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Mit jedem Schwung der Sense (repost)

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25.07.2015
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Mit jedem Schwung der Sense (repost)

Wasserhähne, dachte er sich. Einfach mal ans Waschbecken stellen und den Mund an den Hahn legen. Vielleicht noch einmal den Kopf in den Strahl halten und das kühle Nass spüren. Oder er wollte ein Waschbecken auffüllen und das Wasser in sein Gesicht schaufeln, das wär's.
In diesem Moment vermisste er Wasserhähne beinahe mehr als alles Andere, als er den Dreck aus der trüben Flüssigkeit in der Plastikflasche herausschmeckte.
Dreck war nicht gleich Dreck. Es gab gelblich sandigen, grünlich moosigen und den klassischen braunen Dreck. Über die Jahre hatte er die geschmacklichen Unterschiede von Schmutz im Trinkwasser kennen gelernt. Am schlimmsten war der grüne, dachte er sich, als er die Campingflasche wieder an seinen dichten Bart hob. Die Tabletten töteten die Bakterien ab und das alte Sieb in seinem Filter konnte das Gröbste ausfiltern, aber ein Bodensatz blieb übrig. Er wischte den Schweiß von seiner Stirn und legte seine langen Haarsträhnen hinters Ohr. Sie waren bereits vollkommen durchnässt von der Sonne im Zenit, die unerbittlich die Feuchtigkeit aus ihm herauspresste, als ob sie ein Tuch auswrang. Es hatte seit Wochen nicht geregnet und in letzter Zeit wurde ihm das Wasser aus seinem Vorrat zuwider; die Tabletten wurden von Jahr zu Jahr rarer.

Er hockte unweit der Baumgrenze vor dem Weizenfeld im knappen Schatten seines stählernen Gefährts. Seine Stiefel aus Rindsleder hatte er ausgezogen und zum Lüften neben sich gestellt und Hanfsocken darüber gelegt. Er schaute unter die Bandagen an seiner rechten Hand. Der Schmutz unter seinen Nägeln war immer noch da, aber die Blase in seiner Handfläche zeigte glücklicherweise keine Anzeichen einer Verunreinigung.
Als er einen letzten Schluck aus der Flasche nahm, streckte er seinen Hals nach hinten und blinzelte in den Nachmittagshimmel. Dabei stieß sein Kopf an sein Fahrzeug, das mit einem dumpfen Gong widerhallte.
So saß er eine Weile dort, beobachtete das Weizenfeld und hungerte. Um ihm herum rauschte der warme Wind durch die Baumwipfel und wehte totes Gestrüpp und Blätter sanft über den brüchigen Asphalt. Der stählerne Koloss, an den er sich lehnte, knackte vor Hitze. Es half nicht viel, dass sie ihn auf der Oberseite mit weisser Farbe bestrichen hatten, jedenfalls nicht jetzt in den heißesten Stunden des Tages. Sofia hatte die Farbe aus zermahlenem Kalkstein und einigen anderen Bindemitteln angefertigt, an die er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Selbst wenn die Beschichtung die Hitze nicht vollkommen abhielt, es war eine gute Idee gewesen. In den Abend- und Morgenstunden konnte man sich auf das Fahrzeug setzen ohne sich zu verbrennen und es bescherte dem Innenraum ein wenig willkommene Kühle.
Er stand auf, strich sich noch eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte in das Weizenfeld, durch das sich ein Mann mit einer Sense schlug. Der Alte bewegte sich gleichmäßig, schaukelte schwerelos und geübt von rechts nach links und das Weizenfeld dünnte mit jedem Schwung weiter aus.


Der Sensenmann erinnerte ihn an das Grünamt, welches ihn zu dieser Jahreszeit am Vormittag des Öfteren geweckt hatte, als er noch jung gewesen war. Als sie vor dem Haus seiner Eltern geparkt hatten, knallten sie die Schiebetür des Bullys zu und schmissen die Geräte an. Sie hatten laut geknarrt und geknattert und er zog sich oftmals seine Bettdecke über den Kopf um dem Krach zu entgehen, aber es hatte nicht geholfen. Das Grünamt führe regelmäßig Krieg gegen das Wuchern, so hatte er es sich jedenfalls erklärt. Warum sonst würden sie denn so rigoros gegen das Unkraut vorgehen? Die Grashalme mit benzinbetriebenen Rasentrimmern abschlagen und den Löwenzahn mit Flammenwerfern von den Häuserwänden in der Straße ausbrennen. Es hatte jedenfalls immer wie eine Schlacht geklungen. Regelmäßig zum Anfang, Mitte und Ende des Sommers war das Kampfgebrüll der Gartenmaschinen erneut durch sein Fenster gekommen, immer dann, wenn das Unkraut wieder aus den Steinplatten hervorkam und sich allmählich zu erholen begann.
Niemals im Traum hätte er daran gedacht, dass das Grünamt mit seinem übermächtigen Arsenal den Pflanzen irgendwann erliegen würde; aber als er neun Jahre alt wurde, kam es dazu.
Sein Vater stieg um. Er hatte sich eine Sense gekauft und als das Benzin zu teuer wurde, stieg auch das Grünamt um. Zunächst auf elektrische Geräte, dann auf handbetriebene und irgendwann kamen sie gar nicht mehr. Die Pflanzen hatten am Ende doch gesiegt. Sie trieben sich unter die Steinplatten und zwischen die Bordsteinkante, gruben tiefe Furchen in den Bürgersteig und schwere Wurzeln drückten den Asphalt auseinander. Und als die Sommer heißer und länger wurden, der Teer verweichte, verwandelte sich die Straße vor seinem Fenster in einen Flickenteppich aus Grün, Braun und Anthrazit.
Das Geschrei der Maschinen wich dem Zirpen von Grillen, das Zirpen der Grillen wich dem Brummen der Heuschrecken und letztlich mussten seine Eltern und er die Kleinstadt verlassen und nach Norden ziehen, bevor die Felder verdorrten und die Buschbrände sich ihr Haus und ihren Garten holten.
Sie zogen zunächst in eine kleine Gemeinde am Fluss. Er lebte dort bis er zweiundzwanzig war, lernte und arbeitete hart auf dem Feld. Es war nicht sein Interesse. Zwar bewunderte er die Eleganz, mit der sein Vater die Sense schwang, aber er selbst wollte Ingenieur werden.
Irgendwann ging die Zeit im Dorf zu Ende. Er hatte es miterlebt, wie die Deiche brachen und der Fluss mit einem Mal wuchs, sich auftürmte und an den Häusern am Ufer zerrte, immer wieder, bis sie schließlich zerfielen. Er hatte es verfolgt, wie die Polizeistation, der alte Turm, den die Gemeinde bezogen hatte, um die Exekutive zu behausen, sich Sommer für Sommer weiter zum Fluss beugte. Zuletzt sah das alte Gebäude so aus, als würde es Krücken benötigen, um sich aufrecht zu halten. Eines Morgens war es zusammengeklappt und im Schlamm versunken.
Er verliess, als einer der Letzten die Gemeinde. Seine Eltern starben an der Malaria, die sich im Flusstal ausgebreitet hatte und fortan jeden Sommer erneut die alten Städte heimsuchte. Er konnte sich an die Nächte erinnern, die er schweißgebadet und in fiebrigen Schmerzen auf der Kutsche nach Osten verbrachte, wie sie an der Stadt im Sonnenuntergang vorbeifuhren, wie das Wasser die schiefen Häuser umspülte und das Rot der Abendsonne sich in den stillen Tümpeln spiegelte. Manchmal dachte er, er würde darin versinken, oder er würde einfach vom Wagen fallen, die Pferde würden weiter schreiten und der Kutscher würde sich nicht umdrehen; sie würden einfach weiter reiten.

