Mitleid
Das warme Nass prasselt auf meinen entspannten Körper. Ich denke nach, wie immer unter der Dusche - die Gedankentropfen sind zuviel. Ich vergleiche mein Leben oft mit dem eines Film-Charakters. Mein Leben ist auch nur Show. Ich täusche ein perfektes Leben vor. Gefühle spielen keine Rolle. Gut, denn ich fühle nichts. Die Hitze des Wassers lässt meine Haut dampfen. Ich fühle an meine Wange, Kälte. Ich habe angefangen mein Leben in Kategorien einzuteilen. Familie – Freunde – Schule – die Liebe. Ich versuche in jedem Bereich das beste Maß zu erreichen. Ist das nicht traurig? Wie kann man Liebe als Kategorie einordnen? Ich will ein Leben, wie einer der Filmstars: Viele Freunde, auf die man sich verlassen kann, eine Familie, die hinter einem steht, Erfolg im Beruf oder in der Schule, eine Partnerin, die einen unterstützt. Aber nur damit ich gut dastehe. Ich freue mich, wenn andere eifersüchtig sind. Sitze ich mit meiner Freundin auf einer Bank, gucke ich nur, ob mich jemand ansieht. Säße ich alleine mit ihr da, wäre die Aktion sinnlos oder? Wie gesagt, der Schein ist wichtig - wichtiger als Gefühle. Ich wäre nur freundlich zu ihr, damit ich zu anderer Zeit mit ihr angeben kann, den Schein erwecken kann, die Eifersucht bei anderen Menschen. Ich habe keine Gefühle wie Liebe oder Freundschaft. Ich will einfach nur, dass es so scheint, dass mein Leben perfekt ist. Schein. Ein einzelnes Wort, welches mein Leben beschreibt. Ich lege mich in die Wanne und blicke an die Decke, wo sich die Kacheln drängen. Sie sind alle gleich. Wie die Menschen, sie wollen alle das Gleiche: Liebe, Freunde, Erfolg. Ich fühle mich oft überlegen gegenüber meinen Mitmenschen. Ich denke ich weiß, was jeder will. Ich glaube zu erkennen, was sich hinter der Fassade versteckt, die Gedanken und Absichten zu entdecken.
Ich entsinne mich und rede mir ein, dass ich mir wieder zu viele Gedanken mache und es nicht stimmt, dass ich keine Gefühle empfinde. Doch wen belüge ich? Mich selbst. Traurig. „Der Mensch ist das, was er sich einredet“, pflege ich immer zu sagen. Das tue ich auch. Ich versuche alles zu haben um dann glücklich zu sein. Mein Leben ist wie eine mathematische Formel. Ich bin glücklich, sobald alles perfekt ist. Doch fühle ich Zufriedenheit oder gar Freude? Ich rede es mir ein, sage mir „Junge du hast alles!“ und ich bin glücklich. Ist das das Leben? Ich bin eine Maschine: Keine Gefühle, alles logisch.
Meine Gedanken lassen mich nicht los. Sie verschlingen mich. Ich erinnere mich an das Messer, welches ich mir aus der Küche mit unter die Dusche genommen habe. Ich habe schon öfter daran gedacht diese Welt hinter mir zu lassen, verdient es eine Maschine, wie ich, auf dieser Welt zu verweilen? Ich setze das Messer an und erschaffe eine rote Augenweide. Alles verschwommen. Ich schreie laut auf und blicke, Blut schmeckend, der Tür entgegen. Natürlich wird jemand kommen. Ich habe geschrieen - der, der von allen geliebt. „Los! Rennt und helft ihm! Wir lieben ihn!“, höre ich sie schreien. „Lieben?“, sage ich in meinem letzten Atemzug, „Ihr liebt mich, doch was tue ich? Ich nicht. Macht es mich traurig? Alles nur Schein. Ich besitze keine Gefühle.“ Ein guter Abgang oder nicht? Ich denke schon. Alles wie im Film. Mein Leben ist perfekt. Die Tür öffnet sich und mein Vater steht in der Tür: still, zitternd, sieht mich entsetzt an. Er läuft zu mir und will mir helfen, doch das kann er vergessen. Ich sehe ihm seine Trauer an und schmecke eine salzige Träne. Meine oder Seine? Meine. Gefühl? Die Trauer vermischt sich mit dem Nass. Mitleid.