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Mir war eben danach
Mir war eben danach
„Andrea, hast du mir überhaupt zugehört?“
Verärgert verschränke ich meine Arme vor meinem Bauch.
Andrea starrt mich an. Nein, vielmehr starrt sie durch mich hindurch.
Ihr Eis fließt langsam ihren Arm herunter. Ich verfolge den orangefarbenen Tropfen, bis er an ihrem Ellbogen auf ihre Hose tropft.
„Andrea?“
Andrea öffnet langsam den Mund, es kommen aber keine Worte heraus.
Irritiert sehe ich mich um, um zu sehen, was Andrea so in seinen Bann nimmt.
Der vertrocknete Kastanienbaum?
Der graubraune Wohnquader aus den frühen Siebzigern, dessen einziger Farbklecks eine albern grinsende, gelbe Satellitenschüssel ist?
Der überfüllte Mülleimer, dessen Metallwände völlig zerbeult sind, weil ihn Generationen von Jugendlichen als Streetballkorb und Fußballtor missbraucht haben?
Ich drehe mich zurück zu Andrea.
Ihr Eis ist ihr inzwischen aus der Hand gefallen und schmilzt ungestört auf ihrem T-Shirtrand weiter.
Sie holt tief Luft, sagt aber immer noch nichts.
Traut sie sich nicht, mir etwas zu sagen?
Sie holt noch einmal tief Luft.
„Susanne?“
„Ja?“
Andrea atmet noch einmal tief ein.
„Viele Menschen sind unglücklich.“
Ich runzle die Stirn.
„Du auch, Andrea?“
„Nein, ich nicht. Deswegen sage ich ja, dass viele Menschen unglücklich sind. Und nicht, dass alle Menschen es sind.“
Ich beiße mir auf die Unterlippe.
„Weißt du, Andrea, du wirst bald sechzehn. Du willst mir doch nicht erzählen, dass du erst gerade eben auf diese Erkenntnis gekommen bist.“
Andrea schaut mich fragend an.
„Wir wissen alle, dass es viele unglückliche Menschen gibt“, seufze ich, „wie soll das auch anders sein, wenn du dir die Welt mal anschaust? Es gibt Kriege, Armut, Diktaturen, Folter, Aids, Krebs und noch tausende andere schlimme Dinge. Die Welt ist scheiße, das wissen wir spätestens seit der Pubertät. “
Andrea reagiert nicht.
„Ich finde, ehrlich gesagt, die Erkenntnis, dass einige wenige Menschen glücklich sind, sehr viel faszinierender als die, dass viele Menschen unglücklich sind“, setze ich nochmals an.
Andrea fischt den Eisstiel aus dem geschmolzenen Eis auf ihrem Schoß.
„Hast du ein Taschentuch mit?“
Verwundert krame ich in meiner Tasche und gebe ihr eins.
„Danke. Eigentlich wollte ich das morgen noch mal anziehen. Hoffentlich geht der Fleck raus.“
Akribisch reibt sie mit dem Taschentuch an ihrem T-Shirt, bis das Taschentuch nur noch aus vielen kleinen Fusseln besteht.
„Guck mal, da ist ein Taube! Eine weiße Taube, nur der Kopf ist grau.“ Sie verfällt in die gleiche Starre wie vorher.
Die Taube kommt näher, Schrittchen für Schrittchen, bis sie Andreas Schoß erreicht hat. Mutig setzt sie sich auf sie und pickt nach den Krümeln ihrer Eiswaffel.
Wenn ich genau hinsehe, kann ich die Spur eines Lächelns auf Andreas Gesicht erkennen.
Ihre blonden Locken glänzen in der kalten Frühlingssonne. Meine Haare sind mausbraun und glänzen nie, gleichgültig, wieviel Spülung ich hineinknete.
Überhaupt ist Andrea schön. Viel schöner als ich. Ihrem Körper sieht man an, dass sie Leistungssportlerin ist, alles ist fest und an ihren Schultern spielen feine Muskeln, wenn sie ihre Arme bewegt. Ihre Augen sind grün, richtige Katzenaugen, während meine dem dreckigen Schnee auf Fahrbahnen ähneln, ein schmutziges Graubraun. Sie sieht aus wie ein Model aus der Zahnpastawerbung, während meine Zähne eher beige sind und zudem auch noch schief, trotz jahrelanger Zahnspange.