Aber er hatte die Malaria überlebt. Er hatte sich zurückgezogen, kam an einem verlassenen Gut mit einer Scheune vorbei, die er über die Jahre zu einer Werkstatt umbaute und so lebte er neun Jahre allein. Zunächst fertigte er zwei Zugkutschen für Pferde an; eine davon tauschte er für zwei eigene Stuten ein. Fortan begab er sich regelmäßig in die Ruinen der Nachbarstadt, um Metallteile auf sein Gut zurückzubringen.
Irgendwann hatte er vier Dieselmotoren zusammengeklaubt und restauriert, aus denen endlich nach Jahren sein Gefährt werden sollte, an das er sich nun lehnte. Ein Monstrum aus gehauenen Stahlplatten, der Karrosserie eines alten LKW, Teile eines massiven Schuttcontainers und, auf der Front, eine alte gusseiserne Schneeschippe. Das Führerhaus des LKW hatte er komplett umgestaltet, eine räumige Kabine für Waren, ein wenig Wohnraum dahinter befestigt und hatte mühevoll zwei lange Stahlstrieben angeschweisst, welche die Achsen für die Traktorenreifen werden sollten. So sah das Gerät nach Fertigstellung aus wie eine buckelige Schildkröte mit zwei langen Hinterläufern und vier riesigen Reifen. Zwei Dieselmotoren schmückten die hinteren Achsen und zwei weitere waren hinter der Kabine befestigt, die die vorderen Reifen und den Schneepflug antrieben. Er hatte dieses Ungetüm liebevoll "Mad Max" getauft, nach einem Film, den Sofia, mit anderen, von einer alten Festplatte hatte wiederherstellen können.
Sie war ein kluges Mädchen. Über die Jahre war sie ihm ans Herz gewachsen, auch wenn sie kein erwünschtes Kind gewesen war. Ihre Mutter war damals aus dem Süden auf seinen Gutshof geflüchtet. Er hatte sie widerwillig aufgenommen aber sie hatte sich um den Haushalt gekümmert, hatte Kerzen hergestellt, half ihm bei seinem Tauschhandel im Dorf und brachte ihm Essen, als er die Tage in der Werkstatt verbrachte. Ihre Schwangerschaft verbrachte er, wie gewohnt, die meiste Zeit in der Werkstatt. Auch nach Sofias Geburt, waren die beiden Frauen bloße Mitbewohner für ihn, solange jedenfalls, bis die Mutter an einem schweren Fieber erkrankte und plötzlich verstarb. Von da an, musste er sich alleine um das Kind kümmern.
Als Sofia alt genug wurde, half auch sie im Haushalt und dann in der Scheune. Manchmal ermahnte er sie, wenn sie ihre häuslichen Pflichten ignorierte und sich in Büchern vertiefte, aber er konnte es ihr nicht übel nehmen; ihre Begeisterung für Technik erinnerte ihn an seine eigene Jugend. Sie liebte den verrückten Max, stand mit großen Augen da, wenn er die Motoren aufheulen liess. Die Solaranlagen auf dem Wagen waren ihre Idee gewesen. Eines Morgens kam er in die Werkstatt und sie hatte sie aufgestellt und ihm bewiesen, dass sie funktionierten. Sie verbrachte viel Zeit dort, las im Kerzenlicht bis in die Nacht die vergilbten Bücher, die er aus den Ruinen im Dorf mitgebracht hatte. Sofia war einmal zu einem alten UMTS Sendemast in Sichtweite des Gutshofs gegangen, kehrte aber nach ein paar Stunden enttäuscht zurück. Seitdem versuchte sie sich an Radiotechnik, ganz besessen davon, irgendwann ein Signal zu empfangen und als sie den Hof verließen, saß sie immerzu voll naiver Hoffnung an dem Radio in der hinteren Kabine und schaltete zwischen dem Rauschen umher.
Er sagte ihr immer wieder, dass es hoffnungslos sei, aber sie beharrte darauf.
"Es muss doch Jemanden geben, der antwortet", sagte sie und als er sich beklagte, dass sie unnötig die Batterien auslaste, entgegnete sie immerzu: "Warum bist du nur so kalt?"


