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Mit jedem Schwung der Sense
Wasserhähne, dachte er sich. Einfach mal ans Waschbecken stellen und den Mund an den Hahn legen. Vielleicht noch einmal den Kopf in den Strahl halten und das kühle Nass spüren. Oder er wollte ein Waschbecken auffüllen und das Wasser in sein Gesicht schaufeln, das wär's.
In diesem Moment vermisste er Wasserhähne beinahe mehr als alles Andere, als er den Dreck aus der trüben Flüssigkeit in der Plastikflasche herausschmeckte.
Dreck war nicht gleich Dreck. Es gab gelblich sandigen, grünlich moosigen und den klassischen braunen Dreck. Über die Jahre hatte er die geschmacklichen Unterschiede von Schmutz im Trinkwasser kennen gelernt. Am schlimmsten war der grüne, dachte er sich, als er die Campingflasche wieder an seinen dichten Bart hob. Er wischte den Schweiß von seiner Stirn und legte seine langen Haarsträhnen hinters Ohr. Sie waren bereits vollkommen durchnässt von der Sonne im Zenit, die unerbittlich die Feuchtigkeit aus ihm herauspresste, als ob sie ein Tuch auswrang.
Er hockte unweit der Baumgrenze vor dem Weizenfeld im knappen Schatten seines stählernen Gefährts. Seine Stiefel aus Rindsleder hatte er ausgezogen, zum Lüften neben sich gestellt und Hanfsocken darüber gelegt. Er schaute unter die Bandagen an seiner rechten Hand. Der Schmutz unter seinen Nägeln war immer noch da, aber die Blase in seiner Handfläche hatte sich nicht verfärbt.
Als er einen weiteren Schluck aus der Flasche nahm, streckte er seinen Hals nach hinten und blinzelte in den Nachmittagshimmel. Dabei stieß sein Kopf an sein Fahrzeug, das mit einem dumpfen Gong widerhallte.
So saß er eine Weile dort, beobachtete das Weizenfeld und hungerte. Um ihm herum rauschte der warme Wind durch die Baumwipfel und wehte totes Gestrüpp und Blätter sanft über den brüchigen Asphalt. Der stehlernde Koloss, an den er sich lehnte, knackte vor Hitze. Es half nicht viel, dass sie ihn auf der Oberseite mit weisser Farbe bestrichen hatten, jedenfalls nicht jetzt in den heißesten Stunden des Tages. Sofia hatte die Farbe aus zermahlenem Kalkstein und einigen anderen Bindemitteln angefertigt, an die er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Selbst wenn die Beschichtung die Hitze nicht vollkommen abhielt, es war eine gute Idee gewesen. In den Abend- und Morgenstunden konnte man sich auf das Fahrzeug setzen ohne sich zu verbrennen und es bescherte dem Innenraum ein wenig willkommene Kühle.
Er strich sich noch eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte in das Weizenfeld, durch das sich ein Mann mit einer Sense schlug. Der Alte bewegte sich gleichmäßig, schaukelte schwerelos und geübt von rechts nach links und das Weizenfeld dünnte mit jedem Schwung weiter aus. Ob der Alte auch Brot backt, dachte er sich als er seine Socken wieder anzog.
Der Sensenmann erinnerte ihn an das Grünamt, welches ihn zu dieser Jahreszeit am Vormittag des Öfteren geweckt hatte, als er noch jung gewesen war. Als sie vor dem Haus seiner Eltern geparkt hatten, knallten sie die Schiebetür des Bullys zu und schmissen die Geräte an. Sie hatten laut geknarrt und geknattert und er zog sich oftmals seine Bettdecke über den Kopf um dem Krach zu entgehen, aber es hatte nicht geholfen. Das Grünamt führe regelmäßig Krieg gegen das Wuchern, so hatte er es sich jedenfalls erklärt. Warum sonst würden sie denn so rigoros gegen das Unkraut vorgehen? Die Grashalme mit benzinbetriebenen Rasentrimmern abschlagen und den Löwenzahn mit Flammenwerfern von den Häuserwänden in der Straße ausbrennen. Es hatte jedenfalls immer wie eine Schlacht geklungen. Regelmäßig zum Anfang, Mitte und Ende des Sommers war das Kampfgebrüll der Gartenmaschinen erneut durch sein Fenster gekommen, immer dann, wenn das Unkraut wieder aus den Steinplatten hervorkam und sich allmählich zu erholen begann.
