein Blut läuft logischerweise in Körperbereiche, auf deren Aktivitäten ich momentan noch keine Lust habe. Wird schon wieder sage ich mir in Gedanken. Ich strecke meine verbliebenen Glieder und sammle ein wenig Wachheit in mich hinein. Ob das hilft? Immerhin ausreichend genug, um mich nicht wieder auf mein Kissen zurückfallen zu lassen.
Gestern war es nett. Wir waren weg, aus, mal wieder abschalten, sich ablenken lassen.
Vielleicht ist mir ja doch ein wenig nach Absaften zumute. Druck abbauen, klar denken. Aber das Danach ist es mir nicht wert: ermüden, einschlafen, erneut aufwachen, gleich wieder Druck. Ich rolle meine Beine über die Bettkante. Ein langer Weg bis dorthin. Fast mein halber Körper. Ein großes Bett. Verspielt und leer.
Ich stehe. Das reicht. Ich bewege mich Richtung Bad. Tür zu, Schlüssel rum. Warum? Bin doch alleine. Deckel hoch, Wasser raus. Das ist zwar nicht so schön, aber den Druck nimmt es auch weg. Dabei schaue ich in den Spiegel. Wohin auch sonst? Die Ringe unter meinen Augen signalisieren: zu wenig Schlaf für dein Alter. Welches Alter? Ich bin jung. Ein Fluglotse hätte trotzdem Kollisionswarnung gegeben. Kollision mit der Sünde. Scheiße, denke ich, mache es aber nicht. Die Haare stehen fettig kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen orthogonal zur Kopfhaut. So hätte ich als Jugendlicher gerne ausgesehen, aber damals war meine Frisur noch zu ausgedünnt zum hochgelen. Und heute muss ich dafür nur eine Runde schlafen und sehe prima aus. Fuck, stimmt doch nicht. Mein Bartwuchs bringt mich noch ins Grab. Zu schnell und zu ungleichmäßig. Rasieren kann ich mich nicht. Ich blute jedes Mal. Ich habe es schon mit Rasierapparaten geschafft, meine Gesichtshaut zu filetieren. Und Kopfwunden bluten bekanntermaßen besonders stark. Rasieren, so nehme ich mir vor, fällt heute Morgen flach. Das macht ganze fünf Minuten weniger.
Unter der Dusche brauche ich morgens 20 Minuten, immer. Damals habe ich auch mehr als 30 geschafft, aber dafür musste ich alleine in der Wohnung sein. Keine Störung, einfach Wasser marsch und das Gefühl der Wärme auf meinem Rücken genießen. Ich drehe zuerst den Heißwasserstrahl auf. Im Anschluss ganz fix ein wenig kaltes, klares Wasser dazu. Meine Würzmischung. Anders herum hätte es mir einen Kälteschock verpasst und der Tag wäre out-of-business. Ich könnte mich einseifen, aber im Moment denke ich zu viel um es nicht tun zu müssen.
Ich wünschte, du wärst gestern mitgekommen. Ohne dich ist es nur halb so lustig. Sehen und gesehen werden. Andere beobachten. Ablästern. Freakshow live. Willkommen in der Welt der Tiere und der menschlichen Sensationen. Dein Thema. Mir hatte die blonde Bombe in ihrem Karo-Mini-Rock ja gefallen, aber du hast es tatsächlich noch fertiggebracht, eine Bemerkung zum Besten zu geben. Uns geht doch auch irgendwann der Stoff aus, der zum Lästern meine ich. Ich überlege, ob mich unter fließendem Wasser rasieren soll. Nicht im Gesicht, aber Bauch/Brust/Becken waren erst gestern überfällig geworden. Dir zuliebe. Auch wenn du es natürlich nicht merken konntest. Ich glaube nicht. Ist nicht gut für meine Haut.
Fertig. Mein letzter Griff nach meinem Badetuch. Ich brauche Trockenfläche, ich kann mit kleinen Handtüchern nichts anfangen. Sollte ich, wider aller Umstände, einmal einen Tag erwischt haben, an dem ich mich morgens noch dergleich anschaubar gehalten habe, dass ich zumindest meinen Mülleimer unbesorgt entleeren konnte, so fühle ich mich spätestens nach meiner Duschorgie wie eine Feuerqualle gekreuzt mit einem LKW-Reserverad.
Essen. Fressen. Lieben. Sterben. Das schlimmste sind die Phasen dazwischen. Ansonsten sind sie alle gleich. Leider befand ich mich gerade in einer solchen Zeit. Ich wünschte ich wäre tot. Nein, bin ich noch nicht. Will ich auch gar nicht sein. Ich will nur in Ruhe weitermachen können. Aber wir müssen uns ja ständig wiedersehen. Ohne dich. Das ging ganz gut. Einfach Leute sehen und beobachten. Mit dir aber auch. Was wäre mit dir passiert? Wir hätten Spaß gehabt. Kennenlernen, abchecken, sich eine Chance geben. Fair sein. Aber du wolltest nicht. Dir war ja nicht danach. Also ohne dich. Nicht zum ersten Mal aber jetzt endlich zum letzten.
Morgengrauen. Ein blassrosafarbener Maihimmel. Gezwitscher und Gezirpe irgendwo.
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eigentlich unvollendet, aber vielleicht gerade deshalb mit einer gewissen Direktheit behaftet