Er stieg auf die Maschine und öffnete die Luke. Das weiße Rauschen des Radios erfüllte die Kabine.
"Okay, dann wollen wir mal!", sagte er und blickte in die innere Kammer des Panzers.
Die Dieselmotoren spuckten rußschwarzen Rauch in die glühende Nachmittagshitze und brüllten über das Weizenfeld, so dass der Alte mir der Sense sich umdrehte und dem wegfahrenden Monstrum hinterher schaute als es über die ehemalige Autobahn walzte.
Ein paar Kilometer weiter durchbrach der Schneepflug einige ausgebrannte Autokarrosserien, die mit Stahlquietschen und Getöse von der Straße geschleudert wurden. Das Rauch spuckende Ungeheuer zerknirschte das lose Geäst auf der Straße problemlos und hämmerte sich durch eine bewachsene Asphaltschneise in einem dichten Wald. Hin und wieder heulte es auf, als er die Reservemotoren anwarf um umgefallene Baumstämme zu durchbrechen und liegengebliebene, rostende Fahrzeuge mit Wucht aus dem Weg zu prügeln. Der Koloss wirkte wie ein tobender Stier. Hätte er Beine gehabt, hätte er sie tief in den zerklüfteten Asphalt gedrückt, um vorzuschnellen und zornig durch das Dickicht zu stampfen. Vögel schreckten auf und Kleingetier wich aus, um dem unnachgiebigen Zermalmen des Untiers zu entkommen.
Er grinste mit jedem hohlen Schlag, der auf den Schneepflug krachte und vergaß während der Fahrt seinen Hunger. Währenddessen rauschte das Radio. Sofia schaltete es nie ab.
"Na, das macht doch Spass, oder?", lachte er und drehte sich zu ihr um, erhielt aber keine Antwort. In letzter Zeit war sie sehr still geworden, wenn überhaupt grunzte sie nur abfällig oder seufzte und vergrub ihr Gesicht in das Federkissen auf ihrem Bett aus Tierfellen und der alten Feldmatratze, die sie einmal in einem alten Warenhaus in den Ruinen gefunden hatten. Es liegt an der Pubertät, dachte er sich, sie würde wohl launisch werden und die Menstruation mache ihr zu schaffen. Es war auch nicht leicht für sie; ein junges Mädchen, das die meiste Zeit zwischen dem metallischen Scheppern des verrückten Max vor dem Radio verbrachte und unaufhörlich die Einsamkeit aus dem weißen Rauschen aufsog. Manchmal saß sie auf dem Fahrzeug, wenn die Luft kühl und die Fahrt ruhig genug war und starrte ausdruckslos in die Ferne.
Sie waren jetzt seit ungefähr zwei Jahren tagtäglich unterwegs; ganz genau wusste er es nicht. Es war schwierig zuverlässige Kalender zu erwerben, welche die Sternengucker herstellten. So fuhren sie von Dorf zu Dorf um Waren zu handeln. Immerzu tauschten sie gegen Diesel, mal gute Qualität, mal schlechte, aber sie lehnten Treibstoff nie ab. Die meisten Dorfbewohner mieden die alten Straßen. Dort hielten sich, nach ihrer Meinung, nur Abschaum und Banditen auf und motorisierte Fahrzeuge waren verpönt. Meistens wurden sie mit Argwohn und Skepsis begrüßt aber sie hatten regelmäßig mit ihren Angeboten überzeugen können und so hatten sie mittlerweile bereits einige treue Kundenkreise sichern können. Aber Sofia kam seit Wochen überhaupt nicht mehr aus dem Fahrzeug, nichteinmal um die kühle Abendluft auf ihrer Haut zu spüren oder um die Kinder in den Dörfern zu begrüßen, sie lag einfach im Bett und vegetierte.

Als er einen umgestürzten Baum aus dem Weg preschte, das Gefährt aufsprang und ein paar vereinzelte Holzsplitter in die schmale Sichtöffnung des Fahrzeugs flogen, zog er vor Schmerz seine rechte Hand vom Knüppel. Er rief eine Entschuldigung in das Getöse der Maschinen und gegen das weiße Rauschen des Radios, schüttelte seine Hand aus und verzog das Gesicht.
Am späten Nachmittag hielten sie bei einem kleinen Dorf hinter einer Ausfahrt. Er stieg aus und begrüßte die Händler, die den Panzer anrollen hörten und aus ihren Hütten und Zelten hervorgekommen waren. Er tauschte einen Beutel Pfeffer gegen einen Kilo Äpfel und Birnen, sieben Meter Kupferdraht gegen einen Tank Diesel und ein altes Holzspielzeug gegen einen Laib frisches Zuckerbrot. Er grinste erwartungsvoll, als er das Brot in die Hand nahm und sich vorstellte, wie Sofia sich über die Köstlichkeit freuen würde. Zum Abschluss der Verhandlung kam eine der Dorfältesten zu ihm, eine dunkelhäutige Frau mit Weisheit in den Falten und wildem weißen Haar. Sie lächelte ihn durch ein unvollständiges Gebiss an und gab ihm eine Glasflasche mit einer klaren Flüssigkeit. "Kein Handel, Geschenk.", sagte sie. Er musterte die Flasche. "Wunderschönes Handwerk", erwiderte er, zog den Korken heraus und schnüffelte daran. Die Dorfälteste blinzelte mit ihrem toten Auge und nickte freundlich. "Branntwein, frische Ernte."
Er beugte sich vor, während sie ihre Hand in seine Mähne legte und ein uraltes Mantra in einer fremden Sprache sang; ein Segen aus der Vorzeit, melancholisch, mystisch und von berührender Schönheit.
Von hinter dem Schutzwall des Dorfes, aufgetürmt aus Autoreifen, Lehm und Zweigen, kam eine Gruppe von Kindern an sein Gefährt und betrachteten es mit Neugierde. Er beachtete sie zunächst nicht, als er die Waren verräumte, aber als ein Junge mit verschmutztem Gesicht an der weißen Farbe kratzte, fuhr er ihn an und schlug seine kleine Hand weg. Er verscheuchte die Bande mit zornigen Gesten. Erst als sie sich wieder hinter den Wall verzogen, kehrte er ihnen den Rücken zu.
Als er wieder in den Panzer hinab stieg, brach er etwas von dem Brot ab und legte es mit einem Apfel und einer Birne an Sofias Bett, schaltete für sie den Sender am Radio um und bückte sich, um in die Fahrerkabine zurückzukehren. Das statische Rauschen des Radios wurde von dem Knall der anspringenden Verbrennungsmotoren unterbrochen und sie rollten weiter.


