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Mirkos Erkennen
Mirkos Erkennen
...Nun waren sie alle zusammengetrieben. Die Völker von Rehdan hatten sich vereint um zur wahrscheinlich letzten Schlacht anzutreten. Nun würde sich endlich weisen, ob der alte Mythos des Guten das Böse immer besiegen wird, oder ob diesmal das Böse, mit all seiner Kraft, der Bosheit und der Gier, das hinwegraffen würde, was König Jahwe einst geschaffen hatte.
Es waren an die zehntausend Mann angetreten. Zweitausend Krieger des Volkes der Faharen, mutige Ritter aus dem Süden; die Zahl der Scharen des Königs Technaton der Rohonen belief sich auf etwa fünftausend Mann, Fußvolk, das ausgebildet war, Schmerz zu ignorieren und dem Krieg zu dienen, komme was wolle. Dann war noch die Armee von König Jahwe selbst. Ihre Zahl belief sich auf dreitausend, mit Schildern und Äxten ausgerüstete Männer ab vierzehn Jahren mit der Entschlossenheit in den Augen, die man sonst von keinem Volk kannte.
König Jahwe saß auf seinem Pferd an der Spitze der Menschen und trotz der hohen Anzahl und Loyalität der Männer konnte man große Sorge in seinen Augen sehen. Er wusste zwar, dass gute und tapfere Männer hinter ihm standen, doch seine Augen erblickten etwas, das ihn selbst winzig klein erschienen ließ: Die Arakh-Hebar. Mindestens fünfmal mehr als das Menschenheer. Die Arakh-Hebar waren Wesen der Dunkelheit, die es irgendwie geschafft hatten, sich an das Licht zu gewöhnen und nach und nach versuchten, die Menschen von Rehdan zu unterwerfen.
Heute würde es sich entscheiden, wer siegen und somit an der Spitze der Macht von Armen leben würde.
Wind kam auf und es wurde ruhig. König Jahwe führte das Heer der Menschen an. Er müsste nur den blau-weißen Banner erheben und schon würden sechzigtausend Wesen gegeneinander kämpfen, morden und sterben, Leid verursachen und selbiges erfahren.
Es gab nichts mehr zu bereuen.
Es musste sein. Er hob das Banner.
Doch noch bevor er seine Hand ganz erheben konnte, erfasste ein Mann seinen Arm. Er sah fremd aus. Seine Kleidung widersprach all dem, was er bis jetzt in seinem Land gesehen hatte. Er trug kein Kettenhemd, keine Lederstiefel. Und auch trug er weder die Tracht der Zwerge von Trahidon, noch das leichte Gewand der Elben vom Tingenwald. Auch war er nicht nackt wie die schrecklichen Arakh-Hebar.
„Wer seid ihr?“, fragte König Jahwe mit strengem Blick. Das Aussehen des Fremden verblüffte ihn so sehr, dass er ihm nicht den Kopf abhacken lassen, sondern ihn nur nach seinem Namen fragen konnte.
„Warum tut ihr das?“, fragte der Fremde und deutete auf das Schlachtfeld.
„Nennt mir euren Namen und ich werde euch nicht sofort das Haupt von den Schultern schlagen!“ König Jahwe blickte auf den Fremden herab.
„Mein Name ist Peter, falls Ihnen das etwas sagt, aber es wird Ihnen nichts sagen. Ich frage Sie, warum tun Sie das alles und erbitte eine Antwort.“
Der Fremde war nicht nur seltsam in eine blaue Hose aus seltsamem Material und in ein buntes Hemd gekleidet, er stellte auch seltsame Fragen. Das verblüffte König Jahwe sehr. Er stieg von seinem Pferd und lud den Fremden in sein Zelt ein. Der Krieg musste warten.
Mirko reibt sich die Augen und starrt auf die Uhr. Es ist halb vier Uhr nachts. Oder morgens, wie immer man auch sagen möchte. Er hat um acht Uhr abends angefangen zu schreiben und von ein paar Toilettenpausen abgesehen, siebeneinhalb Stunden durchgeschrieben. Nun verdient er sich eine Zigarette. Er geht zum Fenster, macht es auf und zündet sich eine Chesterfield an. Er betrachtet sein Skript.
Es erzählt eine Geschichte über eine erfundene Welt namens Armen, dessen Völker zusammengetreten waren um in den Krieg gegen das Böse zu ziehen. Einfache Geschichte mit einfacher Handlung. Freilich würde es kein Tolkien-Werk werden, aber das nach Fantasy lechzende Publikum des Verlages, bei dem er beschäftigt war, würde es verschlingen. Vor allem jetzt, nach der Herr-der-Ringe-Flut der letzten Jahre. Drei Tage hat er noch um seinen Vertrag zu erfüllen und die Geschichte seinem Chef auf den Tisch zu legen. Drei Tage sind nicht viel, aber es muss genügen. Er muss noch einige Kampfszenen ausformzulieren, Blut muss spritzen, vielleicht sollte ein Feuer speiender Elkotron der Schlacht noch mehr Farbe geben, und schließlich müsse das Elbenvolk zu Hilfe kommen. Das Gute würde siegen, das Böse verlieren. Amen.
Mirko liest sich die letzten Zeilen seines Werkes noch einmal durch und schmeißt sofort die Zigarette aus dem Fenster.