Niemals im Traum hätte er daran gedacht, dass das Grünamt mit seinem übermächtigen Arsenal den Pflanzen irgendwann erliegen würde; aber als er Siebzehn war, kam es dazu.
Sein Vater stieg um. Er hatte sich eine Sense gekauft und als das Benzin zu teuer wurde, stieg auch das Grünamt um. Zunächst auf elektrische Geräte, dann auf handbetriebene und irgendwann kamen sie gar nicht mehr. Die Pflanzen hatten am Ende doch gesiegt. Sie trieben sich unter die Steinplatten und zwischen die Bordsteinkante, gruben tiefe Furchen in den Bürgersteig und schwere Wurzeln drückten den Asphalt auseinander. Und als die Sommer heißer und länger wurden, der Teer verweichte, verwandelte sich die Straße vor seinem Fenster in einen Flickenteppich aus Grün, Braun und Anthrazit.
Das Geschrei der Maschinen wich dem Zirpen von Grillen, das Zirpen der Grillen wich dem Brummen der Heuschrecken und letztlich mussten seine Eltern und er die Kleinstadt verlassen und nach Norden ziehen, bevor die Felder verdorrten und die Buschbrände sich ihr Haus und ihren Garten holten.
Sie zogen zunächst in eine kleine Gemeinde am Rhein. Er lebte dort bis er zweiundzwanzig wurde, lernte und arbeitete hart auf dem Feld. Es war nicht sein Interesse. Zwar bewunderte er die Eleganz, mit der sein Vater die Sense schwang, aber er selbst wollte Ingenieur werden. Irgendwann ging auch diese Zeit zu Ende. Er hatte es miterlebt, wie die Deiche der Niederlande brachen und der Rhein mit einem Mal wuchs, sich auftürmte und an den Häusern am Ufer zerrte, immer wieder, bis sie schließlich zerfielen. Er hatte es verfolgt, wie die Polizeistation, der alte Turm, den die Gemeinde bezogen hatte, um die Exekutive zu behausen, sich Sommer für Sommer weiter zum Fluss beugte. Zuletzt sah das alte Gebäude so aus, als würde es Krücken benötigen, um sich aufrecht zu halten. Eines Morgens war es zusammengeklappt und im Schlamm versunken.
Er zog, als einer der Letzten, aus der Gemeinde. Seine Eltern starben an Malaria, die sich von Koblenz bis Duisburg im Rheintal ausgebreitet hatte und fortan jeden Sommer erneut die alten Städte heimsuchte. Er konnte sich an die Nächte erinnern, die er schweißgebadet und in fiebrigen Schmerzen auf der Kutsche nach Osten verbrachte, wie sie an der Stadt im Sonnenuntergang vorbeifuhren, wie das Wasser die schiefen Häuser umspülte und das Rot der Abendsonne sich in den stillen Tümpeln spiegelte. Manchmal dachte er, er würde darin versinken, oder er würde einfach vom Wagen fallen, die Pferde würden weiter schreiten und der Kutschenführer würde sich nicht umdrehen; sie würden einfach weiter reiten.
Aber er hatte die Malaria überlebt. Er hatte sich zurückgezogen, kam an einem verlassenen Gut mit einer Scheune vorbei, die er über die Jahre zu einer Werkstatt umbaute und so lebte er neun Jahre allein. Er tauschte altes Plastik gegen Pferde, fand einen verrosteten Anhänger und begab sich regelmäßig in die Ruinen der Nachbarstadt, um Metallteile auf sein Gut zurückzubringen.