"Ich weiss nicht, was du dir davon erhoffst", hatte er kommentiert. Vor zwei Jahren, Wochen vor ihrer Abreise aus dem zerfallenden Gutshof und dem Verkauf der Pferde, waren sie in die nächste Großstadt geritten. Sofia hatte eine ausgebrannte Solarzelle aus einem Häufchen Staub am Wegesrand aufgelesen und sanft darüber gepustet. Anschlisessend, hielt sie es in die Sonne und präsentierte es ihm voller Stolz. Sie stieg auf ihr Pferd und grinste ihn, mit zugekniffenen Augen, an. "Wenn ich das Teil verkabele, dann hält der Strom etwas länger."
"Nein, ich meine, warum willst du unbedingt mit dem Radio funken?"
Sie trabten ruhig an den postmodernen Betonklötzen der Vorstadt vorbei, während die Kanister auf dem Anhänger klapperten. Sie schwenkte ihren Blick sehnsüchtig in die leeren, zerrissenen Fenster der Siedlung. "Hattest du viele Freunde, Papa?"
Er schüttelte den Kopf.
Am Ende der Straße zur Innenstadt stand eine Mauer aus billigem Zement und eine Doppelschleuse verhinderte die Durchreise. Die Hochhäuser in der Ferne glitzerten längst nicht mehr. Ihre abgebröckelten Fassaden hingen von den Stahlskeletten, wie verwesende Haut von Knochen und die Krähen umwirbelten sie, wie Fliegen um das Aas.
Sofia war abgestiegen um das rostige Warnschild an der Schleuse zu lesen. "Was ist hier passiert, Papa?"
Ohne von seinem Ross abzusteigen erzählte er es ihr.
Die schwarze Grippe war plötzlich gekommen. Er wusste nicht viel darüber, hatte er zugegeben, aber man vermutete, dass die Ballungsräume und die schlechten Lebensumstände in den überfüllten Großstädten dafür verantwortlich gewesen waren. Was er hingegen wusste, war, dass die Grippe eine lange Inkubationszeit hatte und sehr ansteckend war. Als Sofia fragte, ob seine Eltern auch an der Grippe gestorben waren, verneinte er; das war eine andere Plage.
Die Menschen in den Städten hatten sich abgeschottet und zogen Grenzen auf. Sie waren langsam mit Heilmitteln und schnell mit Verdächtigungen gewesen. Zuerst sollten es die Einwanderer gewesen sein, dann die Anderen, danach gab man den Politikern daran die Schuld, schliesslich die Nachbarn und zum Schluss konnte Jeder für die Quarantäne in Frage kommen. Die Polizei war überfordert und die Bürgerwehr übernahm, schwoll an und am Ende, entkamen nur Wenige ihrer Barbarei. Die Grippe hatte die Städte entzweit, der Mensch erledigte den Rest.

Als sie weiter geritten waren, kreuzte ein magerer Fuchs ihren Weg. Er war hinter einer Häuserfassade hervorgekommen, über die staubige Strasse getappelt und blieb plötzlich stehen, um die beiden Reiter zu mustern. Die Sonne tränkte sein schmutziges braunrotes Fell in einen fleckigen Schimmer. Seine Ohren richteten sich auf und die Augen blitzten. Sofia wollte absteigen aber er hielt sie ab. Er legte seinen Finger über seine Lippen und zog sein Gewehr hervor. Sie beobachtete ihn mit angespannter Atemlosigkeit, als er den Lauf auf das Tier richtete. Die Pferde schnaubten gegen einen aufkommenden Wind. Er hielt die Waffe verbissen fest, solange, bis endlich, das Tier seine Schnauze leckte und wieder in die Häuserschluchten verschwand. Als er das Gewehr absetzte und sein Atem sich wieder entspannte, konnte Sofia noch die Angst in seinem Ausdruck sehen.


Gegen Abend, als die Schatten länger wurden und das Licht der Dämmerung glühte, kamen sie an eine flache Prärie von goldenen Gräsern. Die Straße war in groben Stücken in einer Senke zerfallen
und das goldbraune Gras stachelte aus den Lücken hervor. Die rostige Leitplanke der ehemals vierspurigen Autobahn war verbogen und trennte nur noch einen imaginären Raum zwischen der ausbreitenden Steppe. Einige Meter vor der Senke stand ein verbeulter Kleinbus quer und vor dem Bus vier Personen, die ihm zuwinkten als er herandonnerte.
Er hielt mit ausreichend Platz vor der Menschengruppe, das stählerne Ungetüm knirschte und wippte als er die Bremse zog, dann verstummten die Motoren und das Rauschen des Radios bildete die einzige Geräuschekulisse im Fahrzeug. Er spürte Sofia neben sich als er durch den Schlitz einen jungen Mann beobachtete, der sich mit erhobenen Armen näherte.
"Bestimmt eine Falle", murmelte er.
"Aber das kannst du doch nicht wissen. Vielleicht brauchen die Hilfe."
Er schnaubte und fuhr sich durch den Bart, dann richtete er sich auf und drückte seinen Oberkörper durch die Luke. Als der junge Mann nah genug kam und gut hörbar wurde, griff er an einen kleinen Hebel an einem länglichen Fach neben der Öffnung. Der junge Mann war in beiges und graues Leinen gekleidet, seine Kapuze hatte er heruntergelassen und sah mit himmelblauen Augen an der verkratzten Schneeschippe hinauf.
"Wir sind steckengeblieben", sagte der Junge, als er mit seinen Schultern zuckte.
Aus der Klappe heraus musterte er den jungen Mann und seine Gefährten. Vor dem liegengebliebenen Kleinbus standen zwei junge Frauen und ein kräftiger, jugendlich wirkender Mann. Er klappte das längliche Fach auf und griff vorsichtig hinein. Aus seinem dichten Bart fragte er: "Habt ihr Diesel?"
Der Junge mit den blauen Augen rieb sich die Nase und sah um sich.
"Ja, aber nicht mehr viel. Wollen in die Stadt, das Benzin muss bis dahin reichen".
Er stemmte die Arme in seine Hüften, sah verlegen auf den Boden und bewegte mit seinem Fuss ein paar trockene Grashalme.
"Hören sie, vielleicht kann ich ihnen etwas tauschen, wenn sie uns durch die Kuhle hier ziehen oder etwas weiter."
Aus seiner massiven Rüstung heraus, lehnte er seinen Unterarm auf die weiße Oberseite des wahnsinnigen Max und drückte sich höher ab, um hinter sich zu schauen, danach drehte er sich wieder zum Kleinbus und streckte den Hals aus, um ihn zu mustern.
"Ihr habt sechs Sitzplätze, wo ist der Rest von euch?"
Der junge Mann drehte sich mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis, ließ seine Hände fallen und antwortete.
"Nur wir vier. Sind unbewaffnet. Hören sie, sie müssen nicht rauskommen, kann das Seil einfach selbst dran machen."
Aus der Höhe runzelte er die Stirn und rieb sein haariges Kinn, während er mit der anderen Hand in das längliche Fach zu seiner Rechten griff.
Aus der offenen Luke rauschte das Radio.
"Nicht alle Menschen sind schlecht, Papa. Tu ihnen einen Gefallen, es ist nur ein Handel!"