“Verdammte Scheiße!“ murmelt er in die Stille des Zimmers. Er weiß, dass Müdigkeit bei ihm viel anrichten kann, dass es schon einmal vorkommt, dass er im Handlungsverlauf Kapitel überspringt oder Unsinn schreibt, aber das was er jetzt liest, übertrifft seine bisherigen Erfahrungen bei weitem.
„Wer zum Teufel ist Peter?“, fragt er sich selbst und löscht die letzten Sätze. Bis jetzt war es noch niemals vorgekommen, dass er etwas geschrieben hat, ohne es zu wissen, ja sogar ohne sich erinnern zu können. Es wurde Zeit schlafen zu gehen. Morgen Früh müsste er weiter daran schreiben.
„Peter...“, murmelt er noch, als er sich in seine Decke kuschelt.
Als Mirko aufwacht, macht er sich zunächst einmal Kaffee. Kaffee ist gut und macht stark für den Tag, darum gibt es für Mirko auch immer zwei Tassen in der Früh, zwei Tassen am Nachmittag und in der Nacht soviel er braucht um wach zu bleiben. Schließlich muss er immer sehr viel schreiben. Sein Verleger kennt da keine Gnade.
Als der Kaffee durchrinnt, fährt er seinen Computer hoch. E-Mail checken (natürlich bekommt er keine), Amateurseite für Hobbyautoren im Internet checken (natürlich keine Kritiken erhalten) und auf das W-Zeichen seiner Taskleiste klicken. Immer die gleiche Prozedur.
Als der Kaffee fertig ist, beginnt er auch wieder zu schreiben.
Er schreibt beinahe den ganzen Tag, isst zu Mittag nichts und macht am Nachmittag nur eine kleine Pause, um sich Kaffee zu kochen. Doch noch immer ist die Geschichte nicht vollendet. Erst von der Schlacht ist fertig erzählt.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand erweckt er die letzten Zeilen seiner Erzählung noch einmal zum Leben.
...Viele der Mannen des menschlichen Königreiches starben. Schwerter trennten ihre Häupter von ihren Schultern, in Schlangengift getränkte Arakh-Hebar-Pfeile durchbohrten ihre Herzen und einigen wurde auch von einem wütigen Gegner der Kopf abgebissen.
Plötzlich lag etwas in der Luft. Alle spürten es. Arakh-Hebar genauso wie Menschen.
Der Kampf verlangsamte sich und brach schließlich ganz ab. Sie starrten in die Luft. Ein Drache flog über sie hinweg. Jedes Mal wenn er seine Flügel schwang, lag ein starker, tiefer Ton in der Luft, der das Herz der Krieger springen ließ. Doch nicht vor Freude. Niemand mochte Drachen.
Lange kreiste er um sie herum und als es schließlich den Anschein machte, als wolle er auf dem Schlachtfeld landen, stoben die Kämpfer schreiend auseinander.
Der Drache landete und ein Mensch stieg von ihm herab. König Jahwe konnte seinen Augen nicht trauen. Es war Peter.
„Nehmt ihn gefangen!“ schrie er, „Rückzug!“
Die Front lichtete sich nun. Beide Parteien zogen sich zurück und König Jahwe ließ den Gefangenen in sein Zelt bringen.
„Es freut mich, dass sie mich aufnehmen, König Jahwe. Ich möchte mit Ihnen sprechen“, erklärte Peter, kaum dass er im Zelt angekommen war. Der König deutete den beiden Soldaten, die Peter ins Zelt gebracht hatten zu gehen und wunderschöne Frauen in Schleiern brachten Wein und Trauben.
„Warum grinst Ihr so?“ fragte der König zornig. Der Fremde war Angst einflößend. Er brachte Drachen unter seine Herrschaft, tötete aber nicht. Er erschien mitten auf dem Schlachtfeld, ohne zu kämpfen und grinste unverschämt in der Gegenwart des König.
„Jetzt hat er Anleihen bei Scheherazade genommen. Sehr einfallslos, finden Sie nicht auch, König Jahwe?“
Der König blickte dem Fremden hart ins Gesicht. „Woher kommt Ihr? Und wer ist dieser Er? Und wer ist Scheherazade?“
Peter nahm sich eine Traube und steckte sie in den Mund. „Die sind köstlich, finden Sie nicht auch?“, schmatzte der Fremde, „Woher kommen die denn?“
„Sagt mir zuerst, woher Ihr kommt!“, schrie der König plötzlich und warf die Schale mit Weintrauben zu Boden. Er hatte genug von den Spielen dieses Fremden. Schließlich war er der König.