Irgendwann hatte er vier Dieselmotoren zusammengeklaubt und restauriert, aus denen endlich nach Jahren sein Gefährt werden sollte, an das er sich nun lehnte. Ein Monstrum aus gehauenen Stahlplatten, der Karrosserie eines alten LKW, Teile eines massiven Schuttcontainers und, auf der Front, eine alte gusseiserne Schneeschippe. Das Führerhaus des LKW hatte er komplett umgestaltet, eine räumige Kabine für Waren, ein wenig Wohnraum dahinter befestigt und hatte mühevoll zwei lange Stahlstrieben angeschweisst, welche die Achsen für die Traktorenreifen werden sollten. So sah das Gerät nach Fertigstellung aus wie eine buckelige Schildkröte mit zwei langen Hinterläufern und vier riesigen Reifen. Zwei Dieselmotoren schmückten die hinteren Achsen und zwei weitere waren hinter der Kabine befestigt, die die vorderen Reifen und den Schneepflug antrieben. Er hatte dieses Ungetüm liebevoll "Mad Max" getauft, nach einem Film, den Sofia, mit anderen, von einer alten Festplatte hatte wiederherstellen können.
Sie war ein kluges Mädchen. Über die Jahre war sie ihm ans Herz gewachsen, auch wenn sie kein erwünschtes Kind gewesen war. Ihre Mutter war damals aus dem Süden auf seinen Gutshof geflüchtet. Er hatte sie widerwillig aufgenommen aber sie hatte sich um den Haushalt gekümmert, hatte Kerzen hergestellt, half ihm bei seinem Tauschhandel im Dorf und brachte ihm Essen, als er die Tage in der Werkstatt verbrachte. Sie starb neunzehn Monate nach Sofias Geburt. In dieser Zeit verbrachte er wie gewohnt die meiste Zeit in der Werkstatt, Sofia und ihre Mutter waren bloße Mitbewohner für ihn.
Als Sofia alt genug wurde, half auch sie im Haushalt und dann in der Scheune. Manchmal ermahnte er sie, wenn sie ihre häuslichen Pflichten ignorierte und sich in Büchern vertiefte, aber er konnte es ihr nicht übel nehmen; ihre Begeisterung für Technik erinnerte ihn an seine eigene Jugend. Sie liebte den verrückten Max, stand mit großen Augen da, wenn er die Motoren aufheulen liess. Die Solaranlagen auf dem Wagen waren ihre Idee gewesen. Eines Morgens kam er in die Werkstatt und sie hatte sie aufgestellt und ihm bewiesen, dass sie funktionierten. Sie verbrachte viel Zeit dort, las im Kerzenlicht bis in die Nacht die vergilbten Bücher, die er aus den Ruinen im Dorf mitgebracht hatte. Sofia war einmal zu einem alten UMTS Sendemast in Sichtweite des Gutshofs gegangen, kehrte aber nach ein paar Stunden enttäuscht zurück. Seitdem versuchte sie sich an Radiotechnik, ganz besessen davon, irgendwann ein Signal zu empfangen und als sie den Hof verließen, saß sie immerzu voll naiver Hoffnung an dem Radio in der hinteren Kabine und schaltete zwischen dem Rauschen umher.
Er sagte ihr immer wieder, dass es hoffnungslos sei, aber sie beharrte darauf.
"Wenn wir weiter fahren, muss doch irgendwer einmal antworten", sagte sie und als sie in die Adoleszenz hineinwuchs, entgegnete sie immerzu: "Warum bist du nur so kalt?"
Er stieg auf die Maschine und öffnete die Luke. Das weiße Rauschen des Radios erfüllte die Kabine.
"Okay, dann wollen wir mal!", sagte er und blickte in die innere Kammer des Panzers.
Die Dieselmotoren spuckten rußschwarzen Rauch in die glühende Nachmittagshitze und brüllten über das Weizenfeld, so dass der Alte mir der Sense sich umdrehte und dem wegfahrenden Monstrum hinterher schaute als es über die ehemalige Autobahn walzte.
Ein paar Kilometer weiter durchbrach der Schneepflug einige ausgebrannte Autokarrosserien, die mit Stahlquietschen und Getöse von der Straße geschleudert wurden. Das Rauch spuckende Ungeheuer zerknirschte das lose Geäst auf der Straße problemlos und hämmerte sich durch eine bewachsene Asphaltschneise in einem dichten Wald. Hin und wieder heulte es auf, als er die Reservemotoren anwarf um umgefallene Baumstämme zu durchbrechen und liegengebliebene, rostende Fahrzeuge mit Wucht aus dem Weg zu prügeln. Der Koloss wirkte wie ein tobender Stier. Hätte er Beine, würde er sie tief in den zerklufteten Asphalt drücken, vorschnellen und zornig durch das Dickicht stampfen. Vögel schreckten auf und Kleingetier wich aus, um dem unnachgiebigen Zermalmen des Untiers zu entkommen.