Manchmal kann man nicht vorsichtig genug sein.

Plötzlich hob er sein vergrautes Gewehr aus dem Fach und zielte auf den jungen Mann mit den hellblauen, vor Schreck aufgerissenen Augen. Zwei Donnerschläge rissen durch die Weide. Der Junge in Leinen versuchte auszuweichen wurde aber zu Boden gerissen, die Gruppe vor dem Kleinbus flüchtete in verschiedene Richtungen. In seinem Visier verfolgte er eines der Mädchen, das in Richtung des Waldes lief, schweifte aber den Gewehrlauf zu dem anderen Mann herüber, der über die alte Leitplanke gesprungen war und in die Graslandschaft hastete. Ein Schuss warf Staub neben ihm auf, der andere traf ihn in den Rücken, er schrie auf und versank im hohen Gras.
Er wartete eine Weile und drehte sich mehrmals mit dem Gewehr im Anschlag um. Die Schüsse waren längst verhallt und die Geräusche der Natur füllten die stickige Luft nach dem Echo. Die beiden Mädchen waren in der Prärie verschwunden.
Auf der Straße wimmerte der Jüngling mit den blauen Augen. Aus seinem Bein und Unterleib tropfte Blut auf den warmen Stein vor dem wahnsinnigen Max. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er zu ihm auf. Aus seinen zuckenden Lippen drangen leise Bitten. Er flehte den Schützen auf der bleiernen Bestie an. Dieser ließ das Gewehr sinken, wendete seinen Blick von dem leidenden Jungen ab und zog sich in den Innenraum zurück. Die Motoren kreischten über die Lichtung, würgten pechschwarzen Rauch in die Abendluft, der Leerlauf knarrte in den ersten Gang und das Gebrüll der Maschinen erstickte die Schmerzensschreie.

"Warum bist du nur so kalt? Warum tust du nur sowas? Vielleicht hatten die Familie", knisterte es aus dem Radio.
Er murmelte in seinen Bart.
"Jeder Familie ihre eigene Tragödie."

Die Nacht brach herein und Schatten krochen langsam von Osten her über die Felder. Im Westen stieg die Sonne ab und malte einen blutroten Streifen auf den Horizont. Auf dem schlafenden Koloss saß er mit der Flasche Branntwein und senkte seinen Blick. Er trank hastig und keuchte und als der Alkohol in seinen Verstand kroch löste er Emotionen aus.
Er schüttelte den Kopf und sprach zu seiner Tochter.
"Warum kommst du nicht heraus?"
Er wiederholte den Satz einige Male, bis seine Stimme bebte und die Frage sich in Schluchzen auflöste. Als die Dunkelheit ihn einholte, krallte er seine Finger in sein schmutziges Haar, die Wunde in seiner Rechten brannte, das brüchige Staccato seines Klagens pochte in seinen Lungen. Seine Augen schwollen rot an, als er die halb leere Flasche betrachtete, sie mit dem Korken verschloss und in die Luke sank. Er kroch in das Herz der Maschine, wo das Zuckerbrot für seine Tochter unberührt da lag. Er schob die schmutzige Schaufel, die ihm die Blase an seiner Hand zugefügt hatte, beiseite und vergrub sein Gesicht in Sofias Federkissen und weinte schmerzlich.

Er gab sich die Schuld an ihrem Tod. Er hatte sich am Vortag auf der Jagd zu lange Zeit gelassen und war doch erfolglos gewesen. Warum bist du nicht herausgekommen? Vielleicht war sie eingeschlafen oder sie war zu schwach, hatte schlichtweg aufgegeben. Aber als er zurück kam, war sie in der Hitze im Bauch der Bestie umgekommen.
Er hatte sie am Straßenrand begraben und wortlos bis in die Dämmerung auf das Grab geschaut; erst jetzt kamen die Tränen. Und seine tiefe Trauer vermischte sich mit dem statischen Rauschen des Radios, solange bis er sich in den Schlaf geweint hatte.

In seinen Träumen lag er in einem Weizenfeld und horchte dem Säuseln des Windes und dem gleichmäßigen sanften Schwung einer Sense. Also lag er und hoffte auf ein Signal oder eine Erlösung vom Leid.

Anmerkung: Der original Text wurde von mir vor einigen Wochen gepostet, dies ist eine ergänzte Fassung. Ich bin mir nicht sicher, ob es im Forum erwünscht ist, das Original zu ersetzen, deshalb hab ich das alte Thema zum Vergleich einfach stehen lassen. Grüße an Alle, die Verbesserungsvorschläge beigetragen haben. :)

 
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Hallo Matthew,

ich habe den Anfang mit Spannung gelesen, aber die Konstruktion der Geschichte funktioniert für mich überhaupt nicht. Der Text hat immer dann gewisse Stärken, wenn Du die dystopische Landschaft beschreibst, wenn Du diese Endzeit-Atmosphäre entwickelst. Aber sobald man dazu kommt, sich nach Inhalt und Sinn der Geschichte zu fragen, zeigen sich gravierende Schwächen im Plot. Oder mir sind entscheidende Details entgangen.