Der Fremde sah etwas überrascht aus. Dann sagte er: „Ich komme aus der Wirklichkeit, aber die Frage ist eher, woher kommen Sie?“
„Man kennt mich“, sagte der König, „Jeder weiß woher ich komme. Ich komme aus Rehdan, Sohn des Jordan, König von ganz Armen. Wo Wirklichkeit liegt, weiß ich nicht und ich zweifle an deren Existenz. Darum nennt mir Euren Heimatort oder ich lasse Sie augenblicklich töten!“
Wieder grinste der Fremde. „Ihr zweifelt also an der Existenz der Wirklichkeit? Dann sind wir ja schon weiter, als ich mir dachte, dass wir kommen werden.“
„Wachen!“, schrie der König. „Holt den Gefangenen und werft ihn in die Saale!“ Zu dem Fremden sagte er triumphierend: „Die Saale ist der wildeste Fluss des ganzen Königreiches, müsst Ihr wissen!“
„Weiß ich“, sagte der Fremde, „Schließlich weiß ich alles. Was Sie allerdings nicht wissen ist, dass alle Leute eingeschlafen sind und vor fünf Uhr früh nicht aufwachen werden.“
Des Königs Zorn wuchs. Er stieg aus dem Zelt und musste sehen, dass es plötzlich Nacht geworden war. Als der Fremde gelandet war, war es gerade Mittag gewesen. Und das war vor etwa zwei Stunden. Es konnte unmöglich Nacht geworden sein.
„Gehen wir ein Stück.“ Der Fremde war hinter ihm aus dem Zelt getreten. König Jahwe war zu verdutzt, um etwas dagegen zu sagen. Und so gingen sie...
Mirko hört auf zu lesen. War er denn plötzlich verrückt geworden? Wie kann all das passieren? Passiert es überhaupt? Er zwickt sich in den Oberarm und es tut weh - das bedeutet auf jeden Fall, dass er nicht träumt, aber nicht unbedingt auch, dass es wirklich passiert. Wenn es aber nicht wirklich passiert, sondern dieser Peter nur in seiner Fantasie lebt, dann zweifelt er wirklich an seinem Verstand.
Und noch etwas macht ihn nachdenklich. Dass etwas nur in seinem Kopf passiert, war eine Sache, aber wie konnte diese Einbildung mit seinen Figuren kommunizieren? Wie konnte etwas, das in seinem Unterbewusstsein existiert, etwas anderem, das in seinem Bewusstsein lebt, Fragen stellen und es verrückt machen?
Oder gibt es eine andere Möglichkeit? Er greift zum Hörer und ruft seine Freundin an. Nach kurzem Halli-Hallo kann er sie von einem Notfall überzeugen. Natürlich kommt sie.
Und während er auf sie wartet, liest er „seine“ Geschichte zu Ende.
Der Fremde schritt neben dem König her. Jahwe hatte nicht den Eindruck als würde er an einen bestimmten Ort geführt. Der Fremde blickte ständig in den Himmel, so als hätte er Heimweh oder als suche er seine Liebste, die sich in den Galaxien des Universums verlaufen hatte.
Wo noch am Tag die Schlacht gewütet hatte, lag jetzt stiller Nebel. Für König Jahwe sah es sehr friedlich aus und erst jetzt bemerkte er, dass er kein Schwert mitgenommen hatte. Er war dem Fremden gänzlich ausgeliefert. Doch er machte sich keine Sorgen. Seine Gedanken hingen viel mehr an den Worten des Fremden.
Von wem hatte er da gesprochen? Scheherazade? Jemanden, der davon Anleihen macht. Wer sollte das sein? Jemand, den er kannte? Jemand, der Zutritt zu seinen Gemächern hatte? Aber war er es nicht selbst gewesen, der die Weintrauben befohlen hatte, die dem Fremden Anlass zu dieser Bemerkung geben sollten? Und er hatte es sicher nicht getan, weil er Anleihen bei Scheherazade nehmen wollte. Oder etwa doch?
„Warum kämpfen Sie, Herr König?“, fragte der Fremde und blieb stehen.
„Um mein Volk von der Herrschaft der Arakh-Hebar zu befreien. Was denkt Ihr denn?!“
„Sind Sie sicher? Warum haben Sie es denn nicht mit Gesprächen probiert? Mit Diplomatie versucht? Vielleicht sogar mit Hilfe?“ Der Fremde blickte dem König hart ins Gesicht.
„Weil man mit diesen Wesen nicht reden kann“, sagte der König langsam und mit einem hämischen Grinsen. „Und weil man diesen Wesen nicht helfen kann!“ Der Fremde wusste also doch nicht alles.
„Das ist die Antwort eines Herrschers“, sagte der Fremde, „und das macht mich sehr traurig. Woher wollen sie das denn wissen?“
„Ich weiß es eben. Es liegt in der Natur der...“
„Der Natur der was?“ unterbrach ihn Peter, „Natur der Dinge? Wer ist dann diese Natur, die so grausam ist? Wer ist diese Natur und lässt sie so etwas denken?“ König Jahwe sah Zorn in den Augen des Fremden und nun bereute er es, sein Schwert zu Hause gelassen zu haben.
Er versuchte die Situation zu beruhigen: „Ihr müsst wissen, dass ich als König natürlich gerecht herrsche. Ich würde nie einen Krieg provozieren, ohne mir ganz sicher zu sein. Und ich bin mir der Bosheit dieser Wesen sicher. So sicher, wie ich weiß, dass es Sterne am Himmel gibt.“
„Und woher wissen Sie, dass es Sterne am Himmel gibt?“
Der König lächelte nun etwas über die Dummheit des Fremden. „Wisst Ihr, wir haben Wissenschaftler, die das bestätigen können. Jene, die ihr Leben lang nichts anderes machen, als in den Himmel zu schauen und die Sterne zu beobachten. Die müssen es doch wissen. Zum anderen sehe ich Sterne, wenn ich in den Himmel sehe.“
“Wie oft sehen sie denn in den Himmel?“
„Vor jeder großen Schlacht. Es bringt Glück, müsst Ihr wissen.“
Nun grinste der Fremde. „Immer wenn Sie in den Himmel sehen wollten, sahen Sie Sterne. Wenn Ihnen Ihre Natur sagte, sie wollen Ihren Kopf erheben und gen Himmel blicken, konnten sie diese leuchtenden Punkte da oben sehen. Ist das richtig?“
Dem König gefiel das selbstgefällige Grinsen des Fremden nicht. Es fröstelte ihn ein wenig.