Er grinste mit jedem hohlen Schlag, der auf den Schneepflug krachte und vergaß während der Fahrt seinen Hunger. Währenddessen rauschte das Radio. Sofia schaltete es nie ab.
"Na, das macht doch Spass, oder?", lachte er und drehte sich zu ihr um, erhielt aber keine Antwort.
In letzter Zeit war sie sehr still geworden, wenn überhaupt grunzte sie nur abfällig oder seufzte und vergrub ihr Gesicht in das Federkissen auf dem Bett aus Tierfellen und der alten Matratze, die sie einmal in einem alten Warenhaus in den Ruinen von Erfurt gefunden hatten. Es liegt an der Pubertät, dachte er sich, sie würde wohl launisch werden und die Menstruation mache ihr zu schaffen. Es war auch nicht leicht für sie; ein junges Mädchen, das die meiste Zeit zwischen dem metallischen Scheppern des verrückten Max vor dem Radio verbrachte und unaufhörlich die Enttäuschung durch das weiße Rauschen aufsog. Manchmal saß sie auf dem Fahrzeug, wenn die Luft kühl und die Fahrt ruhig genug war und starrte ausdruckslos in die Ferne.
Sie waren jetzt seit ungefähr zwei Jahren tagtäglich unterwegs; ganz genau wusste er es nicht. Es war schwierig zuverlässige Kalender zu erwerben, welche die Sternengucker herstellten. So fuhren sie von Dorf zu Dorf um Waren zu handeln. Immerzu tauschten sie gegen Diesel, mal gute Qualität, mal schlechte, aber sie lehnten Treibstoff nie ab. Die meisten Dorfbewohner mieden die alten Straßen. Dort hielten sich, nach ihrer Meinung, nur Abschaum und Banditen auf und motorisierte Fahrzeuge waren verpönt. Meistens wurden sie mit Argwohn und Skepsis begrüßt aber sie hatten regelmäßig mit ihren Angeboten überzeugen können und so hatten sie mittlerweile bereits einige treue Kundenkreise sichern können. Aber Sofia kam seit Wochen überhaupt nicht mehr aus dem Fahrzeug, nichteinmal um die kühle Abendluft auf ihrer Haut zu spüren, sie lag einfach im Bett und vegetierte.
Als er einen umgestürzten Baum aus dem Weg preschte, das Gefährt aufsprang und ein paar vereinzelte Holzsplitter in die schmale Sichtöffnung des Fahrzeugs flogen, zog er vor Schmerz seine rechte Hand vom Knüppel. Er rief eine Entschuldigung in das Getöse der Maschinen und gegen das weiße Rauschen des Radios, schüttelte seine Hand aus und verzog das Gesicht.
Am späten Nachmittag hielten sie bei einem kleinen Dorf hinter einer Ausfahrt. Er stieg aus und begrüßte die Händler, die den Panzer anrollen hörten und aus ihren Hütten und Zelten hervorgekommen waren. Er tauschte einen Beutel Pfeffer gegen einen Kilo Äpfel und Birnen, sieben Meter Kupferdraht gegen einen Tank Diesel und ein altes Holzspielzeug gegen einen Laib frisches Zuckerbrot. Er grinste erwartungsvoll, als er das Brot in die Hand nahm und sich vorstellte, wie Sofia sich über die Köstlichkeit freuen würde. Zum Abschluss der Verhandlung kam eine der Dorfältesten zu ihm, eine dunkelhäutige Frau mit Weisheit in den Falten und wildem weißen Haar. Sie lächelte ihn durch ein unvollständiges Gebiss an und gab ihm eine Glasflasche mit einer klaren Flüssigkeit. "Kein Handel, Geschenk.", sagte sie. Er musterte die Flasche. "Wunderschönes Handwerk", erwiderte er, zog den Korken heraus und schnüffelte daran. Die Dorfälteste blinzelte mit ihrem toten Auge und nickte freundlich. "Branntwein, frische Ernte, sie wiederkommen zu uns nächste Jahr."