Außerdem ist Andrea Schauspielerin in verschiedenen Gruppen und eine erfolgreiche Turnerin. Ich mache nichts in meiner Freizeit. Höchstens lesen. Oder fernsehen.
Und Andrea hat viele Freunde. Ich habe nur eine Freundin. Andrea nämlich.
Plötzlich springt Andrea auf und zischt laut.
Die Taube flattert davon.
„Sie hat gar nicht nur die Krümel gegessen. Die hat auch nach den Taschentuchfetzen gepickt. Sterben Vögel, wenn sie Taschentücher essen?“ Andreas Stimme zittert leicht.
Ich stelle mich neben sie und lege meinen Arm um sie.
„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“
„Glaubst du, sie muss sterben?“
„Ich glaube nicht“, versuche ich sie zu beruhigen. Ich lege meinen Arm um ihre Taille und setze mich mit ihr auf den Boden.
Sie schaut mir fest in die Augen und ich widerstehe dem Drang, meinen Kopf wegzudrehen.
„Viele Menschen sind unglücklich. Und ich weiß, wieso.“
Ich erwarte eine weitere Erklärung, aber Andrea schweigt.
„Und wieso?“, murmele ich unsicher.
„Weil sie Dinge machen, die sie nicht wollen“, antwortet Andrea.
„Aha. Wie zu arbeiten oder so?“
„Wenn sie ihre Arbeit nicht mögen, dann sollen sie sie nicht machen.“
Andreas Stimme hört sich fast trotzig an.
„Das heißt, du willst ab jetzt nur noch das machen, worauf du gerade Lust hast?“
Andrea nickt.
„Andrea, das funktioniert doch nicht.“
Andrea runzelt die Stirn.
„Warum nicht?“
Ich seufze leicht.
„Willst du zum Beispiel dein Leben lang durch dreckige Fenster schauen, weil du keine Lust hast, sie zu putzen?“
Andrea schüttelt ihren Kopf.
„Nein. Aber ich will die Fenster nur noch putzen, wenn ich Lust darauf habe.“
Ich lache auf.
„Wann hat man schon Lust darauf, ein Fenster zu putzen.“
Andreas Gesicht bleibt ernst.
„Weißt du noch, wie wir früher immer Fenster geputzt haben? Ganz früher? Wir waren, glaube ich, noch im Kindergarten. Ich habe immer das Fenster eingesprüht. Und du hast es abgewischt.“
Ich lächle.
„Wir mussten auf einen Tisch steigen, um an das Fenster heranzukommen, so klein waren wir“, erinnere ich mich.
Jetzt lächelt Andrea auch.
„Das hat doch Spaß gemacht, oder?“
Ja, das hatte es wirklich. Wann haben wir eigentlich damit aufgehört?
Ich kann mich nicht mehr erinnern.
„Ich denke, wir könnten es probieren. Einfach das zu tun, worauf wir Lust haben. Und den Rest lassen. Und wenn es nicht klappt, leben wir einfach so wie früher weiter.“
Andrea umarmt mich und gibt mir einen Kuss auf das rechte Auge. Ich kneife es reflexartig zu.
„Warum gerade mein Auge?“, quietsche ich.
„Mir war so danach. Und jetzt habe ich Lust auf Erdbeerkuchen.“
„Ich auch. Lass uns Erdbeerkuchen essen gehen.“
Ich stehe auf und ziehe Andrea an den Armen hoch.
Hand in Hand laufen wir die Straße entlang. Am Ende der Straße ist eine kleine Konditorei.
Jedem, dem wir begegnen, wünschen wir einen guten Tag. Und wir meinen es auch so. Jeder soll einen so guten Tag haben, wie wir ihn gerade erleben.
Manche schauen irritiert, die meisten antworten nicht.
Aber der ältere Mann mit dem dreckigen Hemd dreht sich noch einmal zu uns um, zwinkert und geht viel beschwingter.
Und die schmale Frau mit dem Kinderwagen, aus dem lautes Geschrei dringt, lächelt zuerst uns und dann ihrem Kind zu, das sich sofort beruhigt.
Ein kleines Mädchen bleibt sogar stehen und als ich es anlache, rennt es sogar auf mich zu und umarmt meine Beine.