Dann schritt dieser Peter auf den König zu, ergriff sein Kinn und drehte seinen Kopf hoch.
„Dann sagen Sie mir, was Sie nun sehen! Sagen Sie es mir! Sagen Sie, was Sie sehen, wenn Ihnen die Natur nicht sagt, Sie wollen gen Himmel schauen!“
König Jahwe blickte mit weit aufgerissenen Augen hinauf. Vor Schreck konnte er nichts sagen. Er hatte keinen tätlichen Angriff des Fremden vermutet und jetzt war es geschehen. Der große König der Menschen würde sterben und Schuld war die eigene Unvorsichtigkeit, die ihn sein Schwert zu Hause vergessen ließ.
Doch er starb nicht. Der Fremde hielt nur weiter seinen Kopf und schließlich blickte er hinauf und sah in den Himmel.
„Zählt die Sterne!“, befahl Peter. „Zählt Sie!“
Der König schaute angestrengt, dann stotterte er: „Es - es sind keine da!“
„Schaut genau!“, wurde dem König ein zweites Mal befohlen. Doch wieder konnte er keine sehen. Wie konnte das sein? War der Fremde etwa ein Zauberer? Doch dann müsste er ein sehr großer sein, denn nicht mal Heraskus konnte die Sterne vom Himmel fegen und er war einer der größten. Und wenn er ein so großer Zauberer war, warum tat er das alles? Es wäre viel leichter gewesen, ihn zu töten, als ihm den Himmel zu zeigen. Das konnte es also nicht sein.
Sein Kopf war noch gen Himmel gerichtet, als Peter schon längst los gelassen hatte.
„Denkt darüber nach!“, sagte er und schwang sich auf ein Pferd, das aus dem Nichts gekommen zu sein schien. „Ich komme wieder und wenn ihr bis dahin keine Antwort habt, dann gebe ich euch einen Tipp: Eure Natur heißt Mirko!“
König Jahwe wollte etwas darauf sagen, aber der Fremde war bereits weg. Gedankenverloren schritt er zu seinem Zelt zurück.
Lange sitzt Mirko da, starrt auf seinen Bildschirm, liest die vier Wörter immer und immer wieder. „Eure Natur heißt Mirko!“ Die Sätze bilden in seinem Kopf immer neue Formen und Farben. Einmal sind sie rund und blau, dann wieder oval und grün und einmal sogar dreieckig und orange. Doch egal welche Form und welche Farbe die Worte annehmen, nichts kann ihnen an Bedrohlichkeit nehmen.
Dann klopft es an der Tür und das reißt ihn schließlich aus den Gedanken. Es ist Susi, Mirkos Freundin, die einige Zeit für Ablenkung sorgen kann. Es gibt Spaghetti mit Fleischsoße und Rotwein und danach Kaffee. Mirko hat sich damals vor zwei Jahren für die richtige Frau entschieden, eine, die seine Affinität zu Kaffee teilt. Nur die Zigarette, die muss er alleine rauchen.
„Vorhin am Telefon hast du ziemlich verstört geklungen... Was war denn los?“, fragt ihn Susi schließlich, als sie am Balkon sitzen und den Sonnenuntergang betrachten. Im Großen und Ganzen ziemlich kitschig, aber so ist Mirko nun mal, das weiß er selbst.
Und er weiß auch, dass es seine Freundin verdient hatte, all das zu erfahren, ist es doch sie, die ihm die Kraft und die Ausdauer gibt, in Momenten weiter zu schreiben, in denen er alleine schon längst aufgegeben hätte. Und so erzählt er von seiner Geschichte, die sich selbstständig gemacht hat. Er gibt ihr auch die letzten Seiten zu lesen.