Er beugte sich vor, während sie ihre Hand in seine Mähne legte und ein uraltes Mantra in einer fremden Sprache sang; ein Segen aus der Vorzeit, melancholisch, mystisch und von berührender Schönheit.
Als er wieder in den Panzer hinab stieg, brach er etwas von dem Brot ab und legte es mit einem Apfel und einer Birne an Sofias Bett, schaltete für sie den Sender am Radio um und bückte sich, um in die Fahrerkabine zurückzukehren. Das statische Rauschen des Radios wurde von dem Knall der anspringenden Verbrennungsmotoren unterbrochen und sie rollten weiter.
Gegen Abend, als die Schatten länger wurden und das Licht der Dämmerung glühte, kamen sie an eine flache Prärie von goldenen Gräsern. Die Straße war in groben Stücken in einer Senke zerfallen
und das goldbraune Gras stachelte aus den Lücken hervor. Die rostige Leitplanke der ehemals vierspurigen Autobahn war verbogen und trennte nur noch einen imaginären Raum zwischen der ausbreitenden Steppe. Einige Meter vor der Senke stand ein verbeulter Kleinbus quer und vor dem Bus vier Personen, die ihm zuwinkten als er herandonnerte.
Er hielt mit ausreichend Platz vor der Menschengruppe, das stehlernde Ungetüm knirschte und wippte als er die Bremse zog, dann verstummten die Motoren und das Rauschen des Radios bildete die einzige Geräuschekulisse im Fahrzeug. Er spürte Sofia neben sich als er durch den Schlitz einen jungen Mann beobachtete, der sich mit erhobenen Armen näherte.
"Bestimmt eine Falle", murmelte er.
"Aber das kannst du doch nicht wissen. Vielleicht brauchen die Hilfe."
Er schnaubte und fuhr sich durch den Bart, dann richtete er sich auf und drückte seinen Oberkörper durch die Luke. Als der junge Mann nah genug kam und gut hörbar wurde, griff er an einen kleinen Hebel an einem länglichen Fach neben der Öffnung. Der junge Mann war in beiges und graues Leinen gekleidet, seine Kapuze hatte er heruntergelassen und sah mit himmelblauen Augen an der verkratzten Schneeschippe hinauf.
"Wir sind steckengeblieben", sagte der Jüngling, als er mit seinen Schultern zuckte.
Aus der Klappe heraus musterte er den Jüngling und seine Gefährten. Vor dem liegengebliebenen Kleinbus standen zwei junge Frauen und ein kräftiger, jugendlich wirkender Mann. Er klappte das längliche Fach auf und griff vorsichtig hinein. Aus seinem dichten Bart fragte er: "Habt ihr Diesel?"
Der junge Mann mit den blauen Augen rieb sich die Nase und sah um sich.
"Ja, aber nicht mehr viel. Sind auf dem Weg nach Krakau, das Benzin muss bis dahin reichen".
Er stemmte die Arme in seine Hüften, sah verlegen auf den Boden und bewegte mit seinem Fuss ein paar trockene Grashalme.
"Hören sie, vielleicht kann ich ihnen etwas tauschen, wenn sie uns durch die Kuhle hier ziehen oder etwas weiter."
Aus seiner massiven Rüstung heraus, lehnte er seinen Unterarm auf die weiße Oberseite des wahnsinnigen Max und drückte sich höher ab, um hinter sich zu schauen, danach drehte er sich wieder zum Kleinbus und streckte den Hals aus, um ihn zu mustern.
"Ihr habt sechs Sitzplätze, wo ist der Rest von euch?"
Der junge Mann drehte sich mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis, ließ seine Hände fallen und antwortete.
"Nur wir vier. Sind unbewaffnet. Hören sie, sie müssen nicht rauskommen, kann das Seil einfach selbst dran machen."
Aus der Höhe runzelte er die Stirn und rieb sein haariges Kinn, während er mit der anderen Hand in das längliche Fach zu seiner Rechten griff.
Aus der offenen Luke rauschte das Radio.
"Nicht alle Menschen sind schlecht, Papa. Tu ihnen einen Gefallen, es ist nur ein Handel!"
Manchmal kann man nicht vorsichtig genug sein.