Als ich die Tür zur Konditorei öffne, denke ich, dass das zu machen, worauf man gerade Lust hat, nicht nur einen selbst glücklich macht. Es macht auch andere glücklich. Und das wiederum macht einen selbst noch glücklicher.
Direkt hinter der Konditorei liegt der Entensee.
Eigentlich ist er so klein, dass man ihn kaum als See bezeichnen kann, eher als Tümpel.
Und eigentlich gibt es hier auch gar keine Enten, sondern höchstens ein paar Spatzen, die die Krümel der Konditoreikuchen aufpicken, die von den vielen Familien, die hier im Sommer regelmäßig hinpilgern, verspeist werden.
Entensee heißt der Tümpel nur wegen des Spielplatzes am See. Alle Wipptiere sind Enten, die Sitze der Wippe sind mit Holzplatten in Entenform beklebt und sogar die Rutsche ist mit Enten bemalt. Andrea und ich setzen uns auf zwei Wippenten, die nah beieinander stehen; ich auf eine grüne und Andrea auf eine blaue.
Ich war bisher nur im Sommer hier und kenne den Spielplatz und den See daher nur völlig überfüllt. Heute ist aber ein kalter Frühlingstag und wir sind tatsächlich die einzigen am See und auf dem Spielplatz.
Wir machen uns beide über die Kuchenstücke her. Insgesamt haben wir acht Stücke gekauft.
Andrea stößt kleine Genussseufzer aus. Ich genieße einfach schweigend.
Es ist gut, wirklich gut. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich war.
Nach dem dritten Kuchenstück stöhne ich auf.
„Ich kann nicht mehr. Wirklich nicht.“
Auch Andrea hat gerade ihr drittes Stück verschlungen.
„Lass uns unser viertes Stück auf dem Baum da essen.“ Sie zeigt auf einen alten Kastanienbaum neben dem See.
„Hast du mir schon wieder nicht zugehört? Ich bin satt, pappsatt. Und abgesehen davon bin ich mit den drei Kuchenstücken in meinem Bauch viel zu schwer, um diesen Baum da hochzuklettern. Wahrscheinlich bricht der arme alte Baum zusammen, wenn wir da zusammen hochklettern.“
Andrea grinst.
„Ich habe Lust, da jetzt hochzuklettern. Wenn du keine Lust hast, dann bleib halt unten. Aber gib mir mein Stück Kuchen, damit ich das da oben essen kann.“
Ich reiche ihr die Kuchentüte.
Sie schnappt sie und rennt damit zum Baum. Sie versucht, an den ersten Ast zu kommen, springt hoch, kriegt ihn zu fassen, aber dann fällt ihr die Kuchentüte aus der Hand.
Sie nimmt sie zwischen die Zähne und schafft es, den ersten Ast zu greifen zu, hält ihn aber nicht lange genug, um ihre Beine über ihn zu schwingen.
Ich seufze, stehe auf und gehe zu ihr um ihr zu helfen.
Sie ist zwar eine gute Turnerin und sehr sportlich, aber einfach viel zu klein, um an diesen Ast zu kommen.
Habe ich damit nicht das Prinzip verworfen, nur das zu machen, worauf ich Lust habe? Ich wäre viel lieber einfach in der Sonne liegen geblieben.
Ich mache ihr eine Räuberleiter.
Sie lächelt mich dankbar an.
Ich merke, wie mich das glücklich macht. Irgendwie hat sich das Aufstehen doch gelohnt.
Ich hebe sie über den ersten Ast, sie reicht mir die Hand und obwohl ich eigentlich gar keine Lust hatte, auf den Baum zu klettern, nehme ich sie, stemme einen Fuß gegen den Baumstamm und ziehe mich so hoch.
Auf diese Weise klettern wir höher und höher. Ich mache ihr eine Räuberleiter und sie reicht mir danach die Hand.
Bald erreichen wir den Baumwipfel und setzen uns dort jede auf einen Ast.
Andrea gibt mir ein Stück Kuchen und ich erinnere mich erst, als ich es schon fast aufgegessen habe, daran, dass ich eigentlich schon satt war. Ich stecke den Rest wieder in die Tüte, die mir dann aus der Hand rutscht. Immer schneller segelt sie mit dem kleinen Kuchenrest auf den Boden und ich schaue ihr hinterher. Sie landet genau auf der Grenze zwischen dem Wasser und dem matschigen Boden.