Als sie fertig ist, fragt er sie, was sie davon halte. Sie denkt einige Zeit nach und sagt dann schließlich: „Ich finde es sehr schön, was du da schreibst. Es sind viele Überlegungen dahinter und vor allem sind es interessante Fragen, die dieser Peter da stellt.“ Sie räuspert sich. „Trotzdem würde ich diesen Teil wieder herausnehmen. Er passt einfach nicht in die Umgebung. Vielleicht kannst du ihn ja in eine andere, extra für Peter geschriebene Geschichte einbauen.“
„Genau das ist das Problem“, entgegnet Mirko, „Ich hab gar nicht das Gefühl, als würde ich ihn schreiben. Als würde ich seine Handlung bestimmen können, es ist eher umgekehrt: Ich habe das Gefühl, als habe er mehr Einfluss auf die Geschichte als ich. Wie kann das sein?“
Susi denkt nach. Sie runzelt ihre Stirn wenn sie denkt und das ist für Mirko sehr praktisch, denn dann weiß er, wann er sie nicht zu stören hat. Als sie fertig überlegt hat, sagt sie: „Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder du hast es mit jemandem zu tun, der sich in dein System hineinhackt und deine Geschichte für dich schreibt. Um dich zu ärgern, um dich bei der Arbeit zu stören, was auch immer. Du hast doch Internet, nicht wahr?“ Mirko nickt. „Siehst du, das wäre die erste Möglichkeit. Die zweite ist, dass dein Unterbewusstsein zum Ausdruck kommen will. Früher hast du immer sehr leidenschaftlich geschrieben, mit sehr viel Emotionen und Ausdruck. Was nicht bedeutet, dass du heute schlechter schreibst“, beantwortet sie sein misstrauisches Stirnrunzeln, „Es ist nur so, dass du jetzt das schreiben musst, was im Trend liegt, damit die Verleger zufrieden sind, und nicht das, was du möchtest. Vielleicht ist es dein Herz, das wieder einmal etwas erzählen will.“
„Vielleicht hast du recht“, sagt Mirko und atmet tief ein. „Du hast wahrscheinlich sicher recht.“
„Na klar hab ich das. Mach dir mal keine Sorgen“, Susi nimmt seine Hand und drückt sie vorsichtig. Sie sieht ihn mit einem schiefen Blick an. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Heute wird sie bei ihm übernachten.
In der Früh wacht Mirko auf. Susi ist bereits weg und so beginnt für ihn der übliche Trott. Während der Kaffee durch den Filter rinnt, fährt er seinen Computer hoch, checkt seine E-Mail (eine Nachricht), ruft die Seite für Hobbyautoren auf und hält plötzlich inne.
Er hat eine E-Mail bekommen. Er hat sie nie bewusst gecheckt, eigentlich nur routinemäßig, um sich die Zeit zwischen Kaffee zubereiten und Kaffee trinken zu vertreiben, hätte nie mit einer Antwort gerechnet. Darum sieht er im Moment sehr erstaunt drein.
Und das Erstaunen wandelt sich sogleich in Schrecken, als er den Absender liest. „Peter“ flackert über seinen Monitor und durch seinen Verstand. Im Betreff steht: „Kurze Fragen“.
Er kann die Mail nicht lesen. Er geht zum Fenster und zündet sich eine Zigarette an.
„P“, geht durch seinen Kopf, „Wie kann das sein?
E – Ist es also doch ein Hacker!
T – Ich werde die Mail löschen
E – Ich lasse mich nicht terrorisieren.
R – Arschloch“
Er wirft die halb gerauchte Zigarette aus dem Fenster, schenkt Kaffee in eine Tasse und klickt, zurück an seinem Computer, auf den Delete-Button des E-Mail-Programmes.
Für einen kurzen Augenblick schließt er die Augen um den Ärger über diesen Peter herauszulassen, zieht das Kabel, das seinen Computer mit dem Telefonnetz verbindet aus der Wand und schreibt an seiner Arbeit weiter. Ohne Hackereinfluss. Es war nicht mehr viel Zeit, die Geschichte zu beenden.
König Jahwe führte das Heer der Menschen in den Krieg. Einen Krieg der gekämpft werden musste um das Volk von Rehdan von der Gewalt der bösen Arakh-Hebar zu befreien. Der König wusste selbst, dass er den Kampf verlieren könnte, doch war es für ihn und sein Volk besser zu sterben, als in der Gewalt dieser abgrundtief bösen Wesen dahin zu vegetieren.
Die Schlacht fand auf den Hügeln von Gradiendum statt, einer Wiesenlandschaft, die sich im Westen bis zu den Höhen von Glöhan erstreckten, dort wo die Riesen wohnten und im Norden bis ans Kakausische Meer. Die Gräser wippten in der Symphonie des Windes und die Sonne schien glänzend vom Himmel. An den Stellen, an denen die Hügellandschaft ihre Täler erreichte, hatte sich über die Jahrtausende Wasser gesammelt und somit kleine Sümpfe geformt, von denen man das Quaken von Faselfröschen hören konnte. Es war schön und beruhigend in dieser Gegend zu sein, sie vermittelte den Schein, als gäbe es keine Kriege und keine Leidenden auf dieser Welt.
Doch erhob man nun den Blick, so wurde man sofort in die Realität der Welt zurückgeschleudert. Die Schar der Arakh-Hebar hatte sich auf dem gegenüberliegenden Hügel versammelt und blickte zu dem Heer der Menschen hinüber. Ihre Speere waren in Eile gemacht und mit bloßen Leinenschnüren zusammengebunden, ihre Pfeile kurz und für einen Menschen, obwohl sie in Schlangengift getränkt waren, nur tödlich, wenn sie mitten ins Herz trafen. Ihre Schwerter waren alt und schmutzig. Doch sie hatten einen Vorteil, der die Schäbigkeit der Waffen wettmachte. Es traten zehntausend Menschen gegen fünfundfünfzigtausend Arakh-Hebar an.
Hinter König Jahwe ritt sein Sohn, Prinz von Rehdan. Sein einziger Sohn. Er legte seine Hand auf die Schulter seines Vaters, das Zeichen, dass die Männer bereit waren.