Der Plot: Der namenlose Protagonist fährt gemeinsam mit seiner Tochter Sofia in einem zusammengebastelten Panzerfahrzeug durch eine Landschaft der Apokalypse. Wir erfahren ein wenig von seiner Jugend und von der lieblosen Beziehung zu Sofias Mutter, die ein Flüchtling war und vom Protagonisten widerwillig aufgenommen wurde. Weder die Beziehung zu ihr, noch ihre Schwangerschaft oder schließlich ihre Tochter, scheinen ihm viel zu bedeuten ("die beiden Frauen sind bloße Mitbewohner für ihn"). Nachdem die Mutter an einem Fieber stirbt, düsen der Protagonist und Sofia durch die Endzeit, walzen Bäume und Autowracks nieder und handeln hier und dort mit Lebensmitteln oder Diesel.

Die Tochter scheint etwas zu vermissen, Liebe vielleicht oder Sinn oder Zuwendung von ihrem Vater. Dieser Typ jedoch kann ihr nichts geben, er schießt in der vorletzten Szene unerklärlicherweise auf Leute, die Hilfe brauchen und als er kurz darauf von der Jagd heimkehrt, ist Sofia tot. Ob sie sich umgebracht hat oder durch eine Art Unfall ums Leben kam, wird nicht geklärt. Die letzten Beschreibungen zeigen den Protagonisten voll Reue und emotionalem Leid.

Wenn man sich die Geschichte in dieser Zusammenfassung anschaut, sieht man, wie mager der Plot ist. Es ist eigentlich gar kein Plot, sondern eher eine beliebig zusammengereihte Folge von Ereignissen, die nicht viel Sinn macht. Der Leser erfährt nicht, was den Protagonisten zu seiner Radikalisierung und Gefühlskälte getrieben hat. Das wäre aber notwendig, um seine Handlungen plausibel zu machen. Weshalb sind die beiden Frauen "nur Mitbewohner", weshalb schießt er auf Leute, die Hilfe brauchen? Was will die Geschichte mit dem Tod der Tochter aussagen? Dass das paranoid-egoistische Verhalten des Protagonisten durch eine Art Karma bestraft wird?

Meine Vermutung ist, dass Du gern eine Mad Max Geschichte schreiben wolltest, aber eigentlich nicht wusstest, was der Inhalt sein könnte. Deshalb kam nun etwas dabei heraus, das keinen rechten Sinn macht. Die Hauptschwäche liegt darin, dass der Protagonist nicht nachvollziehbar handelt. Klar kann man sich immer was zusammenreimen. Aber es ist nicht die Aufgabe des Lesers, die Plotlöcher des Autors zu stopfen.

Falls Du vorhast, die Geschichte zu verbessern, empfehle ich am Charakter des Protagonisten anzusetzen.

Gruß Achillus

 

Hallo Matthew,

ich habe jetzt kurz reingelesen, mehr werde ich morgen lesen, aber es scheint so, als habe sich nicht viel verändert, oder? Gut, dass ich den Text das letzte Mal gelesen habe, ist schon eine Weile her, aber das habe ich alles mehr oder weniger schon so gelesen. In den ersten Absätzen sind nur die Tabletten neu, kann das sein? Der Rest kommt mir sehr vertraut vor.

Magst du kurz sagen, was du verändert hast, damit ich da einen Vergleich habe? Und ein repost ist per definitionem das erneute Posten ein und desselben, meist bezogen auf Bilder, Memes, etc. Besser wäre hier überarbeite Fassung o.ä.

Bis bald,
gibberish

 

Hallo Achillus

Die Tochter scheint etwas zu vermissen, Liebe vielleicht oder Sinn oder Zuwendung von ihrem Vater. Dieser Typ jedoch kann ihr nichts geben, er schießt in der vorletzten Szene unerklärlicherweise auf Leute, die Hilfe brauchen und als er kurz darauf von der Jagd heimkehrt, ist Sofia tot. Ob sie sich umgebracht hat oder durch eine Art Unfall ums Leben kam, wird nicht geklärt. Die letzten Beschreibungen zeigen den Protagonisten voll Reue und emotionalem Leid.

Also, ja, der Protagonist soll schon Paranoid sein. Wichtig für die Geschichte ist aber, dass seine Radikalisierung bereits vollzogen ist, wenn die Geschichte beginnt. Zu Beginn sitzt er am Straßenrand und hat eine Blase an seiner Handfläche. Zum Schluss wird erwähnt, dass er sie vom Schaufeln des Grabes für seine Tochter am Vortag zugezogen hatte. Während der Erzählung wird die Tochter, bis auf Rückblenden, nur in Zusammenhang mit dem Radiorauschen oder seinen Handlungen mit dem Fahrzeug (er legt ihr immernoch Essen ans Bett, versucht im Nachhinein, doch noch öfters an sie zu denken, Zuckerbrot eingetauscht) präsent. Sie war dann für mich als Repräsentation seines Gewissens gedacht, mit der er gewissermaßen einen Dialog führt, obwohl sie bereits gestorben ist. Im Handlungsverlauf sublimiert er seinen Verlust auf das Fahrzeug, was für ihn die Bedeutung seiner Tochter übernimmt. Er verteidigt von da an das Fahrzeug gegen jeglichen Kontakt von Aussen und geht dabei recht aggressiv vor. Das "Monstrum" hat er schon von Vornherein als Panzer, Schutz vor der Umwelt und den Menschen gebaut. Ich fand es passend, wenn dieses Ding ihm auch seine Tochter nimmt. Der Tod seiner Tochter hingegen, verhilft ihm nicht ein besserer Mensch zu werden, sowie man vielleicht denken könnte. Stattdessen entlädt er seine Wut, passend zu seinem zynischen Charakter an der Gruppe im Kleinbus.

Oder mir sind entscheidende Details entgangen.

vielleicht:
in der vorletzten Szene unerklärlicherweise auf Leute, die Hilfe brauchen und als er kurz darauf von der Jagd heimkehrt, ist Sofia tot

Ich will dir nichts unterstellen, aber ich denke, das könntest du überlesen haben:
Er gab sich die Schuld an ihrem Tod. Er hatte sich am Vortag auf der Jagd zu lange Zeit gelassen und war doch erfolglos gewesen.
Also, am Tag vor der Erzählung, ist sie gestorben.