Plötzlich hob er ein vergrautes Gewehr aus dem Fach und zielte auf den jungen Mann mit den hellblauen, vor Schreck aufgerissenen Augen. Zwei Donnerschläge rissen durch die Weide. Der Junge in Leinen versuchte auszuweichen wurde aber zu Boden gerissen, die Gruppe vor dem Kleinbus flüchtete in verschiedene Richtungen. In seinem Visier verfolgte er eines der Mädchen, das in Richtung des Waldes lief, schweifte aber den Gewehrlauf zu dem anderen Mann herüber, der über die alte Leitplanke gesprungen war und in die Graslandschaft hastete. Ein Schuss warf Staub neben ihm auf, der andere traf ihn in den Rücken, er schrie auf und versank im hohen Gras.
Er wartete eine Weile und drehte sich mehrmals mit dem Gewehr im Anschlag um. Die Schüsse waren längst verhallt und die Geräusche der Natur füllten die stickige Luft nach dem Echo. Die beiden Mädchen waren in der Prärie verschwunden.
Auf der Straße wimmerte der Jüngling mit den blauen Augen. Aus seinem Bein und Unterleib tropfte Blut auf den warmen Stein vor dem wahnsinnigen Max. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er zu ihm auf. Aus seinen zuckenden Lippen drangen leise Bitten. Er flehte den Schützen auf der bleiernen Bestie an. Dieser ließ das Gewehr sinken, wendete seinen Blick von dem leidenden Jungen ab und zog sich in den Innenraum zurück. Die Motoren kreischten über die Lichtung, würgten pechschwarzen Rauch in die Abendluft, der Leerlauf knarrte in den ersten Gang und das Gebrüll der Maschinen erstickte die Schmerzensschreie.
"Warum bist du nur so kalt? Warum tust du nur sowas? Vielleicht hatten die Familie", knisterte es aus dem Radio.
Er murmelte in seinen Bart.
"Jeder Familie ihre eigene Tragödie."
Die Nacht brach herein und Schatten krochen langsam von Osten her über die Felder. Im Westen stieg die Sonne ab und malte einen blutroten Streifen auf den Horizont. Auf dem schlafenden Koloss saß er mit der Flasche Branntwein und senkte seinen Blick. Er trank hastig und keuchte und als der Alkohol in seinen Verstand kroch löste er Emotionen aus.
Er schüttelte den Kopf und sprach zu seiner Tochter.
"Warum kommst du nicht heraus?"
Er wiederholte den Satz einige Male, bis seine Stimme bebte und die Frage sich in Schluchzen auflöste. Als die Dunkelheit ihn einholte, krallte er seine Finger in sein schmutziges Haar, die Wunde in seiner Rechten brannte, das brüchige Staccato seines Klagens pochte in seinen Lungen. Seine Augen schwollen rot an, als er die halb leere Flasche betrachtete, sie mit dem Korken verschloss und in die Luke sank. Er kroch in das Herz der Maschine, wo das Zuckerbrot für seine Tochter unberührt da lag. Er schob die schmutzige Schaufel, die ihm die Blase an seiner Hand zugefügt hatte, beiseite und vergrub sein Gesicht in Sofias Federkissen und weinte schmerzlich.
Er gab sich die Schuld an ihrem Tod. Er hatte sich am Vortag auf der Jagd zu lange Zeit gelassen und war doch erfolglos gewesen. Warum bist du nicht herausgekommen? Vielleicht war sie eingeschlafen oder sie war zu schwach, hatte schlichtweg aufgegeben. Aber als er zurück kam, war sie in der Hitze im Bauch der Bestie umgekommen.
Er hatte sie am Straßenrand begraben und wortlos bis in die Dämmerung auf das Grab geschaut; erst jetzt kamen die Tränen. Und seine tiefe Trauer vermischte sich mit dem statischen Rauschen des Radios, solange bis er sich in den Schlaf geweint hatte.
In seinen Träumen lag er in einem Weizenfeld und horchte dem Säuseln des Windes und dem gleichmäßigen sanften Schwung einer Sense.Also lag er und hoffte auf ein Signal oder eine Erlösung vom Leid.
(dritte Korrektur, vorerst. Es folgt irgendwann eine Endfassung. Beisst euch bitte nicht die Zähne an Rechtschreibfehlern aus )