König Jahwe erhob das Banner der Menschen von Rehdan, schwenkte ihn dreimal und ritt los. Zehntausend Mann folgten ihm. Er ritt so schnell er konnte und verlangte seinem Pferd alles ab. Er wusste, Sieg oder Niederlage würde sich in den ersten Stunden des Kampfes entscheiden. Es gab kein Zurück mehr, kein Aufgeben. Tod oder Leben, es gab keine anderen Alternativen.
Auch das Heer der Arakh-Hebar ritt los, fünfundfünfzigtausend schreiende Geschöpfe. Es war kein schöner Anblick, aber König Jahwe musste ihnen entgegenblicken. Er fixierte den gegnerischen Anführer, er musste zuerst sterben, dann war das Heer allein. Und genauso wurde König Jahwe von dem Anführer fixiert.
Er ritt schneller und schneller, sein Heer hinter ihm, er wusste, dass es hinter ihm war. So behielt er den Blick nach vorne gerichtet. Jede Schlacht begann so, es war die Natur des Krieges. Und diese Natur heißt Mirko.
König Jahwe riss plötzlich an den Zügeln seines Pferdes. Dieses wurde abrupt langsamer, rutschte beinahe aus und blieb schließlich stehen. Die Arakh-Hebar, die er die ganze Zeit angesehen hatte, waren gut zu sehen, obwohl sie beinahe eineinhalb Meilen entfernt waren.
Er drehte seinen Kopf und blickte auf sein Heer. Die ganze Zeit hatte er nur Augen für die Arakh-Hebar gehabt, an sein Heer hatte er nicht gedacht. So wie er letzte Nacht nicht an die Sterne gedacht hatte, aber angenommen hatte, sie würden trotzdem da sein. Nun machte er genau die gleiche Erfahrung, wie in der Nacht zuvor. Sein Heer war nicht hinter ihm. Es existierte gar nicht. Hinter ihm war nur eine graue Masse, in der er hin und wieder ein Schwert sah oder den Kopf eines Pferdes, aber nichts hatte eine klare Form. Das Gesicht seines Sohnes war verwischt und verformt, so als ob es eine Zeichnung gewesen wäre, bei der man die frisch aufgetragene Farbe mit einem Tuch verrieben hätte. Die ganze Szenerie schien wie ein Bild, still, grau und unheimlich, wie Geister, die in einem plötzlichen Anflug von Angst erstarrt waren. Er konnte sie auch nicht richtig sehen, nicht direkt anschauen. Es war so wie etwas, das man nur aus den Augenwinkeln betrachten konnte. Schemenhaft und ungenau.
Allein das Trampeln der Hufe und das Kriegsgeschrei seiner Männer war zu hören. Wahrscheinlich, weil er es auch vorhin gehört hatte, als er noch der „Natur“ gefolgt war.
„Was machst du da, Mirko?“, schrie König Jahwe.
„Was geschieht hier?“, tippt Mirko in seine Tastatur und wartet. Er wollte vorhin ehrlich weiter schreiben um endlich diese Geschichte zu beenden, er hat sich wirklich konzentriert aber nichts ist dabei herausgekommen. Er hat das Internetkabel herausgezogen, um sich vor einem vermeintlichen Hackerangriff zu wehren. Er ist sich sicher gewesen, dass nur ein Hacker in der Lage ist, so etwas zu tun. Doch es ist kein Hacker. Es ist auch nicht sein Herz, so wie Susi es vermutet hat. Es ist etwas anderes, etwas Schauriges, das ihn hier zum Narren hält.
Als er vor etwa fünf Minuten aufgestanden ist um sich einen Kaffee zu machen, hat er plötzlich gesehen, wie etwas auf den Tisch geschmiert worden ist. Zuerst hat er gedacht, dass es Susi gewesen sein konnte, da die rote Schrift wie Lippenstift aussah.
Doch so war es nicht. Es ist eine Nachricht von Peter gewesen. „Warum löscht du meine E-Mails?“, ist mit roter Farbe dort gestanden. Da hat er zu schreien begonnen und als er schließlich aufgehört hat, hat er zu seinem PC geschaut und die gleiche rote Schrift auf seinem Bildschirm wieder gefunden. „Hör auf zu schreien!“, ist dort gestanden und das hat ihn schließlich beruhigt. Etwas in seinem Kopf oder seinem Verstand hat plötzlich „knacks“ gemacht und er ist ganz ruhig geworden.
Er stellt sich nun seinem Schicksal, gibt sich ihm hin, akzeptiert es. Er hat mit dieser Geschichte ein neues Universum geschaffen, eine Welt voller Magie und Unbegreiflichem, dessen Kreaturen es gewohnt waren, dort zu leben. Sie nahmen ihre Umwelt an, ohne Fragen zu stellen, ohne laut aufzuschreien und zu fragen, wer sie sind und woher sie kommen. Es war eine Welt, in der es um Krieg und Verrat ging, um Liebe und Begierde. Das hat seine Geschichte ausgemacht, eine andere Welt zu erschaffen, in der es aber die gleichen Probleme gibt, wie hier in der Realität. Doch nun ist er kein Erschaffer mehr, kein Créateur. Seine Welt hat sich selbstständig gemacht und droht nun gleichzeitig, seine eigene Welt zu zerstören. „Was geschieht hier?“ gibt er noch einmal ein und entdeckt, dass plötzlich ein ganz neuer Absatz der Geschichte über den Monitor flackert.