Ich weiss nicht, ob das Ganze jetzt mehr Sinn ergibt. Hoffentlich liest du diesen Kommentar und kannst mir nochmal Feedback geben, ich denke du hast das richtige Gespür für Plotschwächen.
Kann sein, dass der Plot immernoch Schwächen aufweist oder ich habe mich einwenig in meinen Gedanken verrant.

Viele Grüße


Hallo Gibberish

Hier sind, bis auf ein paar Details, die neuen Absätze:

Von hinter dem Schutzwall des Dorfes, aufgetürmt aus Autoreifen, Lehm und Zweigen, kam eine Gruppe von Kindern an sein Gefährt und betrachteten es mit Neugierde. Er beachtete sie zunächst nicht, als er die Waren verräumte, aber als ein Junge mit verschmutztem Gesicht an der weißen Farbe kratzte, fuhr er ihn an und schlug seine kleine Hand weg. Er verscheuchte die Bande mit zornigen Gesten. Erst als sie sich wieder hinter den Wall verzogen, kehrte er ihnen den Rücken zu.
Als er wieder in den Panzer hinab stieg, brach er etwas von dem Brot ab und legte es mit einem Apfel und einer Birne an Sofias Bett, schaltete für sie den Sender am Radio um und bückte sich, um in die Fahrerkabine zurückzukehren. Das statische Rauschen des Radios wurde von dem Knall der anspringenden Verbrennungsmotoren unterbrochen und sie rollten weiter.

"Ich weiss nicht, was du dir davon erhoffst", hatte er kommentiert. Vor zwei Jahren, Wochen vor ihrer Abreise aus dem zerfallenden Gutshof und dem Verkauf der Pferde, waren sie in die nächste Großstadt geritten. Sofia hatte eine ausgebrannte Solarzelle aus einem Häufchen Staub am Wegesrand aufgelesen und sanft darüber gepustet. Anschlisessend, hielt sie es in die Sonne und präsentierte es ihm voller Stolz. Sie stieg auf ihr Pferd und grinste ihn, mit zugekniffenen Augen, an. "Wenn ich das Teil verkabele, dann hält der Strom etwas länger."
"Nein, ich meine, warum willst du unbedingt mit dem Radio funken?"
Sie trabten ruhig an den postmodernen Betonklötzen der Vorstadt vorbei, während die Kanister auf dem Anhänger klapperten. Sie schwenkte ihren Blick sehnsüchtig in die leeren, zerrissenen Fenster der Siedlung. "Hattest du viele Freunde, Papa?"
Er schüttelte den Kopf.
Am Ende der Straße zur Innenstadt stand eine Mauer aus billigem Zement und eine Doppelschleuse verhinderte die Durchreise. Die Hochhäuser in der Ferne glitzerten längst nicht mehr. Ihre abgebröckelten Fassaden hingen von den Stahlskeletten, wie verwesende Haut von Knochen und die Krähen umwirbelten sie, wie Fliegen um das Aas.
Sofia war abgestiegen um das rostige Warnschild an der Schleuse zu lesen. "Was ist hier passiert, Papa?"
Ohne von seinem Ross abzusteigen erzählte er es ihr.
Die schwarze Grippe war plötzlich gekommen. Er wusste nicht viel darüber, hatte er zugegeben, aber man vermutete, dass die Ballungsräume und die schlechten Lebensumstände in den überfüllten Großstädten dafür verantwortlich gewesen waren. Was er hingegen wusste, war, dass die Grippe eine lange Inkubationszeit hatte und sehr ansteckend war. Als Sofia fragte, ob seine Eltern auch an der Grippe gestorben waren, verneinte er; das war eine andere Plage.
Die Menschen in den Städten hatten sich abgeschottet und zogen Grenzen auf. Sie waren langsam mit Heilmitteln und schnell mit Verdächtigungen gewesen. Zuerst sollten es die Einwanderer gewesen sein, dann die Anderen, danach gab man den Politikern daran die Schuld, schliesslich die Nachbarn und zum Schluss konnte Jeder für die Quarantäne in Frage kommen. Die Polizei war überfordert und die Bürgerwehr übernahm, schwoll an und am Ende, entkamen nur Wenige ihrer Barbarei. Die Grippe hatte die Städte entzweit, der Mensch erledigte den Rest.

Als sie weiter geritten waren, kreuzte ein magerer Fuchs ihren Weg. Er war hinter einer Häuserfassade hervorgekommen, über die staubige Strasse getappelt und blieb plötzlich stehen, um die beiden Reiter zu mustern. Die Sonne tränkte sein schmutziges braunrotes Fell in einen fleckigen Schimmer. Seine Ohren richteten sich auf und die Augen blitzten. Sofia wollte absteigen aber er hielt sie ab. Er legte seinen Finger über seine Lippen und zog sein Gewehr hervor. Sie beobachtete ihn mit angespannter Atemlosigkeit, als er den Lauf auf das Tier richtete. Die Pferde schnaubten gegen einen aufkommenden Wind. Er hielt die Waffe verbissen fest, solange, bis endlich, das Tier seine Schnauze leckte und wieder in die Häuserschluchten verschwand. Als er das Gewehr absetzte und sein Atem sich wieder entspannte, konnte Sofia noch die Angst in seinem Ausdruck sehen.


Sogesehen kein Repost, aber auch keine komplette Neufassung :)

Viele Grüße

 

Hallo Matthew,

hm, das macht die Geschichte noch problematischer, finde ich. Die Story spielt ja auf mehreren Zeitebenen. Die Hauptzeitlinie erzählt vom Protagonisten, der mit seiner Tochter umherfährt, während Rückblenden die Jugend der Hauptfigur andeuten oder Geschichten von Sofia und ihrer Mutter erzählen. Du hast jetzt klargestellt, dass Sofia auf der Hauptzeitebene schon tot ist. Das wird für mich aus dem Text überhaupt nicht klar.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Möchtest Du, dass der Leser begreift, dass Sofia bereits tot ist und ihr Vater sie sich gewissermaßen vorstellt? Dann musst Du das klarer machen. So wie der Text jetzt ist, kann ich das nicht erkennen.

