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Mississippi
Das brennende Flüstern in den Ecken traf sich in der Mitte des Zimmers.
Sag’ es ihr, raunte irgendwas in ihm. Judy, ich liebe dich.
Äste schlugen mit dem Wind gegen das Dach. Regen würde kommen. Oben am Hügelkamm stierte ein zunehmender Mond in Lauerstellung. Die glitzernden Spuren verirrter Schnecken lagen wie helle Fäden auf dem Bretterboden der Terrasse, verloren sich irgendwo im Buschwerk.
Judy, ich will dich. Ja, David, sagte sie. Ich weiß. Wird das reichen? Deine und meine Liebe? Sie ist absolut für uns, Judy, hab’ keine Angst darum.
Die Frösche draußen im Sumpf waren unzählig. Es war ihr Schlamm dort. Sie waren schon immer da gewesen. Alles war schon immer da gewesen. Alles von dieser Liebe hörten sie mit und trauten ihren Ohren nicht, weil sie von den Sümpfen wussten. Als David losfuhr, begann das tiefe satte Unken. Mit Mühe nur hielt sich der Mond am Hügel. Seine Hände warfen die Erde auf und dabei zitterte der Mond angestrengt. Bleib’ doch, David, wollte er schreien, doch Monde sind stumm. So vergrub er sich tiefer, verschwand bald, wollte nichts ändern müssen, weil er es nicht konnte, weinte ein bisschen hinter dem Hügel und blieb bei all dem ungetröstet, obwohl er zunahm und noch dick und fett werden würde diese Nacht.
Es war spät und so fuhr David los.
Er hatte den Whisky nicht getrunken. Judy zuliebe. Er würde alles tun für diese Frau.
Die Alligatoren lieferten sich ihre heiseren Kämpfe, aber sonst war nur dieses Unken, das die Stille in den Sümpfen nicht zur Ruhe kommen ließ. Ein Sternschnuppengewitter ging über dem Mangrovenwald nieder und David dachte an Judy. Nur eine Nacht hatte es gebraucht. Dafür hatte er lange gewartet.
Jetzt kannte er die absolute Liebe. Er meinte, sie zu kennen.
Ihre Haut hatte sie mit Mandelöl eingecremt und ihre Küsse waren wie die Flügel eines Schmetterlings auf seinen Lippen. David liebte das Land, seine Sümpfe und Kanäle, die alles darin in Unordnung brachten. Und den großen Fluss, der alles heran holte von irgendwo und alles mitnahm nach irgendwohin. David hatte sein Herz bei Judy gelassen. Das wusste er und er spürte, dass es mit Judy zusammenhing. Dass er sie brauchen würde für all die kommende Zeit in seinem Leben.
Dass alle gewesenen Ursächlichkeiten in seiner Suche nach dem Absoluten bei ihr zusammenliefen. Er hatte von Beginn an daran geglaubt. An sie hatte er geglaubt. Es war die Sonne in ihrem Haar, als sie beide den Blue Merlin aus dem Wasser holten. Dann war es ihr Duft, wenn er tief in ihr kam und sie ihre Beine um seinen Nacken schlang. Er wusste, dass er sie nicht mehr hergeben würde. Er hatte es gewusst, in ihrem ersten vagen Blick erkannt, hatte ihn mit sich getragen, ihren Blick und seinen Glauben an diese eine absolute Liebe. Was Glück war bei all dem und Unglück im Vergleich dazu, würde David diese Nacht lernen müssen.
Mississippi ist ein großes Land.
David mochte ,Sixteen Horsepower’.
Eine Band, deren Musik schwarz und göttlich ist wie die Sümpfe überall hier.
Und schwarz wie der Fluss, in dem er früher manchmal Aale fing.
Die Musik ist wie Mississippi, dachte er. Judy ist auch wie Mississippi. Wie der Fluss, der das Land seit Ewigkeiten teilt, so teilte er sein Herz für sie. So wie der Heilige Martin den Mantel für den frierenden Bettler teilte, so sah David das mit seiner Liebe für Judy. David schwamm diese Nacht im Glück. Als die Band den dritten Song anspielte, sang er mit. ,I see the bad moon rising’ coverten die Sixteen’s und sie spielten es besser als CCR; und es war die eine Seite. Die glückliche von den Beiden, die er diese Nacht erleben durfte und doch später über das Absolute lernen würde.
Die andere Seite in dieser Glücksnacht war das Pech mit dem zerreißenden Vorderreifen.
Es ging alles in den wenigen Bruchteilen eines Augenaufschlags.
Judy roch ein paar Kilometer entfernt nach Mandelöl und ein paar verwegene Träume über eine vorstellbare Zukunft, die sie glaubte, formen zu können, stolperten, nach Ansprache suchend , in ihrer Nacht herum. Dann überschlug sich David’s Wagen und schlitterte steuerlos geradewegs in den Sumpf, der neben der Straße dampfte.