„Wer bist du, der du dich Mirko nennst?“, fragte König Jahwe. Die Schlacht war nicht mehr da. Es gab nichts mehr um ihn herum, keine Armee, keine Arakh-Hebars, keine Wiesen und keine Hügel. Alles war schwarz und es gab nur noch ihn und eine unfassbare Leere, die König Jahwe nicht zu begreifen vermochte.
„Es ist dein Erschaffer“, sagte eine Stimme hinter ihm und König Jahwe musste sich nicht erst umdrehen um zu erraten, wer es war.
„Meinst du Gott?“, fragte der König.
„Ich meine deinen Erschaffer. Nenn ihn wie du willst“, sagte Peter.
„Wo bin ich hier?“
„Sie sind dort, wo Sie schon immer waren. In der gleichen Umgebung, nur Mirko fällt es nun schwer, auch alle anderen Dinge zu erfinden. Er ist verwirrt. Vielleicht habe ich das alles nicht so geschickt gemacht, wie ich dachte.“
„Was bin ich?“
„Sie sind König Jahwe, Herrscher der Menschen von Rehdan. Das kann Ihnen keiner nehmen. Jetzt allerdings... Nun, jetzt sind sie sozusagen gestorben.“
„Und wo gehe ich hin?“
„Das weiß ich auch nicht. Das Wichtige ist, dass sie nun erkennen, denn man erkennt immer, wenn man gestorben ist. Oder vielleicht ist es ja umgekehrt. Vielleicht stirbt man auch, weil man erkennt und diese Einsicht für den Geist zu groß ist. Sie haben erkannt, Herr König. Ihr altes Leben hätte nun wenig Sinn.“
Der König runzelte die Stirn. Er wusste jetzt, dass er nur eine erfundene Figur in einer erfundenen Welt gewesen war. All die Jahre, in denen er als König geherrscht hatte, alle Dinge die er ernst genommen hatte, alles, was er geliebt und gefürchtet hatte, einfach alles war nur erfunden. Alle Dinge waren von jemandem vorherbestimmt gewesen, waren Teil einer Geschichte, die er nicht verändern konnte. Es hätte nun wirklich wenig Sinn, in diese Welt zurückzukehren und sich weiter als Spielball eines Erfinders behandeln zu lassen.
„Auch wenn ich nicht weiß, wohin ich gehe, ich werde gehen“, sprach König Jahwe und sah dem Fremden, der für ihn jetzt viel vertrauter aussah, entschlossen in die Augen.
„Machen Sie es gut, Herr König!“
„Macht Ihr es auch gut, Fremder!“
Mirkos Verstand rast im Leerlauf dahin, wie ein Wagen, dessen Räder man vom Motor getrennt hat.
Seine Geschichte hat sich somit selbst fertig gestellt. Er weiß nicht so recht, ob ihn das freuen soll oder nicht. Sie ist zwar fertig, allerdings ist sie nicht so verlaufen, wie er sich das gedacht hat. Es ist eine philosophische Geschichte daraus geworden. Vielleicht gefällt sie dem Verleger trotzdem.
Aber mehr noch, als dass er sich über die selbstständige Vervollständigung Gedanken macht, bereitet ihm der Inhalt der Geschichte Kopfzerbrechen. Irgendjemand hat dem Protagonisten seiner Geschichte verraten, wer er ist. Irgendjemand hat dem König alles erzählt und ihm somit die Geheimnisse seiner Welt offenbart. Ein Geheimnis, das ihm schließlich das Leben gekostet hat, denn das ist der Peis für alles Verstehen.
Mirko beißt sich auf die Unterlippe und macht einen Schluck von seinem Kaffee. Er schmeckt kalt und bitter und rinnt nur widerwillig seinen Hals hinab.
Im Grunde klingt das alles gut und schön und verdammt nach einer guten Story. Aber sie verliert sehr an Reiz durch den Zusammenhang, der sich zwischen Mirkos Leben und dieser Geschichte aufgebaut hat. Nicht nur König Jahwes Leben, sondern auch sein eigenes wurde durch den Fremden namens Peter beeinflusst. Einerseits waren da die Sterne und das Heer, einfach alles, das es in seiner erfundenen Welt nur gab, wenn er sie erfand, andererseits waren da die E-Mails, der voll geschmierte Tisch und sein Monitor, die wirklich existierten. Irgendwie musste es einen Zusammenhang geben, zwischen König Jahwe und ihm selbst, Mirko Mollaschek, der das Geheimnis offenbaren sollte, das die Welt in den Angeln hält.
Mirko blickte auf seinen Monitor. Ein weiterer Absatz.
Liebe Leserinnen und Leser!
Nun werde ich die Geschichte bald beenden und ich hoffe, dass sie Ihnen bis jetzt noch nicht zu lange erschienen ist. Ich habe mich bemüht, diese Geschichte flott zu schreiben und mich nicht unnötig aufzuhalten. Aber das gelingt nun mal nicht immer, vor allem wenn es heißt, einen König einer anderen Welt und einen normalen Menschen in einer unserer ähnelnden Welt von ihrer wahren Existenz zu erzählen, ohne ihre Hirne zu sprengen.
(Wahre Existenz?)