„Du bist rot auf der Wange, vom Kuchenguss“, lacht Andrea.
Ich reibe meine Wange mit der Hand.
„Weg?“, frage ich.
Andrea schüttelt den Kopf.
Ich reibe weiter.
„Ist es jetzt weg?“
Andrea schüttelt wieder den Kopf.
„Soll ich es wegmachen?“ Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich nicke.
Andrea beugt sich zu mir und küsst mich auf die Wange und danach auf den Mund.
„Ich habe übrigens gelogen. Da war gar nichts“, lacht sie.
„Was soll das, Andrea?“ Ich runzle die Stirn.
„Mir war eben danach.“
Andrea lässt sich auf einen niedrigeren dicken Astes gleiten und balanciert ihn entlang.
Ich zögere.
„Bist du“, ich beiße mir auf die Lippe, „bist du etwa in mich verliebt?“
Andrea dreht sich um.
„Nein, bin ich nicht. Wirklich nicht.“ Sie balanciert vorsichtig immer weiter vom Stamm weg. „Vielleicht wollte ich mich nur von dir verabschieden.“ Sie setzt sich auf den Ast und hält sich an einem dünnen, höheren Ast fest.
Ihr Mund zittert.
„Was?“, frage ich. Ich verstehe kein Wort. Will kein Wort verstehen.
Andrea zittert leicht, wirkt aber gleichzeitig entschlossen.
„Ich lasse mich jetzt fallen.“
Ich stehe auf, lasse mich auf den tieferen Ast herunter und gehe langsam auf sie zu. Jeder meiner Schritte bringt den Ast und damit auch Andrea zum Wackeln.
„Das Wasser ist doch nicht tief genug, Andrea. Wir sind viel zu hoch.“ Ich versuche ruhig zu klingen, aber meine Stimme wird ganz hoch und laut.
„Vielleicht will ich das ja gerade. Vielleicht will ich ja in Wasser springen, das nicht tief ist, von einem Baum, der hoch ist.“
„Du willst das nicht, Andrea. Es gibt doch immer eine Lösung. Es...“ Ich muss etwas sagen, aber mehr als abgenutzte Trostsprüche fallen mir nicht ein.
Ich gebe es auf und krabbele auf allen Vieren auf sie zu, ganz langsam und ganz vorsichtig, um den Ast nicht in Schwingung zu bringen. Andrea hält sich zwar immer noch mit den Händen am oberen Ast fest, aber ihre Arme zittern so sehr, dass ihr Körper bei jedem meiner Schritte auf- und abwippt, sodass mein Herz bei jedem Schritt noch schneller rast, als es es ohnehin schon tut.
„Ich will das“, flüstert Andrea, „Ich will nicht mehr nur das machen, was andere von mir wollen. Ich will nicht mehr turnen müssen, um meine Eltern glücklich zu machen. Ich will nicht mehr Theater spielen, um Menschen, die mir nichts zu bedeuten, zum Lachen zu bringen. Früher war alles gut. Weißt du noch, wie wir mit den Mülleimern Fußball gespielt haben? Nur weil es Spaß gemacht hat? Weißt du, wie wir unter dem vertrockneten Kastanienbaum saßen und uns gefühlt haben wie zwei englische Prinzessinnen in einem feinen viktorianischen Park? Weil wir einfach unsere Gefühle zugelassen haben.
Jegliches Glück, das uns heute vorgespielt wird, gibt es doch gar nicht wirklich. Alle tun doch nur so. Wollen zeigen, dass bei ihnen alles okay ist. Aber eine grinsende gelbe Satellitenschüssel kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ganze Haus scheiße ist.“
Für eine Sekunde sieht es so aus, als ob Andrea ein Lächeln unterdrücken müsste.
„Andrea“, murmele ich, „meine Andrea.“
„Mir ist eben danach“, murmelt Andrea. „Eigentlich verwerfe ich noch nicht mal das Prinzip, nur das zu tun, was ich will. Mir ist eben danach in untiefes Wasser von einem hohen Baum zu springen. Ich habe Lust darauf und deswegen mache ich es eben. Viele Menschen sind unglücklich. Ich will nicht unglücklich sein. Ich lasse mich jetzt fallen. Mir ist eben danach.“
Sie rutscht vom Ast, sodass sie nur noch an ihren Händen am oberen Ast hängt.