Zweitens: Willst Du einen Twist konstruieren, so wie man das aus Filmen wie Fight Club oder The Sixth Sense kennt? Ein solcher Twist soll als Gestaltungstechnik einer Geschichte meist Rätsel auflösen, die vorher im Verlauf der Ereignisse aufgetaucht sind. (Bei Fight Club wird beispielsweise am Ende klar, weshalb die Freundin des Protagonisten so irritiert reagiert hat und weshalb dieser an starken Schlafstörungen und Erinnerungslücken leidet. Bei The Sixth Sense wird am Ende klar, weshalb der Psychiater die Stimmen toter Menschen auf den Tonbändern hören konnte und weshalb sich die Beziehung zu seiner Frau so dramatisch abgekühlt hat.)

In diesem Fall muss am Ende ein deutlicher Knall erfolgen: Seht her! Sofia ist schon längst tot!

Doch das sind beinahe nur Nebensächlichkeiten, denn das Hauptproblem besteht darin, dass auch Sofias Tod das Verhalten des Protagonisten in keiner Weise erklärt, egal wann dieser Tod nun eingetreten ist. Denn gefühlskalt war der Typ bereits lange vor ihrer Geburt. Und auch andersherum erklärt die Trauer über den Verlust der Tochter inklusive Selbstvorwürfen nicht, weshalb er nun auf wehrlose Menschen schießt.

Man kann sich den Verlauf einer gelungenen Geschichte als ein System von Ursachen, Triggern (Auslösern) und Wirkungen vorstellen, bei dem die einzelnen Elemente kunstvoll ineinandergreifen. Das tun sie auf eine Weise, die sich viel klarer nachvollziehen lässt, als das im realen Leben der Fall wäre, denn eine Geschichte ist eben ein Kunstkonstrukt, in dem sich Wirkungen zweifelfrei auf Ursachen zurückführen lassen.

Wenn es der Autor versäumt, Ursachen und Auslöser so darzustellen, dass sich daraus die in der Geschichte gezeigten Wirkungen ergeben, findet man als Leser oder Zuschauer (bei einem Film) die Vorgänge unglaubwürdig.

Unglaubwürdig ist schon die Tatsache, dass Dein Held eine Frau aufnimmt, also in diesem Fall rettet, mit ihr ein Kind zeugt und keine tieferen Gefühle für die Beiden entwickelt hat. Natürlich kann es so etwas geben, aber dann liegt eben eine spezielle Pathologie in der Psyche dieses Menschen vor, die im Rahmen der Geschichte erklärungsbedürftig ist.

Weiterhin unglaubwürdig ist, dass der Tod der Tochter irgendwie dazu führt, dass der Held Leute über den Haufen schießt, die ja mit dem Tod von Sofia überhaupt nichts zu tun haben.

Meine Empfehlung wäre daher, bei der Konstruktion der Geschichte genau zu fragen, welche Ursachen zu welchen Wirkungen führen sollen: Ein Kind, das seelisch traumatisiert wurde, tendiert auch als Erwachsener zu bestimmten Verhaltensweisen, die damit in Zusammenhang stehen und unter Stress kann es zu Ausbrüchen von Trauer, Wut, Zorn kommen. Ursache, Wirkung, Auslöser wären in diesem Fall psychologischer Natur. Es gibt aber auch ganze andere Wirkungsmuster. Solche Zusammenhänge sind in Geschichten auf jeden Fall wichtig. Wie führt das Eine zum Anderen?

Noch einmal zurück zum Sprachlichen. Ich finde das an vielen Stellen schon sehr gut, sehr bildhaft und eindrücklich. Jetzt kommt es darauf an, alles gut mit einander zu verbinden.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus

Verstehe. Ich bin dabei diese Art der Charakterenentwicklung in Geschichten noch zu erproben. Man merkt ja, dass es gänzlich anders dargestellt werden muss, als z.B. im Film. In der Geschichte habe ich die Möglichkeit auch die Gedanken der Figuren zu beschreiben. In dieser Geschichte wollte ich allerdings darauf verzichten. Tatsächlich sollte das Ende eine Auflösung bringen, ich hatte aber eigentlich nicht vor, es zu offensichtlich zu machen, dass die Tochter bereits tot ist. Stattdessen sollte es im Nachhinein einleuchten (sie wird ja nicht direkt beschrieben, antwortet eigentlich nicht auf seine Annäherungen). In der ergänzten Fassung habe ich zum Verständnis der Motivation der Tochter und des Vaters, die Szene in der Stadt und mit dem Fuchs hinzugefügt. Das war im original nicht. Ich merke aber, dass diese Szene die Zeitlichkeit der Geschichte verkompliziert. In der Vorversion ist es eindeutiger (Einleitung - Rückblende - Handlungsverlauf).
Das Problem, was ich mit der Geschichte (und damit klassischen Charakterenetwicklung) habe, ist die, dass ich den Protagonisten als Archetyp des Untergangs aufzeigen will. Wo, in den meisten Fällen, eine Figur aus bestimmten Begebenheiten eine Veränderung durchmacht, soll der Protagonist in meiner Geschichte eben die falsche Entscheidung treffen. Also ich denke, dass das dramaturgisch schwieriger ist umzusetzen. Die Idee war, dass er den Wert des Lebens verlernt und abstumpft, die Art von Gewalt anwendet, die auch die Städte entvölkert hat, selbst dann, wenn er es eigentlich besser wissen müsste. Natürlich sollte der Leser das wenigstens nachvollziehen können, wenn nicht bejahen. Ich könnte z.B. das Gefühl der Bedrohung, das er mit der Gruppe um den Kleinbus verspürt etwas hervorheben, aber das würde, denk ich, auch der Tragik dieser Auseinandersetzung nicht gerecht werden. Vielleicht sollte ich stattdessen seine Beziehung zum Fahrzeug, sein wortwörtlicher Panzer, ausbauen. Er ist ja sogesehen in der besseren Position in diesem Gefährt, fühlt sich dabei aber auch nur sich selbst verpflichtet.
Schwierige Konstellation.

Nebenbei, danke für das sprachliche Lob. Solche Umwelt Beschreibungen machen mir am meisten Spass. :)

Viele Grüße

 

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