Das wäre nun bald geschafft, es fehlt noch das Erkennen von Mirko, das diese Geschichte vollenden wird. Aber das muss zärtlich geschehen, darf nicht auf ihn hereinbrechen, so wie es in der Bibel geschildert wird, in der Menschen beim Anblick Gottes sterben. Mirko muss sanft zu der Wahrheit geführt werden, denn glauben Sie mir, auch für Sie wäre es nicht leicht, plötzlich erkennen zu müssen, dass sie bloß eine Figur in einer Geschichte sind und nicht in einer freien Welt mit einem freien Willen und solchem Bla Bla leben.
(Figur in einer Geschichte?)
Darum möchte ich die letzten Zeilen allein Mirko und seinem Erkennen widmen. Es soll auch eine Warnung an Sie sein. Eine Warnung, das Leben zu selbstverständlich zu nehmen, es zu sehr zu vereinfachen und zu entzaubern. Es geschehen viel zu viele seltsame Dinge um uns herum, als dass wir mit der Arroganz der Allwissenheit durchs Leben laufen könnten.
Mirko bist du bereit?
Mirko steht von seinem Sessel auf, ohne seinen Blick von dem Monitor zu wenden. So fügt es sich also ineinander. König Jahwe, er selbst und Peter. In dieser Reihenfolge, denn den König hat er erschaffen und er selbst war von Peter erschaffen worden.
Mirko blickt sich um. Seine Welt beginnt plötzlich zu flackern. Es war eines jener Flackern, die man von den Hologrammen in Serien wie Raumschiff Enterprise kennt, wenn das Hologramm schwächer wird und der Schein verschwindet. Und so ist es auch hier, denkt Mirko, alles ist nur Schein. Der Sessel, der Computer, der Kaffee, selbst seine Freundin hat nie wirklich existiert. Es ist alles nur einer Feder eines Schreibers entsprungen.
Er blickt auf seine Hand. Sie hat noch immer fünf Finger und ist mit Haut überzogen. Aber jetzt sieht er genauer hin, sieht das erste Mal in seinem Leben genau hin und nimmt sie nicht als selbstverständlich. Von der Ferne sieht sie noch immer wie eine Hand aus, aber wenn man näher blickt, so kann man erkennen, dass die Haut aus winzig kleinen Elementen besteht. Nicht aus Atomen oder Molekülen. Nein, winzig kleine Buchstaben setzen seine Hand zusammen und geben ihr ihre Form. Auf dem Daumen steht „Zu Beginn der Reise“, ein Teil seiner ersten Geschichte, die er verfasst hat. Auf seinem Oberarm steht „Martha Mollaschek gebärt einen Sohn, den sie Mirko nennt“. Er geht hinüber zu dem Sessel. „Er setzt sich hin und macht einen Schluck von seinem Kaffee“, steht auf der Armlehne. „,Ein neuer Absatz flackert über den Bildschirm’“, ist auf seinem Monitor geschrieben.
Aber das stimmt nicht ganz, es steht nicht dort geschrieben. Es ist der Monitor und der Sessel und auch er. Alles setzt sich aus winzigen Buchstaben zusammen, aus Gedanken irgendeines fremden Menschen oder Wesens. Er ist eine Geschichte.
„Wo gehe ich hin, Peter?“, fragt Mirko, als er sieht, dass alles um ihn herum schwarz geworden ist.
„Das weiß ich auch nicht, Mirko. König Jahwe hat mich schon das Gleiche gefragt. Ich habe keine Ahnung“
„Aber die Geschichte ist nun zu Ende, oder?“
„Ja, bald ist sie zu Ende und auch deine bisherige Existenz ist bald zu Ende. Noch ein paar Zeilen.“
Mirko nickt und geht. Wohin er geht, kann auch ich nicht sehen, denn das alles liegt außerhalb der Geschichte. Vielleicht lebt ein Teil von ihm in jedem von denen, die das gelesen haben, weiter. Vielleicht existiert er auch gar nicht mehr. Wer weiß das schon? Wer weiß schon, was mit uns geschieht, wenn wir einmal sterben?
Ich wollte Ihnen mit der Erschaffung des Autors zeigen, wie wenig man Wirklichkeit von Erfindung unterscheiden kann. Hätten Sie etwa gedacht, dass Mirko nur erfunden ist? Ich meine, Sie wussten zu Beginn bestimmt, dass er erfunden ist, da sie wissen, dass das eine Geschichte ist, aber haben Sie es auch während des Lesens gewusst? Oder haben Sie gedacht, dass es diesen Mirko sicherlich geben könnte. Vielleicht haben Sie gedacht, es handle sich um eine wahre Erzählung. Hätte gut sein können, denn alles war sehr realistisch. Zumindest soweit wir „realistisch“ empfinden können und vielleicht nicht sogar selbst ein Teil einer Geschichte sind, die sich jemand anderer ausdenkt. Wer weiß das schon? Aber ich denke, irgendwann werden wir es wissen. Dann werden wir Mirko vielleicht sogar wieder sehen.
Ich werde die Geschichte nun schließen und sie auf Fehler untersuchen. Ich hoffe ich kann mich konzentrieren, denn es riecht seltsamer Weise sehr stark nach Kaffee, obwohl ich dieses braune Gesöff hasse. Egal. Sonst korrigier ich es morgen.
Wünsche Ihnen noch einen schönen Abend,
Ihr Peter Hausweger.