Ich krabbele schneller zu ihr.
„Andrea, bleib ganz ruhig, ich helfe dir.“
„Bleib, wo du bist“, droht sie mir.
Sie lässt erst eine Hand los, dann die andere und fällt.
Mein Hals ist blockiert, sodass weder meine Stimme heraus- noch Luft hineinkann und ich muss mich am Ast festklammern, um nicht auch herunter zu fallen.
Erst nach einigen Sekunden kann ich meine Augen öffnen und nach unten sehen.
Aber da ist keine Andrea. Da liegt nur die Tüte mit dem Erdbeerkuchenstück, die mir vor ein paar Minuten herunterfiel. Aber sonst nichts.
Verwirrt sehe ich mich um
Dann sehe ich sie.
Sie ist ganz in meiner Nähe. Sie hält sich an einem dünnen Ast fest, der aus dem Ast, auf dem ich sitze, wächst.
Dann schwingt sie ihre Beine hoch, trotz der Zweige, die dabei auf ihre Beine schlagen, sieht sie dabei elegant aus, sodass sie schließlich. im Handstand auf dem Ast steht.
Sie hakt ihre Beine um den oberen Ast und dreht sich hoch.
Schließlich macht sie eine Rolle und lässt sich wieder auf den Ast, auf dem ich sitze, herab.
Entgeistert sehe ich sie an.
„Warum hast du das alles gemacht. Weißt du, was ich für eine Angst hatte?“, keuche ich.
„Mir war eben danach“, entgegnet Andrea lapidar.
Wütend klettere ich den Baum hinunter.
„Spinnst du eigentlich? Das kannst du doch nicht machen!“ schreie ich.
Andrea klettert mir hinterher.
„Reg dich ab, es war doch nur Spaß! Das war doch der Sinn der Sache, nur das zu machen, was einem Spaß macht, oder?“
Ich merke, wie meine Wangen noch heißer werden.
„Weißt du, was der Sinn ist? Der Sinn ist, an den Dingen, die man machen muss, Freude zu haben. Und selbst, wenn du nur Spaß haben willst, nicht auf meine Kosten“, schluchze ich.
Ich lasse mich auf den Boden sinken. Vor mir liegt die Tüte. Ich stopfe den matschigen Kuchenrest in mich hinein. Mein Mund und meine Hände sind ganz rot.
Es hat angefangen zu regnen und auf dem Boden sind so große Pfützen, dass es schon eine ganze Weile regnen muss. Trotzdem bemerke ich es erst jetzt.
Ich schaue an mir hinab.
Rote Hände und nasse Jeans. Als ob ich von da oben gesprungen wäre.
Ich schaue nach oben zum Baumwipfel.
War es nicht vielleicht wie ein Sprung? Kann ich jemals wieder mit Andrea befreundet sein? Und kann ich ohne Andrea überhaupt leben? Bin ich vielleicht tot?
Andrea setzt sich neben mich. Sie legt den Arm um mich. Ich zucke mit den Schultern, um ihr zu zeigen, dass ich das nicht will. Sie nimmt ihn trotzdem nicht weg.
„Hey, Susanne, es tut mir echt leid.“ Andreas Stimme hebt sich am Ende, sodass es sich wie eine Frage anhört.
„Ich tue alles, um es wieder gut zu machen.“
Ich vergrabe mein Gesicht zwischen meinen Armen.
Dann stehe ich auf. Hastig springt auch Andrea auf.
Ich schaue ihr fest ins Gesicht.
„Andrea, du hast echt Probleme. Wirklich.“
Andrea schweigt.
„Schließ deine Augen.“
Andrea gehorcht mir.
Ich gebe Andrea einen Kuss auf die Wange und dann auf den Mund. Es ist ein Abschiedskuss. Kein Abschiedskuss für Andrea. Sondern ein Abschiedskuss für unsere Freundschaft.
Dann nehme ich Anlauf und stoße Andrea in den Entensee.
Vielleicht ist es die Taufe für eine neue Freundschaft. Auf jeden Fall wurde die alte ertränkt.
Mir war eben danach.