Das war das Unglück, welches David diese Nacht kennenzulernen hatte. Er war nicht fähig, diesem aus dem Weg zu gehen. Es war nur so weiter akzeptierbar für den kommenden Morgen.
Der Mond sah alles.
David hatte nie die Angst gemeint, wenn er von einem nicht definierten Schicksal sprach. Es war nichts ungewöhnlich daran. Es passierte eben. Ungewöhnlich war so was hier nicht. Immer wieder kamen in den Nächten ein paar Wagen von der Straße ab. Der Mond kroch das Nachtschwarz hoch und der Sumpf schmatzte wie der Gemüseeintopf am Herd von Judys Mutter.
Das Radio spielte weiter. Die Armaturen blieben oberhalb des Wasserspiegels.
David hatte nicht das Bewusstsein verloren und das war gut so, denn so konnte er den Mond sehen. Wie viele Sterne dem Mond dort oben ihre Unnahbarkeit beweisen müssen, dachte David und konnte seine zerschmetterte Hüfte spüren, die vom Gewicht der zerbeulten Rahmenholme des Wagens langsam in den Schlamm des Sumpfes gedrückt wurde. Denk’ an Judy, David, sagte er sich und dann begann David doch leise zu weinen, weil er Judy jetzt gerne bei sich gehabt hätte und der Duft nach ihrem Mandelöl langsam verflog. Die Sixteen’s begannen den Song ,For heavens’s Sake’ zu spielen und David verlor für ein paar Sekunden das Bewusstsein.
Die Sümpfe gaben ihm eine Chance. Eine, aber doch die. Die Blutegel waren es nicht. Er konnte sie nicht wegtun, nicht mit seinen Händen, die sich irgendwo verklemmt hatten, unwiderruflich verklemmt hatten. Er konnte aber denken und versuchen, zu glauben. Das war seine Chance, jetzt und hier. Das gaben ihm die Sümpfe und er nahm es als gegeben hin.
David begann zu glauben, während sich die Lähmung an der Wirbelsäule hochzog; wie ein Artist, der hoch oben unter der Hülle des Zelts seinen Absprung geplant hatte. Es ging bis zum dritten Halswirbel, dann war Schluss. Es war nicht so wie ein Blitz, der aus einem Gewitterberg fährt und die Steppe in Brand setzt. Es war so wie der lange erwartete Besuch, der an das Tor klopft. Es kam sonst niemand in dieser Nacht. Dazwischen schrie David wie ein angeschossener Alligator und ließ sich in die Welt hinter dem weißen Vorhang fallen. Als die ersten Bisamratten auftauchten, begann sein Geist auf meterhohen Wellen zu reiten. Wie verkrüppelt, so schien es, hing der Mond über den Sümpfen und konnte sich nicht wegstehlen, weil er an die Nacht genagelt war. Ein paar Eulen jagten über den Mangroven. Fischreiher schliefen unruhig im Schilf.
David liebte das Land hier.
Als die ersten Bisams ihre Zähne in die Hüfte Davids bohrten, spielten die Sixteens den , South Pennsylvania Waltz’ und David sang leise mit. Die Windstille über den Sümpfen und noch weit darüber ließ die Sterne dort stehen, wo sie waren. Und den Mond, diesen bleichen Krüppel, auch. Die Bisams zersägten Davids Unterleib mit der gefräßigen Konsequenz der hier herrschenden Gattung, gruben sich in die Genitalien und machten noch weiter. Als sich die erste Ratte an Davids Brustkorb wagte, hatte David seine Judy und ihr Mandelöl fast vergessen und als die Ratten begannen, ihm die Augen auszufressen, hatte er begriffen, dass es den Mond, so wie er da oben hing, bald nicht mehr geben würde.
So dicht lag das alles beieinander.
Und es ging dabei um das Tosen draußen im weiten Raum und um das Knirschen des Schlammes, in dem sich die Alligatoren verkrochen hatten. Nur war es schon davor klar, dass es so werden würde. Wenigstens für ein paar Minuten war für David alles gespürt und aufbereitet gewesen. Nun gut. Dann war eben dieses kurze aufbereitete Etwas an Belanglosigkeit das Absolute. Warum auch nicht.
David hat das alles mitgenommen.
Die absolute Liebe, zu Judy und den Sümpfen; und diese Musik von einem anderen Stern.
Das Nasenbein Davids zersplitterte unter den Bissen der Ratten, als die Sixteens ,Day of the Lords’ spielten. So war es auch weiterhin nicht wirklich leise und die Musik trieb mit den Morgennebeln zu den bitteren Ufern dahinter; zu denen, die auf David gewartet hatten. Vom Beginn an gewartet hatten.
Die CD spielte ihre Musik die ganze restliche Nacht und sie wurde zur Endlosschleife über den Sümpfen. Die Ratten gingen mit Ungestüm an die Sache heran und es blieb absolut nichts. Als sie den Wagen raushievten, es muss am späten Morgen gewesen sein, spielten die Sixteeens noch immer.